„Jeder Narr ist frei“ – die wichtigste Regel des Närrischen Grundgesetzes in der Mainzer Fastnacht betont nichts weniger als die Meinungsfreiheit. Von alters her wird in der Mainzer Narrenhochburg großen Wert auf die freie Narrenrede gehalten: Der Narr schaut hier traditionell „dem Volk aufs Maul“ und hält der Obrigkeit den Spiegel vor. Kein Wunder, dass sich die Mainzer Narren auch ein „Närrisches Grundgesetz“ gaben – am 11.11. wird es traditionell der Narrengemeinde verkündet. Mainz& dokumentiert die elf Artikel.

Countdown für die Elf auf dem Balkon des Osteiner Hofes am 11.11. in Mainz. - Foto: gik
Countdown für die Elf auf dem Balkon des Osteiner Hofes am 11.11. in Mainz. – Foto: gik

Die Mainzer Fastnacht entstand maßgeblich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, es war eine Zeit, in der die Nationen in Europa vom Kampf um Freiheit und Menschenrechte geprägt waren. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, die Werte der Französischen Revolution, bewegten auch die Menschen in den deutschen Splitterstaaten, sie verbanden sie mit dem Ruf nach Freiheit und Einigkeit des deutschen Reiches – was sich 1871 realisierte. Die Charta der Menschenrechte war das große Vorbild, kein Wunder, dass sich das auch auf die Narren auswirkten.

„Der 11.11. steht in der Fastnacht dafür, dass einer neben dem anderen steht, man in Einigkeit und Brüderlichkeit füreinander da ist und die gemeinsame Arbeit zum Gelingen des schönsten Mainzer Festes gewürdigt wird“, erklärt denn auch MCV-Präsident Hannsgeorg Schönig die heutige Deutung. Ob Gardist, Feldmarschall oder Generalfeldmarschall, Trommler, Fahnenschwenker oder unzählige andere: In der Fassenacht könne einer nicht ohne den anderen sein, jeder profitiere voneinander.

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Die Elf: Zahl der Anarchie, der Magie und Teufels

Tatsächlich war die Zahl 11 eher die geheimnisvolle Zahl, die Zahl der Anarchie – und des Teufels. „Ähnlich wie die Figur des Narren, steht die 11 außerhalb der Normen“, wissen die Fastnachtshistoriker: Theologisch gesehen sei die Zahl 11 um eins höher als bei den Zehn Geboten, unterschreitet aber um eins die Zahl der zwölf Jünger Jesu. Damit enzieht sich die 11 der kirchlichen Ordnung, sie steht zwischen den geradlinigen, heiligen Zahlen – und sie spiegelt sich quasi selbst. Als Primzahl, die nur durch sich selbst oder eins teilbar ist, bildet sie zusammen mit der Zahl 13, die allgemein als Unglückszahl gilt, einen sogenannten Primzwilling.

Musikzug der Füsiliergarde am Schillerplatz, mit der Elf auf dem Helm. - Foto: gik
Musikzug der Füsiliergarde am Schillerplatz, mit der Elf auf dem Helm. – Foto: gik

Die Elf galt deshalb als Zahl der Maßlosigkeit, ja, als geradezu teuflische Zahl: sie kennzeichnete alle Menschen, die sich außerhalb der festgelegten Sittengesetze begeben hatten. Das trifft natürlich genau auf den Narren zu, der über die Stränge schlägt, sich den Kleiderordnungen entzieht, ja jeglicher Ordnung überhaupt – und so die üblichen Regeln und Gebräuche in Frage stellt. Dieses Infragestellen ist denn auch ein Brauch, den schon die Römer in der Antike kannten – und bei den Saturnalien feierten.

In der christlichen Zeit wurde zunächst vor allem der Karneval im Rhein zur Zeit der großen Ausschweifung vor dem beginn der Fastenzeit – auch der 11.11. passt in den kirchlichen Kalender: Denn der 11.11., an dem auch St. Martin gefeiert wird, liegt genau 40 Tage vor Winteranfang, der zeitlich fast mit Weihnachten zusammenfällt.

Am 11.11. um 11.11 Uhr wird das Närrische Grundgesetz verkündet. - Foto: gik
Am 11.11. um 11.11 Uhr wird das Närrische Grundgesetz verkündet. – Foto: gik

Bemerkenswert am Närrischen Grundgesetz, wie es in Mainz verkündet wird, ist denn auch die Betonung der Narrenfreiheit, so heißt es in Artikel 7: „Die Fastnachtsvereine (…) müssen unsere Fastnacht gegen Mucker und Philister schützen und dafür sorgen, dass die Narren dem Volk auf´s Maul schauen und des Volkes Meinung kundtun.“ Mucker und Philister sind übrigens Miesepeter, Stimmungskiller und Nörgler. Und überhaupt ist mit dem Närrischen Grundgesetz jeder Mainzer Bürger zur Erhaltung der Narrenfreiheit aufgerufen. Und übrigens: „Es soll niemand wegen Humormangel benachteiligt oder wegen seiner Wichtigtuerei bevorzugt werden.“ 

Die elf Gebote des Närrischen Grundgesetzes

Präambel

Unsere goldige Mainzer Fastnacht soll für alle nachfolgenden Generationen und für alle Narren, die noch kommen werden als das schönste, größte und auch älteste Volksfest erhalten bleiben – Wer’s ganze Jahr feste arbeitet, der darf an Fastnacht auch feste feiern.

Artikel 1

Die Würde eines jeden Narren ist unantastbar. Jeder Mainzer Bürger ist zur Erhaltung der Narrenfreiheit aufgerufen. Alle, auch unsere Beamten bei den Behörden und bei der Stadtverwaltung haben das närrische Treiben zu erhalten, denn die Fastnachter lassen sich für ihre Narrheiten nicht bezahlen, weil sie unbezahlbar sind.

Alle Narren sind gleich - wie bei der großen Party auf dem Mainzer Schillerplatz. - Foto: gik
Alle Narren sind gleich – wie bei der großen Party auf dem Mainzer Schillerplatz. – Foto: gik

Artikel 2

Alle Narren sind gleich, ob Gardist oder Feldmarschall, ob Präsident oder Büttenschieber. Denn es ist ja nur ein Spiel, das zur 5. Jahreszeit aufgeführt wird. Doch auch bei einem Spiel hat jeder seine Pflichten. Es soll niemand wegen Humormangel benachteiligt oder wegen seiner Wichtigtuerei bevorzugt werden.

Artikel 3

Jeder Narr ist frei. Aber die Freiheit endet dort, wo des anderen Narren Freiheit beginnt. Die Narren wollen miteinander und nicht gegeneinander feiern.

 Artikel 4

Jeder Narr solle seine Fröhlichkeit nicht im Alkohol, sondern im gemeinsamen Erleben finden. Gelobt sei jeder Narr, der auch im nüchternen Zustand närrisch ist.-PROST!

Aktivenschar der Fernsehsitzung "Mainz bleibt Mainz"; Redner, Sänger , Ballett und Büttenschieber vereint. - Foto: gik
Aktivenschar der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“; Redner, Sänger , Ballett und Büttenschieber vereint. – Foto: gik

Artikel 5

Alle Gardisten, Büttenredner, Fahnenschwenker, Komiteeter, Schwellkopfträger, Fastnachtssänger, Liederdichter Ballettmädchen, Scheierborzeler und Schnorrer stehen unter dem Kommando des Prinzen Karneval im Namen von Gott Jokus. Hierüber wacht das kritische Mainzer Volk durch regen Besuch der Sitzungen, der Bälle, der närrischen Umzügen und der Straßenfastnacht.

Artikel 6

Alle in Mainz geborene, aber auch alle zugezogene Mainzer sollen sich während der närrischen Tage kostümieren und närrisch geben, auf dass die Tradition erhalten bleibt. Die Narrenflagge, mit der wir unsere Fenster und Straßen schmücken ist rot-weiß-blau-gelb.

Artikel 7

Die Fastnachtsvereine, ob Garden oder Korporationen müssen unsere Fastnacht gegen Mucker und Pfilister schützen und dafür sorgen, dass die Narren dem Volk auf’s Maul schauen und des Volkes Meinung kundtun.

Das Nationalgericht "Weck, Worscht und Woi" als Zugplakettcher. - Foto: gik
Das Nationalgericht „Weck, Worscht und Woi“ als Zugplakettcher. – Foto: gik

Artikel 8

Das Nationalgericht ist „Weck- Worscht- Woi“, denn Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Wir lassen uns auch das beste Essen nicht zweimal durch den Kopf gehen. Und wir trinken nicht mehr als unser Portemonnaie verträgt. – Gott Jokus sei unserer Leber gnädig.

Artikel 9

Der närrische Gruß vom 1. Januar bis zum Aschermittwoch heißt „Helau“. Er ist möglichst oft und möglichst laut zu rufen oder zu singen.

Artikel 10

Von Neujahr bis zum Aschermittwoch können alle Mainzer und Mainzerinnen zu närrischen Diensten verpflichtet werden. Wer den Einsatz an Konfettikanonen oder Holzgewehren aus Gewissensgründen verweigert, kann einen Ersatzdienst als Büttenredner oder Sänger leisten, soweit dies dem Volk zuzumuten ist.

 Artikel 11

Wir wollen uns nicht zu ernst nehmen. Denn jeder von uns ist nur ein kleiner Teil unserer Fastnacht. Miteinander wollen wir fröhlich sein. Es lebe die Fastnacht.

(von H. Schenk – überarbeitete Fassung vom 11.10.2023, Carlo von Opel und H. Schönig)

Info& auf Mainz&: Mehr zur Narrenparty am 11.11. im Jahr 2023 lest Ihr hier bei Mainz&.