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Tagesarchive: 6. Januar 2017

Themen Mainz 2017: Bezahlbarer Wohnraum, Rathaus, Taubertsbergbad, Fußverkehr und mehr Kitas und Schulen

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Blick aufs Mainzer Rathaus - Foto: gik

Das Jahr 2016 war in Mainz ja schon von Baustellen geprägt, 2017 wird, wir müssen es leider sagen, nicht wirklich besser: Mainz baut weiter, und das an allen Ecken und Enden. Die gute Nachricht dabei: Für die Autofahrer wird die Lage hoffentlich besser, denn am Samstag wird die Mainzelbahn eingeweiht – viele Baustellen gehören dann der Vergangenheit an. Doch Mainz steht weiter vor großen Herausforderungen, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum sei dabei eine der größten, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) am Dienstag bei der Jahresbilanz. Weitere Themen für 2017: Neue Kitas, aber auch neue Schulen, Rathaussanierung, die Rettung des Taubertsbergbades – und der Ausbau des „Fußverkehrs“ in der Innenstadt von Mainz.

Luftballons 200 Jahre Rheinhessen vor dem Staatstheater
Große Party zum 200. Geburtstag Rheinhessens in Mainz – Foto: gik

Zum vierten Mal stellte die Stadtspitze nun den Jahresbericht der Stadtverwaltung Mainz vor, darin gibt das „Dienstleistungsunternehmen Stadtverwaltung“ Einblick in seine tägliche Arbeit. Die Stadt wolle damit „Rechenschaft ablegen und zeigen, welche Herausforderungen die 4.381 Mitarbeiter der Stadtverwaltung und der Eigenbetriebe in den vergangenen Monaten gemeistert haben“, sagte Oberbürgermeister Ebling bei der Vorstellung am Dienstag in Mainz. Und der OB nutzte den Termin natürlich auch, um Bilanz zu ziehen für 2016 – und eine Vorschau auf 2017 zu geben. Mainz& dokumentiert die Themen im Überblick und nach Dezernenten geordnet.

Bilanz 2016: Wirtschaft gut, Jubiläum 200 Jahre Rheinhessen topp

Eblings Bilanz für 2016 lautete vor allem: Mainz stehe „entgegen allen Unkenrufen wirtschaftlich sehr gut da“, das belegten die aktuellen wirtschaftlichen Kennzahlen und Studien. „Die Mainzer Wirtschaft ist stark, sie ist modern und international wettbewerbsfähig – nicht zuletzt aufgrund der guten Rahmenbedingungen, die wir als Landeshauptstadt zu bieten haben“, betonte der OB. Der Arbeitsmarkt entwickele sich „robust“, die Beschäftigungszahlen befänden sich seit Jahren auf einem kontinuierlichen Wachstumspfad. Derzeit habe man das Rekordniveau von rund 110.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das sei allein in den vergangenen fünf Jahren eine Steigerung von acht Prozent gewesen. Im November 2016 betrug die Arbeitslosenquote in Mainz laut Agentur für Arbeit 5,2 Prozent.

Als Highlights des abgelaufenen Jahres nannte Ebling das Jubiläum 200 Jahre Rheinhessen. Veranstaltungen wie die Wahl der Deutschen Weinkönigin oder die wöchentlichen Kulturveranstaltungen in der Infovinothek „Cuvèe“ im Gutenberg-Museum „werden uns sicherlich noch lange in guter Erinnerung bleiben“, sagte der OB. Interessanterweise erwähnte er die Mainzer Sommerlichter dabei nicht – zumindest nicht in der uns vorliegenden Pressemitteilung. „Ich bin überzeugt, dass wir den Schwung des Jubiläumsjahres nutzen können, um Mainz und Rheinhessen wirtschaftlich, infrastrukturell und bildungspolitisch in die Zukunft zu führen“, betonte Ebling.

Herausforderung 2017: Bezahlbarer Wohnraum und neue Bauprojekte

Modell Dock1 Zollhafen - Foto gik
Dock 1 im Zollhafen: Wohnen und Arbeiten im Luxussegment – Foto: gik

Die Mega-Herausforderung für die Zukunft von Mainz benannte Ebling ganz klar mit einem Thema: bezahlbarer Wohnraum. Tatsächlich hat die Stadt hier in der jüngsten Vergangenheit gerade gegenteilige Signale gesetzt: Am Winterhafen wurde Wohnen am Wasser für Hochbetuchte realisiert, in der Neustadt läuft, was man Gentrifizierung nennt – die Vertreibung der alteingesessenen, ärmeren Bevölkerung – und am Zollhafen wurden entgegen großer Versprechungen bisher nur Luxuswohnungen und Luxusbüros realisiert. Bezahlbares Wohnen? Nicht in Sicht. Das Ergebnis: Die Mieten in den vergangenen zwei Jahren explodierten in astronomische Höhen.

Mainz sei als Wohnort ausgesprochen beliebt und benötige deshalb deutlich mehr Wohnraum, insbesondere bezahlbaren, sagte Ebling nun noch einmal. Bis 2020 sollen deshalb 6.500 neue Wohnungen in der Landeshauptstadt geschaffen werden. Und so bringe Mainz in den kommenden Jahren „erfreulicherweise viele große Wohnbauprojekte auf den Weg.“ In Sachen bezahlbarem Wohnraum setzt die Stadt dabei vor allem auf das Heiligkreuz-Areal an der alten IBM, allein hier sollen 1950 Wohneinheiten auch für die kleineren Geldbörsen entstehen. Weitere Bauprojekte liegen an der ehemaligen Peter-Jordan-Schule mit dem Bau von Einfamilienhäusern sowie auf der Frankenhöhe.

Aufwertung Innenstadt, Rathaussanierung und Tag der Deutschen Einheit

Mainzer Rathaus von Rheinallee aus 1
Die Rathaussanierung wird 2017 großes Thema werden – Foto: gik

2017 soll zudem die Aufwertung der Mainzer Innenstadt weitergehen: Der Umbau der Bahnhofstraße ist bereits auf den Weg gebracht, der Umbau der Großen Langgasse soll folgen. Die Boppstraße soll ebenfalls aufgewertet werden, der Münsterplatz harrt weiter einer Neuordnung seiner kuriosen Nachkriegsarchitektur. Darüber hinaus wird 2017 das Thema Rathaus wieder spannend: 2017 würden die Ergebnisse des Generalplaners für die Sanierung des Rathauses erwartet, sagte Ebling, er sei „sicher, dass wir für die weiteren Schritte die notwendigen Beschlüsse fassen und eine erfolgreiche Ausschreibung auf den Weg bringen können.“ Ebling hatte ja eine Sanierung des völlig maroden Baus durchgesetzt und dafür einen Kostendeckel von 50 Millionen Euro versprochen – im Juli hatte die Stadt den Auftrag an den Generalplaner zur Erstellung eines Konzepts vergeben.

Im Herbst steht Mainz dann erneut ein Großevent ins Haus: Im Oktober richtet die Stadt die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit aus. Der Grund: Rheinland-Pfalz hat turnusgemäß den Vorsitz des Bundesrates inne, und das jeweilige Land feiert dann eben auch den Tag der Deutschen Einheit bei sich. Zuletzt hatte Mainz den Tag der Deutschen Einheit 2001 ausgerichtet – kurz nach den Anschlägen aufs World Trade Center in New York. Es wurde trotzdem eine friedliche und fröhliche Feier, und das soll auch 2017 wieder so sein: „Wir werden Mainz als weltoffene, tolerante und gastfreundliche Stadt präsentieren, in der Hass und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz finden“, sagte Ebling.

Beck: Haushalt gelungen, Taubertsbergbad neu ausrichten, Bürgerhäuser sanieren

Bürgermeister und Finanzderzernent Günter Beck (Grüne) freute sich naturgemäß über die rechtzeitige Verabschiedung des Doppelhaushalts 2017/2018 im November. Das Werk sieht für 2017 Erträge in Höhe von 651,5 Millionen Euro und Ausgaben von 686 Millionen Euro vor. Das macht zwar ein Defizit von 34,5 Millionen Euro, Beck ist trotzdem zufrieden: Schuld seien die Kosten der sozialen Sicherung, die 2017 mit 255,2 Millionen Euro veranschlagt seien. Würden diesen eine Gegenfinanzierung – etwa durch Bund oder Land – entgegenstehen, „hätte die Stadt Mainz einen ausgeglichenen Haushalt“, betonte Beck. Und immerhin sehe der Doppelhaushaltsplan Investitionen in Höhe von 153,9 Millionen Euro in beiden Jahren vor.

taubertsbergbad-eingang
Was wird aus dem Taubertsbergbad? Das wird eines der großen Themen 2017 werden – Foto: gik

Investieren werde Mainz vor allem in den Ausbau, Neubau und die Sanierung von Schulen und Schulsporthallen, von Krippen und Kitas. Auch die Feuerwehr soll ordentlich Mittel bekommen. Eine Herausforderung wird 2017 aber noch die Sicherung des Taubertsbergbades: Durch die Insolvenz des Betreibers 2016 steht die Stadt nun mit einem stark renovierungsbedürftigen Bad mit ungewisser Zukunft da. Es sei aber mit vereinten Kräften und in enger Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter gelungen, „dass das Bad weiterhin geöffnet hat und die ersten Mängel beseitigt wurden“, betonte Beck. 2017 würden Neuausrichtung und Neustrukturierung des Bades „einen wesentlichen Stellenwert“ einnehmen. Zudem beginnt die Stadt mit den ersten Renovierungsmaßnahmen bei den Bürgerhäusern.

Sitte: Ansiedlungspolitik erfolgreich, Renovierung Rheingoldhalle, fünf neue Hotels

2016 verlor Mainz gleich eine ganze Reihe großer Unternehmen und wichtiger Arbeitgeber: Nestlé wird Ende 2017 sein Werk schließen, Cargill, die Spedition Hensel und jüngst sogar Camping Müller – die Liste der abwandernden Unternehmen ist lang. Trotzdem zog Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte (FDP) ein positives Fazit des Jahres: „Die positive Ansiedlungsentwicklung setzt sich fort“, betonte der Dezernent allen Ernstes – und verwies auf zuletzt drei Neuansiedlungen: Die Firma Deublin mit 175 Arbeitsplätzen im Mainzer Wirtschaftspark, der Spatenstich für die Hermes Logistik Gruppe Ende November sowie die Techniker Krankenkasse, die mit einem neuen Fachzentrum 300 Arbeitsplätze schaffen werde. Mainz sei als Standort beliebt, belege sehr gute Platzierungen in verschiedenen aktuellen Städte-Rankings und sei vor allem auch bei Gründern enorm angesagt, betonte Sitte.

Rheingoldhalle mit Jockel-Fuchs-Platz
Auch die Rheingoldhalle braucht eine Renovierungskur – Foto: gik

Auch beim Tourismus sei Mainz erfolgreich, mit den Übernachtungszahlen stehe man unangefochten an der Spitze in Rheinland-Pfalz. Allerdings hatte das Gästewachstum 2015 mit einem Plus von 3,2 Prozent noch unter dem Schnitt von Rheinland-Pfalz und zum Teil deutlich hinter anderen Tourismusregionen gelegen. Viele ausländische Gäste, insbesondere Japaner und Chinesen, steigen inzwischen lieber in Wiesbaden ab, nur rund 30 Prozent der Mainzer Touristen kamen 2015 aus dem Ausland. Es dürfte spannend werden, wie sich diese Zahlen 2016 entwickelt haben. Mainz rüstet sich jedenfalls mit neuen Hotels: Derzeit stünden fünf  neue Hotels mit verschiedenen Standards kurz vor der Eröffnung, sagte Sitte. Dazu steht 2017 der Start für die Renovierung der Rheingoldhalle an, dem wichtigsten Tagungsort von Mainz.

Merkator: Neue Schulen, mehr Kitas, Integration von Flüchtlingen

Dass Mainz wächst, treibt einem Dezernenten die Sorgenfalten ins Gesicht: Die Stadt kommt einfach nicht mit dem Bau von Kindergärten hinterher. Ein Schwerpunkt werde 2017 deshalb „die Suche nach geeigneten Standorten für unsere Kindertagesstätten und nach qualifiziertem Personal für unser vielfältiges Angebot an Tagesbetreuung sein“, sagte Sozialdezernent Kurt Merkator (SPD) deshalb. Der Dezernent wird das selbst aber nur noch bedingt erleben: Merkator hat angekündigt, zum Sommer 2017 aus Altersgründen aufzuhören. Sein Nachfolger wird weiter vor großen Herausforderungen stehen: Ausbau der Kinderbetreuung und Kindertagespflege – und zunehmend auch die Schulentwicklungsplanung. Denn die ganzen Kleinen werden größer und brauchen dann auch Schulen. „So werden wir im kommenden Jahr die Weichen stellen müssen für den Ausbau von Grundschulen und weiterführenden Schulen, um der wachsenden Schülerzahlen gerecht zu werden“, sagte Merkator. Weiteres Thema wird natürlich die Integration der 2015 gekommenen Flüchtlinge bleiben.

Bahnhofstraße mit Bus
Die Bahnhofstraße wird 2017 renoviert, die Große Langgasse soll folgen – Foto: gik

Eder: 2017 Schwerpunkt auf den Fußverkehr in Mainz

Umwelt- und Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) hat ja 2016 die meiste Haue einstecken müssen, das Mega-Projekt Mainzelbahn sorgte für Baustellen-Chaos und viel Unmut. Nun rollt die Mainzelbahn ab dem kommenden Wochenende, sehr zur Erleichterung der Dezernentin. „2016 war verkehrlich vom größten Infrastrukturprojekt in Mainz seit Jahrzehnten geprägt“, sagte Eder denn auch in ihrer Bilanz. Quer durch die Stadt seien mehr als 60 Firmen an der über neun Kilometer langen Strecke zu Gange gewesen – ein Kraftakt. Auch Eders Vorliebe für den Radverkehr kam nicht immer bei allen gut an, dabei hat Mainz weiter eines der schlechtesten Radwegenetze der Republik, vor allem was den baulichen Zustand angeht.

Trotzdem will Eder 2017 einen ganz neuen Schwerpunkt legen: auf den Fußverkehr in Mainz. Die „fußgängerfreundliche Umgestaltung in der Großen Langgasse“ gehe in die entscheidende Planungsphase, barrierefreie Zugänge mit Aufzugsanlagen sollen unter anderem den Bahnhof Römisches Theater mit der Oberstadt verbinden. Dazu soll die Querung der Saarstraße am Friedrich-von-Pfeifer-Weg verbessert werden – Letzteres überrascht uns etwas, war der Neubau der Fußgängerbrücke doch eigentlich integraler Bestandteil der Mainzelbahn gewesen, dachten wir… Weiterer Schwerpunkt für 2017: Die Energieeinsparung, dazu haben wir aber leider noch keine Infos. Beschäftigen wird die Dezernentin sicher 2017 aber auch das Thema Luft: Es steht schließlich die Klage der Deutschen Umwelthilfe in Sachen Diesel-Fahrverbote an.

Grosse: Neubauten am Gutenberg-Museum und am Naturhistorischen Museum

Bücherturm Gutenberg Museum Perspektive Sommer - DFZ Architekten
Der Bücherturm fürs Gutenberg-Museum kommt – Foto: gik

Auch die Kultur baut 2017 fleißig: Das Naturhistorische Museum erhält ja bekanntlich einen neuen Überbau des alten Innenhofs und damit eine deutliche Erweiterung seiner Räume, dazu steht der Bau der Gutenberg-Museums-Erweiterung – des Bücherturms – an. Der Bau darf nur 5,2 Millionen Euro kosten, mehr Geld hat die Stadt für das Vorhaben nicht, es dürfte spannend werden, ob das reicht. Kultur- und Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) betonte, es gehe darum, beide Museen zukunftsfähig zu machen. Angesichts von mehr als 126.000 Besuchern im Gutenberg-Museum 2015 und von rund 42.000 im Naturhistorischen Museum seien die Haushaltsmittel für die Erweiterung der beiden Häuser „gut investiertes Geld.“

Dazu muss sich die Dezernentin 2017 um die weitere Renovierung des Kurfürstlichen Schlosses, die Fertigstellung des Archäologischen Zentrums am Südbahnhof sowie den Erhalt des Römischen Mainz kümmern: das Römische Bühnentheater, den Drusus-Stein und die Römersteine nannte Grosse hier als Schwerpunkte. Große Sprünge wird es aber vor allem am Römischen Theater nicht geben: Für 95.000 Euro gab es gerade einen neuen Zaun, 2017 könnte die erste Sitzreihe restauriert werden – mehr ist nicht drin. Ein professionelles Planungsbüro soll ab Sommer Ideen für die Entwicklung des Theaters erstellen, Materialien für die Sitze vorschlagen und auch das Thema Überdachung angehen.

Mainz& Fazit: Es bleibt viel zu tun in Mainz. Das Jahr 2017 wird weiter bestimmt werden von Baustellen im ganzen Stadtgebiet. Doch das ist auch nötig: Die Stadt hat massiven Nachholbedarf in Sachen Wohnungsbau und laboriert an vielen Ecken noch mit dem Erbe der Nachkriegszeit. Der Münsterplatz ist ein bislang völlig ungelöstes städtebauliches Problem, das Einkaufszentrum an der Ludwigsstraße noch immer nicht auf dem Gleis – doch wenn es kommt, wird es das Gesicht der LU für immer verändern. Und Mainz muss weiter Lösungen für den wachsenden Verkehr finden, Probleme wie die marode Hochbrücke lösen – und mit der Megabaustelle Schiersteiner Brücke leben.

Und nicht zuletzt brauchen die Verantwortlichen in der Stadtspitze endlich ein Konzept für eine lebendige Mainzer Innenstadt und die Ansiedlung neuer Unternehmen – mit dem Zentrenkonzept leistet man sich einen wenig zukunftsträchtigen Betonklotz, im Wirtschaftspark Hechtsheim eine wenig hilfreiche Blockadepolitik. Mainz braucht Lösungen für einen attraktiven Handel – und offene Türen und Ohren dafür in der Stadtspitze. Sich selbst auf die Schulter zu klopfen wird auf Dauer nicht reichen – während Hessen mit fertigen Verträgen winkt. Es bleibt spannend in Mainz…

 

 

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Rolf Brauns Brille, Negers Schürze, Kamel-Orden von 1837 – Mainzer Fastnachtsmuseum zeigt Schätze in neuem Gewand

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Vier Monate lang war das Mainzer Fastnachtsmuseum geschlossen, rechtzeitig zur fünften Jahreszeit haben die Fans und Interessierten es nun wieder: Am Freitag – natürlich pünktlich um 11.11 Uhr – wurde das kleine Museum im Proviantamt wieder eröffnet. Und die Frischzellenkur hat sich gelohnt: Aus einem doch ziemlich verstaubten Vitrinen-Museum wurde ein modernes Mitmach-Haus. Aufgeräumt, hell und mit Hunderten spannender Objekte – das neue Fastnachtsmuseum könnte ein echter Besuchermagnet werden. Rolf Brauns Brille könnt Ihr hier ebenso bestaunen wie Herbert Bonewitz‘ Büttenreden oder Ernst Negers Lederschürze. Dazu Orden, Gardeuniformen, aber auch jede Menge historischer Originale wie Illustrationen oder den ältesten Mainzer Orden von 1837 – ein Kamel-Orden. Ein Museum zum Staunen und Schmunzeln, natürlich.

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Rosenmontagszug zum Nachlaufen, Narrenkappen, Gutenberg: Kuratorin Marianne Jacoby und Innenarchitekt Peter Kneip im neu gestalteten Fastnachtsmuseum – Foto: gik

Gleich am Anfang steht der Besucher mitten in der Straßenfastnacht: „Gutenberg mit Narrenkappe vor dem Dom“, schwärmt Marianne Jacoby, „da haben sie schon alles drin.“ Im September schloss das kleine Museum seine Pforten, seither hat Kuratorin Jacoby gemeinsam mit dem Innenarchitekten Peter Kneip intensiv die Ausstellung umgearbeitet und neu geordnet. Aus den früheren Durchgängen wurden Schaufenster der Fastnacht, die sich um insgesamt fünf Themengruppen ranken: Die Straßenfastnacht natürlich, dazu die Kinderfastnacht, Saalfastnacht, die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ und natürlich die Garden, Schwellköppe und der Rosenmontagszug. Mehr als 25.000 Exponate hütet das kleine Museum samt angeschlossenem Fastnachtsarchiv, auf 400 Quadratmetern werden die spannendsten Stücke nun in moderner Form präsentiert.

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Die Original-Lederschürze des singenden Dachdeckers Ernst Neger – Foto: gik

Es sei „nicht das größte Museum“ von Mainz, dafür aber „allemal das lustigste“, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) am Freitag bei der Wiedereröffnung. „Auf Rosen gebettet“ sei das kleine Haus nicht gerade, räumte er ein – die Stadt gibt für den Unterhalt des von einem privaten Verein getragenen Hauses keinen müden Cent. Nun aber gebe es „eine neue Epoche“ mit einer „unglaublich schönen, veränderten Ausrichtung, die mehr Besucher anziehen soll“, sagte Ebling.

In der Tat lädt das neu gestaltete Museum nun zum Mitmachen ein: Da kann man gleich zu Beginn den Mainzer Rosenmontagszug nachschreiten, auf einem Stadtplan auf dem Boden und in nur 30 Sekunden. Daneben präsentieren die Macher die Geschichte der Narrenkappe von den allerersten Anfängen bis heute. In den 1820er Jahren sei die Narrenkappe von einem preußischen General in Köln erfunden worden, berichtet Jacoby, und zwar als Eintrittskarte für die dortigen Veranstaltungen. „Am Anfang waren die Kappen aus Papier und wurden an Aschermittwoch verbrannt“, weiß die Kuratorin. Heute wäre das ein Alptraum für Fastnachter, sind Narrenkappen doch innig gehegte und stolz getragene Rangesabzeichen. Die alten Narrenkappen und Orden zeigten die uralte Tradition der Fastnacht, sagt Jacoby. Und so ist denn auch in einem Schaufenster der älteste Orden von Mainz zu sehen: Ein Kamel-Orden aus Papier aus dem Jahr 1837.

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Der älteste Mainzer Orden von 1838 und ein Carnevals-Almanach von 1839 – Foto: gik

1837, da wurde in Mainz der „Krähwinkler Landsturm“ ins Leben gerufen, es war die Geburtsstunde des Rosenmontagszuges, der ab 1838 unter diesem Namen durch Mainz zog. Ein kleines Büchlein erinnert stolz an die Tradition im 19. Jahrhundert: Das Leporello aus dem Jahr 1857 bildet den kompletten Zug als Malerei ab, ausgestreckt misst das Werk 6,40 Meter. „Das ging in den alten Vitrinen komplett unter“, sagt Jacoby. Für die neue Ausstellung wurde das Werk digitalisiert, nun kann sich der Besucher mit einer Kurbel durch das ganze Leporello blättern.

Andere kleine Kästen verbergen Tafeln zum Herausziehen, dort erfährt der Besucher dann etwa, dass Carl Zuckmayer einst als Klepperbub durch Mainz schritt, woher das Zugplakettche kommt, und wie der Fastnachter Seppel Glückert in seinen Büttenreden den Nazis trotzte. Glückert, Sohn eines Schreibwarenhändlers aus der Augustinerstraße, wurde zum großen Virtuosen der politisch-literarischen Fastnacht und traute sich gar, in seinen Reden selbst an den Nazis Kritik zu üben, wenn auch versteckt. 1838 gab aber auch er notgedrungen auf, an einer Hörstation kann man Glückerts Reden noch einmal lauschen. Um die Ecke zeigt ein Fernseher Büttenreden von Fastnachtsgrößen wie Herbert Bonewitz – die großen Redner von „Mainz bleibt Mainz“ spielen natürlich eine zentrale Rolle im Fastnachtsmuseum.

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Rolf Brauns Brille, die weißen Handschuhe von Roth und die Gans vom Bonewitz – das Mainzer Fastnachtsmuseum hat tolle Objekte – Foto: gik

Da ist die berühmte Hornbrille des legendären Sitzungspräsidenten Rolf Braun, aber auch die Lederschürze des singenden Dachdeckermeisters Ernst Neger samt seinem Klavier und den Noten des berühmten „Heile Gänsje“, des Liedes, das im Nachkriegsdeutschland Mainz und die Republik zu Tränen rührte. Das „Heile Gänsje“ wurde zu DEM Identifikationslied in Mainz, aber natürlich dürfen in dem Schaufenster auch Margit Sponheimer und ihre unvergessenen Hits oder die Mainzer Hofsänger nicht fehlen. Die Fastnacht sei eben auch ein wichtiges Stück Mainzer Stadtgeschichte, sagte  der Vizepräsident des Bundes Deutscher Karneval, Peter Krawietz. Und das Fastnachtsmuseum beherberge eben „keinen dumpfen Mief und auch keinen alten Krempel“, sondern sei „DIE Mainzer Bildungsstätte schlechthin.“

„Wenn de Määnz meenst, meenste Määnzer Fastnacht“, sagte Krawietz und erinnerte mit Goethe daran, dass „das närrische Spiel eigentlich nur als begrenztes Spiel Sinn macht.“ Krawietz erinnerte auch an Carl Zuckmayer und dessen Fastnachtsbeichte und berichtete, wie fasziniert der Schriftsteller von der „völligen Freiheit der Maskenzeit“ war, deren „Grazie“ (sic!) als volksnahes Fest ihn an klassisch-römische Heiterkeit erinnerte. „Die Fastnacht ist nicht durchgehend laut, brüllend und lachend“, unterstrich Krawietz, „sie macht nicht nur besoffen und ausgelassen, sie hat auch einen deutlich spürbaren melancholischen Bezug.“

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Leporello vom Mainzer Rosenmontagszug von 1857 im Original (rechts) und digital zum Blättern (links) – Foto: gik

Nachdenklich, eulenspiegelhaft der Gesellschaft den Spiegel vorhaltend, auch das ist eben Fastnacht, wenn sie auf Meenzer Art gefeiert wird. „Wenn’s endlich wieder Fastnacht ist, und freundlich uns die Muse küsst“, reimte Krawietz, „dann scheuen wir nicht Müh‘ und Plag für einen Mainzer Sitzungstag.“ Gehaltvoll und auch kritisch – „und die, die ohne Meinung sind, ihr Fähnchen hängen nach dem Wind, sind ganz, ganz arme Deifel.“

Zur Ironie der Mainzer Fastnachtsgeschichte gehört natürlich auch, dass der einst als Nestbeschmutzer geschmähte Bonewitz heute mit seinem Prinz Bibi zu den Stars des Museums und zu den Erneuerern der Mainzer Fastnacht zählt. Seine Gänsje-Parodie hängt gleich neben den weißen Handschuhen von Norbert Roth und den Kostümen der berühmtesten Putzfrauen der Fastnachtsgeschichte: Fraa Babbisch und Fraa Struwwelisch. „Steigen Sie in die Bütt“, empfiehlt Innenarchitekt Peter Kneip, der die Ausstellung gestaltete, „wenn Sie gut sind, gibt’s auch den Narren-Tusch.“ Die Original-Eulen-Bütt stammt aus der Fernsehsitzung, eingebaute Knöpfe lassen Tusch, Narhallamarsch oder Uiuiui erklingen. Das Einzigartige an der Mainzer Fastnacht? „Dass ihre Form mit der Fernsehsitzung heute in ganz Deutschland verbreitet ist“, sagt Jacoby: „Wenn man irgendwo Fastnacht feiert, dann auf Mainzer Art.“

Info& auf Mainz&: Das neu gestaltete Mainzer Fastnachtsmuseum ist seit heute immer dienstags bis sonntags von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet. Ihr findet es im Proviantamt in der Schillerstraße, der Eingang ist auf der Rückseite, dort, wo ein Bajazz die Laterne hebt. Infos unter www.mainzer-fastnachtsmuseum.de.

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