Sie ist die vielleicht kleinste Kultur-Biennale der Welt, auf jeden Fall eine der außergewöhnlichsten Kunstveranstaltungen: An diesem Wochenende laden wieder Privatwohnungen, WGs und Hinterhöfe zu „3x klingeln“ ein.  Das Prinzip: Der Kultursuchende klingelt einfach drei Mal an der Haustür – und schon öffnen sich die Türen zu Kunst in privaten Räumen. Seit 20 Jahren findet die Kunstaktion nun schon statt, zum 11. Mal öffnen sich Türen in der Mainzer Neustadt und dem Bleichenviertel. Ein Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf der Fotografie  – und es gibt so viele Konzerte und Lesungen wie nie zuvor. Flamenco-Gitarre, ein Männerchor mit Piratenliedern und viel Zimmertheater warten auf Euch.

Es war 1997, ein Abend in einem Mainzer Biergarten, als zwei Bewohnern der Mainzer Neustadt ein Versäumnis auffiel: Das festliche Jubiläum der Neustadt-Gründung vor 125 Jahren stand vor der Tür – aber bei aller Feierei: Kunst war im Programm nicht vorgesehen. Und das, „obwohl schon damals der Stadtteil bei Kreativen aller Art beliebter Wohn- und Arbeitsort war. Aber Plätze für die Kunst gab es nicht, von einer schnieken Kunsthalle durfte man noch nicht einmal träumen.“ So erzählt Günter Minas, stadtbekannter Kulturmanager, die Anfänge von „3x klingeln“.

Gemeinsam mit der Mainzer Malerin Christiane Schauder hatte er die zündende Idee: „Wir holen die Kunst und die Künstler in die Wohnungen!“ Nach einigen  Wochen eifriger Telefonate konnten am Samstag, dem 25. Oktober 1997, Besucher zum ersten Mal „…3xklingeln!“ Dieser Aufforderung folgten Hunderte von Kunsthungrigen, binnen weniger Wochen und mit extrem kleinem Budget hatten die Initiatoren es geschafft, 35 bildende Künstler in 23 Wohnungen, Büros und Werkstätten einzuladen. Der Riesenerfolg animierte zum Weitermachen, was als einmaliges Ereignis geplant war, wurde zur „kleinsten Biennale der Welt“, die seitdem im Zweijahresrhythmus stattfindet, erzählt Minas.

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Hauskonzert bei 3x klingeln. – Foto: 3x klingeln

 

Über 200 Künstler waren bisher zu Gast, sie kamen aus ganz Deutschland, aber auch aus den USA, China, Korea, Lettland, England und vielen anderen Regionen der Welt. Bald wurde das Wochenendprogramm durch kleine Konzerte, Lesungen, Tanz, Film und Performances ergänzt, das Bleichenviertel kam „als ähnlich urbaner und lebendiger Stadtteil“ hinzu. Und immer blieb das Prinzip: Rund 30 Künstler präsentieren ihre Werke in privaten Räumen, die sonst nicht öffentlich zugänglich sind, und stehen vor Ort in intimem Rahmen für Gespräche zur Verfügung. Das werde weidlich genutzt, berichten die Macher: „Noch nie so viel mit dem Publikum gesprochen“, sei „der übliche erschöpfte Kommentar der Mitwirkenden am Sonntagabend.“

Dabei spielt „3x klingeln“ in hohem Maße nicht nur mit der Neugier auf Kunst – sondern auch auf Räume. Einmal in einem der letzten schönen Altbauten der Neustadt die Treppe hochsteigen, sehen, wie die WG gegenüber haust und ganz neue Einblicke in die Neustadt oder das Bleichenviertel gewinnen – bei der Kunst-Biennale geht das treppauf-treppab. Keller, Büros, Läden, Kirchen, Schulen, Privatwohnungen – so vielfältig ist kein anderes Festival. Da gibt es humorvolle und bissige Kunstobjekte des kürzlich verstorbenen Mainzer Dadaisten Jürgen Blumberg, besser bekannt als „Oddo“, im SPD-Neustadtladen, Fotografien von Grit Reiß in einer Neustadt-WG in der Frauenlobstraße oder Malereien und Plastiken zum Thema „Landschaft, Kopf und Körper“ von Christian Felder in einer Privatwohnung in der Josefsstraße.

3x klingeln bitte – und schon heißt’s: Türen auf für die Kunst! – Foto: 3x klingeln

Die Künstler kommen dieses Mal aus Deutschland, Korea, Lettland, Brasilien, Österreich, Japan, Kurdistan und dem Nahen Osten, sogar der systemkritische Foto-Künstler Zhu Jiuyang aus China fliegt eigens für die Biennale ein und lässt sich in einer Wohnung in der Lessingstraße nieder. Beim Architektur-Professor Emil Hädler gibt’s im Hof am Gartenfeldplatz „Baugeschichte(n) aus der Neustadt“, ein studentisches Projekt, bei dem das Schicksal von Häusern am Gartenfeldplatz und ihrer Bewohner durch 100 Jahre wechselvolle Geschichte begleitet wird. Kunst aus Plastikabfall in der einen Location, Fotografien von Hermann Recknagel in der nächsten – „3x klingeln“ lebt von der Vielfalt.

 

Im Weinkeller Landenberger in der Adam-Karillon-Straße wiederum gibt es nicht nur Chormusik mit dem Ensemble Chordial, sondern auch eine äußerst ungewöhnliche Installation: „Im Weinkeller wird dem Besucher ein großzügiges Audio-Sitzkissen bereitgestellt, von dem aus er mit einer Fernbedienung Klänge direkt aus dem konkreten Raum generieren und steuern kann“, heißt es im Programmheft zum Projekt der Künstlerin Frauke Eckhardt: Die Säulen, Wände, Weinfässer, Rohre, Geländer, die Treppe, der Boden, alle verbauten Materialien oder Bauteile des Raums werden mit Hilfe verschiedener Mechaniken akustisch angeregt. „Ihr innerer Körperschall tönt schließlich akustisch verstärkt ganz körpernah aus dem Kissen heraus. Je nach Auswahl und Kombination der Klangquellen kann das Empfinden von entspannender Massage bis hin zu aktivierendem Gepolter reichen.“

Hier öffnen sich am Wochenende die Türen zu 3x klingeln.

Apropos Klang: Diverse Lesungen und Konzerte gehören ebenfalls zum Programm von „3x klingeln“, so ist erstmals die Kunsthalle Mainz am Zollhafen mit dabei: Am Samstagabend mit einem Konzertabend mit Barockmusik – präsentiert von DJ Michael Glasmeier. Das Eröffnungskonzert findet schon traditionell in Christuskirche statt, am Freitagabend, den 1. September, gibt es um 20.00 Uhr das Konzert mit „Refugees und Friends“, um 19.00 Uhr startet das Festival mit der offiziellen Eröffnung. Zum Abschluss gibt es am Sonntagabend in der Dorett Bar in der Zanggasse die „Soirette im Dorett, unter anderem mit dem „Männerchor Neustadt“, einer bunten Sängertruppe um den Komponisten Bernd Thewes, die mit Trinkliedern aufwartet.

Daneben aber werden die Neustadt-Locations in diesem Jahr auch noch zur Theaterbühne: Verstreut über das Wochenende gibt es Monologe des Steve Jobs (dem Apple Erfinder) mit Klaus Köhler vom Staatstheater Mainz, die Eigenproduktion „an einem sonntag, im geschenkpapier ein ohrensessel (mit abwesenden)“ dreier weiterer Staatstheater-Kollegen oder auch Ankedoten über „Das Leben im Theater“ der Mainzer Schauspielerin Ella Schwarzkopf. Die Junge Bühne Mainz wiederum spielt Arthur Schnitzler’s „Reigen“ an verschiedenen Locations in der Mainzer Neustadt, und es gibt einen Vorgeschmack auf „Bilder deiner großen Liebe“ von Wolfgang Herrndorf, das im Mainzer Staatstheater in dieser Spielsaison Premiere haben wird.

Neugierig sein, urbanes Leben spüren, Theater im Zimmer erleben, Hauskonzerte genießen und mit wildfremden Menschen in ihrer Wohnung über Kunst und die Neustadt plaudern – „3x klingeln“ bietet wahrlich Kunst in ausgefallenem Rahmen, wobei der Rahmen selbst zur Kunst wird. Das Ganze ist für den Besucher auch noch kostenlos, aber keineswegs umsonst – Dank Förderung durch den Kultursommer Rheinland-Pfalz.

Info& auf Mainz&: Kunst-Biennale „3x klingeln“ vom 1. bis 3. September 2017 in rund 30 Locations in der Mainzer Neustadt und im Bleichenviertel. Besuchszeiten: Samstag, 02. 09. von 14.00 – 19.00 Uhr, Sonntag, 03. 09. von 12.00 – 19.00 Uhr. Der Eintritt ist frei. Infos, Programm und Pläne gibt es hier im Internet.

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