Am Donnerstag geht es los mit der Straßenfastnacht, Weiberfastnacht, Rosenmontag, Umzüge. Am Montag begann die Mainzer Polizei damit, in den Flüchtlingsunterkünften der Stadt, die Menschen über das Phänomen Fastnacht aufzuklären, vor allem aber über die Regeln, die auch dann weiter gelten. Es ist ein schwieriger Spagat – die meisten Geflüchteten haben noch nie einen Karneval erlebt. So prallte gute gemeinte Polizeiaufklärung auf Sprachbarrieren und Kulturschranken. Die eigentliche Aufklärung leisten am Ende die Betreuer in den Einrichtungen.

Flüchtlingskinder studieren den Flyer der Polizei
Was steht da wohl drin? Flüchtlingskinder studieren den Flyer der Polizei zu Fastnacht – Foto: gik

Rund 60 Flüchtlinge drängten sich am Montag in dem kleinen Aufenthaltsraum, nicht alle wussten auch warum. „Warum versammeln sich die Leute hier?“, fragte eine Frau aus Afghanistan. Dass es um Fastnacht gehen sollte, war nicht auf den ersten Blick ersichtlich: Keine Papierschlangen, keine roten Nasen, nicht einmal Fotos von Rosenmontag.

„An Fastnacht gelten die gleichen Regeln wie sonst auch“, doziert ein Polizist vorne im Raum mit leiser Stimme, „was die Polizei darf und was nicht, ist in Gesetzen geregelt.“ Dass man die Polizei nicht bestechen darf, erfahren die Flüchtlinge, dass sie Menschen kontrollieren und Störer festnehmen dürfen, dürfte schon wichtiger sein. „Welche Erwartungen haben wir an die Besucher?“ führt der Polizeimann weiter aus und erklärt, dass Polizisten nicht beleidigt werden dürfen, Polizistinnen die gleichen Rechte haben, und dass die Besucher bitte bei Vorfällen eine Gasse bilden sollen.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Die meisten hier im Raum haben aber eigentlich ganz andere Fragen: „Wo findet denn da was statt?“, fragt eine Frau. Fastnacht – mit dem Wort hier kann keiner etwas anfangen. Karneval, davon haben sie schon mal gehört, erlebt haben einen aber die wenigsten hier schon mal. „Der Donnerstag ist nur für die Frauen, richtig?“ fragt ein Eifriger, „und ich als Mann darf dann nicht tanzen.“ Nun ja.

Die Idee zu den Aufklärungsveranstaltungen wurde nach der Silvesternacht von Köln geboren, nachdem junge Männer, vorwiegend aus Nordafrika, auf der Domplattform zu Dutzenden junge Frauen gejagt, begrabscht und beklaut hatten. Die Polizei entwickelte eilig ein Konzept zur Vorbeugung, fünf Informationsveranstaltungen soll es in den großen Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes in Mainz und Umgebung in diesen Tagen geben. Dazu wird ein Flyer in vier Sprachen verteilt – in Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch.

Powerpoint für Flüchtlinge
Powepoint mit viel Text – Infoveranstaltung der Mainzer Polizei für Flüchtlinge über Fastnacht – Foto: gik

Auch der Dolmetscher vorne im Raum spricht Arabisch, viele Flüchtlinge verstehen kein einziges Wort. Farsi, das Persische, sprechen sie, sagt eine Frau aus Afghanistan, Vortrag und Übersetzung gehen komplett an ihnen vorbei. „Man hätte mal einen Film über Rosenmontag zeigen sollen“, sagt eine ehrenamtliche Helferin Kopf schütteln, „oder wenigstens Fotos zeigen.“

Dabei ist die Intention durchaus honorig, der Inhalt wichtig: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, betont der Polizeibeamte vorne, und dass freizügige Kleidung und fröhliches Feiern an Fastnacht dazu gehören, aber „keine Aufforderung zu Intimitäten“ sind. „Niemand darf gegen seinen Willen angefasst werden“, der Satz ist da schon verständlicher, sexuelle Gewalt sei verboten, Diebstahl werde nicht toleriert. „Die Begehung von Straftaten kann direkte Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus haben“, warnt der Beamte, ein wichtiger Satz. Ob er auch ankommt, ist fraglich.

Man wolle deutlich machen, dass die Fastnacht ein friedliches Volksfest sei, sagt der Mainzer Polizeipräsident Reiner Hamm, und dass alle eingeladen seien mitzufeiern – solange sie sich an die Regeln hielten. „Wir wollen einen kurzen Überblick geben, was Fastnacht ist, dass es ein friedliches Fest ist und dass man sich an die Regeln halten muss“, sagte Achim Hansen von der Pressestelle der Mainzer Polizei.

„Ich glaube, wir haben die Flüchtlinge noch nicht da abgeholt, wo sie stehen“, sagt der Kreisgeschäftsführer des Roten Kreuzes in Mainz, Frank Panscher, nach der Veranstaltung skeptisch. Für die meisten Flüchtlinge sei das Thema Fastnacht komplettes Neuland, berichtet Honda Karn, Sozialpädagogin in der Erstaufnahmeeinrichtung. Karn weiß, wovon sie redet, sie kam selbst 2006 aus Marokko nach Mainz.

Kommissbrotbäckerei mit Flüchtlingen
Die Kommissbrotbäckerei ist derzeit Erstaufnahmeeinrichtung des Landes für Flüchtlinge – Foto: gik

Ihre erste Fastnacht sei eine seltsame Erfahrung gewesen, erinnert sie sich: Auf einmal machten die ernsten Deutschen Party, schrieen Helau – „sind das wirklich die Deutschen, die ich in den letzten Monaten kennen gelernt habe?“ war ihr erster Gedanke. Weiberfastnacht dann aber, das sei „eine tolle Erfahrung gewesen“, sagt sie strahlend. Die Fastnachtskultur – sie ist definitiv erklärungsbedürftig, das gilt ja schon für alle deutschen Regionen außerhalb der Fastnachtshochburgen 😉

Bei den Flüchtlingen aus dem arabischen Raum kommen noch andere kulturelle Hürden hinzu. In Syrien etwa, berichtet Karn, habe es die Tradition von Verkleidungsparties für Singles gegeben – an deren Ende werde geheiratet. „Da kam schon die Frage, ob das hier auch so ist“, berichtet sie.

Tatsächlich leisten die eigentliche Aufklärung darüber, was Fastnacht ist und was nicht, eher die Betreuer in den Einrichtungen. „Wir zeigen denen Filme auf Youtube“, sagt Karn. Die Kinder in der Einrichtung seien auch schon auf einer Fastnachtsveranstaltung gewesen, „wir haben Kostüme für die gekauft“, sagt die Sozialpädagogin. Dass es Umzüge gebe und dabei Bonbons, auch das wissen die Kleinen schon.

Zum Jugendmaskenzug würden sie ja gerne mit den Kindern gehen, sagt Karn, „aber wir haben nicht genug Personal.“ Also, Leute, das Rote Kreuz in der Kommissbrotbäckerei sucht noch Ehrenamtliche, die die Kids mit zum Zuge nehmen – tut ein gutes Werk und meldet Euch!

Am Ende hatte die Polizei dann auch noch ganz praktische Tipps für die Flüchtlinge: „Seien Sie vorsichtig mit  Alkohol“, riet der Beamte, „und geben Sie Ihren Kindern einen Zettel mit, mit Name und Adresse.“ Das dürfte ein guter Tipp gewesen sein – die meisten Flüchtlinge, sagte Karn noch, könnten sich nicht wirklich vorstellen, dass 500.000 Menschen an Rosenmontag nach Mainz kämen…

Info& auf Mainz&: Abseits der Flüchtlingsinfos hat die Mainzer Polizei ein umfassendes Sicherheitskonzept erstellt, das unter anderem Mobile Einheiten, Polizei-Anlaufstationen und Rückzugsräume für Frauen entlang des Zugwegs vorsieht. Mehr dazu lest Ihr in den Mainz&-Artikeln „Flüchtlingen Fastnacht erklären“ und „Jede Uniform ein Helfer“.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein