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Tagesarchive: 21. März 2018

„Auf Wiedersehen Kardinal Lehmann!“ – 8.000 Menschen bei Beerdigung in Mainz – Bewegender Trauerzug und würdiger Gottesdienst

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Es war bewegend und berührend, aber es wurde auch geschmunzelt und ein wenig gelacht: Mitten im Leben, mitten zwischen den Menschen, so ist der Mainzer Altbischof Kardinal Karl Lehmann am Mittwoch in Mainz zu Grabe getragen worden. 8.000 Menschen säumten die Straßen in der Altstadt, begleiteten den Trauerzug zum Dom und wohnten dem zweistündigen Requiem bei. Zur Beerdigung Lehmanns waren auch der Bundespräsident sowie mehrere Ministerpräsidenten, Bischöfe der katholischen Kirche und Vertreter aller Konfessionen gekommen. Seine letzte Ruhe fand der Kardinal in der Bischofsgruft des Mainzer Doms. Bewegender Höhepunkt: Die Fahrt des Kardinals im Leichenwagen durch die Altstadt zum Mainzer Dom.

Bewegender Abschied von Kardinal Karl Lehmann: Zu seinem Trauergottesdienst im Mainzer Dom erinnerten Porträts an den Verstorbenen. – Foto: gik

Als die große Martinusglocke des Doms ertönt, wird es schlagartig still in der Mainzer Altstadt. Wo eben noch normaler Alltagstrubel herrschte, senkt sich Stille hernieder. Mitten in Mainz, mitten an einem Wochentag, kann man eine Stecknadel fallen hören. 8.000 Menschen sind gekommen, um Abschied zu nehmen von ihrem Bischof, von Kardinal Karl Lehmann.

„Er war ein Guter“, sagt die Mainzerin, die sich einen Platz ganz vorne gesichert hat. Richtig wichtig ist ihr Abschied von dem geliebten Mainzer Bischof zu nehmen, ihm auf seinem letzten Weg zum Grab die letzte Ehre zu erweisen. „Er hat jeden genommen, wie er ist“, sagt sie, „er war das Licht in der Amtskirche.“

„Er war ein Mensch“, sagt ihre Nachbarin, „er hat mit beiden Beinen auf der Erde gestanden.“ Und so säumen sie zu Tausenden die Straße, durch die der Trauerzug gleich ziehen wird. „Ihm Anerkennung, Ehre und Achtung zollen“, sagt eine Zuschauerin. Vor elf Tagen, am 11. März in aller Frühe, starb Kardinal Karl Lehmann mit nur 81 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts, seither hat Mainz mit einer ungeheuren Anteilnahme Abschied genommen. In der Altstadt schmückten Geschäfte ihre Schaufenster mit Fotos des Kardinals, Kondolenzbücher wurden gefüllt, Internetforen quollen über.

In einem weißen Leichenwagen fuhr Lehmanns Sarg am Mainzer Dom vorbei. – Foto: gik

„“Mancher Kommentar spricht davon, viele berichten, wie nah dieser Kardinal, diese große Persönlichkeit Ihnen war“, sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf bei seiner Predigt im Trauergottesdienst. Viele berichteten, „wie sehr sie den Eindruck hatten, er ist jetzt ganz für Dich da.“ Von anderen wisse er, dass der Kardinal ihnen ein echter Seelsorger und Wegbegleiter auf der Suche nach einem persönlichen Glauben gewesen sei. „Nicht umsonst nennen die Menschen ihn ‚unseren Karl'“, sagte Kohlgraf, „er konnte wirklich mit allen umgehen.“

Eine Woche lang war Lehmanns Leichnam in der Augustinerkirche aufgebahrt gewesen, Tausende nahmen hier Abschied von ihrem Kardinal, Tausende pro Tag. „Beim Kardinal gewesen und Adieu gesagt“, vermerkte so mancher diese Woche in den sozialen Netzwerken. Um Punkt 14.00 Uhr am Mittwoch formierte sich der Trauerzug, rund 350 Personen geleiteten den Kardinal auf seinem allerletzten Weg zum Dom. Fahnenabordnungen, Ritter vom Heiligen Grab und dem Malteserorden, Vertreter aller Religionen und schließlich die Bischöfe der katholischen Kirche schritten vor dem Sarg. In absoluter Stille rollte der weiße Leichenwagen durch die Menge, viele Zuschauer verneigten sich. Dahinter die engsten Angehörigen des verstorbenen Kardinals, viele Zuschauer reihten sich ein. Niemand hielt sie auf, niemand drängte sie hinter Absperrungen – mitten zwischen den Menschen fuhr der Kardinal zu seiner letzten Ruhe.

„Dieses Leben hatte Bedeutung“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bei der Trauerfeier im Dom. Lehmann habe eine Kirche gelebt, „die menschenfreundlich sein will, dem Menschen zugewandt“, immer wieder habe er Brücken gebaut, sagte Marx und fügte hinzu: „Als sein Nachfolger im Vorsitz der Bischofskonferenz fange ich an zu ahnen, was das bedeutet.“

Lehmanns Sarg vor dem Chorraum im Mainzer Dom, geschmückt mit Bischofsmütze und Bischofsstab. – Foto:gik

Da wanderte zum ersten Mal ein leises Schmunzeln durch den Dom, es sollte nicht das letzte bleiben. Auch als Marx an die ungeheure Bibliothek des Büchernarren Lehmann erinnerte, an seine unglaubliche Belesenheit, seine unstillbaren Hunger auf Gedrucktes. „Gedruckt sein und von Karl Lehmann gelesen zu sein ist dasselbe“, habe ihm einmal ein Autor gesagt, berichtete Marx, es gebe „viele Phantasien, was mit seiner Bibliothek geschieht.“ Frei redete der oberste Bischofshüter der katholischen Kirche in Deutschland, frei und voller Erinnerungen an den Menschenfreund Lehmann.

Lehmann habe den Mut gehabt, sein Leben in seinen Glauben einzubringen und deutlich gemacht, „dass wir in tiefer Liebe mit den Menschen verbunden sind“, sagte Marx. Lehmanns Wahlspruch als Bischof, „Steht fest im Glauben“ wurde oft zitiert an diesem Tag, auch in der ganzen Länge: „Steht fest im Glauben, seid mutig, seid treu – und was Ihr tut, tut in Liebe!“

Und noch eines wurde am Mittwoch veröffentlicht: Das geistliche Testament des Kardinals. Gefunden habe man es am Morgen seines Todes in seinem Tresor, berichtete Kohlgraf. Unter zwei Dingen habe er immer wieder gelitten, schrieb Lehmann persönlich: Unter dem tiefen Zwiespalt der wunderbaren Schönheit des menschlichen Lebens und ihrer „zerstörerischen und schrecklichen“ Seite: „Die Unheimlichkeit der Macht, und wie der Mensch mit ihr umgeht“, sei ihm immer mehr aufgegangen, schrieb der Kardinal: „Das brutale Denken und rücksichtsloses Machtstreben gehören für mich zu den schärfsten Ausdrucksformen des Unglaubens und der Sünde. Wehret den Anfängen!“

Lehmanns Sarg auf dem Weg in die Bischofsgruft. – Foto: gik

Lehmann habe nie gewollt, dass die Brücken zwischen Kirche und Welt eingerissen würden, habe nie die Kirche „auf einer Insel“ gesehen, sagte Kohlgraf: „Nein, die Kirche muss sich auf die Menschen zu bewegen.“ Das habe Lehmann getan, auf vielen Ebenen, mit seinem Geist und mit seinem Humor. „Klare Position im Glauben, Offenheit im Denken und Reden“, das sei das Vermächtnis Lehmanns, sagte Kohlgraf.

Das brach sich auch während des ganzen zweistündigen Gottesdienstes Bahn: Ein strahlendes Licht erhellte den Dom, zur Kommunion mischten sich Prominente und normale Mainzer ganz selbstverständlich im Mittelgang, direkt vorne am Sarg des Kardinals. Und als der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, an Lehmanns befreites Lachen, an Fastnacht und Mainz 05 erinnerte, da wanderte erneut ein leises Lachen durch die Trauergemeinde. Am Ende des Gottesdienstes geleitete der feierliche Trauerzug den Sarg zur Krypta, die Beisetzung in der Bischofsgruft fand aus Platzgründen im kleinsten Kreise statt. Dort liegt Lehmann in einem Wandgrab gleich über seinem Vorgänger, Kardinal Volk. „Sein Testament“, sagte Kohlgraf noch, „endet mit dem Zuruf „Auf Wiedersehen!“ Ja, lieber Kardinal Karl, ich glaube, dass wir uns wiedersehen.“

Info& auf Mainz&: Mehr Informationen zur Beisetzung von Kardinal Karl Lehmann könnt Ihr hier auf der Internetseite des Mainzer Bistums nachlesen. Wir dachetn, wir fänden dort auch das geistliche Testament von Kardinal Karl Lehmann, doch irgendwie ist uns das nicht gelungen. Deshalb dokumentieren wir hier für Euch den genauen Wortlaut des geistlichen Testaments. Unseren Nachruf auf Kardinal Karl lehmann findet Ihr hier: Wächter von Humanismus, Toleranz, Menschlichkeit. Ein Portrait des Menschenfreunds, Büchernarren und Brückenbauers Lehmann gibt es hier.

 

 

 

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Nachruf auf Kardinal Karl Lehmann: Mainz verliert einen Wächter von Humanismus, Toleranz und Menschlichkeit, und einen guten Freund

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So kannten, so liebten ihn die Mainzer: Lehmann mit Humor, Intelligenz und mitten zwischen den Menschen, hier beim Festakt zu seinem Abschied als Bischof von Mainz im Mai 2016. - Foto: Screenshot gik

Am heutigen Mittwoch trägt Mainz seinen verstorbenen Kardinal Karl Lehmann zu Grabe, und für ein paar Stunden am Nachmittag wird die Stadt innehalten und still stehen. Eines Großen gedenken, der diese Stadt geprägt und den diese Stadt getragen hat, wie es nur selten einem der führenden Menschen in dieser Stadt zuteil wurde. Wenn heute der Trauerzug durch die Altstadt zum Dom zieht, werden sicher Tausende den Zug säumen. Und auch wenn wir Journalisten natürlich professionell berichten, fotografieren, schreiben – dieser Tod ist anders. Er bewegt auch uns, er bewegt uns tief. Unser Nachruf: Ein paar persönliche Gedanken zum Tod von Kardinal Karl Lehmann, 1983 bis 2016 Bischof von Mainz.

So kannten, so liebten ihn die Mainzer: Lehmann mit Humor, Intelligenz und mitten zwischen den Menschen, hier beim Festakt zu seinem Abschied als Bischof von Mainz im Mai 2016. – Foto: Screenshot gik

Als es geschah am Sonntagfrüh, dem 11. März, um 4.45 Uhr, ging ein Beben durch die Stadt. Man konnte es spüren: Karl Kardinal Lehmann, Alt-Bischof von Mainz, verließ diese Welt. Seither hat Mainz getrauert, wie ich es in 25 Jahren noch nie erlebt habe, nicht einmal beim Tod des geliebten Alt-Bürgermeisters Jockel Fuchs. Über der Stadt lag in den Tagen nach dem Tod des Kardinals eine Decke aus Melancholie, ein Gefühl des Schocks und des herben Verlustes.

Mit nur 81 Jahren, nicht einmal zwei Jahre nach seinem Ruhestand, einfach zu früh – starb Kardinal Karl Lehmann. Tausende Menschen pilgerten in den Tagen danach in die Augustinerkirche, nahmen Abschied am aufgebahrten Leichnam, trugen sich in die Kondolenzbücher ein, nahmen Anteil – Tausende pro Tag wohlgemerkt.

Noch nie habe ich erlebt, dass der Tod eines Menschen, auch wenn er ein Großer war, ein Bekannter, ein Promi, die Menschen so bewegt, ja, erschüttert hat.

Karl Kardinal Lehmann hat.

Anteilnahme in der Mainzer Altstadt Viele Geschäfte rund um die Augustinerkirche schmückten Schaufenster, gedachten des verstorbenen Kardinals. – Fotos: gik

Er hat die Menschen berührt mit seinem klaren Verstand, mit seinem Intellekt und mit seiner schnörkellosen Direktheit, die nie Plattheit war. Mit seiner menschlichen Aufmerksamkeit und seiner ungekünstelten Anteilnahme. Kardinal Lehmann hörte zu, und er hörte WIRKLICH zu. Er war ganz da, wenn er einen anderen Menschen traf, er war zutiefst neugierig, und er nahm Anteil. Er urteilte nicht vorschnell, er verurteilte schon gar nicht. Seine Wärme machte nicht viele Worte, aber man spürte sie, unmittelbar, ehrlich, kraftvoll.

Und er war unglaublich intelligent, differenziert und auch scharfzüngig, sezierend, analysierend, einordnend. Manchmal schien er weitschweifig zu sein, doch immer spürte man: Das lag an seinem reichen Wissen, an den vielen Verknüpfungen, die er zog und die eben nicht in ein, zwei kurze Sätze passten. Inhaltsleer war nie das, was aus seinem Munde kam, jedes Wort ein wohlüberlegtes.

Und gleichzeitig hatte er viel Humor, der Herr Kardinal.

Ich erinnere mich gut, wie ich ihn bei einer großen Open Air-Fastnachtssitzung vor dem Mainzer Dom auf der Bühne sah, Narrenkappe auf dem Kopf, Fastnachtsschal um den Hals. Und ich dachte: Wow, hier steht ein Kirchenmann mit zwei Beinen mitten im Leben, mitten unter den Menschen. So sollte Kirche sein.

Kondolenzbuch für Kardinal Karl Lehmann in der Augustinerkirche. – Foto: gik

Es war genau das, was viele an Kardinal Lehmann bewundert haben, was sie zum Staunen brachte, was ihm die Liebe der Mainzer einbrachte. In eben der Stadt Rheinhessens, wo Toleranz und Weltoffenheit sich paaren mit Bodenständigkeit und dem bissigen, satirischen Volksmund, da passte Karlchen Lehmann, das bodenständige Schlitzohr wie kein zweiter. Karlchen, Lehmännchen – wen die Mainzer verehren, dem geben sie Spitznamen. Karl Kardinal Lehmann hatte viele.

 

Auch ich bin ihm mehrfach begegnet, als Journalistin zumeist. Durfte ihn interviewen. Habe viele Porträts über ihn geschrieben. Ich bin keine Katholikin, sondern als kritische Protestantin aufgewachsen, mit viel Distanz zur katholischen Kirche, deren Vertreter mir noch als Kind eingeredet haben, ich sei als Evangelische unrein, eine Heidin, die in der Hölle schmoren wird – eine Verräterin. Ich habe das der katholischen Kirche zutiefst übel genommen.

Kardinal Lehmann zeigte mir eine katholische Kirche, die anders war: Offen, tolerant, auf den Menschen zugehend, akzeptierend. Wertschätzend und zugleich streitbar. Und unverrückbar wie ein Fels in der Brandung. Sein Einsatz für die Schwangerenkonfliktberatung machte ihn bekannt, auch mir. Als Journalistin schrieb ich sachlich über den Konflikt und seine Wendungen, als Frau fieberte ich mit in dem Kampf um elementare Rechte, um Hilfe für Frauen in Notsituationen – und sah einen Kardinal, der sich nicht verbog, der nicht leugnete, was er glaubte und was er für richtig hielt. Der sich nicht scheute, sich mit dem Höchsten anzulegen, über das, was er auf Erden glaubte. Der rang und argumentierte und zu überzeugen versuchte. Der verlor und dennoch am Ende als Sieger dastand.

In der Rückschau heute, am Ende von vielen Tagen des Erinnerns, des Schreibens, der Hunderte von Reaktionen auf Karl Kardinal Lehmann sehe ich ihn vor mir sitzen, in einem Stuhl im Erbacher Hof, vor Mikrofonen und vor allem vor Menschen. Nachdenklich, abwägend und bestimmt. Klar in seiner Haltung und seinem Streben. Ein Mann wie ein Fels, den alle Stürme und alle Brandungen nicht verbiegen und nicht erschüttern konnten.

Lehmann als Einmischer, Mahner, Sprachrohr, hier bei seiner letzten Pressekonferenz als Bischof von Mainz im Frühjahr 2016. – Foto: Bistum Mainz

Ihn im Mainzer Bischofshaus, auf dem Mainzer Bischofsstuhl zu wissen war wie die Versicherung, dass Welt und Kirche in guten Händen sind. In liebevollen, erfahrenen, kompetenten und sehr kraftvollen Händen. Dass doch noch nicht alles in dieser Welt aus den Fugen ist, dass es eine Instanz gibt, die Humanismus, Toleranz und Wachsamkeit für die Demokratie und das wahre Wohl der Gesellschaft im Blick behält.

„Seid wachsam!“, sagte Kardinal Lehmann in seinem letzten Gottesdienst als Bischof von Mainz, es klang schon da wie ein Vermächtnis: „Seid wachsam, seid mutig, seid stark – und alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe.“

Ja, am 11. März ist ein Felsen in Mainz für immer zerbrochen. Und auch mir ist, als hätte ich einen Freund verloren. Ruhet in Frieden, Karl Kardinal Lehmann, möget Ihr die Herrlichkeit und Güte Gottes schauen, an die Ihr geglaubt habt. Wir werden Euch vermissen.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Ablauf der Beerdigungsfeierlichkeiten für Kardinal Karl Lehmann mit Trauerzug und Trauergottesdienst lest Ihr hier bei Mainz&. Von der Beisetzung Lehmanns werden wir in Wort und Bild hier, auf Facebook und auf Twitter berichten.

 

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