Es war genau am 27. Januar vor 75 Jahren, als das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit wurde – der Tag wurde zum Jahrestag der Erinnerung an die Gräuel der Nationalsozialisten. Dem Holocaust, der systematischen Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und allen Andersdenkenden, fielen allein in Auschwitz mehr als eine Million Menschen zum Opfer. Die Erinnerung daran lebendig zu halten, ist heute wichtig wie nie – gerade angesichts zunehmender Tendenzen zur Relativierung und Verdrängung. Wir haben zu diesem Anlass einen Text aus unserem Archiv geholt, den wir 2017 zum 27. Januar geschrieben haben. Er erzählt von „Worten wie Gift und Drogen“, von Verharmlosung und Verniedlichung der Verbrechen, von der Verfolgung von Journalisten und der grundlegenden Erkenntnis: Die Erinnerung daran darf niemals enden. Niemals. Unser Text von 2017:

Es war am 27. Januar 1945, als die Rote Armee einen der wohl grauenhaftesten Orte des Zweiten Weltkriegs betraten: An diesem Tag befreiten sie das Konzentrationslager der Nationalsozialisten in Auschwitz. Sie fanden Berge von Leichen, lebendige Tote – und eine Tötungsmaschinerie mit Gaskammern. „Die Erinnerung (daran) darf nicht enden“, sagte dazu der gerade verstorbene frühere Bundespräsident Roman Herzog, „sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen.“ Das gilt im Januar des Jahres 2017 mehr denn je: Gerade in diesen Tagen sei „leider zu erleben, wie schmal der Grat zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus verläuft“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Der 27. Januar, er wird heute von vielen Demokraten mit neuer Ernsthaftigkeit begangen werden. In Mainz gibt es zahlreiche Veranstaltungen rund um den Gedenktag.

Gang im Holocaust-Mahnmal in Berlin bearbeitet- Foto Philipp Guttmann via Wikipedia
Gang im Holocaust-Mahnmal in Berlin – Foto Philipp Guttmann via Wikipedia

Es war der damalige Bundespräsident Roman Herzog, der 1996 den 27. Januar als Gedenktag in Deutschland einführte, 2005 erklärten auch die Vereinten Nationen den Tag zum Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocausts. Der Tag solle „jeder Gefahr der Wiederholung entgegen wirken“, sagte Herzog damals in seiner Proklamation. 20 Jahre danach ist das nötiger denn je: Gerade erst forderte der Rechtspopulist Björn Höcke, Landeschef der Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen, eine „180 Grad-Wende“ in der Erinnerungskultur – und meinte damit eine Abkehr von der Erinnerung an den Holocaust. Das Holocaust-Denkmal in Berlin bezeichnete Höcke als „Denkmal der Schande“, Rechtsextremismusforscher attestierten Höcke nach seiner Rede im Brauhaus-Keller eindeutige Nähe zu Rechtsextremisten wie der NPD.

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„Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“

Der Versuch, den Holocaust als „doch nicht so schlimm“ zu verharmlosen und den Deutschen ihre angebliche „Ehre“ zurückzugeben ist nichts anderes als der Versuch die Geschichte umzudeuten. „Revisionistisch“ nennen Historiker das, für Rechtsextreme ist das ein grundlegender Bestandteil ihres Bestrebens, fremdenfeindliches und antisemitisches Gedankengut wieder in der Gesellschaft zu etablieren. Das ist nicht etwa ein Ostdeutsches Phänomen allein: In Mainz spricht ausgerechnet am 27. Januar der baden-württembergische AfD-Landeschef Jörg Meuthen – und der forderte vor wenigen Tagen, NS-Gedenkstätten die Gelder zu streichen und Klassenfahrten zu diesen Gedenkstätten nicht länger zu finanzieren.

Wenn aber die Erinnerung an die uferlosen Verbrechen der Nationalsozialisten stirbt, stirbt auch das Bewusstsein dafür, was zu Diktatur und dem Ende aller Freiheitsrechte führte: Die Verfolgung nicht nur von Juden und Andersgläubigen, von Sinti und Roma, Homosexuellen und Behinderten, sondern auch von Kulturschaffenden, Künstlern, Journalisten und allen Kritisch- und Andersdenkenden. „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“, schrieb der deutsche Dichter Heinrich Heine – mehr als 100 Jahre, bevor die Nationalsozialisten 1933 genau damit begannen: Erst Bücher mit sogenanntem „undeutschem Geist“ zu verbrennen. Und dann Millionen Menschen.

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Bücherverbrennung 1933 in Berlin auf dem Opernplatz durch Studenten der Uni Berlin: Die Vernichtung unliebsamer Worte – Foto: Bundesarchiv Bild 102-14597 Georg Pahl

Erinnerung an Bücherverbrennungen und Verfolgung von Künstlern

Der Gedenktag an diesem 27. Januar macht deshalb die Verfolgung von Kunst- und Kulturschaffenden zum zentralen Thema. Zehntausende Schriftsteller, Maler, Bildhauer oder Publizisten wurden von den Nationalsozialisten verfolgt, zur Emigration gezwungen, verschleppt oder ermordet – nur weil sie jüdisch waren oder ihr Schaffen den Nazis als „minderwertig“ galt. Dazu gehörte übrigens auch der Jazzmusiker Emil Mangelsdorff, der in der NS-Zeit selbst zur verfolgten „Swing-Jugend“ gehörte – auch die Musik der Jazz- und Swinggrößen wie Louis Armstrong und Duke Ellington wurden von den Nazis als „entartete“ Musik verboten. Der Grund: Die schwarzen Wurzeln und schwarzen Protagonisten des Jazz. Wohin Rassismus führen kann, und wie nah Hetze und Verfolgung dem Ende der Freiheit sind, demonstriert dieses Beispiel sehr gut.

Der Gedenktag in diesem Jahr erinnert aber ganz besonders auch an Bücherverbrennungen und die Vertreibung von Künstlern und Autoren. Und so wurde am Donnerstagabend im Foyer des Abgeordnetenhauses des Mainzer Landtags an der Großen Bleiche die Ausstellung „Verbrannte Bücher – von den Nazis verfemte Schriftsteller“ eröffnet. Es war am 10. Mai 1933, als die Nationalsozialisten in mehreren deutschen Städten mit riesigen Scheiterhaufen Bücher, angeblich „undeutsche“ Schriften, mit großem Hallo verbrannten – es war eine regelrechte Säuberungsaktion der Bibliotheken. In den Flammen landeten unter anderem Bücher von Karl Marx, Heinrich Heine, Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht, Erich Kästner und Kurt Tucholsky. Auch die Mainzer Schriftstellerin Anna Seghers stand auf der sogenannten „Schwarzen Liste“.

Verteidigung der Pressefreiheit im Landtag

„Von der Erinnerung hängt es ab, ob Menschen die Lehren aus der Vergangenheit beherzigen“, betonte Ministerpräsidentin Dreyer bei der Eröffnung der Ausstellung. Die Demokratie in Deutschland sei stark und wehrhaft, aber nicht selbstverständlich. „Wir müssen sehr sensibel für aktuelle Gefährdungen sein“, warnte Dreyer, und versprach: „Wir werden gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus mit aller Entschiedenheit kämpfen, ganz gleich in welchem Gewand sie daherkommen.“ Das taten übrigens am Donnerstag alle demokratischen Fraktionen im Mainzer Landtag: Einmütig stellten sich SPD, CDU, FDP und Grüne vor die geltende Pressefreiheit und geißelten Ansätze der AfD, die freien Rechte zur Berichterstattung von Journalisten zu beschneiden. Hört Euch die Aktuelle Stunde dazu ruhig mal selbst an – es lohnt sich. Das Video findet Ihr hier auf der Seite des Landtags, die Aktuelle Stunde beginnt bei 1.52h.

Foto Klaus Mayer vor den Chagall Fenstern
Monsignore Klaus Mayer vor den Chagall Fenstern in St. Stephan – Foto: Bistum Mainz

Im Mainzer Landtag findet am heutigen Freitagvormittag auch die zentrale Gedenkveranstaltung des Landes zum 27. Januar statt. Im Mittelpunkt steht die Gedenkrede von Lea Rosh, der Vorsitzenden des Förderkreises Denkmal für die ermordeten Juden Europas e. V. – ihr Lebenswerk ist das 2005 in Berlin eröffnete Holocaust-Mahnmal. Am Nachmittag (15.00 Uhr bis 16.30 Uhr) lädt Monsignore Klaus Mayer in der Kirche St. Stephan zu einer Meditation zu den Chagall-Fenstern: die blauen Kirchenfenster wurden von dem jüdischen Maler Marc Chagall zwischen 1978 und 1985 als einziges Denkmal ihrer Art in Deutschland geschaffen – ein großartiges Zeichen der Versöhnung und Völkerverständigung. Wie Klaus Meyer zu den Chagall-Fenstern verhalf, das lest Ihr in dieser Mainz&-Geschichte.

Die Sprache der Nazis bereitete der Verfolgung den Weg

Am Sonntag, den 29. Januar, könnt Ihr dann bei einer Führung selbst die Folgen der irrationalen Hass-Verfolgung der Nazis gegen die Kulturschaffenden in Mainz erleben: „Auf den Spuren der Bücherverbrennung durch Mainz“ des Vereins „Geographie für alle“ startet an der Gedenktafel zur Bücherverbrennung am Rathaus am Rheinufer und erinnert mit Textauszügen an einige damals verbotene Mainzer Autorinnen und Autoren wie Anna Seghers, Carl Zuckmayer und Rudolf Frank. Es werden Stätten aufgesucht, die daran erinnern, wie zwischen 1933 und 1945 das Kulturleben in Mainz zerstört wurde. In Mainz warfen am 23. Juni 1933, dem Vorabend des Gutenbergfestes, auch die hiesige NS-Studentenschaft öffentlich Werke verfemter Schriftsteller ins Feuer – und das in der Stadt des Buchdruck-Erfinders Johannes Gutenberg.

Die Vernichtung der Juden aber, sie kam nicht aus dem Nichts, sondern war von langer Hand vorbereitet – vor allem war sie auch rhetorisch vorbereitet. „Lügenpresse“, „Schweinejude“, „Endlösung“ oder „totaler Krieg“ setzten sich als abwertende oder verherrlichende Begriffe wie winziges Gift durch andauernde Wiederholung in den Gehörwindungen der Deutschen fest, wurden alltäglich und prägten schließlich das Denken. „Worte wie Gift und Drogen. Was Sprache anrichten kann – von damals bis heute“ heißt deshalb eine Ausstellung im Mainzer Dom zum Jahrestag, die noch bis zum 30. Januar zu sehen ist.

Ausstellung Worte wie Gift und Drogen kleiner - Foto Tobias Blum
Ausstellung „Worte wie Gift und Drogen“ im Mainzer Dom – Foto: Bistum Mainz/ Tobias Blum

„Worte wie Gift und Drogen“: Sprache missbraucht und ideologisiert

Die Ausstellung zeige auf, „wie die Nationalsozialisten die deutsche Sprache konsequent in allen Lebensbereichen missbraucht und instrumentalisiert haben, um ihre menschenverachtende Ideologie in den Köpfen der Deutschen festzusetzen“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) bei der Eröffnung. Missbrauch und die Vergewaltigung der Sprache – wir erleben sie heute wieder. Ob IS, der amerikanische Präsident Donald Trump oder bei rechten Bewegungen wie Pegida oder der AfD: „Wenn Menschen jetzt öffentlich beleidigt und bedroht werden, wenn Journalisten als Lügenpresse beschimpft werden, wenn das Holocaust-Gedenken als lähmend und dämlich bezeichnet wird, dann müssen wir eingreifen“, warnte Hering. Die Demokratie, unsere heutige Demokratie, dürfe nicht „kaputt geschimpft oder gar noch einmal kaputt getrampelt“ werden.

„Mit Sprache kann man töten und sich und andere so radikalisieren, dass man gegen vernünftige Argumente immun wird“, sagte Präses Ulrich Oelschläger von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Und der Mainzer Prälat Dietmar Giebelmann, Diözesanadministrator des Bistums Mainz, ergänzte, die Ausstellung mache „die Verantwortung für jedes Wort, das wir sprechen, deutlich.“

Info& auf Mainz&: Mehr Informationen zum 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer der Nationalsozialisten, findet Ihr auf der Internetseite des Mainzer Landtags, auch das ganze Programm mit allen Veranstaltungen zum Download – genau hier. Darunter auch eine Lesung im Stadthistorischen Museum am Sonntag zu einer Cellistin aus dem Mädchenorchester von Auschwitz und vieles mehr. Mehr zur Ausstellung „Worte wie Gift und Drogen“ des Bistums Mainz samt umfangreichem Rahmenprogramm, Dauer und weiteren Ausstellungsorten findet Ihr hier beim Bistum. Unter anderem gibt es am Mittwoch, 8. März, 18.30 Uhr einen Workshop im Erbacher Hof zu „Hate Speech & Rechtsextremismus im Internet – Erscheinungsformen, Wirkungen und Gegenstrategien.“ Mehr zur Führung zur Bücherverbrennung in Mainz findet Ihr hier im Internet.

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