Ja, auch Farhad kam in einem Boot von der Türkei übers Meer nach Europa. „Ein Schlauchboot war es“, erzählt der junge Afghane: „Wäre ich nicht geflohen, ich wäre jetzt tot.“ Ermordet von den Taliban, weil er als Übersetzer für die US-Armee arbeitete. Seit November 2014 lebt Farhad nun in Deutschland, seine Erlebnisse der Flucht und des Ankommens hat er für die Ausstellung „Flucht 2.0“ verarbeitet – wie sieben andere Flüchtlinge. Seit Freitag ist die Ausstellung nun im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum zu sehen – ein Augenöffner.

Flucht 2.0 - Sufyan und Farhard in Flüchtlingsboot
Flucht übers Mittelmeer – Sufyan und Farhard in einem (nachgebauten) Flüchtlingsboot – Foto: gik

„An Odyssey to Peace“ lautet der Untertitel der Ausstellung, und genau das war die Flucht für die acht Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und Eritrea, deren Erlebnisse in die Ausstellung einflossen: Eine Odyssee zum Frieden, weg von Krieg, Tod, Leid und Bedrohung. Rund 27.700 Flüchtlinge kamen 2015 aus den Krisenstaaten Syrien, Afghanistan, Pakistan, Iran oder aus Afrika nach Rheinland-Pfalz, sie alle flohen, weil sie keinen anderen Ausweg sahen.

„Keiner wird freiwillig Flüchtling“, sagt Sufyan. Der 25-Jährige floh 2013 aus Pakistan, nachdem sein Vater verschleppt und er selbst von korrupten Kommunalpolitikern mit dem Tode bedroht wurde. „Niemand verlässt freiwillig seine Familie, sein Leben, seine Heimatland“, sagt Sufyan, „mit dieser Ausstellung wollen wir den Menschen zeigen, warum wir geflohen sind.“

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Entstanden ist die Ausstellung in Zusammenarbeit von acht Flüchtlingen mit der Kunstdozentin Doaa Elsayed und der Journalistin Jeanette Schindler. In sechs Stationen zeigt die kleine Schau die Ausgangssituation im Heimatland, den Aufbruch, den langen Marsch, die Flüchtlingslager und die Flucht über das Mittelmeer bis zum Ankommen in Europa. Gleich die erste Station macht mit Trümmern und Schutt klar, worum es hier geht: Hier sind Menschen geflohen, weil ihre Heimat nicht mehr existiert.

Flucht 2.0 - Sehnsucht nach Europa am Zaun
Sehnsuchtsort Europa hinterm Zaun – Ausstellung Flucht 2.0 – Foto: gik

Persönliche Fotos der Flüchtlinge, aber auch Facebook-Einträge von Geflüchteten und von Schleusern dokumentieren die übrigen Stationen der Flucht und zeigen ganz nebenher auch, warum Handys und Smartphones so wichtig für Flüchtlinge sind. Dazu ergänzen Videointerviews sowie selbst gedrehte Kurzfilme das Bild von den unvorstellbaren Strapazen der Flucht. Eine winzige Barracken mit einer fleckigen Matratze auf dem kahlen Boden macht die Bedingungen sichtbar. Ein nachgebauter Kutter bildet den Blickfang der Ausstellung und macht deutlich: mit solch winzigen und alten Booten kommen die Menschen tatsächlich übers Mittelmeer.

In dem Boot kann man selbst Platz nehmen, trotzdem hat die Ausstellung nichts Reißerisches. Die Filme, die Fotos, die persönlichen Gegenstände von der Flucht gehen unter die Haut, machen deutlich, auf welche winzigen Bereiche die Flucht das Leben der Geflüchteten reduziert. „Die Menschen auf der Flucht haben eine andere Vorstellung ihrer Geschichte, als man manchmal denkt oder als man es sieht“, sagt Elsayed. Die Ausstellung zeigt die Perspektive der Geflüchteten, gibt ihren Geschichten einen Raum, ihnen selbst eine Stimme. „Uns ist ganz besonders wichtig, dass wir damit eine Brücke zwischen den Menschen auf der Flucht und der Gesellschaft hier bauen“, sagt Elsayed.

Flucht 2.0 - Station Aufbruch
Flucht 2.0: Warum fliehen die zu uns? – Foto: gik

„Wir wollen bewusst eine Antwort geben, den Versuch einer Antwort auf die Frage nach der Flucht“, sagte Generalvikar Dietmar Giebelmann vom Bistum Mainz im Vorfeld der Ausstellung. Die Ausstellung solle „zeigen, dass hinter all dem eigene Lebensgeschichten stehen.“ Das Thema Flüchtlinge sei für das Bistum Mainz ein wichtiges, gerade nach der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, bei der die Flüchtlings-feindliche Alternative für Deutschland (AfD) hohen Zuspruch bekam, gelte es die Gründe für die Flucht deutlich zu machen.

„Wir wollen, dass die Flüchtlingskatastrophe ein Gesicht bekommt, damit wir nicht von Obergrenzen reden, sondern von Menschen und ihren Schicksalen“, betonte Giebelmann. Nach der großen Ausstellung „Schrei nach Gerechtigkeit“ sei auch diese kleine Sonderschau wieder ein „Schrei nach Gerechtigkeit.“ Die Ausstellung sei deshalb auch bewusst als Wander-Ausstellung konzipiert und solle „ein Mahnmal durch die Republik sein, dass sich die Gäste, die wir aufnehmen, auch einbringen“, wünschte sich der Generalvikar.

Flucht 2.0 - Ankommen
Akteure statt Objekte: Flucht 2.0 gibt Flüchtlingen eine Stimme – Foto: gik

„Wir wollen das Ziel erreichen, dass die Geflüchteten nicht nur ein Objekt der Ausstellung sind“, sagte auch Elsayed: „In dem Moment, wo sie Akteure sind, haben wir das Ziel der Integration erreicht.“ Dazu passt, dass die meisten derer, die die Ausstellung mitgestalteten, schon eine ganze Weile hier sind. Farhad hat mehrmonatige Integrationskurse hinter sich und arbeitet heute in einer Sicherheitsfirma.

Die Deutschen seien besorgt, fragten viel, warum die Flüchtlinge hier seien, erzählt er. „Mit der Ausstellung können wir viele Fragen beantworten“, sagt der 27-Jährige. Und dann erzählt er noch, dass seine Brüder in Afghanistan „keine Chance“ auf ein Leben hätten: „Entweder sie sterben dort, oder sie können sich hier ein neues Leben aufbauen.“ Und dass er seit anderthalb Jahren hier ist, aber bei der Ausländerbehörde bis heute keinen Termin bekommen hat.

Noch immer aber ist seine Frau in Afghanistan, wie er sie retten kann – Fayed weiß es nicht. „Manchmal denke ich, ich gehe zurück“, sagt er leise, „und kämpfe lieber bis zum Tode. Denn ohne sie macht das Leben doch keinen Sinn.“

Info& auf Mainz&: Die Ausstellung „Flucht 2.0 – An Odyssey to Peace“ ist noch bis zum 1. Mai 2016 im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum, gleich hinterm Dom in Mainz zu sehen. Eintritt: 4,- Euro, ermäßigt 2,- Euro, es gibt Familienkarten. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 Uhr bis 18.00 Uhr, an Ostern ist allerdings zu. Jeden Samstag um 15.00 Uhr und Sonntag um 14.00 Uhr gibt es öffentliche Führungen mit den Flüchtlingen.

Jeden Mittwoch gibt es eine Abendöffnung: Ab 17.00 Uhr kann man durch die Ausstellung gehen, ab 18.00 Uhr schließt sich eine Gesprächsrunde dazu an. Thema am 23. März und am 13. April:“Flucht damals und heute“. Am 6. April gibt es um 18.00 Uhr eine Podiumsdiskussion mit den Machern der Ausstellung sowie mit Bistum, Pfarrern und dem Mainzer Integrationsministerium. Am 22. April gibt es um 19.30 Uhr ein interkulturelles Konzert. Mehr zur Ausstellung und das Rahmenprogramm im Ausstellungs-Flyer findet Ihr hier im Internet.

 

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