25. April 2024
11.3 C
Mainz

Tagesarchive: 2. Juni 2017

43. Open Ohr: Bunter Musik-Mix, spannende Podien und Filmschätze zum Thema moderne Sklaverei

0

Heute beginnt das Open Ohr in Mainz! Und die 43. Ausgabe des politischen Festivals wartet wieder mit einem hochspannenden Thema auf: „Wegwerfware Mensch“ heißt das aktuelle Thema des Jahres 2017, es geht um moderne Sklaverei, aber auch um Schuldknechtschaft, Zwangsprostitution und Leih- und Zwangsarbeit. Damit widmet sich das 43. Open Ohr erneut einem hochbrisanten und unbequemen Thema – ganz bewusst. Zu den Podien und Diskussionen gibt es aber auch viel Musik, in diesem Jahr von Rock über Blues und Ska bis hin zu afrikanischen Klängen. 70 Veranstaltungen warten auf Euch vom 2. bis 5. Juni auf der Zitadelle, die Karten sind schon jetzt begehrt – das Open Ohr wird wieder ausverkauft sein.

Um den Menschen als „Wegwerfware“, um Ausbeutung und moderne Sklaverei geht es auf dem 43. Open Ohr an Pfingsten 2017 in Mainz. – Foto: gik

Das Thema „Wegwerfware Mensch“ sei „kein locker-flockiges Wohlfühlthema“, räumte Diane Ackermann von der Freien Projektgruppe am Mittwoch in Mainz ein, „Sklaverei klingt antiquiert, wie ein Problem vergangener Jahrhunderte.“ Tatsächlich aber „haben wir es mit einem der größten Menschenrechtsprobleme der Gegenwart zu tun“, betonte sie. Obwohl die Sklaverei weltweit verboten sei, existiere sie noch immer, dazu sei heute „ein aufgebrauchter Arbeiter für 90 Dollar zu ersetzen.“ Das Festival nimmt deshalb Schuldknechtschaft, Zwangsprostitution, Kinderarbeit oder Wirtschaftssklaverei als moderne Erscheinungsformen der Sklaverei in den Fokus und fragt: Welchen Wert hat heute ein arbeitender Mensch?

All dies wird auf dem 43. Open Ohr wieder einmal mit einem Feuerwerk an Musik, Kultur und Diskussionen beleuchtet und debattiert. 70 Veranstaltungen stehen insgesamt an den vier Tagen von Pfingstfreitag bis Pfingstmontag auf dem Programm, Herzstück sind dabei natürlich die rund 15 Foren und Lesungen: Da geht es etwa um Kinderhandel, Sexobjekt Mensch oder die Ausbeutung im Textilhandel in der Dritten Welt, aber auch um Rechtsprechung und Rechtsgrundlagen sowie die Sklaverei im Wandel der Zeit. Zum Eröffnungspodium am Samstag um 11.30 Uhr kommen unter anderem der Soziologe Stephan Lessenich und der Sozialethiker Hartmut Kreß sowie ein Vertreter der International Justice Mission Deutschland.

Die Podien sind das Herzstück des politischen Jugendkulturfestivals Open Ohr. – Foto: gik

Hochrangige Politiker lassen sich hingegen eher weniger blicken in diesem Jahr, offenbar scheuen sich viele, mit dem Thema in Verbindung gebracht zu werden. Das gelte auch für Chefs großer Textilfirmen oder ähnlicher Wirtschaftsvertreter, sagte Stephan Lamb von der Freien Projektgruppe: Alle Anfragen der Projektgruppe seien abgelehnt worden. Dafür gibt es wieder allerlei kreative Aktionen zum Thema – so wird etwa mehrmals täglich auf Schatzsuche gegangen, etwa in Euren Smartphones, und die Frage gestellt, ob man in Nutella die harte Arbeit schmecken kann oder wie eigentlich fair hergestellte Alternativen munden. Und als neues Format diskutieren Mitglieder des Debattierclubs Johannes Gutenberg e.V., wie sich ein nachhaltiger und fairer Lebensstil im Alltag umsetzen lässt.

Auch das Theaterprogramm dreht sich natürlich um das Festivalthema. So präsentiert das Mainzer Staatstheater seine Produktion „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“, die kritische Reflexion um den legendären Apple-Gründer und die Produktionsbedingungen seiner Kult-Erfindungen. Das Junge Ensemble Marabu aus Bonn veranstaltet gleich mal eine Konferenz im metaphorischen Global Village unter dem Titel „In meinem Hals steckt eine Weltkugel“, und die Wiener Studentenproduktion „Kalbfleisch“ widmet sich dem Thema, wie junge Mädchen in Zwangsprostitution kommen.

Flucht im Container, das thematisierte schon vor zwei Jahren ein beklemmendes Theaterstück auf dem Open Ohr. – Foto: gik

Die große Platzbespielung am Sonntagabend kommt in diesem Jahr von der Close-Act Theatre Company aus den Niederlanden: Ihr Stück „Convoi“  dreht sich um das zentrale Thema der Sklaverei, nämlich um Freiheit und Unfreiheit, und stelle dies in einem Kampf von Gut und Böse mit Stelzenläufern, Figuren, Musik und Tanz dar, sagte Christin Dauborn. Close Act sei schon in über 46 Ländern aufgetreten und eine sehr bekannte Gruppe für große, fulminante Platzbespielungen mit hypnotischer Performance und tollen Effekten.

Auch das Filmprogramm widmet sich Themen wie Ausbeutung und zeigt etwa Produktionsbedingungen des Kakaoanbaus. Ein Highlight gibt es Freitagnacht auf dem Drususstein: Im Freiluftkino wird um Mitternacht ein fast verschollener Stummfilm von 1927 gezeigt. „Das Frauenhaus von Rio“ sei eine alte Literaturverfilmung, die sich mit Verschleppung junger Frauen in ein Bordell beschäftige, sagte Ackermann – ein wahres Zeitdokument, live begleitet von einem DJ.

Die offene Bühne wird’s auch in diesem Jahr wieder geben. – Foto: gik

Kult ist natürlich auch das mitternächtliche Kabarettprogramm im Kabarettzelt des Open Ohr, doch da gibt es dieses Jahr eine kleine Einbuße: Politisches Kabarett gibt’s dieses Jahr nur an zwei Abenden. Freitag kommt um Mitternacht gleich Hazel Brugger mit ihren bitterbösen Spitzen, Samstagabend gibt sich Jan Philipp Zymny mit einem Mix aus Kabarett, Comedy und Poetry Slam. Sonntagabend allerdings haben die Macher das traditionelle Kabarett durch ein Puppetry Slam ersetzt, einem Puppentheaterwettstreit.

Bei dem neuen Format gilt die Regel: Ein Mensch und eine Puppe oder ein Objekt haben sieben Minuten Zeit, sich auf der Bühne zu präsentieren. Die gezeigten Nummern müssen selbstverfasst und in Eigenregie erarbeitet worden sein, am Ende wird abgestimmt. Man habe mit den etablierten Formen auch mal spielen wollen, hieß es dazu von der Freien Projektgruppe – und dafür eine Kabarettnummer in den Tag gesetzt: Till Reiners tritt jetzt am Sonntag um 15.30 Uhr auf.

Bleibt noch die Musik – und die wird in diesem Jahr so vielfältig wie selten. Es habe vergangenes Jahr viel Kritik an der Auswahl gegeben, räumte Lamb ein, nur Männer auf der Bühne, alles habe gleich geklungen. „Wir haben dieses Jahr auf besonders große Diversität geachtet“, betonte er denn auch – mit Blues, Rock, Afro, Ska und Swing aus unterschiedlichen Ländern sei das musikalische Programm breit aufgestellt.

Gänsehautatmospähre und Abtanzen gibt’s sicher auch in diesem Jahr beim Open Ohr. – Foto: gik

Los geht es denn auch gleich am Freitagabend mit der britischen Rocklady Nathalie Findlay, am Samstagmittag wird eigens ein Urgestein und Vorreiter des Afropop eingeflogen: Ebo Taylor, 80 Jahre alt, gilt weltweit als der bedeutendste Highlife-, Afrofunk- und Afrobeat-Musiker Ghanas und ist vermutlich der letzte aktive Musiker der ersten Generation moderner Musik Afrikas.

Samstagabend dann erwartet Euch mit The Correspondents ein Elektro-Swing-Duo aus Großbritannien auf der Hauptbühne, gefolgt von der belgischen Punk-Rock-Kombo La Chiva Gantiva. Am Sonntag gibt’s in aller Herrgottsfrühe (10.00 Uhr) New Folk mit den Broom Bezzums und Hip-Hop-Jazz mit Icarus‘ Cloud. Abends warten dann Frankreich-Export The Inspector Cluzo mit authentischem Rock und Blues auf Euch, gefolgt von Adam Angst – das soll Punkrock mit Sozialkritik sein.

Die Freie Projektgruppe des Open Ohr im Jahr 2017 mit Sozialdezernent Kurt Merkator (SPD – 2.v.r.). – Foto: gik

Montag spielen dann noch das New Yorker Trio Moon Hooch mit experimentellem, bassgetriebenem Bläser-Jazz und zum krönenden Abschluss Les Yeux d’la Tete mit einem Clash aus Swing, Punk, Chanson und Ska, eine Kultband aus Frankreich, auf.

Ein reiches Programm also – um die Karten solltet Ihr Euch schnell bemühen. Schon jetzt sind rund 2.200 Karten im Vorverkauf weg, im vergangenen Jahr musste wieder einmal das Gelände wegen Überfüllung geschlossen werden. Das aber bedeutet: Rein kommen dann nur noch Dauerkarteninhaber, Tageskarten werden dann nicht mehr ausgegeben. Der scheidende Festivaldezernent Kurt Merkator (SPD) warnte übrigens bei der Programm-Pressekonferenz am Mittwoch eindringlich davor, die Unabhängigkeit des Open Ohr zu gefährden – mehr dazu lest Ihr hier.

Info& auf Mainz&: 43. Open Ohr-Festival vom 02. bis 05. Juni 2017 auf der Zitadelle in Mainz zum Thema „Wegwerfware Mensch“. Das komplette Programm findet Ihr wie immer auf der Homepage im Internet, dort auch weitere Infos zum Titelthema. Los geht’s am Freitag ab 17.00 Uhr, Ende ist Montag gegen 21.00 Uhr. Karten sind bereits im Vorverkauf erhältlich und kosten wie im Vorjahr 36,20 Euro im Vorverkauf für alle vier Tage oder 40,- Euro an der Tageskasse. Tageskarten kosten 23,- Euro und sind jeweils morgens ab 9.00 Uhr erhältlich, Freitag ab 11.00 Uhr, der Montag kostet 11,- Euro. Kinder bis einschließlich 13 Jahre haben freien Eintritt.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Zukunft des Open Ohrs: Merkator warnt vor Aufgabe der Unabhängigkeit – Mehr Etat nötig

1

Das 43. Open Ohr steht vor der Tür, und es ist das letzte Open Ohr für den scheidenden Sozialdezernenten Kurt Merkator (SPD). Und der nutzte seine Abschiedsposition für einen eindringlichen Appell zur Zukunft des Open Ohrs: „Es gibt zwei Dinge, an denen nicht gerüttelt werden darf: Der Standort Zitadelle und die Unabhängigkeit des Festivals“, betonte Merkator am Mittwoch in Mainz. Es gebe nämlich „immer wieder Diskussionen“, das Festival in andere Veranstaltungen einzubinden, sagte Merkator und warnte: „Ich sage hier heute ganz deutlich: Vorsicht.“ Die Gefahr, dass das Festival dann seinen Charakter verliere, sei groß. Werde zudem am Standort Zitadelle gerüttelt, „dann ist das Festival weg“, warnte der Dezernent.

Der scheidende Mainzer Sozialdezernent Kurt Merkator (SP) mit dem Plakat seines letzten Open Ohrs als Festivaldezernent. – Foto: gik

Tatsächlich gibt es derzeit in Mainz die Tendenz, Kultureinrichtungen und Festivals unter einem Dach zusammenzuziehen. Frankfurter Hof, das KUZ, die Mainzer Sommerlichter, Summer in the City und auch der Weihnachtsmarkt – sie alle sind bereits unter dem Dach der Mainzer Citymarketing Gesellschaft Mainzplus gelandet, die wiederum eine Säule der Zentralen Beteiligungsgesellschaft ZBM ist, jener städtischen Holding, die alle städtischen Gesellschaften unter einem Dach vereinen soll. Merkator hingegen sorgte sich nun um die Unabhängigkeit des Jugendkulturfestivals. Sollte ein Dritter das Open Ohr mit verantworten, wolle der auch mitreden, warnte er: „Die Gefahr, dass das Festival seine unabhängige Unschuld verliert ist groß.“

Es ist die Unabhängigkeit der Freien Projektgruppe, die dem Mainzer Festival von Anfang an seine besondere Ausrichtung gegeben hat. Die Unabhängigkeit von Politik und städtischen Strukturen sorgte für frische Themen, die oft genug unbequem waren und auch mal für heftigen Gegenwind der Politik sorgten – etwa bei jenem Open Ohr, das unter der Überschrift „Biedermeier und Brandstifter“ explizit auch rechtspopulistische Tendenzen in Parteien wie der CDU aufs Korn nahm. Es war die Sicht der Freien Projektgruppe, die dies zur Diskussion stellte, das daraus resultierende Festival war eines der spannendsten, die Mainz je erlebt hat.

Überhaupt ist das Open Ohr, gegründet 1975, das letzte Festival in Deutschland, das nicht nur Jugend, sondern auch Kultur UND politische Diskussionen verbindet – und gerade deswegen pro Jahr rund 12.000 Besucher anzieht. „Wir sind stolz, dass wir das alternative Jugendkulturfestival haben“, sagte Merkator – die Stadt schmückt sich inzwischen gerne mit dem Event. „Die beiden Seiten Stadt und Freie Projektgruppe harmonieren wunderbar“, hob Merkator hervor, „das war nicht immer so….“

Kosten explodiert, Etat sollte angehoben werden, fordert Merkator

Doch die Arbeit werde nicht einfacher, und das liege vor allem an steigenden Kosten und immer weiter steigenden Infrastrukturauflagen: So seien die Kosten für die Infrastruktur in den vergangenen Jahren um 69 Prozent gestiegen, der Etat des Festivals aber nur um 40 Prozent, rechnete Lamb von der Freien Projektgruppe vor. Das habe die Künstlereinladungen schrumpfen lassen, denn auch deren Gagen seien gestiegen. 350.000 Euro beträgt inzwischen der Etat des Festivals, die vergangenen Jahre habe er stets beim Finanzdezernenten betteln gehen müssen, ob man nicht noch 10.000 Euro mehr bekommen könne, berichtete Merkator und forderte: „Man muss in den kommenden Jahren mal drüber nachdenken, ob der Deckel nicht dauerhaft angehoben werden kann.“

Stars wie Nina Hagen aufs Open Ohr zu holen, wird immer schwieriger – der Künstleretat schwindet. – Foto: gik

Denn das Festival trägt sich selbst und spielt seine Ausgaben durch die Einnahmen wieder ein. „Wir können nachweisen, dass wir ein Konzept haben, dass trotz der gedeckelten Besucherzahlen genug Geld reinbringt, um das Geld zurückzuzahlen“, betonte Merkator: „Wir haben meist sogar mehr zurückgezahlt, als wir eingenommen haben.“ Das Festival sei auch in diesem Jahr wieder sehr stark nachgefragt, bestätigte Markus Hansen von der Stadt, bereits jetzt seien im Vorverkauf 2.200 Karten weg. Vor zwei Jahren war das Open Ohr erstmals komplett ausverkauft gewesen, die Veranstalter mussten gar den Einlass dicht machen, weil sie nicht mehr Menschen auf das Gelände lassen durften. Auch 2016 war das wieder der Fall.

„Wir dürfen rechnerisch 8.800 Karten pro Tag ausgegeben haben“, sagte Hansen. Vergangenes Jahr hieß es, rund 9.500 Menschen dürften maximal gleichzeitig auf dem Gelände unterwegs sein. „Wir müssen dann die Türen dicht machen und können keine weiteren Leute rein lassen“, sagte Hansen: „Wir gehen davon aus, dass wir wahrscheinlich auch dieses Jahr wieder ausverkauft sein werden.“

Wie hoch ein neuer Etat sein müsse, um die Zukunft des Open Ohrs zu sichern, wollte sich Merkator aber nicht festlegen: Das müsse man im Laufe des Jahres auch anhand von Preisentwicklungen diskutieren, sagte er: „Ich würde da heute keine Summe nennen.“ Die Entwicklung sei Aufgabe seines Nachfolgers – und der wird am Mittwoch im Stadtrat gewählt. Eines aber sei klar: „65.000 Euro für den Künstleretat ist deutlich zu wenig“, fügte Merkator hinzu. 2017 werden mit dem Etat immerhin 70 Einzelveranstaltungen an vier Tagen gestemmt, darunter 23 Bands, 6 Theatergruppen, Lesungen, Podien und vier große Kabarettauftritte.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Programm des 43. Open Ohr-Festivals, das vom 2.-5. Juni 2017 auf der Zitadelle stattfindet, lest Ihr hier auf Mainz&.

 

- Werbung -
Werben auf Mainz&
Mainz
Bedeckt
11.3 ° C
13.3 °
9.8 °
50 %
4.1kmh
100 %
Do
11 °
Fr
9 °
Sa
20 °
So
17 °
Mo
21 °

Mainz& unterstützen

- Werbung -
Mainz& unterstützen