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Tagesarchive: 23. Februar 2017

Rasant, gespickt mit Höhepunkten und großen Politik-Rednern – So wird „Mainz bleibt Mainz“ 2017

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"Obermessdiener" Andreas Schmitt setzte den donnernden Schlusspunkt. - Foto: gik

Vergangenes Jahr setzte das ZDF ja eher auf Traditionelles und viel klassisches Korsett –  in diesem Jahr zeigt der SWR, wie man Tradition und Schwung miteinander vereinen kann: „Mainz bleibt Mainz“ 2017 ist rasant, gespickt mit Höhepunkten, spielt mit der Tradition – und bietet Mainzer Fernsehfastnacht vom Feinsten. Absolute Höhepunkte: Die politischen Redner. AfD, Rechtspopulisten, Erdogan und Trump – sie alle bekommen heute Abend gewaltig etwas auf die Ohren. Die Mainzer Narren reden Klartext – und das Publikum der Generalprobe dankte es mit stehenden Ovationen. Allen voran: Hans-Peter Betz als „Guddi Gutenberg“ und Andreas Schmitt als „Obermessdiener“.

Mainz bleibt Mainz 2017 - Obermessdiener nah
Großes Narren-Kino: Andreas Schmitt als Obermessdiener bei „Mainz bleibt Mainz“ 2017 – Foto: gik

Es ist wieder einmal Oberfastnachter Andreas Schmitt, der es auf den Punkt bringt: „Das freie Wort des Narren hat eine Stimme“, sagt der Sitzungspräsident von „Mainz bleibt Mainz“. Und selten haben die Mainzer Narren so gewaltig das Wort erhoben gegen braune Gefahren, Möchtegern-Diktatoren und unfähige, verlogene Herren auf der anderen Seite des Ozeans. Das fängt schon mit Protokoller Erhard Grom an: Der Altmeister, der mit seinem schwungvollen Jahresrückblick den Till verdrängte, steckt AfD-Chefin Frauke Petry unter eine schalldichte Burka und inthronisiert kurzerhand Donald Duck als US-Präsidenten: Die Ente sei weder verlogen noch aggressiv oder beleidigend, dazu sympathischer, lustiger und kein „notgeiler alter Säckel“…

Grom kam bei der närrischen Generalprobe am Mittwochabend auch auf der Fernsehbühne im Schloss richtig gut an, seine spritzige Jahresbilanz in gekonnten Reimen bekam schon nach zwei Minuten den ersten donnernden Zwischenapplaus. Grom seziert auch die Affäre um Mainz 05-Präsident Harald Strutz, die Mautpläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und schafft es sogar, Angela Merkels „Wir schaffen das“ als roten Faden durch seinen Vortrag zu ziehen – Hut ab! Standing Ovations für den Altmeister, den Sitzungspräsident Schmitt als „treffsicheren Fachmann aus der Championsleague“ verabschiedet. Grom lässt den „Till“ nicht vergessen, der Sitzung aber tut er gut.

Mainz bleibt Mainz 2017 - Grantelnde Alte aus der Loge nah
Granteln aus der Loge wie bei der Muppet-Show: Christian Schier und Michael Emrich – Foto: gik

Die wird zu Beginn von Thorsten Ranzenberger mit seinem Schwellkoppträger-Lied ordentlich angeheizt, doch danach brechen die SWR-Verantwortlichen gleich mal das strenge Korsett auf: Nach Grom kommt nicht – Tusch! Narhallamarsch! – der nächste Redner in die Bütt, sondern es kommen zwei grantelnde Alte aus der Komiteeter-Loge ins Spiel: Michael Emrich und Christian Schier geben herrlich-närrisch zwei meckernde Alte à la Muppet-Show, die darüber lästern, dass viel zu wenig Musik in der Sendung ist und dass vor allem die Frauen fehlen… Emrich und Schier dürfen insgesamt drei Mal „dazwischenfahren“, die Einlagen lockern die Sendung gehörig auf – und dürften, wenn es nach uns geht, gerne noch deutlich bissiger werden. Bonewitziger sozusagen….

„Es ist ein Ansatz, ein Versuch“, sagte nach der Sitzung SWR-Redakteur Günther Dudek, der aber im Saal gut angekommen sei. „Die Running Gags sind eine Chance für uns für die Zukunft“, befand gar der Präsident des Mainzer Carneval Clubs (MCC), Horst Seitz: „Man muss experimentieren, und wir haben’s jetzt mal gemacht.“ Seitz merkte natürlich nach der Sitzung auch noch an, er wäre „ein miserabler Präsident, wenn ich jetzt nicht zum Ausdruck bringen würde, dass mir der Till gefehlt hat“ – die Symbolfigur auf der Reichstagskuppel muss in diesem Jahr pausieren, weil der SWR Grom den Vorzug gab. Aber auch Seitz bescheinigte „Mainz bleibt Mainz“, eine „runde, flüssige, flotte Sache ohne Längen“ zu sein.

Mainz bleibt Mainz 2017 - Lars Reichow Fastnachtsthemen hoch
Bissig, lakonisch, gut drauf: Lars Reichow mit seinen „Fastnachtsthemen“ – Foto: gik

Der Kritik an der fehlenden Musik helfen dazu prompt die Schnorreswackler ab: Die Gesangstruppe aus Gonsenheim darf einmal ein kurzes Mainz-Medley anstimmen und dann als „Kellner“ aus dem Saal ein Potpourri schmettern – eine super Auflockerung des Sendungsablaufs. Denn bei dem reihen sich in diesem Jahr Redner nahtlos an Redner, oft ohne Zwischennummer: Alexander Leber, Hans-Peter Betz und Jürgen Wiesmann kommen in direkter Folge hintereinander, die Sendungsmacher erlauben dem Zuschauer im Kampf gegen Wegzapper und Umschalter kein Luftholen. Alexander Leber liefert dabei als „Polizist“ einen wunderschönen Meenzer Kokolores-Vortrag ab, vergisst auch nicht, die „500 Staus in Mainz“ zu glossieren und erntet verdient „Uiuiui“s in Reihe.

Jürgen Wiesmann allerdings war am Mittwoch der Leidtragende der Redner-Häufung: Trotz gewohnten hochwertigem Kokolores zündete „Ernst Lustig“ nicht wie gewohnt im Saal und wurde – völlig ungewohnt – zur Stimmungsflaute. Am Freitag soll das ein Trick ändern: Fastnachtsikone Margit Sponheimer, eigentlich nur als Ehrengast im Saal, muss mit ihrem „Am Rosenmontag bin ich geboren“ vom Saal aus die Stimmung retten.

Denn es sind die politischen Redner, denen das Publikum zu Füßen liegt: Lars Reichow, Hans-Peter Betz und Andreas Schmitt werden mit donnerndem Applaus und stehenden Ovationen teils schon mitten (!) in  ihren Vorträgen für hoch-politischen Klartext belohnt. Da nennt Lars Reichow den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke eine „Mickimaus-Ausgabe von Goebbels“ und meint, „dem geistig obdachlosen Höcke ist eine einstündige Nazirede herausgerutscht.“ Erdogan demoliere auf dem Rücken des türkischen Volkes die Demokratie, und der „Alp-Trump“ in den USA hat „Hochstapelei im Endstadium mit Dünnpfiff in 140 Zeichen.“

Mainz bleibt Mainz 2017 - Guddi Gutenberg mit Zeigefinger
Grandioser politischer Klartext: Hans-Peter Betz zum letzten Mal als „Guddi Gutenberg“ in der Fernsehsitzung. – Foto: gik

Bei „Guddi Gutenberg“ alias Betz ist Trump ein „Arsch mit Ohren“, ein Rassist und Lügner, und die AfD „die Bremsspur in der Unterhose Deutschlands“. In seinem letzten Vortrag als „Guddi Gutenberg“ teilt Betz in alle Richtungen aus, spießt „grüne Träumereien“ ebenso auf wie den Brexit. Unfassbar, dass dies die letzte Rede des „Guddi“ gewesen sein soll – die Fastnacht verliert einen der ganz großen politischen Redner. Doch Betz betont, er wolle nicht warten, bis er als Alter aus der Bütt getragen werde, und will Platz machen für Nachfolger – zukünftig will er höchstens in anderen närrischen Rollen auf der Bühne stehen.

Welche Qualität der „Guddi“ hat, beweist er nicht nur im Verlaufe des gesamten Vortrags, sondern auch mit seinem Schlusswort: „Lassen Sie uns weiterhin bedrängten Menschen helfen“, sagte Betz, denn „wenn alle bereit wären, nur halb so viel zu teilen wie auf Facebook, dann gäbe es kein Elend auf der Welt.“ Und schließlich lebe Europa seit 72 Jahren in Frieden und Freiheit, „das sollten wir uns nicht kaputt machen lassen“, mahnt der „Guddi“, „weder von braunen populistischen Kanalratten noch von strenggläubigen Dattelbaumschüttlern mit Detonationshintergrund.“

Der Saal dankt mit donnernden Ovationen dem Narren für die klaren Worte – und das erlebt auch eine Stunde später Andreas Schmitt: Dessen „Obermessdiener“ kommt in diesem Jahr de facto als politischer Vortrag daher und schreibt Erdogan ins Stammbuch: „Wer die Wahrheit Lüge nennt, ist ein Verbrecher“, sagt Schmitt: „Das sag ich so laut, wie ich nur kann,/ Du Pinocchio vom Bosporus, und jetzt zeig mich an.“

Mainz bleibt Mainz 2017 - Trumps von de Pfalz
Geniestreich von Frank Brunswig und Thomas Becker: Die Trumps aus der Pfalz. – Foto: gik

Aber es geht bei weitem nicht nur ernst zu bei „Mainz bleibt Mainz“: Detlev Schönauer seziert als Bio-Lehrer erneut deutsche Sprache und gesellschaftliche Fauxpas‘, und Andy Ost spielt sich großartig durch die Hitparade – eine super Rückkehr des Profi-Musikers auf die Fernsehbühne. Ein absolutes Highlight sind dazu natürlich Thomas Becker und Frank Brunswig mit ihren grandiosen „Trumps aus der Pfalz“ – eine Parodie auf den US-Präsidenten und zugleich eine Hommage an die legendären „Tramps aus de Palz.“ Danach zaubert die TSV-Schott-Showtanzgruppe „Fantasy“ geniale Ballett-Bilder auf die Schloss-Bühne, grandiose Farbspiele aus der Welt der Götter Griechenlands, verbunden mit toller Akrobatik. Bloß nicht auf die Toilette gehen!

Nur: Wann denn dann? Tatsächlich lässt dieses Jahr „Mainz bleibt Mainz“ den Zuschauer an den Bildschirmen kleben, das prophezeien wir hier einfach mal – wenn es so wird, wie bei der närrischen Generalprobe. Für den furiosen Schlussakkord aber sorgen erneut Christian Schier und Martin Heininger: Das Comedy-Duo brilliert mit einer Fastnachtsposse zum Thema „Der Zug fällt aus“ und ihrem ganz eigenen Mix aus skurriler Narretei und grandiosen Musik-Verschnitten. Danach sinkt der Zuschauer matt in den Sessel, wenn die Mainzer Hofsänger mit ihrem Medley zum großen Finale überleiten.

Mainz bleibt Mainz 2017 - Heininger und Schier nah 2
Furioser Schlusspunkt: Christian Schier und Martin Heininger mit ihrer Fastnachtsposse. – Foto: gik

Die Längen in der Sendung wird’s dann wohl eher durch ein anderes Zwischenspiel geben: Wenn Sitzungspräsident Schmitt die Ehrengäste im Saal begrüßt. Von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) über CDU-Landeschefin Julia Klöckner reicht die Palette, an Bundesprominenz kommen Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU), auf Seiten der SPD traut sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in den Saal. So wenig Bundesprominenz war im Jahr einer Bundestagswahl noch nie bei „Mainz bleibt Mainz“… AfD-Landeschef Uwe Junge kann sich hingegen nicht nur auf scharfe AfD-Witze gefasst machen: Bei der Generalprobe wurde bei Nennung seines Namens im Saal feste gebuht.

Die Begrüßung der Ehrengäste jedenfalls kann am Freitag unmöglich so unterhaltsam ausfallen wie am Mittwoch: Sitzungspräsident Schmitt hatte sich nämlich eine junge Studentin aus Jugenheim ausgeguckt, die bei jeder Promi-Nennung aufstand und freundlich in den Saal winkte. So wurde Franziska, die in Innsbruck studiert, und die Schmitt schlicht in einer Kneipe kennenlernte, zum überraschenden Star von „Mainz bleibt Mainz“… Großartig.

Info& auf Mainz&: Die 62. Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ wird am Freitagabend, dem 24. Februar, ab 20.15 Uhr live aus dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz übertragen, und zwar in der ARD. Wie „Mainz bleibt Mainz“ 2016 im ZDF war, könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Ihr wollt schon mal schauen, wie sich die „Trumps vun de Palz“ anhören, oder wie’s „Heile Gänsje“ als „In the Ghetto“ klingt? Bitteschön: Hier im neuen Youtube-Kanal von Mainz&!

Und hier der gesamte Ablauf von „Mainz bleibt Mainz“ in Bildern:

 

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Biancas Blick auf Mainz: Gegen Rechts in de‘ Bütt – die Fastnacht bleibt frei! – Offener Brief von „Guddi“

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„Ihr seid selber schuld, dass ihr verleumdet und bedroht werdet, wenn ihr solche Reden haltet“ – reagieren wir jetzt so auf rechte Angriffe gegen Fastnachter? Genau das kritisiert Hans-Peter Betz alias „Guddi Gutenberg“, der Fastnachter erhielt in dieser Saison Drohbriefe wegen seiner klaren Worte gegen Rechts. Was den „Guddi“ aber am meisten stört: Fastnachts-Kollegen meinten dazu, das komme eben davon, wenn man mit dem Holzhammer statt dem Florett agiere. Betz hat dazu einen absolut lesenswerten offenen Brief veröffentlicht. „Die Meinungsfreiheit“, sagt „der Guddi“ da, „ist nicht teilbar.“ Betz und Andreas Schmitt bekamen in den vergangenen Wochen Drohbriefe mit Beilagen von AfD-Flyern und Botschaften der sogenannten „Identitären Bewegung“. Mainz& hat schon am 10. Februar dazu Stellung genommen – mit „Biancas Blick auf Mainz“. Wir müssen das gerade mal ergänzen.

„Was darf Satire?“, haben wir gefragt, als fanatische Islamisten vor zwei Jahren die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo angriffen, die Antwort war: „Alles!“ Zwei Jahre später haben Hass und Fanatismus die Stimmung so vergiftet, dass immer mehr Schranken fallen – und nun sogar Fastnachter für ihr freies Wort angegriffen werden. Hans-Peter Betz bekam einen Drohbrief, weil er sich in seiner Rede als „Guddi Gutenberg“ klar gegen rechtsextremistische Tendenzen aussprach. Mit in dem Brief: Flugblätter der Alternative für Deutschland (AfD). Und „Obermessdiener“ Andreas Schmitt bekam einen Brief, in dem es hieß: „Geb‘ acht du fette SPD-Sau, wir kriegen dich noch dran.“ Unsere Meinung dazu ist klar: Wer gegen die freie Rede hetzt, will die Demokratie zerstören – das lassen wir uns nicht gefallen! Betz und Schmitt natürlich auch nicht – deshalb, aus aktuellem Anlass, noch ein „Biancas Blick auf Mainz“ Extra: Gegen Rechts in die Bütt – die Fastnacht bleibt frei!

 

Karikatur Bianca Fastnachtsbeichte gegen Rechts kleiner

 

Der SWR hatte von den beiden Drohbriefen in seinen Online-Nachrichten berichtet. Demnach erhielt Betz kürzlich einen anonymen Brief , in dem er als Volksverhetzer bezeichnet wird. Auf zwei Seiten vertrete der anonyme Absender extrem rechtslastige Positionen, berichtet der SWR, dem Brief hätten AfD-Flugblätter beigelegen. Unterzeichnet worden sei der Brief mit „Viele Mitbürger“ – und es heiße dort vieldeutig: „Wir beobachten Sie.“ Betz zeigte sich unbeeindruckt, ebenso Schmitt, beide kritisieren in ihren diesjährigen Vorträgen scharf antidemokratische und rechtspopulistische Tendenzen. Schmitt zeigte sich laut SWR „empört, dass es noch Menschen gebe, die in der Zeit von 1933 bis 1945 offensichtlich stecken geblieben seien.“ Man müsse „laut und deutlich sagen, dass diese in der Gesellschaft nicht die Mehrheit haben.“

Mainz bleibt Mainz 2017 - Obermessdiener nah
Furioser Obermessdiener: Andreas Schmitt teilt in diesem Jahr massiv gegen braune Tendenzen und Möchtegern-Diktatoren aus – Foto: gik

Es ist natürlich kein Zufall, dass gerade diese beiden Zielscheibe rechter Angriffe werden: Schmitt wird in seiner Rolle als „Obermessdiener“ von Jahr zu Jahr politischer und kritischer und spricht sich dabei immer deutlicher explizit gegen braune Tendenzen aus. Und Betz nimmt schon seit Jahren als „Guddi Gutenberg“ politische (Fehl-)Entwicklungen spitzzüngig aufs Korn, mit klarer Haltung und Kommentaren. Besonders beeindruckend: Sein Statement vor zwei Jahren zu dem Massaker an den Zeichnern von „Charlie Hebdo“: Damals setzte Betz eben gerade als Gutenberg, also als Erfinder der modernen Druckkunst und damit als Pionier der Verbreitung des freien Wortes, ein starkes Zeichen der Solidarität von seinem Sockel – was Ihr hier bei Mainz& nachlesen könnt.

Betz und Schmitt geißeln Nazis und Lügner – und werden dafür angegriffen

In diesem Jahr nimmt Betz weniger denn je ein Blatt vor den Mund, nennt Nazis Nazis und die AfD „die Bremsspur in der Unterhose Deutschlands“. „Dunkel-Deutschland wird immer dunkler“, sagt der „Guddi“ und sagt zu den rechten Pöblern in Dresden am Tag der Deutschen Einheit 2016: „Das waren nicht alles nur Deppen, da waren auch ein paar ganz normale Arschlöcher dabei.“ Europa lebe seit 72 Jahren in Frieden und Freiheit, „das sollten wir uns nicht kaputt machen lassen“, mahnt der „Guddi“ – „weder von braunen populistischen Kanalratten, noch von strenggläubigen Dattelbaumschüttlern mit Detonationshintergrund.“

Vom Publikum in den Fastnachtssälen gibt’s dafür donnernden Beifall und stehende Ovationen – ebenso für Andreas Schmitt: Der nennt die AfD „Dummbeutel“ und betont, „vom Gauland zum Gauleiter ist es gar nicht so weit.“ – „Lieber Schlambes im Keller als Nazis im Haus“, konstatiert der „Obermessdiener“ im politischsten Vortrag seiner Karriere und  schreibt dem türkischen Demokratie-Killer Erdogan ins Stammbuch: „Wer die Wahrheit Lüge nennt, ist ein Verbrecher“, sagt Schmitt: „Das sag ich so laut, wie ich nur kann,/ Du Pinocchio vom Bosporus, und jetzt zeig mich an.“

Betz: Meinungsfreiheit ist nicht teilbar

Guddi Gutenberg 2015: Je suis Charlie – Foto: gik

„Wer draufhaut muss auch einstecken“, lässt sich dazu Rüdiger Schlesinger, in der Bütt als „Red-Akteur“ aktiv, von der Allgemeinen Zeitung zitieren, wer „intelligent und humorvoll kritisiert“, bringe die Botschaft auch rüber, er selbst setze eher „auf die subkutane Art“, Politik und Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Auch eine ganze Reihe anderer Redner – darunter „Till“ Friedrich Hofmann – machen laut AZ-Artikel die Form der Rede für die Reaktionen verantwortlich, reden vom „Florett“ statt „Holzhammer“ und empfehlen „die geschliffene Form des Ausdrucks“ statt „Populismus“.

Betz äußerte sich dazu gegenüber Mainz& „tief enttäuscht“: „Der macht da populistischen Scheiß‘ – das hör ich nicht zum ersten Mal“, sagte Betz, „ich hätte eher erwartet, dass man sagt: Moment mal, das freie Narrenwort muss geschützt werden.“ Tenor der Kollegen sei, „das kann mir nicht passieren“, das sei ein gewaltiger Irrtum, warnt er: „Wenn Leute wie die AfD an die Macht kommen, dann ist das erste, was abgeschafft wird, das freie Wort – das müsste denen doch klar sein.“ Die Türkei mache es ja gerade vor, mit der Haltung „Allen wohl und niemand weh“ komme man da nicht weiter. „Meinungsfreiheit ist nicht teilbar“, betont Betz, „sie ist nicht zu unterteilen in spitze Feder und Holzhammer.“ In einem offenen Brief hat sich Betz an die Kollegen gewandt, wir dokumentieren den unten im Wortlaut.

Solidarität und empörte Reaktionen von Dreyer und Ebling

Die Nachricht von Drohbriefen gegen Rechts löste aber auch umgehend Solidaritätsbekundungen aus: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) äußerte sich persönlich auf Facebook, sie verurteile diese Drohungen und Beschimpfungen: „Die Mainzer Fastnacht ist eine politisch-literarische. Sie hält Politik und Gesellschaft den Spiegel vor und muss frei von Zensur sein.“ Auch Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) versicherte prompt Schmitt seine uneingeschränkte Solidarität: Schmitts Vorträge seien „humorvoll, politisch kritisch und treffend, sie sind erstklassig.“ Das Gegenteil gelte für die Beschimpfungen, denen er sich ausgesetzt sehe. „Die Fastnacht ist frei, sie will unterhalten und die Gegenwart kritisch beleuchten“, betonte der OB.

Auch im Netz schlugen die Emotionen hoch: „Narren, empört Euch“, schrieb ein Kommentator unter den Beitrag von Malu Dreyer: „Wenn sich diese (das haben wir mal weggelassen ;-)) mit ihren „postfaktischen Wahrheiten“ jetzt auch noch unsere politische Fastnacht vornehmen, reicht es.“ Braun habe „nichts in den Fastnachtsfarben verloren….. und für uns Büttenredner heißt es den Bleistift anspitzen und noch schärfer Kritik üben“, schrieb ein anderer User aus Idar-Oberstein – und er werde jetzt genau das tun und für seine Rede am Samstag eine eigene Passage für den Obermessdiener einbauen. „Jawoll, bitte jetzt unbedingt weiter die Stifte benutzen“, schrieb eine weitere Userin. Und wie schloss doch der Idar-Obersteiner Fastnachter: „Helau auf die Meinungsfreiheit!“

Info& auf Mainz&: Mehr zu unserer Karikaturistin Bianca Wagner erzählen wir Euch in dem Mainz&-Artikel Was eh‘ Glick! Mehr zur Fastnacht findet Ihr auf Mainz& unter der Rubrik Narretei& – viel Spaß dabei! Übrigens nahm Betz als „Guddi Gutenberg“ natürlich auch zum Massaker bei Charlie Hebdo Stellung – mit einer großartigen Geste. Wie genau, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.

Und hier der offene Brief von Hans-Peter Betz an die Fastnachtskollegen:

„Drohbriefe dank Populismus“

Neid und Missgunst auf Erfolge anderer in der Bütt sind in der Mainzer Fastnacht durchaus nicht selten. Das sind menschliche Reaktionen, die man als langjähriger Redner wegstecken kann. Das Gleiche gilt für Beschimpfungen von sogenannten besorgten Bürgern, die sich anonym zu Wort melden. – Geschenkt!

Was aber in dem AZ-Artikel vom 16.02.2017 passiert, hat eine andere Qualität. Das Recht auf freie Rede und freie Meinungsäußerung des Narren wird von Mitgliedern der eigenen Zunft in Frage gestellt. Anstatt das freie Wort in der Bütt zu unterstützen werden Inhalte der Reden von Andreas Schmitt und mir selbst als populistisch dargestellt und in die Nähe des Unflätigen gerückt. Redner, die sich in ihren Darbietungen gegen rechtspopulistische Tendenzen in unserer Gesellschaft abgrenzen, die rassistische und faschistische Tendenzen mit satirischen Mitteln angreifen, werden inhaltlich beurteilt und als „Holzhammer“- Reden zensiert.

Mainz bleibt Mainz 2017 - Guddi Gutenberg mit Zeigefinger
Hans-Peter Betz redet als „Guddi Gutenberg“ ein letztes Mal Klartext bei „Mainz bleibt Mainz“. – Foto: gik

Statt Solidarität zu zeigen, grenzt man sich ab. Der eine verweist auf seine geschliffenen Reime, der andere auf seinen „subkutanen“ Vortrag. „Wer draufhaut muss auch einstecken können!“, heißt es da. Grundsätzlich richtig, aber nicht in diesem Zusammenhang. Denn was schließt man aus diesen Äußerungen? Ihr seid selber schuld, dass ihr verleumdet und bedroht werdet, wenn ihr solche Reden haltet.

Merken die Kollegen eigentlich nicht, dass sie damit all diese Droh- und Schmähbriefe relativieren? Merken sie eigentlich nicht, dass sie am eigenen Ast sägen?

Leider sind für mich persönlich Äußerungen dieser Art nichts Neues. Ich habe das vor einigen Jahren als Folgen meiner satirischen Thematisierung der Wohnbauaffaire in noch viel perfiderer Form erfahren müssen.

Konkret Stellung zu beziehen ist halt nicht jedermanns Sache und kann auch nicht von jedem verlangt werden. Dass man aber ein wenig bei seinen Äußerungen nachdenkt, wenn das Grundrecht der Meinungsfreiheit attackiert wird, sollte man doch erwarten können.

Ich hoffe, dass braunes Gesindel nie mehr in der Lage sein wird, politische Macht auszuüben, denn ich kann mir im Augenblick nur schwer vorstellen, wie Mainzer Redner auf eine solch dramatische Situation reagieren würden. Mit geschliffenen Paarreimen? Nach jedem Vers einen artigen Diener vor den Herrschenden? Mit subkutanen Vorträgen, einem kleinen schnöseligen Liedchen dazwischen und zum Abgang ein paar galante Kratzfüßchen?

Die Fragen erübrigen sich. Wenn je wieder Despoten in Deutschland das Sagen haben, wird als erstes die freie Rede verboten sein, egal ob sie mit dem Florett oder dem Säbel vorgetragen wird.

Hans-Peter Betz

 

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Biancas Blick auf Mainz: Das letzte Abendmahl, Hochamt für „Mainz bleibt Mainz“ – die Karikatur auf Mainz&

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Für Mainzer ist der Fastnachtsfreitag heilig – zumindest der Fernsehabend: Dann kommt live aus dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht.“ Und die Republik versammelt sich an den Fernsehschirmen zu einem der letzten Hochämter der Fernsehgeschichte. Da stehen Kartoffelsalat und Fleischwurst bereit, und der Schoppen Wein darf natürlich auch nicht fehlen. Dann ist’s angerichtet für Obermessdiener, Ernst Lustig & Co – und in diesem Jahr zum letzten Mal für den „Guddi Gutenberg“. Hans-Peter Betz steigt letztmalig als Buchdrucker auf den Sockel und liest den Politikern die Leviten – das wird ein trauriger Moment. Zum letzten Abendmahl treffen sich daher die Mainz bleibt Mainz-Jünger am Gabentisch, und aus dem Himmel grüßt verschmitzt der Jürgen Dietz weiland der „Bote vom Bundestag“… So sieht es unsere Karikaturistin mit ihrem neuesten „Biancas Blick auf Mainz“. Helau!

 

das letzte fastnachtsmahl

 

Info& auf Mainz&: Wie die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ heute Abend wird? Rasant, mit Höhepunkten gespickt und phantastischen Politik-Rednern – lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zu unserer Karikaturistin Bianca Wagner erzählen wir Euch in dem Mainz&-Artikel Was eh‘ Glick!

 

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