Das ist ein Schock: Jürgen Dietz, der „Bote vom Bundestag“ ist tot. Der 73 Jahre alte Fastnachter starb am Samstagnachmittag im Kreis seiner Familie. Dietz hatte offenbar ein Tumorleiden, das er nie groß publik machte. Mit ihm geht einer der ganz Großen der Mainzer Fastnacht: genauer Beobachter der Politik, scharfzüngiger Pointen-Drechsler, Aushängeschild von „Mainz bleibt Mainz“. Mainz trauert um den „Boten von Bundestag“ und den Menschen Jürgen Dietz.

Scharfzüngige "Bote vom Bundestag": Mainz trauert um Jürgen Dietz - Foto: gik
Scharfzüngige „Bote vom Bundestag“: Mainz trauert um Jürgen Dietz – Foto: gik

„Wolle mer uns e schöne Abend machen, oder sind sie auch in der FDP?“ So begann Jürgen Dietz 2014 seinen Vortrag, es war typisch für ihn: Ein Satz, eine Pointe – und schon war man mitten drin im großen Politik-Spiel. Dietz fiel quasi mit der Tür ins Haus, und tat dies doch stilvoll und elegant. Keiner konnte so mit der Sprache spielen wie der „Bote“, Dietz hat voller Lust Sprachgewohnheiten und Bekanntes verdreht, und so Phrasen und Macht-Allüren enthüllt.

SWR: „Tod von Dietz reißt eine Riesenlücke“

Die Fernsehsitzung ohne den „Boten vom Bundestag“ – eigentlich unvorstellbar! Fast 30 Jahre stand Dietz auf der Mainzer Fernsehbühne, jedes Jahr, nie krank, eine absolute Konstante. Ausgerechnet zum 60. Geburtstag von „Mainz bleibt Mainz“ ist nun eines ihrer großen Markenzeichen gestorben.

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„Der Tod von Jürgen Dietz reißt eine Riesenlücke, die heute gar nicht und in Zukunft nur sehr schwer zu füllen sein wird“, sagte Günther Dudek vom SWR am Sonntag: „Unser Mitgefühl gilt der Familie.“ Und die Verantwortlichen vom SWR, die in diesem Jahr die Sendung stemmen, wollen überlegen, ob und wie „Mainz bleibt Mainz“ einem seiner wichtigsten Akteure gedenken wird. Montagabend will der SWR das entscheiden.

 

MCV: „Brillianter Redner, Organisator Fastnachter“

Dietz stand wie kein anderer für die politisch-literarische Fastnacht von Mainz. Seine ersten närrischen Schritte tat der Mainzer – geboren am 15. August 1941 – Ende der 1950er Jahre in der Bodenheimer Gaststätte „Zum Rheintal“. Seine närrische Heimat wurde später erst der Mainzer Carneval-Club (MCC), dann der Mainzer Carnevals-Verein (MCV). Dietz war Komiteeter, Vizepräsident und Programmchef der MCV-Sitzungen.

Jürgen Dietz als "Bote vom Bundestag" 2006 bei "Mainz bleibt Mainz" - Foto gik
Jürgen Dietz als „Bote vom Bundestag“ 2006 bei „Mainz bleibt Mainz“ – Foto gik

„Er war ein brillanter Redner, Organisator, Fastnachter, der in der Rolle als Bote des Bundestages weit über die Grenzen von Mainz bekannt und beliebt, in unnachahmlicher Art und Weise mit Humor und Witz die politisch, literarische Fastnacht verkörperte“, sagte MCV-Präsident Richard Wagner am Sonntag:  „Wir alle sind sehr traurig und betroffen.“

„Bote vom Bundestag“ 1987 kreiert

Zehn Jahre lang spielte Dietz verschiedene Rollen auf der närrischen Rostra, war Hobbykoch, Bruder Grimm oder Bankier Jakob Fugger. 1978 stand er bereits ein erstes Mal bei der Mainzer Fernsehfastnacht auf der Bühne, als „Simplicius Simplicissimus.“

Die Rolle seines Lebens schuf Dietz 1987, inspiriert von einem Besuch im Bundestag in Bonn. Die steifen Saaldiener hatten es Dietz angetan, als scharfer Beobachter vom Rande kommentierte er fortan das Geschehen in der hohen Politik – scharfzüngig, das Ohr am Volk, zuweilen moralisch, aber immer mit tiefsinnigem Humor. „Der Misthaufen bleibt, die Fliegen wechseln“, war sein Leitmotto. Die Regierungen wechselten, der „Bote“ blieb, auch der Stil seiner grauen Kulissen.

 

Pointen wie Pfeile nach Rechts wie Links

27 Jahre lang geleitete der „Bote vom Bundestag“ die Zuschauer bei „Mainz bleibt Mainz“ durch das Dickicht der Politik. Wenn die Bühnenschieber sein graues Pult mit dem Bundes-Adler auf die Bühne schoben, stieg  die Spannung im Saal und an den Bildschirmen. Dietz war konservativ, doch er schonte niemanden, weder rechts noch links. Nur manchmal, da verirrte sich der Narr in Richtung frauenfeindlicher Witze und man wunderte sich: Das hat der Dietz doch gar nicht nötig…

Meist aber saßen seine Pointen wie Pfeile: „Entschuldigen Sie, dass ich etwas später kam. Ich kam nicht rein – der Aufschwung stand vor der Tür“, begann Dietz seinen Vortrag im Jahr 2007. 2014 sagte er mit Blick auf die Bundestagswahl 2013: „Politiker auf Plakaten finde ich praktisch: Tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“ Dem damaligen Kanzleramstchef Ronald Pofalla (CDU) schickte Dietz diesen Satz: „Pofalla ist so geschickt – keiner weiß von wem.“ Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière musste sich dies anhören: „Ich schwöre, bei Schaden mich vom deutschen Volke abzuwenden.“

Der "Bote vom Bundestag" Jürgen Dietz bei "Mainz bleibt Mainz" 2014 - Foto: gik
Der „Bote vom Bundestag“ Jürgen Dietz bei „Mainz bleibt Mainz“ 2014 – Foto: gik

Politik „im verflixten 7. Jahr unter Merkel“

Dietz kommentierte spitz die hohe Politik „im verflixten 7. Jahr unter Merkel“ (2012), und machte auch vor rechten Horden nicht Halt: „Es ist doch paradox, wenn ein Skinhead ungeschoren davon kommt.“ Beißend war sein Wortwitz, der Mann selbst aber eher zurückhaltend. Abseits der Bühne stand Dietz oft still am Rand, was nicht bedeutete, dass er nicht selbstbewusst seine Position vertreten hätte… Und ja, ein bisschen eitel war er wohl auch, der „Bote vom Bundestag“, wen wundert’s.

Ein Revolutionär war Dietz gewiss nicht, Linke, SPD und Grüne nahm er besonders gern aufs Korn. „Lieber ein Haus im Grünen, als einen Grünen im Haus“, kommentierte Dietz 2014 die neue schwarz-grüne Regierung in Hessen. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel bescheinigte Dietz 2014 „orale Inkontinenz – er kann sein Wort nicht halten.“ Doch auch die Kanzlerin bekam zunehmend ihr Fett ab: „Angela Merkel sagte: Wo sind meine Krücken? Da kamen sie gerannt – Altmeier und Kauder.“

 

Firma für Medizintechnik, Herz für Schwache

Aber auch die Bahn, das Gesundheitssystem, das Fernsehen – niemand war vor Dietz‘ scharfer Feder sicher. Im wahren Leben war der gelernte Kaufmann Chef einer Firma für Medizintechnik in Mainz und Erfurt, seine Tochter Nanette Gebauer-Dietz leitete das Unternehmen gemeinsam mit dem Vater. Und Dietz hatte ein großes Herz für die Schwachen, engagierte sich bei der „Mainzer Tafel“. 2014 schickte er medizinische Hilfsgüter im Wert von rund 200.000 Euro für Flüchtlinge Richtung Syrien.

Das war seine Bühne: Jürgen Dietz als "Bote vom Bundestag" vor der Kulisse von "Mainz bleibt Mainz" 2014. - Foto: gik
Das war seine Bühne: Jürgen Dietz als „Bote vom Bundestag“ vor der Kulisse von „Mainz bleibt Mainz“ 2014. – Foto: gik

Dass Dietz einen Tumor hatte, wollte er nicht groß bekannt werden lassen. Als der „Bote“ vor einigen Tagen die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, sagte  Tochter Nanette Gebauer-Dietz zu Mainz&, ihrem Vater gehe es „so ganz gut.“ Dietz wolle nicht auftreten, weil man für die Fastnacht richtig fit sein müsse. Dass es nun so schnell gehen würde, ahnte kaum einer, am Samstagnachmittag starb Jürgen Dietz.

Seine Vorträge beschloss der Altmeister immer mit demselben Satz, es war eine Anspielung auf die einstige Hymne deutschen Größenwahns, dem „Deutschland, Deutschland über alles.“ Auch dies nahm Dietz aufs Korn, hintersinnig, treffend und leise: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles wächst mal Gras. Ist das Gras ein Stück gewachsen, frisst’s ein Schaf und sagt: das war’s.“

Mainz trauert um Jürgen Dietz. Er wird uns fehlen.

Info& auf Mainz&: Einen Nachruf zu Jürgen Dietz findet Ihr auf dieser Seite des SWR. Dort könnt Ihr auch Reden des „Boten vom Bundestag“ nachhören.