Es ist die früheste Weinlese aller Zeiten: Am Montag startete ganz offiziell die Weinlese in Deutschland mit der Lese der ersten Federweißer-Trauben. Die ersten Traktoren waren schon vergangene Woche in den Weinbergen unterwegs, denn die frühen Sorten wie Solaris oder Ortega haben jetzt schon explodierende Oechsle-Werte. Die Trauben sind kerngesund, die Reife unglaublich früh – es wird Zeit, die Ernte einzuholen. Der heiße und trockene Sommer beschert den Winzern einen Ausnahmejahrgang: Es könnte einer der besten Jahrgänge aller Zeiten werden. Natürlich ist dafür das Wetter der nächsten Wochen entscheidend, und schon jetzt schauen die Winzer mit bangem Blick auf die Säurewerte. Doch die Prognosen verheißen weiter warme und weitgehend trockene Witterung – einem Jahrhundertjahrgang steht dieses mal wohl tatsächlich fast nichts im Wege.

Die ersten Trauben sind im Hänger: Start der Weinlese im Weingut Wolf in Lörzweiler. das hier ist Solaris und wird zu Federweißer. – Foto: gik

Die Sonne brennt von einem wolkenlosen Himmel, das Thermometer in Lörzweiler nähert sich der 30 Grad-Marke – und im Weinberg erntet Mathias Wolf die ersten Weintrauben. „Mr. Wolf“ ist nicht nur ein Mainzer Hofsänger, sondern betreibt auch in dritter Generation ein kleines Weingut im rheinhessischen Lörzweiler. „Ich habe nie erlebt, dass man am ersten Augustwochenende Trauben erntet“, sagt der 52-Jährige. Es ist der 6. August, und in den Weinanbaugebieten hat die Ernte der ersten Federweißer-Trauben begonnen.

„Wir haben die früheste Weinlese aller Zeiten“, bestätigt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. 2014, 2011 und 2007 waren ebenfalls frühe Jahre, bislang war das früheste Startdatum der Weinlese aber der 8. August. Der 6. August sei „außergewöhnlich früh“ und keineswegs ein PR-Gag, betont Büscher: Die Zuckerkonzentration in den Trauben sei jetzt schon so hoch, „dass so früh gelesen wird, ist keine Show, sondern schlicht notwendig.“

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Winzer Mathias Wolf bei der Lese der ersten Solaris-Trauben in seinem Weinberg oberhalb von Lörzweiler. – Foto: gik

90 Grad Oechsle haben die Solaris-Trauben bei Winzer Wolf an diesem Morgen bereits – im Durchschnitt. Bis über 100 Grad Zuckerkonzentration misst der Winzer an diesem Morgen, das sind Auslese-Werte. Süß, frisch und süffig ist der Saft, der anschließend im Weingut aus der Presse quillt und üppig die Saftwanne füllt. Fast 900 Liter Ertrag aus vier Rebzeilen, da staunt selbst Mr. Wolf: „Alles richtig gemacht“, sagt er glücklich.

Während Landwirte vor allem im Norden und Osten der Republik unter Hitze und Dürre stöhnen und Milchviehhaltern das Futter knapp wird, gibt es bei den Winzern im Westen der Republik strahlende Mienen. „Wir sind mit dem Stand sehr zufrieden“, sagt der rheinhessische Weinbaupräsident Ingo Steitz. Die Trauben seien kerngesund, und weil kein Regen fiel, gebe es bislang weder Fäulnis noch die gefürchtete Kirschessigfliege. Mit dem geringen Niederschlag kamen die Reben zumeist Dank ihrer langen Wurzeln auch gut klar. „Das Jahr 2018 wird als Ausnahmejahr in die Annalen eingehen“, ist sich Steitz schon jetzt sicher.

Die Grundlage dafür legte „der wärmste April seit Beginn der Wetteraufzeichnung“, wie Büscher erklärt, gefolgt von einer frühen Rebblüte Anfang Mai. „Wir liegen ähnlich wie 2003“, sagt Büscher mit Blick auf den Jahrhundertsommer. Auch damals sprachen die Winzer vom Jahrhundertjahrgang, doch in den Kellern folgte anschließend die große Ernüchterung. Den Trauben fehlte vielfach die Säure, den Weinen anschließend die Stabilität und die Ausgewogenheit im Geschmack.

Anpacken auf dem Hof des Weinguts: Mathias Wolf schaufelt die Trauben in Richtung Ausgang Weinpresse. – Foto: gik

„Wir haben aus 2003 gelernt“, betont Winzer Wolf, man achte jetzt viel mehr auf die Säure – und ernte die Trauben eben früher. 6,5 Hektar Rebfläche haben sie in dem kleinen Weingut gerade einmal, dennoch reicht die Palette der Weinsorten vom Riesling über den Weißburgunder hin zum Chardonnay, auch Huxelrebe und Müller-Thurgau baut Mr. Wolf an. Bei den Rotweinen gibt es neben Dornfelder und Spätburgunder auch schon seit zwölf Jahren Merlot. Klar werde der so richtig reif, sagt Wolf, dennoch: Einen Run auf die südlichen Rebsorten gibt es trotz Klimawandels nicht.

Südliche Sorten wie Merlot oder Syrah werden bislang nur auf einem Prozent der bundesdeutschen Rebflächen angebaut, auf gerade einmal 660 Hektar wächst Merlot, auf 70 Hektar Syrah  – beim Spätburgunder hingegen ist Deutschland mit 11-800 Hektar der drittgrößte Produzent weltweit. Einen Run auf die südlichen Rebsorten gebe es nicht, sagt Büscher, der Zuwachs betrage gerade einmal 100 Hektar pro Jahr. Dabei bringt der Klimawandel mit hohen Temperaturen und heißen Nächten vor allem eine Rebsorte in Gefahr: den Riesling. Die Königin der Rebsorten profitiert besonders von dem Unterschied zwischen heiß0en Tagen und kühlen Nächten, hohe Alkoholgehalte, wie sie durch große Hitze entstehen, machen aus der schlanken Diva dagegen fette Alkoholbomben – für den deutschen Riesling wäre das das Aus.

Wie gehen die Reben mit dem Klimawandel um, wie verändert sich unser Wein? – Foto: gik

An der Weinbauuni Geisenheim suchen sie deshalb schon seit einigen Jahren nach Alternativen, in Zusammenarbeit mit dem Rheingauer Schloss Vollrads wurde 2015 ein Versuchsweinberg mit 49 verschiedenen Rieslingklonen angelegt. . „Wir wollen untersuchen, ob uns die unterschiedlichen Rieslingklone signifikante Unterschiede präsentieren“, sagte Rowald Hepp, Geschäftsführer von Schloss Vollrads, der Autorin dieser Zeilen im Jahr 2016.

Geschaut wird nach Ertrag, Aromaprofil und Anfälligkeit für Krankheiten, gesucht werden vor allem lockerbeerige Rieslingtrauben mit dickerer Schale, die widerstandsfähiger gegen Fäulnispilze wie Botrytis sind. Der Biodiversitätsweinberg, wie das Projekt offiziell heißt, sei weltweit einmalig, sagt Joachim Schmid, Professor am Geisenheimer Institut für Rebzüchtung. Noch nie hat eine Forschungsanstalt so viele unterschiedliche Rieslingvarianten nebeneinander erprobt.

Seit 1992 sammeln sie hier Rieslingklone aus alten Weinbergen, um die genetische Vielfalt der Rebsorte zu bewahren. Die verschiedenen Varianten unterschieden sich in Farbe, Aromakomponenten, Traubenstruktur – und eben im Klimaverhalten, erklärt Schmid. So gebe es einen Klon von der Ahr, der deutlich kleinere Beeren und geringere Mostgewichte aufweise, dafür aber drei bis vier Promille mehr Säure – ein Vorteil für heißere Temperaturen. „Das kann uns unter den geänderten Klimabedingungen deutlich nach vorne bringen“, sagt Schmid: „Und wer hätte vor 50 Jahren gedacht, dass wir mal Klone mit geringerem Ertrag suchen?“

Die rheinhessische Weinkönigin Lea Kopp beim Auftakt zur Weinlese 2018 – am 6. August. – Foto: gik

Tatsächlich hat angesichts des sich ändernden Klimas ein Umdenken eingesetzt: Bislang seien Weinhefen so gezüchtet worden, dass sie möglichst viel Alkohol pro Zuckereinheit produzierten, sagt Schultz, nun suche man nach Hefen, die möglichst wenig Alkohol verursachten. Und es wird gesucht nach Möglichkeiten zur Verzögerung der Reife. „Was früher für schlecht befunden wurde, muss man alles noch mal auf den Tisch legen und schauen: ist das heute vielleicht wichtig?“, sagt Schultz. Wirklich in Gefahr, sagte Schultz noch, sei der Riesling aber nicht: Die Natur sei enorm anpassungsfähig,

„Es gibt noch kein Temperaturmaximum für Weißweine“, sagt auch Büscher, allerdings würden wegen der steigenden Temperaturen auch wieder höhere Randlagen oder Seitentäler interessant. Und die Prioritäten verschieben sich: „Die Säuremessung wird in diesem Jahr wichtiger als die Mostgewichte“, sagt Steitz. Die Aussichten sind gut: Messungen zeigten, dass der Säuregehalt derzeit in den Trauben noch höher sei als 2003, sagt Büscher.

Gärt fast schon von alleine: Saft von Solaristrauben in der Presse im Weingut Wolf in Lörzweiler. – Foto: gik

Kühlere Temperaturen, vor allem kühle Nächte, verbunden mit ein bisschen Regen, das wäre deshalb jetzt die Traumvorstellung der Winzer. Eine gute Erntemenge im Durchschnitt der 8,8 Millionen Hektoliter wäre ein weiterer Wunsch – durch die Miniernte 2017 mit gerade einmal 7,5 Millionen Hektoliter seien „die Keller gut geräumt“, sagt Büscher. Die Federweißerlese werde nun wohl nahtlos in die Hauptlese übergehen, und das noch im August.

Mr. Wolf freut sich nun erst einmal darauf, dass er mit seinem frühen Federweißer endlich den italienischen Kollegen Paroli bieten kann. Bislang machten den Start in die Saison die südlichen Produzenten unter sich aus. Von den rund 10 bis 11 Millionen Litern Federweißer, die jedes Jahr über den Handel vertrieben werden, stammte bislang nur rund die Hälfte von deutschen Winzern. Die frühe Lese sei „ein Marktvorteil“, freut sich Wolf, „sobald es unter 30 Grad werden, ist die Nachfrage da.“

Lexikon& auf Mainz&: Federweißer ist neuer Wein aus früh reifenden Traubensorten wie etwa Ortega, Solaris oder auch Müller-Thurgau, der noch während des Gärungsprozesses getrunken wird. Wenn die aktiven Hefen den Traubensaft in Wein umwandeln, entsteht auch Kohlensäure, die dem neuen Wein auch den Namen Bitzler bescherten. Der Name Federweißer kommt von den im Glas wie winzige Federchen tanzenden Hefen, weitere Namen sind Rauscher oder Sauser.

Info& auf Mainz&: Mehr zur frühesten Weinlese aller Zeiten lest Ihr auch in diesem Mainz&-Artikel. Wer sich jetzt für das Weingut Wolf in Lörzweiler interessiert – bitteschön, hier entlang. Uns hat dort heute – außer dem Federweißer – besonders gut der trockene Weißburgunder gemundet…. Den Wolfschen Federweißen könnt Ihr ab 15. August in Mainz entspannt genießen – am Federweißerstand auf dem Schillerplatz.

 

 

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