Es war vor genau 225 Jahren, als Andreas Josef Hofmann vom Balkon des Deutschhauses in Mainz die Republik ausrief. „Der ganze Strich Landes von Landau bis Bingen (…) soll von jetzt an einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen, der gemeinschaftlichen, auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht“, hieß es damals im Artikel 1 des Dekrets, mit dem der rheinisch-deutsche Nationalkonvent gegründet wurde. Es war das erste, nach demokratischen Gebilden gegründete Staatswesen auf deutschem Boden. Die Mainzer Republik sei „so etwas wie der Beginn des Weges zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland“ gewesen, sagte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier am Montagabend in Mainz. Steinmeier war zum Antrittsbesuch als Bundespräsident gekommen, er besuchte das Gutenberg-Museum, den Landtag und auch den verstorbenen Kardinal Karl Lehmann. Sein Thema: Das Warnen vor „dem Risiko der Selbstzerstörung“ der Demokratie.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier vor dem Mainzer Gutenberg-Museum mit (v.l.n.r.): Museumsdirektorin Annette Ludwig, OB Michael Ebling (SPD), First Lady Elke Büdenbender, Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und deren Mann Klaus Jensen. – Foto: gik

„Herr Steinmeier! Herr Steinmeier!“ ruft der kleine Marian aufgeregt von der Ballustrade. Es ist Montagnachmittag, und gerade ist der Bundespräsident auf dem Mainzer Markt vorgefahren. Nur rund 50 Bürger sind am hellichten Tag gekommen, die meisten sind auch eher zufällig hier. Steinmeier stört das nicht, er strahlt, mischt sich unter die Menge, schüttelt Hände und stattet natürlich auch Marian einen Besuch ab. „Toll war das“, sagte eine Mainzerin strahlend: „Sonst sieht man den Herrn Steinmeier ja nur im Fernsehen, jetzt sieht man ihn mal live.“

„Wir sind gestartet bei Frost und kommen hier bei Sonnenschein an, das entspricht der Atmosphäre, mit der wir hier empfangen werden“, sagt Steinmeier gut gelaunt. Am Morgen hatte der Bundespräsident seinen Antrittsbesuch in Rheinland-Pfalz mit einem Besuch auf dem Hambacher Schloss in der Pfalz begonnen. „Orte der Demokratie“ lautet das Motto der Antrittsreise des Bundespräsidenten durch Deutschland, in Rheinland-Pfalz erlebte er die Orte, an denen die Demokratie in Deutschland ihre ersten Schritte erprobte.

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Gut gelauntes Treffen mit Bürgern auf dem Mainzer Markt: Bundespräsident Steinmeier. – Foto: gik

1832 marschierten in Hambach Studenten und Intellektuelle hinauf zum Schloss, um Freiheit, deutsche Einheit und Demokratie zu fordern. Sie schwenkten die schwarz-rot-goldene Fahne, die später die Nationalflagge Deutschlands wurde und sie sangen „das Lied der Deutschen“ – unsere heutige Nationalhymne. „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“, heißt es darin, „danach lasst uns alle streben, brüderlich mit Herz und Hand.“ Das Lied von Heinrich Hoffmann von Fallersleben, es war Ausdruck der ungeheuren Sehnsucht nach Freiheit, nach Gleichheit – und nach Mitbestimmung.

„Wir müssen wieder werben, wir müssen wieder debattieren, wir müssen auch wieder streiten für Demokratie in Europa“, sagte Steinmeier auf dem Hambacher Schloss, der Blick in die Geschichte zeige eben auch, „dass Einigkeit und Recht und Freiheit alles andere als selbstverständlich sind.“ Steinmeier erinnerte auch daran, dass der Siegeszug der Demokratie in Deutschland nicht allein das Werk von Akademikern war: „Dass wir heute in Einigkeit und Recht und Freiheit leben, verdanken wir auch dem Mut von Kaufleuten, Handwerkern, Arbeiterinnen und Arbeitern“, betonte er.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier lässt sich die Druckerpresse von Johannes Gutenberg in Mainz erklären… – Foto: gik

Und der Bundespräsident erinnerte daran, dass die Demonstranten damals ein „conföderiertes republikanisches Europa“ mit Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Gleichberechtigung der Frauen gefordert hatten. In Mainz besuchte der Bundespräsident gemeinsam mit seiner Frau Elke Büdenbender denn auch den Ort, der die weite Verbreitung von Wissen und Diskussionen erst möglich machte: Im Gutenberg-Museum ließ sich das Präsidentenpaar gemeinsam mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) die Funktion der Druckerpresse erklären, die einst Buchdrucker Johannes Gutenberg erfand.

„400 Jahre lang wurde so gedruckt“, erklärte Buchdruckermeister Michael Sobotta und ließ den Präsidenten tatkräftig Hand anlegen an der Druckerpresse. „Für eine Bibel musste dieser Vorgang 1.282 Mal wiederholt werden“, sagte Sobotta nach dem Druck einer Seite. Steinmeier guckt beeindruckt. „Gutenberg war und ist in aller Munde“, sagt er, das Gutenberg-Museum „ein kulturelles Highlight dieser Stadt und dieses Landes.“

… und legt selbst tatkräftig mti Hand an. – Foto: gik

Die Gutenberg-Bibel besichtigte Steinmeier natürlich auch, traf im Anschluss junge Menschen im Druckerladen. Er wolle von ihnen „lernen, wie sie sich die mediale Zukunft vorstellen“, sagte Steinmeier. Die Inhalte der Politik seien natürlich komplex, das dürfe aber „kein Grund sein, Politik und politische Berichterstattung auf Partei-Taktik, Egotrips und markige Auftritte, auf „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“ zu reduzieren“, mahnte der Präsident.

Zuvor hatte der Bundespräsident dem Leichnam des jüngst verstorbenen Kardinal Karl Lehmann die Ehre erwiesen und sich ins Kondolenzbuch in der Augustinerkirche eingetragen. Am Mittwoch wird der Bundespräsident erneut zur Trauerfeier in Mainz erwartet. Am Mittag war Steinmeier zudem mit dem rheinland-pfälzischen Kabinett zusammengekommen – beim Mittagessen mit „gehobenem Tellergericht“ und edlen rheinland-pfälzischen Weinen: Einen Nahe-Riesling „Paradies“ vom Weingut Korrell aus Bad Kreuznach gab es. Es war nicht der einzige gute Tropfen für Steinmeier: Eine Kiste mit zwölf edlen Weinen des Landes darf der Bundespräsident mit nach Hause nehmen, darunter ein Heerkretz Riesling Großes Gewächs vom Weingut Wagner-Stempel, ein Riesling „Alte Reben“ aus dem Boppacher Hamm von Spitzenwinzer Matthias Müller, ein Blauschiefer Spätburgunder von Meyer-Näkel von der Ahr, ein Kalkmergel Spätburgunder des Spitzenwinzers Knipser.

Steinmeier bei seiner Rede am Abend im Mainzer Landtag im Landesmuseum beim Festakt 225 Jahre Mainzer Republik. – Foto: gik

Beim Gespräch in der Staatskanzlei habe sich Steinmeier intensiv nach den Vorgängen im pfälzischen Kandel erkundigt, sagte Dreyer. Dabei sei es speziell um die rechten Demonstrationen gegangen, auch darum, wie die AfD das Klima im Landtag verändert habe. Seit in Kandel ein junger afghanischer Flüchtling seine 15-jährige Ex-Freundin tötete, überrennen rechte Gruppen von außen den Ort und organisieren Proteste, darunter auch extrem Rechte wie die Identitäre Bewegung oder Der Dritte Weg.

Der Einzug von Hass und Verachtung in den politischen Diskurs machten ihm Sorgen, betonte Steinmeier am Abend in seiner Rede in Mainz: „Ich halte sie für genauso gefährlich wie die Flucht aus der Politik.“ Demokratie sei „eine anstrengende Staatsform, sie koste Zeit, Geduld und Nerven. „Politisches Engagement ist nicht immer cool und attraktiv, sondern oft unglamourös und kleinteilig“, sagte Steinmeier. Wenn „mit Häme oder Ironie auf das manchmal schwerfällige demokratische Ringen“ geblickt werde, wenn Politik verächtlich gemacht werde, „dann spielt das den Antidemokraten in die Karten.

Denn, betonte Steinmeier: „Es gibt keine Erlösung von der Politik.“ Eine Demokratie höre auf, Demokratie zu sein, „wenn sie sich über ihre liberalen Grundlagen hinwegsetzt. Demokratie bleibt nicht Demokratie ohne Menschen- und Bürgerrechte, ohne die Herrschaft des Rechts und den Schutz von Minderheiten – auch wenn manche heute, sogar in Europa, das Gegenteil behaupten“, warnte Steinmeier. Eine Demokratie brauche das Engagement ihrer Bürger, sie brauche Debatten, Sicheinmischen – und immer das Ringen um den Konsens. „Eine Welt ohne Politik ist keine bessere Welt, sie ist eine gefährliche Illusion“, warnte Steinmeier: Wie solle die Republik denn sonst die vielfältigen Interessen in unserer pluralen Gesellschaft friedlich zum Ausgleich bringen, wenn nicht durch „das zähe Ringen am Verhandlungstisch“, durch Kompromisse und durch Repräsentanten, die die Auseinandersetzung und dieses Ringen nicht scheuten?

Versammlung des Mainzer Jakobinerclubs im ehemaligen kurfürstlichen Schloss in Mainz im November 1792. – Foto: Landesmuseum Mainz via Wikimedia

„Von den Beschlüssen, die wir hier fassen, hängt das Glück vieler tausend Menschen ab“, schrieb einst der Naturforscher Georg Forster. Forster war Mitglied jenes „Rheinisch-Deutschen Freistaats“, der am 18. März 1793 in Mainz ausgerufen wurde – dem Beginn der Mainzer Republik. In der allerdings mussten die Mainzer am Ende zur Zustimmung gezwungen werden, zumindest fanden das die französischen Besatzer: Wer über die neue Republik abstimmen wollte, musste erst einen Eid auf die neue Staatsform schwören und der alten entsagen. Zahlreiche Bürger verweigerten dies – darunter Vertreter der Zünfte, die vom alten Adelsstand wirtschaftlich viel profitierte hatten, und die ihre Sonderrechte nicht einem allgemeinen Wirtschaftszugang opfern wollten.

Die Mainzer Republik hielt nur drei Monate, am Ende scheiterte sie an zwei Dingen: An den Kanonen der preußischen Truppen, die im Juni 1893 Mainz eroberten – und an der mangelnden Begeisterung der Bürger. Wenn Bürger aufhörten, sich für die Demokratie zu engagieren, wenn sie antidemokratische Akteure einfach gewähren ließen, mahnte Steinmeier, wenn „politische Kräfte Glücks- oder Heilsversprechen abgeben, oder wenn sie von sich behaupten, im Namen des eigentlichen, des „wahren Volkswillens“ zu handeln“ – immer dann sei Demokratie in Gefahr.

Die Mainzer Jakobiner, sie waren Idealisten, und sie waren bereit, für ihre Ideale sogar in den Tod zu gehen. „Nur Freiheit oder Tod!“, sangen die Mainzer Jakobiner zu den Klängen der Marseillaise, dem Freiheitslied der Französischen Revolution, deren Ideale sie verehrten. Und nicht wenige von ihnen starben, wie der Mainzer Jakobiner Adam Lux, der in Paris unter der Guillotine sein Leben verlor. „Wenn Ihr die Demokratie erreicht habt“, flehte Lux seine Landsleute an, „dann haltet sie in Ehren!“

Info& auf Mainz&: Mehr zur Mainzer Republik von 1893 lest Ihr in diesem Mainz&-Artikel sowie in unserem Bericht über den Mainzer Revolutionär Adam Lux genau hier. Die ganze Rede von Bundespräsident Steinmeier könnt Ihr hier beim Bundespräsidialamt nachlesen. Ergebnisse neuester Forschungen zur Mainzer Republik gibt es übrigens kommenden Donnerstag, den 22.3.2018: Dann stellen Studierende der Uni Mainz ab 18.00 Uhr im Mainzer Stadtarchiv wissenschaftliche Arbeiten zum Thema vor – mehr dazu hier.

 

 

 

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