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Tagesarchive: 25. Mai 2016

Stadtrat kippt Leitlinien für Ludwigsstraßen-Bebauung – Kriterien grundlegend verändert

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Der Mainzer Stadtrat hat die alten Leitlinien für die Bebauung der Ludwigsstraße mit einem Einkaufszentrum gekippt. Am Mittwoch stimmten tatsächlich die Ampelfraktionen von SPD, FDP und Grünen, aber auch die oppositionelle CDU für eine Bebauung nach neuen Kriterien – und das, obwohl noch gar keine konkreten Pläne vorliegen. Trotzdem beschloss der Stadtrat mehrheitlich eine im Prinzip geschlossene Bebauung zwischen Weißliliengasse und Gutenbergplatz samt Verkauf der öffentlichen Flächen zwischen den Pavillons. Zuvor hatte Altstadt-Ortsvorsteher Brian Huck (Grüne) noch eindringlich appelliert, den Beschluss nicht zu fassen – er schaffe „unumkehrbare Fakten.“ Vergeblich.

Pavillons Ludwigstraße mit Dom
Der Weg ist frei für den Neubau eines Einkaufszentrums genau hier an der LU – Foto: gik

Es war vor allem ein Satz, der entlarvte, was da am Mittwoch im Stadtrat geschah: „Wir nicken nicht nur die Pläne von Gemünden und ECE ab“, sagte FDP-Fraktionschef Walter Koppius in entwaffnender Offenheit, und das traf es genau: Der Stadtrat machte am Mittwoch mit großer Mehrheit den Weg frei für die Bebauung der Ludwigsstraße durch die Investoren Gemünden und ECE und segnete praktisch die Wünsche der Investoren ohne Gegenbedingungen ab. Ob der Stadtrat damit alle Trümpfe und seinen Einfluss auf den weiteren Verlauf aus der Hand gab, war umstritten.

47 Stadträte beschlossen Baukomplex samt Flächenverkauf

Tatsache ist: 47 Stadträte stimmten für den Antrag der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, eine Bebauung zwischen Weißliliengasse und Gutenbergplatz auf den Weg zu bringen, die Bebauung bis zur Erdgeschosskante der jetzigen Pavillons vorzuziehen, die Fuststraße als öffentliche Straße zu erhalten und die Hintere Präsenzgasse lediglich als „Fußweg“ zu öffnen. Damit ist der Weg frei für einen neuen Baukomplex an der LU – und der Stadtrat beschloss faktisch auch den Verkauf der öffentlichen Plätze zwischen den Pavillons.

Denn in dem Antrag der Ampel-Koalition steht zwar der Satz „ein Verkauf der öffentlichen Flächen erfolgt erst… wenn“ – doch damit steht da eben auch: „Ein Verkauf der öffentlichen Flächen erfolgt.“ Und das beschloss der Stadtrat mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und CDU. Die Bürgerinitiative Ludwigsstraße glaubt, die Investoren können diesen Punkt nun sogar vor Gericht einklagen – wie überhaupt die Bedingungen des Baus. Dagegen stimmten lediglich 12 Stadträte, darunter der Ortsvorsteher der Mainzer Altstadt, Brian Huck von den Grünen – entgegen seiner Grünen-Fraktion, die geschlossen dafür votierte.

Blick auf die Ludwigstraße - der Zug rollt! - Livestream SWR
Wo jetzt links die Pavillons stehen, wird es ein Einkaufszentrum geben – höher als die derzeitige Bebauung – Foto: gik

Huck: Keine Kleinteiligkeit mehr, keine Leitlinien

Dabei hatte Huck zuvor noch in einer eindringlichen Rede an seine Stadtratskollegen appelliert, genau diese Beschlüsse nicht zu fassen: „Was die Projektentwickler vorhaben, ist keine Umsetzung der Leitlinien aus dem Jahr 2013“, machte Huck klar: Eine urbane Mischnutzung werde jetzt gerade nicht erstehen, eine städtebauliche Planung für die LU als Ganzes mit dem Beschluss aus der Hand gegeben. „Wohnen ist nur in einem sehr kleinen, untergeordneten Bereich der Fuststraße vorgesehen“, warnte Huck, prägend für den Charakter werde wohl eher das oberirdische Parkhaus sein, dessen Rolle aber werde überhaupt nicht festgelegt.

Die einstmals als unabdingbare angesehene Kleinteiligkeit des Gebietes werde aufgegeben, „eine Entwicklung im Sinne der Leitlinien wird nicht mehr möglich sein“, warnte Huck. Der Altstadt-Ortsvorsteher kritisierte zudem, dass der Antrag im Hauruck-Verfahren eingebracht und durchgestimmt wurde: Vor gerade einmal 48 Stunden habe er den Antrag erstmals zu Gesicht bekommen, sagte Huck, „und ich habe nicht schlecht gestaunt.“

Krach hinter den Kulissen, Erklärung vierer SPD-Stadträte

Offenbar gab es hinter den Kulissen an diesem Vorgehen massive Kritik – die Stadtratssitzung begann mit satten 40 Minuten Verspätung, weil die Fraktion der Grünen erhöhten Diskussionsbedarf hatte. Man darf getrost annehmen, dass der Druck auf Kritiker groß war – in der SPD-Fraktion stimmten erst alle Stadträte dem Antrag zu, vier veröffentlichten danach aber eine kritische persönliche Erklärung: Bebauungspläne hätten nicht „der Gewinnmaximierung Einzelner“ zu dienen, sondern „sozialen, kulturellen, gestalterischen und denkmalpflegerischen Zwecken“, mahnten Nora Egler, Johannes Klomann, Amin Kondakji und Andreas Behringer, auch der neu aufzustellende Bebauungsplan für die LU müsse sich „allein an der Frage messen lassen, ob er das Allgemeinwohl fördert.“

Der Rosenmontagszug 2014. In kleiner und auch fein gibt es das ganze bei den Straßenfastnachten der Ortsteile. - Foto: gik
Ihren großzügigen Boulevardcharakter könnte die LU nun verlieren, befürchten Kritiker – Foto: gik

Die weitere Diskussion müsse nun insbesondere für die Punkte „öffentliche Flächen“, „baukulturelles Erbe“ sowie „Erhalt des Warenhausstandortes“ gute Lösungen finden, mahnten die SPD-Räte weiter, man sehe aber auch die Chance, „das urspüngliche Gesamtkonzept für Gutenberg­platz und Ludwigsstraße aus napoleonischer Zeit wieder zur Entfaltung zu bringen“, den Baukomplex durch öffentliche Straßen zu gliedern und städtebauliche Fehlentwicklungen der Nachkriegszeit zu korrigieren.“

Trotz ihrer offensichtlichen Bedenken – gegen den Antrag stimmen, wollten die vier Sozialdemokraten aber nicht: „Wir sehen mit dem heutigen Beschluss nicht das Ende, sondern selbstverständlich den Anfang einer Diskussion über den Bebauungsplan“, betonten sie: „Daher haben wir dem Antrag auch zustimmen können“

Huck hingegen warnte explizit, die regierenden Fraktionen wollten „mit diesem Antrag unumkehrbare Fakten schaffen, der Stadtrat sollte diesen Beschluss heute nicht treffen.“ Doch sein Appell verhallte ungehört – im Vordergrund stand das Begehren, das neue Einkaufsprojekt unter allen Umständen jetzt und sofort auf den Weg zu bringen.

CDU: Wichtig ist Entwicklung an der LU jetzt

Karstadt Kaufhaus mit China-Pavillon am Gutenbergplatz - Foto gik
Das Karstadt-Haus soll umgebaut werden, der China-Pavillon aber bleiben – Stadtplanung? – Foto: gik

„Wir wollen schnell eine Entwicklung“, betonte CDU-Fraktinschef Hannsgeorg Schönig, eine weitere Verzögerung wolle man unter keinen Umständen. „Seit mittlerweile fünf Jahren diskutieren wir hier im Rat die Entwicklung eines neuen Einkaufszentrums an der LU“, begründete Schönig, „bis heute ist an dieser Stelle leider nichts passiert.“ Die CDU sei deshalb froh, dass seit wenigen Wochen wieder Bewegung in das Thema gekommen sei. Wichtig sei deshalb, „dass wir hier heute mit einem Beschluss des Stadtrats ein Signal geben, dass wir die LU aufwerten, den Einzelhandel stärken, und dass wir Zentralität in der Innenstadt wollen.“

Und so stimmte die CDU am Ende dem Antrag der Ampel-Koalition in vollem Umfang zu – obwohl doch Schönig zuvor noch selbst eine ganze Reihe offener Fragen genannt hatte: Was passiert mit dem sogenannten China-Pavillon am Gutenbergplatz, den seine Besitzer partout nicht verkaufen wollen? Wird er in die Planungen einbezogen, gibt es überhaupt eine übergreifende städtebauliche Planung für die gesamte LU? In der jetzt beschlossen Fassung nämlich steht lediglich, das Plangebiet umfasse „die Karstadt-Liegenschaften sowie das Areal der Deutschen Bank“ – nicht nur Huck und Schönig sahen da einen Widerspruch.

Weiter ist jetzt die Hintere Präsenzgasse nur als öffentlicher Fußweg genannt, gleichzeitig soll aber von dort der entscheidende Anlieferungszuweg für das Areal sein, auch das sei ein Widerspruch, sagte Schönig. Und schließlich beschloss der Stadtrat nun, das Karstadt-Warenhaus zu erhalten – das aber liegt mitnichten in seiner Macht. „Es liegen nur grobe Pläne vor“, sagte Schönig selbst und mahnte „eine Planung aus einem Guss“ an. Trotzdem stimmte die CDU dem Antrag der Ampel ohne Änderungen zu  „Lassen Sie uns das Projekt hier heute auf den Weg bringen“, erklärte Schönig.

Rosenmontagszug - Burggrafengarde und Dom
Domblick auf der LU? Könnte künftig schwierig werden – Foto: gik

ÖDP: Schnellschuss auf Druck der Investoren

Und so lag es bei der ÖDP, dem Gremium klar zu machen, was es da tat: Der Stadtrat habe nämlich 2013 die lange vorher diskutierten Leitlinien zur LU-Bebauung beschlossen, erinnerte ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler: „Heute wollen Sie, liebe Kollegen, diesen Konsens zwischen den Fraktionen, der Verwaltung und den Bürgern mit einem schlecht gemachten Änderungsantrag vom Tisch fegen.“ Damit würden die alten Leitlinien aufgehoben, die Arbeit der vergangenen Jahre „mit einem Schlag zunichte“ gemacht. Das sei ein „Schnellschuss“, eine „Reaktion auf den CDU-Antrag und den Druck der Investoren“, sagte Moseler. Die Leitlinien müssten weiter entwickelt, etwa über die Breite des Boulevards diskutiert werden – „stattdessen werden hier Fakten geschaffen“, kritisierte er: „Ich bin maßlos enttäuscht.“

„Wir haben einen Beschluss gefasst, stimmt, aber die Rahmenbedingungen haben sich seit 2013 geändert“, entgegnete dem SPD-Fraktionschef Lentsch. Es gebe jetzt eine neue Situation mit neuen Investoren, und „unter diesen neuen Bedingungen wird auch neu gestaltet.“ Zwar räumte auch Lentsch ein, dass „die Enge der Straße ein Problem sein könnte“ – eine Konsequenz daraus zog er aber nicht. Man sehe darin „eine neue Chance, unter den neuen Bedingungen dieses wichtige Innenstadtteil neu zu entwickeln“ – das war das Argument.

Grüne: Verengung der LU „nicht denkbar“ – genau dem aber zugestimmt

„Das alte Konzept für ein kleinteiliges Gebiet ist unter den gegebenen Umständen nicht umsetzbar“, meinte ganz einfach Grünen-Fraktionschef Sylvia Köbler-Gross: „Wir haben politische Entscheidungen zu treffen, die sich am realistischen Rahmen orientieren.“ Und dann zählte auch Köbler-Gross die Bedingungen auf, die sie durch den eigenen Antrag gerade eben kippte: Die LU müsse in ihrer Frontbreite erhalten bleiben, „eine Verengung ist nicht denkbar“, sagte sie. Dazu hielten die Grünen „es nicht für sinnvoll, auf die Freiflächen zwischen den Pavillons zu verzichten.“ Genau das aber sieht der Antrag vor. Es gelte jetzt die Chance für das neue Projekt zu nutzen, betonte Köbler-Gross, es schaffe notwendigen Wohnraum und belebe das Quartier.

„ECE und Gemünden können jetzt zügig mit dem Umbau beginnen“

Pavillons und Plätze auf der LU
Diese öffentlichen Plätze zwischen den Pavillons werden künftig verschwinden – Foto: gik

FDP-Fraktionschef Walter Koppius machte es kurz: Schon zweimal seien Ansätze für eine Bebauung an der LU gescheitert, „wir haben jetzt zum letzten mal für Jahre, wenn nicht für Jahrzehnte, dort die Chance, gestalterisch für Mainz etwas Neues zu schaffen“, behauptete er – obwohl sich doch Investoren bundesweit um genau solche Filetstücke reißen. Die vorliegenden Pläne zeigten, „dass wir es mit etwas komplett Neuen zu tun haben“, betonte Koppius, das sei keine Mall mehr. Mit dem Antrag sei man auf einem guten Weg für die Neugestaltung der LU, „ECE und Gemünden können jetzt zügig mit dem Umbau beginnen.“

Von welchen Plänen Koppius rede, das hätte Waltraud Hingst von der Linken gerne gewusst: „Keine Stadträtin und kein Stadtrat weiß heute genau, was ECE und Gemünden überhaupt vorhaben – es sie denn, das Ganze wurde in kleinem Kreis hinter verschlossenen Türen verhandelt“, sagte sie. Pläne gebe es doch noch gar nicht, „vieles bleibt Spekulationen.“ Was sei denn der große Unterschied zwischen einer Shoppingmall und den neuen Plänen, fragte sie: „Es bleibt ein riesiger Klotz, der in die Altstadt gesetzt wird.“ Und die Stadt werde nach dem Beschluss „nicht umhin kommen, die Flächen zu verkaufen“, warnte sie und kritisierte: „Die SPD zeigt hier vor allem ein Herz für die Investoren.“

Ebling: Nicht angemessen, Leitlinien zu zitieren

An dem Thema werde sich „nicht entscheiden Tod oder Leben der Stadt“, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) anschließend. Eine „übergroße Mehrheit dieses Rates“ empfehle nun, die neue Chance nutzen, das „heißt aber bitteschön auch, dass wir nicht da ansetzen könne, wo wir mal aufgehört haben“, betonte der OB. Man rede jetzt „nicht mehr über eine Quartiersentwicklung“, sondern über „völlig andere Bauten und Flächen“ sowie völlig veränderte Investitionsbedingungen, da sei es „nicht angemessen, einen Leitlinienprozess zu zitieren, der unter anderen Bedingungen entstanden ist.“ Da gebe es jetzt „vieles zu bereden und auszugestalten“, das letzte Wort sei hierbei auch noch gar nicht gesprochen.

Schon gut was los auf der LU - Foto: gik
Shoppen oder Feiern auf der LU? Der Stadtrat hat sich fürs Shoppen entschieden – wie eng dadurch die LU wird, ist unklar – Foto: gik

Die Entscheidung übrigens sei hier gar nicht am Zuge gewesen, die habe auch die Pläne noch gar nicht bewertet, sagte Ebling in aller Unschuld – es sei „das Selbstentscheidungsrecht des Rates, dieses Thema aufzugreifen.“ Und doch sagte Ebling auch den Satz: „Wir verändern gerade sehr deutlich die Gestaltung unserer Innenstadt.“ Zu den einst so wichtigen Leitlinien aber, erarbeitet im Konsens mit der Stadt, sagte er nur: „Das sind alles Debatten von gestern“, sagte Ebling, „denn es ist ein neues, ein verändertes Projekt.“

Huck: „Was ist das für eine Beteiligungskultur?“

„Heute ist die Stunde der Fraktionen“, betonte auch Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD), mit dem Beschluss „können wir neue Wege in Mainz gehen.“ Genaue Planungen, räumte Grosse ein, kenne man nicht, und es gebe sie auch noch gar nicht, es solle aber nicht das gesamte Gebiet mit einem Baukörper bebaut werden. Die Bürgerinformation, sagte die Dezernentin noch, werde es „natürlich auch geben“, die Bürger „dann über den weiteren Verlauf informiert werden müssen.“ Wann das geschehen soll, sagte Grosse nicht.

Brian Huck erinnerte auch daran, dass eben diese Dezernentin im Herbst 2011 zugesagt habe, eine „ständige Informationsrunde zu informieren, sobald „wesentliche Neuerungen vorzustellen“ seien. Getagt habe diese Runde nie, stattdessen hätten die Fraktionen von den neuen Planungen aus der Zeitung erfahren, sagte Huck: „Vor diesem Stadtratsbeschluss hat kein einziger Ausschuss sich mit dieser Planung auseinandergesetzt. Sie wurde auch im Ortsbeirat noch gar nicht vorgestellt.“ Stattdessen sei montags ein Papier entstanden, das mittwochs durch den Stadtrat gejagt werde. „Wenn der Grundsatzbeschluss mit der Baulinie gefallen ist, dann erst darf darüber diskutiert werden?“, kritisierte Huck, und fügte hinzu: „Was ist das für eine Beteiligungskultur?“

Info& auf Mainz&: Die Anträge im Wortlaut sowie weitere Informationen zum Stadtrat findet Ihr im Ratsinformationssystem der Stadt – für diesen Stadtrat genau hier. Die Bürgerinitiative Ludwigsstraße warnte übrigens im Vorfeld der Stadtratssitzung deutlich vor einer Verabschiedung in dieser Form – warum, das lest Ihr in dem Mainz&-Artikel „Dann ist die LU als Boulevard tot“.

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BI warnt vor „Stadtratsbeschluss durch die Hintertür – LU als Boulevard tot“

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Der Stadtrat könnte heute quasi durch die Hintertür mal eben das neue Einkaufszentrum  von Investor Dirk Gemünden und ECE an der Ludwigsstraße absegnen – ohne Baubeschluss, ohne Pläne und ohne jede Bürgerbeteiligung. Das zumindest befürchtet die Bürgerinitiative Ludwigsstraße und schlägt in letzter Minute Alarm. Im Stadtrat heute nämlich stehen zwei scheinbar harmlose Anträge auf der Tagesordnung: ein Antrag der CDU zur Gestaltung der Ludwigsstraße – und ein Änderungsantrag der Ampel-Koalition, und der hat es in sich. Werde der beschlossen, „ist damit der Verkauf der städtischen Flächen faktisch besiegelt“, warnt Hartwig Daniels von der BI: „Damit wäre die LU als Boulevard tot.“

Pavillons Ludwigstraße mit Dom
Die jetzige Ludwigsstraße mit den vorgelagerten niedrigen Pavillons – und dem Blick auf den Dom. Der wäre bei einem vorgezogenen Einkaufszentrum wohl weg – Foto: gik

An der LU war ja bekanntlich Großinvestor ECE mit seinem Versuch gescheitert, ein allgemein als überdimensioniert angesehenes Einkaufszentrum zu bauen, 2015 erklärte der Konzern die Pläne für erledigt. Dann kaufte der Ingelheimer Bauunternehmer Dirk Gemünden das Gebäude der Deutschen Bank – und es kam wieder Fahrt in die Idee eines Einkaufszentrums an der Ludwigsstraße. Dass an dem alternden und teilweise gammelnden Boulevard etwas geschehen muss, bezweifelt in Mainz niemand – auch die Bürgerinitiative hat sich stets für eine Aufwertung ausgesprochen.

Nun aber stehen Pläne im Raum, die nach Einschätzung der Bürgerinitiative einen beinahe genau so schlimmeren Klotz an der LU nach sich ziehen würde. Gemünden nämlich wolle – übrigens gemeinsam mit ECE – das Einkaufszentrum fast bis an die Ludwigsstraße vorziehen, der jetzige Boulevard würde stark verengt. Die Gebäudeteile an der LU sollen zwar niedriger ausfallen, doch zwischen Weißliliengasse und Gutenbergplatz würde ein geschlossener Gebäudekomplex entstehen, nur unterbrochen durch die Fuststraße.

BI: Wildwest statt städtebaulicher Planung

„Wir hätten dann unterschiedlich hohe Fassaden zwischen Gutenbergplatz und Schillerplatz“, sagt Daniels, Sprecher der Bürgerinitiative – entstehen würde eine kuriose „Mischung aus Pavillon am Gutenbergplatz und Kammbebauung am Schillerplatz mit einem großen Klotz in der Mitte – genau das, was unser Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) immer abgelehnt hat.“

Rosenmontagszug am Schillerplatz mit Garden und Dom
Fastnacht oder Shoppen – wie eng würde die LU durch ein neues Einkaufszentrum? – Foto: gik

Mit Städtebau oder -planung hätte das nichts mehr zu tun, warnt Daniels, dazu würde wahrscheinlich der Blick auf den Dom vom Schillerplatz aus zugestellt – entstehen würde ein Durcheinander an Fassaden und Gebäudehöhen: „Das wird Wildwest!“ Mit der neuen Bebauung würde die LU ihren Charakter als Boulevard und Festmeile völlig verlieren, warnt Daniels.

Shoppen oder Feiern auf der LU?

Tatsächlich sagte Gemünden in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor einigen Tagen, die Mainzer müssten sich schon entscheiden, „ob die Ludwigsstraße eine Ia-Einkaufsadresse oder ein Platz für Volksfeste wie die Fastnacht sein solle“ – so gibt es die FAZ wieder. Also Shoppen ODER Feiern? Ein Ende des Boulevards mitten in Mainz, einer der wenigen Freiflächen? Und was passiert dann mit der Fastnacht, dem Rosenmontagszug, der Johannisnacht?

Tatsächlich äußerten bereits Feuerwehr und Polizei deutliche Sicherheitsbedenken für den Fall der Verengung der Ludwigsstraße: Die derzeitige Bebauung mit den Pavillons biete nämlich die Möglichkeit eines rückwärtigen Korridors an den Häuserwänden entlang, der sei für Rettungseinsätze im Getümmel durchaus wichtig, betonten die Sicherheitskräfte gegenüber der Allgemeinen Zeitung. Was passiert, wenn die LU ein enger Schlauch wird?

Pavillons auf der Ludwigstraße
Ein höheres und kompaktes Einkaufszentrum würde diese Pavillons auf der LU ersetzen – Foto: gik

BI: Investoren können Pläne danach ausrichten

Doch genau die Bebauung mit den alten Pavillons soll dem soliden Neubau weichen, Gemünden bräuchte dafür allerdings die Grundstücke zwischen den Pavillons – und die gehören der Stadt. Heute aber beantragen sowohl CDU als auch regierende Ampel nun plötzlich, genau diese Grundstücke an Gemünden zu veräußern, sagt die BI – und zwar ohne dass dessen Planungen bisher durch den Stadtrat abgesegnet wurden. Der Stadt lägen nach eigenem Bekunden nicht einmal genaue Planungen oder auch eine Bauanfragen der Investoren vor, betont die BI.

Die CDU hatte zunächst eigentlich nur einen Antrag gestellt, in dem die Verwaltung gebeten wird, ein Bebauungsplanverfahren für die LU vorzubereiten. Doch in dem Antrag schlägt die CDU auch vor, das  Plangebiet solle „mindestens die Grundstücke entlang der Südseite der Ludwigsstraße vom Osteiner Hof bis zum Gutenberg-Platz unter Einschluss des Bischofsplatzes und des Karstadt-Parkhauses umfassen“ – da wären die Flächen zwischen den Pavillons enthalten.“ Ferner fordert die CDU, die Fuststraße als öffentliche Straße beizubehalten, Ladengeschäfte von der Straße aus zugänglich zu machen (und nicht allein aus dem Einkaufszentrum) sowie einen Ideenwettbewerb für die Fassaden durchzuführen. So weit, so gut.

Antrag CDU Stadtrat Gestaltung LU
Antrag der CDU zur Gestaltung der LU

„Stadtratsbeschluss über neue Kriterien durch die Hintertür“

Dann aber stellte die Ampel-Koalition einen Änderungsantrag – und der enthält plötzlich einen umfassenden Kriterienkatalog. Der aber würde den ursprünglich vom Stadtrat beschlossenen Katalog für das Einkaufszentrum an der LU völlig aushebeln – in dem Antrag heißt es nämlich wörtlich: „Für ein hierzu notwendiges Bebauungsplanverfahren und für die Inhalte eines städtebaulichen Vertrages werden folgende Eckpunkte als Kriterien durch den Stadtrat gesetzt.“ Damit stellen SPD, Grüne und FDP nicht nur plötzlich neue Kriterien für die Bebauung in den Raum – sie ersetzen damit auch die alten Kriterien.

Von einem „Stadtrats-Beschluss durch die Hintertür“ spricht deshalb Daniels und warnt: „die Konsequenz wäre, dass alternative Lösungen für die LU nicht mehr diskutiert werden können – wenn das so beschlossen wird, sind die Grundstücke weg, ist der Verkauf besiegelt, können allenfalls kosmetische Änderungen durch den Stadtrat vorgenommen werden.“ Denn die Kriterien in dem Antrag seien so konkret, dass die Investoren ihre Planungen daran ausrichten, über die Plätze verfügen und bis an die LU heran bauen könnten, warnt Daniels: „Hier wird vorab pauschal ein Freibrief erteilt, die Stadt kann dann nicht mehr raus – die Investoren können den Satzungsbeschluss höchstwahrscheinlich sogar vor Gericht erzwingen.“

Antrag Ampel neue Kriterien LU Collage
Antrag der Ampel-Koalition mit den „neuen Kriterien“ für die LU-Bebauung

„Verkauf wird damit verbindlich zugesagt“

In dem Antrag heißt es nämlich: „Die zukünftige Raumkante entlang der Ludwigsstraße verläuft entlang der heutigen erdgeschossigen Gebäudeflucht der Pavillons“ – damit stünde das neue Einkaufszentrum fast an der LU. Und auch der Verkauf der öffentlichen Flächen zwischen den Pavillons ist explizit in dem Antrag vorgesehen. Zwar heißt es dazu, der Verkauf erfolge erst an dann „an private Investoren, wenn der Satzungsbeschluss gefasst ist und weitere städtebaulich relevante Themen in einem städtebaulichen Vertrag geregelt sind.“

Doch faktisch werde den Investoren damit der Kauf der Flächen zugesagt – etwas, was eigentlich der Stadtrat beschließen muss, betont Daniels: „Es wird verbindlich in Aussicht gestellt, die Flächen zu verkaufen – und zwar ohne Gegenleistung.“ Die öffentlichen Flächen seien aber „nach wie vor das Faustpfand der Stadt“ in den Verhandlungen mit Investoren, sie dürften nicht aus der Hand gegeben werden, fordert die BI, „solange nicht verbindliche Festlegungen zum Bebauungsvorhaben vorliegen, die die Zustimmung von Bürgerschaft und Stadtrat haben.“

Ebling und Grosse versprachen Bürger einzubinden

Gleichzeitig würden damit auch der Stadtrat und dessen Ausschüsse schlicht übergangen, Bürgerbeteiligung und Transparenz blieben dabei „jetzt endgültig auf der Strecke.“ Daniels erinnerte im Mainz&-Gespräch daran, dass auch Ebling selbst zugesagt hatte, die Bürger bei einem neuen Anlauf für ein Einkaufszentrum zu informieren und einzubinden. „Die Stadt hat es bis jetzt nicht für nötig befunden, sich mal mit den neuen Informationen an die Bürger zu wenden“, kritisiert Daniels.

Das übrigens kritisiert auch die ÖDP im Mainzer Stadtrat: Ebling habe noch im Herbst zugesagt, die Bürger „umfangreich in den Planungsprozess einzubinden“, erinnerte ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler, jetzt kämen „weder OB Ebling noch Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) aus der Deckung.“ Moseler sprach von einem „irritierenden“ Vorgehen – zumal der Stadtvorstand jetzt offenbar das Ziel einer kleinteiligen Bebauung zugunsten „einer monolithischen Stadtreparatur“ über Bord werfe.

Grafik ECE Shopping Mall Mainz
So sahen übrigens die Quartierspläne von ECE damals aus

Tatsächlich hatte Grosse noch im September 2015 nach dem Aus der ECE-Pläne explizit betont, die Stadt habe „mit der Planung eines kleinteiligen Quartiers ein klares Ziel vor Augen.“ Die einst vom Stadtrat beschlossenen Leitlinien seien natürlich „Grundlage für alle zukünftigen Entscheidungen“, die Bürger würden im Rahmen eines Bauverfahrens „umfangreich in den Planungsprozess eingebunden“, versprach die Dezernentin weiter.

In einem Antrag für die Stadtratssitzung heute wollte die ÖDP eigentlich Auskunft darüber, warum der Bau- und Sanierungsausschuss noch nicht über die neuen Planungen informiert worden sei, wann die Fraktionen und wann die Bürger beteiligt werden sollten – und wie sich die neuen Planungen auf die vom Stadtrat beschlossenen Leitlinien zur Bebauung auswirken würden. Zumindest auf Letzteres hat die ÖDP nun indirekt eine Antwort.

Info& auf Mainz&: Alle Anträge sowie weitere Informationen zum Stadtrat findet Ihr im Ratsinformationssystem der Stadt – für diesen Stadtrat genau hier. Was der Stadtrat in der Sache beschließt – Ihr erfahrt es hier bei Mainz&.

Kommentar& auf Mainz&: Bevor es Missverständnisse gibt: Mainz& ist nicht gegen eine neue Bebauung der Ludwigsstraße oder gegen ein modernes Einkaufszentrum – die Aufwertung der LU und der Einkaufsstadt Mainz wären dringend notwendig. Aber wir haben die Thesen und Argumente der BI überprüft – und wir finden die Warnungen so stichhaltig, dass wir sie hier aufgreifen. Denn was hier droht, ist eine Abänderung der städtebaulichen Kriterien für die Bebauung der Ludwigsstraße durch die heimliche Hintertür – und wir sind uns nicht sicher, ob die Stadträte das gemerkt haben.

Wäre dieser Weg gewollt, er wäre ein handfester Skandal – denn auf diese Weise würden demokratische Ausschüsse, die Diskussion im Stadtrat und jegliche Beteiligung der Bürger ausgehebelt. Und war da nicht was? Wann wollte eigentlich der Stadtvorstand sein Versprechen einlösen und die Bürger einbeziehen? Hier werden Fakten geschaffen, wird ein Stadtratsbeschluss herbei geführt, der so einfach nicht mehr zu kippen ist – was für ein Demokratieverständnis ist das eigentlich? Noch haben wir die Hoffnung, dass sich der Antrag der Ampel-Koalition als Missverständnis herausstellt – ansonsten hat Mainz mal eben im Nebensatz seine Filetstücke und  alle Verhandlungsargumente aus der Hand gegeben. Und zwar ohne die Festlegung von Kriterien, ohne Gegenleistung – und vor allem ohne Not.

 

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