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Tagesarchive: 11. Mai 2018

Große Spätburgunder, alte Könige und ein historisches Weinerbe – Die Wiedererweckung des Weinguts J. Neus in Ingelheim

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Das Weingut J. Neus in Ingelheim gehörte einst zu den berühmtesten Weingütern Deutschlands, in der Viktorianischen Zeit wurden die Weine der Ingelheimer zu Höchstpreisen gehandelt. Vor sechs Jahren stand das renommierte Gut kurz vor dem Aus: ein Wohnpark sollte aus dem wunderschönen Grundstück mit der alten Gründerzeitvilla werden, die Mainzer Unternehmerfamilie Schmitz – Besitzerin der Spedition G.L.Kayser – rettete das Weingut J. Neus in letzter Minute. Seither arbeitet ein junges, hoch engagiertes Team daran, das alte Weingut aus dem Dornröschenschlaf zu holen und zurück zu alter Stärke zu führen. Am Sonntag könnt Ihr die Ergebnisse selbst probieren: Das Weingut lädt am 13. Mai von 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr zur großen Frühjahrsprobe. Mainz& hat das Weingut im Februar besucht und diesen Beitrag für den Blog der Great Wine Capitals mitgebracht.

Lewis Schmitt, Geschäftsführer des Weinguts J. Neus in der neuen Vinothek des Weinguts. – Foto: gik

Der Gründer hängt an der Wand. „Ja, Josef Neus schaut uns immer zu“, sagt Lewis Schmitt, und führt mich zu dem schlanken Jugendstil-Trinkbrunnen aus Stein im hinteren Raum der Victorianischen Villa, mitten im Herzen von Ober-Ingelheim. Alte Panele ziehen sich an den Wänden entlang, auch sie sind noch original, doch vorne im Gebäude erwartet uns eine hochmoderne Vinothek. Die neuen Räume, die Verbindung zwischen Alt und Neu zusammen mit dem wunderschönen Park – genau dafür erhielt das Weingut J. Neus den Best of Wine Tourism Award 2018 in der Kategorie Architektur, Parks und Gärten.

„An diesem Brunnen hat Neus Senior seine Cuvees kreiert, und auch wir arbeiten hier heute noch“, sagt Schmitt. Der elegante Trinkbrunnen wird von einer eigenen Hausquelle mit Wasser gespeist, die alte Standheizung im Flur war einmal die erste ihrer Art in ganz Ingelheim – die Neussens, sie waren einst Vorreiter der Moderne im 19. Jahrhundert. „Neus Senior war Spätburgunder-begeistert, deshalb kam er nach Ingelheim“, erzählt Schmitt.

Die kleine Stadt im Rücken der großen Great Wine Capital Mainz ist seit Jahrhunderten eine Rotwein-Enklave. Karl der Große gründet hier einst eine seiner berühmten Kaiserpfalzen, seit dem Mittelalter wächst roter Burgunder auf den Sand- und Kalkhängen der Umgebung. „80 Prozent Spätburgunder“, sagt Schmitt prompt, nach der wichtigsten Rebsorte des Weinguts gefragt. Im Riesling- und Silvaner-Land Rheinhessen liegt die wahre Berufung der Ingelheimer beim Rotwein.

Schmitt an dem historischen Trinkbrunnen aus der Gründerzeit des Weinguts J. Neus. – Foto: gik

An der Wand berichtet eine alte Urkunde von einer Bronzemedaille, die Josef Neus auf der berühmten Weltausstellung von 1900 für einen seiner Weine einheimste. In der Viktorianischen Zeit, als deutsche Weine weltweit berühmt und begehrt waren, spielten auch die Neus’schen Kreationen ganz vorne mit. Das Weinhaus Neus hatte eigene Niederlassungen in Shanghai und London, Neus heimste Preise in Paris und den USA ein. 70 Hektar Rebflächen gab es zur Hochzeit. Die Familie gehörte zu den Gründern des Verbands der Spitzenweingüter VDP, ab 1917 gehörte ihr der berühmte Queen Victoria Weinberg in Hochheim. 1965 übergab Neus Junior beim Besuch von Queen Elizabeth in Wiesbaden drei Flaschen Hochheimer als Geschenk.

„Neus war der Sohn einer gut betuchten Küferfamilie von der Mosel“, erzählt Schmitt, 1881 gründete er ein Weinhandelshaus in Ingelheim. Die ersten Weinberge stellten sich ein, also gründete Neus 1894 auch noch ein Weingut dazu. Wir haben den alten Neus-Klon teilweise noch in den Weinbergen stehen, das sind heute 50-60 Jahre alte Reben“, erzählt Schmitt. Die wunderschöne Jugendstil-Villa samt Park, Weinberg und Nebengebäude erbaute der Gründer bereits 1883, ebenso die riesigen unterirdischen Kelleranlagen. „Man kann hier im Viereck laufen“, sagt Schmitt, während wir durch das große Untergrundreich streifen.

Eine uralte Kellerflora bedeckt die Gewölbedecke in den weiten Räumen, Holzfass an Holzfass zieht sich die Wände entlang – die Bandbreite reicht vom modernen französischen Barriquefass bis hin zu den uralten Eichenfässern von der Mosel. In einem Gang stapeln sich uralte Champagnerflaschen in einer Nische an der Wand, dick bedeckt mit Staub und Spinnweben. „Das ist Rosé Sekt, Jahrzehnte alt und nicht mehr zum Verzehr erlaubt“, sagt Schmitt. Es ist eine der vielen Hinterlassenschaften der alten Besitzer, ebenso wie die alten Eisenregale, voll mit uralten Flaschen.

Die riesigen alten Keller unter dem Weingut J. Neus in Ingelheim. – Foto: gik

1968 verstarb Neus Junior, mit ihm ging der Familienname verloren. Das Weingut übernahm der Mann von Neus‘ Tochter Ursula, Rüdiger Burchards, ein Kapitänleutnant zur See. Wirklich glücklich war die Ära der Burchards nicht, das Projekt etwas zu groß, das Weingut fiel in einen Dornröschenschlaf. 2012 übernahm die Mainzer Unternehmerfamilie Schmitz, Besitzer der Spedition G.L.Kayser, das Weingut J. Neus – und das in letzter Minute. Ulrich Burchards, der letzte Nachfahre des alten Neus, hatte selbst keine Erben für das Weingut und wollte verkaufen. „Das sollte hier ein Wohnpark mit 26 Wohneinheiten werden, der Keller eine Tiefgarage“, sagt Schmitt, „es war schon alles genehmigt.“ Buchstäblich in letzter Minute retteten die Schmitz‘ das Weingut – und starteten die Wiedererweckung des Kleinods.

„Wir wollen uns mit den Topbetrieben in Deutschland messen“, sagt Schmitt selbstbewusst, der 27 Jahre alte Bachelor der Internationalen Weinwirtschaft kam vor zwei Jahren als Betriebsleiter ins Weingut J. Neus. Seine Eltern haben ein kleines Weingut an der Ahr, „ich lebe Spätburgunder“, sagt Schmitt. Im Team mit Kellermeister Julian Meißner wollen sie nun die Neus’schen Weine zurück zu alter Größe und Strahlkraft bringen. Schon jetzt sind die Spätburgunder tiefrote Tropfen mit intensivem Beerenaroma, Holznoten und der reichen Mineralik der Muschelkalkböden. „Wir wollen die Spätburgunder wieder ins alte, glänzende Licht bringen“, sagt Schmitt.

Im November 2015 wurde die neue Vinothek in der alten Villa eingeweiht, neue Etiketten sollen den Imagewechsel verdeutlichen. „Wir arbeiten ökologisch, die Weichen sind alle auf Qualität gestellt“, sagt Schmitt: „Das Weingut soll wieder nach vorne kommen, das hat es einfach verdient – dafür leben die Wände hier viel zu sehr Geschichte.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Weingut J. Neus in Ingelheim findet Ihr auf dieser Internetseite des Weinguts. Und an diesem Sonntag laden die Macher gleich im Anschluss an das Weinhöfefest zur großen Frühjahrsprobe: Von 14.00 bis 19.00 Uhr könnt Ihr am 13. Mai 2018 den neuen Jahrgang 2017 bei den Weißweinen sowie die aktuellen Rotweine sowie spannende Fassproben aus dem Gewölbekeller verkosten. Den original Blogbeitrag zum Weingut J. Neus bei den Great Wine Capitals auf Englisch findet Ihr genau hier. Warum Mainz& für die GWC bloggt, steht genau hier.

 

 

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Verfassungsfest des Mainzer Landtags am 18. Mai: Politik, Kunst, Mainzer Republik, antike Steine und 100 Jahre Frauenwahlrecht

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Der Landtag Rheinland-Pfalz bei seiner konstituierenden Sitzung am 18.05.2016 in der Steinhalle des Landesmuseums in Mainz

Der 18. Mai ist ja der Verfassungstag in Rheinland-Pfalz, an jenem Tag im Jahr 1947 stimmten die Bürger des neu formierten Bundeslandes der neuen Verfassung nach dem Zweiten Weltkrieg zu. Rheinland-Pfalz wurde damit ein eigenes Bundesland – und Mainz seine Hauptstadt. Der Landtag feiert daher jedes Jahr am 18. Mai das Verfassungsfest, es ist längst ein großes Fest für die Bürger. Seit 2016 findet das im Interimsplenarsaal im Mainzer Landesmuseum statt, und auch in diesem Jahr lädt der Landtag hier wieder zu einem großen Fest mit Musik, Informationen und allerlei Leckereien. Kunst und Geschichte treffen Politik, denn auch das Landesmuseum könnt Ihr bei der Gelegenheit erkunden.

Der Interimsplenarsaal im Landesmuseum, hier bei konstituierenden Sitzung des Landtags am 18.05.2016. – Foto: gik

Hinter die Kulissen der Parlamentsarbeit schauen, einmal auf dem Stuhl von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) auf der Regierungsbank Platz nehmen, oder vom Rednerpult aus die Atmosphäre im Plenarsaal studieren – am 18. Mai gibt es im Mainzer Landtag Politik zum Anfassen. „Wir wollen allen Interessierten von Jung bis Alt einen Einblick in die Arbeits- und Funktionsweisen der Werkstatt unserer Demokratie bieten und zum Mitgestalten motivieren“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering im Vorfeld des Festes.

Eigentlicher Sitz des rheinland-pfälzischen Parlaments ist ja das Deutschhaus, jener Bau aus der Barockzeit, von dessen Balkon einst 1793 die Mainzer Republik ausgerufen wurde. Im Herbst 2015 aber verließen die Parlamentarier ihren angestammten Sitz, das Deutschhaus wird grundsaniert und fit für die moderne Zeit gemacht. Seit 2016 tagt der Landtag deshalb in der früheren Steinhalle des Mainzer Landesmuseums – zwischen antiken Grabsteinen und römischem Torbogen wurde das komplette Gestühl aus dem alten Plenarsaal eingepasst.

Entstanden ist ein wunderschöner Raum mit viel Flair, das die Abgeordneten auch gleich an die alte Geschichte des Landes und an ihre Verantwortung gemahnt. Dazu nutzt der Landtag auch den Innenhof des Landesmuseums mit, so gehen Politik und Kunst fast schon eine Symbiose ein. Am Verfassungsfest könnt Ihr denn auch von der Politik in die Ausstellung des Landesmuseums schlendern und antike Steine bestaunen. Von 13.00 Uhr an tobt im Museum, im Innenhof und im Plenarsaal das bunte Leben.

Die derzeitige Lobby des Mainzer Landtags in der Steinhalle des Landesmuseums – gefüllt mit antiken Grabsteinen und dem Dativius-Victor-Bogen. – Foto: gik

Neben Führungen durch den Plenarsaal erläutert etwa eine multimediale Ausstellung in der Steinhalle des Museums die Aufgaben- und Arbeitsweisen des Parlaments. Auch die Sanierung des Deutschhauses wird im Rahmen einer kleinen Ausstellung und mit Kurzvorträgen im Plenarsaal vorgestellt. Die neue Bürgerbeauftragte des Landes, Barbara Schleicher-Rothmund, könnt Ihr ebenfalls kennenlernen, sie und die Beauftragte für die Landespolizei präsentieren sich mit einem Stand in den Arkaden des Landesmuseums. Im Innenhof präsentieren sich die Partnerregionen von Rheinland-Pfalz Burgund-Franche-Comté, Mittelböhmen und Oppeln.

Einen besonderen Höhepunkt gibt es jeweils um 13.30 Uhr und 16.30 Uhr: Der Mainzer Schauspieler Tino Leo schlüpft in seinem Ein-Mann-Theaterstück „Der Freiheitsbaum“ in die Rollen verschiedener Protagonisten der Mainzer Republik und verkörpert darin den Mut der frühen Demokraten, sich gegen die Obrigkeit zu stellen und für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einzutreten.

Für Kinder gibt es unter anderem einen Spiel- und Malbereich sowie die Möglichkeit zum Kinderschminken. Dazu können sie einer Märchenerzählerin lauschen oder Schwertkämpfe von Rittern bestaunen. Im Innenhof des Landesmuseums wird es musikalisch: Neben dem Landespolizeiorchester und dem LandesJugendJazzorchester Phoenix Foundation wird die Rockbuster-Gewinnerband Lilli Rubin auftreten. Hier sorgen auch mehrere Food-Trucks für kulinarische Genüsse: Es gibt Leckereien vom Stullen Andi, Burger vom Foodtruck Der Brgr, Wein von der Weinraumwohnung, Kuchen und Gebäck von Fräulein Fine und Eis von N’Eis.

Im Innenhof des Landesmuseums lässt es sich auch prima feiern. – Foto: gik

Am Vormittag des 18. Mai findet zudem im Plenarsaal eine Festveranstaltung mit geladenen Gästen zum Verfassungsfest statt, das Thema ist in diesem Jahr passenderweise „100 Jahre Frauenwahlrecht“: Es war am 12. November 1918, als die Weimarer Republik das aktive und passive Wahlrecht auch für Frauen einführte. Es war ein Meilenstein in Sachen Gleichberechtigung – und ein langer Weg dahin gewesen. Frauen mussten lange um das gleiche demokratische Wahlrecht wie die Männer kämpfen.

Der Kampf um das Frauenstimmrecht war Anfang des 20. Jahrhunderts eng mit den damaligen – zum Teil katastrophalen – Arbeits- und Lebensverhältnissen der Arbeiterinnen verbunden. So gingen etwa 1912 rund 20.000 Arbeiterinnen der Textilindustrie in Lawrence, Massachusetts, auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiten – das Lied von „Brot und Rosen“ – die Arbeiterin braucht Brot, aber eben auch Rosen – das sie damals sangen, wurde zur Hymne der Frauenbewegung. Es war übrigens die Sozialdemokratin Marie Juchacz, Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, die 1919 als erste Frau in der Weimarer Nationalversammlung das Wort ergriff.

Am 18. Mai nun geht es in der Festveranstaltung um das Jubiläum 100 Jahre Frauenwahlrecht, aber auch um die Frage: wie weit sind wir eigentlich gekommen in Sachen Gleichberechtigung? Auch vor dem Hintergrund der historisch niedrigen Frauenquote im aktuellen Bundestag soll es hierbei insbesondere um die Frage gehen, wie es gelingen kann, mehr Frauen für die politische Arbeit in den Parlamenten auf allen politischen Ebenen zu gewinnen. Festrednerin ist die Juraprofessorin Silke Ruth Laskowski von der Uni Kassel.

Info& auf Mainz&: 18. Mai 2018 Verfassungsfest des Mainzer Landtags zum 71. Geburtstag der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz. Die Festveranstaltung wird ab 11.30 Uhr per Live-Stream über die Homepage des Landtags übertragen. Ab 13.00 Uhr startet dann das Bürgerfest im Landesmuseum Mainz, alle Infos dazu hier. Mehr zum Kampf um das Frauenwahlrecht findet Ihr auf dieser Internetseite zum Jubiläumsjahr.

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Cyborgs, Wearables, Transhumanismus – 44. Open Ohr an Pfingsten 2018 widmet sich dem Thema Körperbau

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Am Freitag beginnt das 44. Open Ohr, und wieder einmal wagt sich die Freie Projektgruppe an ein höchst aktuelles und brisantes Thema: „Körperbau“ heißt die schnöde Überschrift, dahinter aber steht die Frage, wieviel Technik wir in unsere Biologie Einzug halten lassen wollen. „Wie viel Hardware verträgt der Mensch?“, fragt gleich das Eröffnungspodium am Samstagmorgen. Es geht um die Frage, wie gut es ist, unsere Körper mit Technologie verschmelzen zu lassen, und welche Rolle dabei die Ethik spielt. Das ist hochaktuell in Zeiten, in denen Fitnessarmbänder und Sprachassistenten, Roboter und sogar Körper-Ersatzteile sich in unserem Leben breit machen. Und wie immer auf dem Open Ohr wird das Festivalthema auch mit Theater, Film und Workshops beleuchtet, dazu gibt es coole Weltmusik – und endlich anständigen Wein.

Open Ohr 2017: volles Haus bei toller Weltmusik am Drususstein. – Foto: gik

Das Open Ohr ist ja das einzig übrig gebliebene politische Jugendkulturfestival seiner Art in Deutschland, und es macht in diesem Jahr wieder einmal seinem Ruf, brisante Themen aufzugreifen, alle Ehre. Nachdem das Thema „Moderne Sklaverei“ vergangenes Jahr in der Umsetzung leider haperte, darf man nun gespannt sein, wie die Macher das Thema „Körperbau“ umsetzen wollen. Rund zwölf Podien gibt es zum Festivalthema, da geht es um die Selbstvermessung des Körpers mittels Fitnessarmbändern, um Designerbabies, die Grenzen der Natur und den gebauten Menschen oder auch um die „Enthinderung“ des Körpers – also die Hilfe durch Technik.

Diskutanten sind dabei meist Professoren für Ethik und Philosophie, Gesundheitswissenschaftler, Historiker und Technikfolgenforscher, aber auch Vertreter der Verbraucherzentrale, des Rollstuhlsports und des Vereins Cyborg aus Berlin. Interessant dürfte es auch werden, den Vertreter der Transhumanen Partei zu erleben – Transhumanisten wollen die Grenzen menschlicher Möglichkeiten durch den Einsatz technologischer Verfahren erweitern und sehen darin durchaus auch schon mal die Geburt einer neuen Spezies. „Bei jungen Leuten ist das schon ein Thema“, sagte Sarah Günther von der Freien Projektgruppe bei der Vorstellung des Programms.

„Innovation in Wissenschaft und Technik beeinflussen unsere Körper immer mehr“, sagte denn auch Sozialdezernent Eckart Lensch (SPD), in diesem Jahr erstmals zuständig für das Open Ohr: „Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel.“ Bisher habe der Mensch die Umwelt an seinen Körper angepasst, nun sei erstmals der Punkt gekommen, an dem sich der menschliche Körper an die Umwelt anpassen könne. „Wir verschieben unseren Körper mit dem technischen Fortschritt, aber was fehlt ist ein gesellschaftlicher Diskurs über diese Themen“, sagte Lensch. Die Technisierung des Körpers werfe ethische Fragen zu Freiheit und Selbstbestimmung auf, aber auch Fragen wie: „Wie stark wollen wir in die Umwelt eingreifen? Wer wird privilegiert, wer profitiert vom Körperumbau in der Zukunft?“ Zeit also, über die Chancen und Risiken zu diskutieren, die mit dem neuen Körperbau einhergehen.

Das Thema Körper und Körperbau thematisierten ja irgendwie auch schon diese Stelzenläufer auf dem Open Ohr 2017. – Foto: gik

Prädestiniert dazu, das Thema Körperbau aufzugreifen, ist natürlich das Theater, und so gibt es in diesem Jahr ein Theaterstück über die Liebesbeziehung zu einem Sexroboter oder darüber, wie Tänzer selbst langsam zu Cyborgs werden und mit künstlicher Intelligenz interagieren. Wie ändert sich unsere Definition von Zweisamkeit, wenn wir mit einem Roboter agieren, wie verändert das unser Denken über Sexualität – das sind Fragen, die dabei gestellt werden. Höhepunkt wird wieder einmal die große Platzbespielung sein, wenn die gesamte Hauptwiese zur Freiluftbühne wird: Am Sonntagabend um 23.00 Uhr wird der sanfte Riese DUNDU mit seinen vielen verschiedenen Körper-Facetten die Besucher zum Staunen bringen.

Auch das Filmprogramm greift natürlich das aktuelle Festivalthema auf, zu sehen sind unter anderem der Stummfilm „Der Golem, wie er in die Welt kam“ sowie der bekannte Actionfilm Blade Runner. In den Kasematten, inzwischen die Kulturei, zeigen die „Brandstifter“ die Ausstellung „Antikörper/Antibodies“, dazu gibt es auch eine Soundpoeten-Performance. Und auf der Hauptwiese wird sich am Samstag ein ziemlich großer Industrieroboter tummeln, der mit dem Künstler UliK tanzt – oder der mit ihm? Auch die Workshops drehen sich ganz um das Thema Körperbau: Beim afrikanischen Tanzworkshop, oder beim Workshos Stimme und Sprechen lernt Ihr Euren Körper kennen und beherrschen, lernt mit Lampenfieber umgehen und durch Haltung und Artikulation Eure Ausstrahlung zu verändern.

Und dann ist da natürlich die Musik, auch die ist Körpererlebnis pur: 19 Musikacts hat das Open Ohr 2018 zu bieten, die Bandbreite reicht von Soul und Jazz über Country bis hin zu karibischen Rhythmen und sattem Rock’n Roll. Den Auftakt machen am Freitagabend die Afro-Cuban Tigers of India, die laut Programmheft einen „tanzbaren und hypnotischen Mix aus Afro-Beats, Karibik-Rhythmen, Balkan-Dance und indischem Trance mit satten Bläsern“ mitbringen. Ihnen folgt das Rock-Trio „DeWolff“ aus den Niederlanden, die ihr neuestes Album „Thrust“ im Gepäck haben und laut Ankündigung „neo-psychedelischen Sound“ mit „kaleidoskopischen Hammond-Orgelklängen, ausgedehnten Gitarrensoli und stampfenden Schlagzeugparts“ bieten. Highlight ist dann am Freitagabend der Auftritt der Kölner US-Hip-Hopperin Akua Naru mit ihrem Soul-infizierten Global Hip-Hop – das geht garantiert in den Körper.

Gefeiert und getanzt und Musik gehört wird aber auch beim Open Ohr. – Foto: gik

Einen groovigen Mix aus Funk, Soul und Hip-Hop haben auch die Jungs von Lucille Crew aus Tel Aviv dabei, die am Samstag um 20.30 Uhr die Hauptbühne bespielen – gefolgt von den Ska-Punks von Rantanplan. Sonntag dürft Ihr Euch auf die neuseeländisch-holländische Band My Baby mit „hypnotischem Genrehopping zwischen spirituellem Blues, Country, Dub und Soul sowie einer zeremoniellen Live-Performance“ freuen. Danach wird es süd-afrikanisch mit Freshlyground, die 2006 bei den MTV European Music Awards zum „Best African Act“ gekürt wurden und 2010 gemeinsam mit Shakira die Fußballhymne „Waka Waka“ zu einem Welthit machten. Am Montag beschließen dann El Flecha Negra und die Darmstädter Reggae Band Ease Up Ltd. das Kapitel Musik auf dem Open Ohr 2018.

Die riesige Musikvielfalt ist auch dem gestiegenen Etat des Open Ohr zu verdanken: 20.000 Euro stellt die Stadt Mainz dem Festival im Vorfeld mehr zur Verfügung, der Haushaltsansatz steigt damit auf rund 390.000 Euro. Das ist nur ein Vorschuss, wohlgemerkt: Das Open Ohr spielt seit vielen Jahren nun schon seine Kosten wieder vollständig selbst ein. „Wir können das Festival gut finanzieren und werden wahrscheinlich auch noch mehr Einnahmen generieren können als die 360.000 Euro im vorigen Jahr“, sagte Lensch. Für Künstler gibt das Open Ohr dabei in diesem Jahr nach Angaben des Dezernenten rund 76.000 Euro aus. Bleibt noch das Kabarett: Freitagnacht gibt es statt Mitternachtskabarett einen PoetrySlam, Samstagnacht dann aber traditionell um Mitternacht satirisches mit dem Slam-Poeten Nektarios Vlachopoulos, Markenzeichen Deutschlehrer mit griechischem

2017 faszinierte die grandiose Platzbespielung Sonntagnacht. – Foto: gik

Integrationshintergrund. Am Sonntag könnt Ihr bereits um 17.15 Uhr Anna Mateur auf dem Drususstein erleben, während das Kabarettzelt um Mitternacht Sebastian Lehmann zum Beben bringen wird – der Kabarettist wurde zuletzt durch seine kuriosen Alltags- und Elterngeschichten via SWR3 bekannt. Am helllichten Tag dann versprüht Nico Semsrott am Montag um 12.30 Uhr seine Gesellschaftsspitzen nach dem Motto: „Freude ist nur ein Mangel an Information“. Informationsmangel, so viel ist klar, solltet Ihr am Ende der vier Open Ohr-Tage definitiv nicht mehr haben – Freude aber hoffentlich auch.

Die gute Nachricht: Die Ticketpreise sind stabil geblieben, und es soll endlich einen Stand mit anständigen Weinen geben. Für die Camper aus dem nunmehr fürs Zelten gesperrten Zitadellengraben gibt es einen Ausweichplatz am Römerwall – weiter weg, aber dafür schön im Grünen. Erwartet werden wieder einmal zwischen 12.000 und 13.000 Besucher an den vier Tagen, 9.000 davon dürfen gleichzeitig auf das Gelände. Der Vorverkauf läuft bereits auf Hochtouren, vor einer Woche waren bereits rund 2.000 Dauerkarten verkauft – Ihr solltet Euch also beeilen. Denn wenn es richtig voll wird, haben Dauerkarteninhaber Vorrang beim Betreten des Geländes – an der Tageskasse gibt es dann womöglich keine Karten mehr.

Info& auf Mainz&: 44. Open Ohr vom 18. bis 21. Mai 2018 wie immer auf der Zitadelle in Mainz. Dauertickets für alle vier Tage kosten 36,20 Euro im Vorverkauf und 40,- Euro an der Abendkasse, die Tickets sind gleichzeitig Fahrkarte für Busse und Bahnen. Tageskarten gibt es für 23,- Euro und nur vor Ort an den Kassen. Alle Infos und das gesamte Programm findet Ihr auf der Homepage des Open Ohr genau hier. Unseren Bericht vom Open Ohr 2017 findet Ihr hier bei Mainz&.

 

 

 

 

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