Der französische Sportartikelhersteller Decathlon wird nach Mainz kommen, da ist sich Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte (FDP) ganz sicher. Sittes Plan: In zwei Schritten vorgehen. Erst einen Flagship-Store als Türöffner in kleinerer Form in der Innenstadt, dann eine große Filiale im Alten Postlager am Hauptbahnhof – so könnte es aus Sicht des Dezernenten gelingen, Decathlon doch noch – nach jahrelangen Diskussionen und vielen Hindernissen – den Weg nach Mainz zu ebnen. Überhaupt sei es um den Einkaufsstandort Mainz gar nicht so schlecht bestellt, meint der FDP-Politiker: Gerade einmal 4,3 Prozent Leerstand, breit aufgestellter Einzelhandel – Sitte ist gar nicht so unzufrieden. Unser großes Mainz&-Interview zu Einzelhandel und Zentrenkonzept. Die Fragen stellte Chefredakteurin Gisela Kirschstein.

Porträt Christopher Sitte
Christopher Sitte, FDP, Wirtschaftsdezernent von Mainz – Foto: gik

Mainz&: Herr Sitte, alteingesessene Geschäfte geben reihenweise auf, Läden stehen leer, der Produktmix sinkt – wie schlimm steht es um den Einkaufsstandort Mainz?

Sitte: Nein, es ist wirklich nicht so schlimm, die Situation in Mainz ist stabil-gut. Wenn man im Kirschgarten steht, hat man natürlich das subjektive Empfinden: wir haben ein Leerstandsthema. Das kann den Eindruck erwecken, wir hätten überall in der Stadt ein Problem. Aber das aktuelle Einzelhandelsmonitoring hat ja gerade gezeigt: 4,3 Prozent Leerstand, das ist für eine Stadt unser Größenordnung nicht viel. Dort, wo wir früher Leerstände hatten, etwa in der Gaustraße, haben wir keine mehr. Das heißt nicht, dass es nicht noch Probleme gibt. Aber wir jammern auf einem hohen Niveau, das Monitoring zeigt das. Wir waren in vielen, vielen Städten, wir können uns glücklich schätzen, was wir für einen breit aufgestellten Einzelhandel in Mainz haben.

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Mainz&: Wirklich? Und die Probleme im Kirschgarten, die häufigen Wechsel, die lange leer stehenden Läden? Dass alteingesessene Läden verschwinden?

Sitte: Da haben Sie schon Recht, das mit den älteren Läden ist so. Aber Handel ist Wandel, und wo welche weg gehen, kommen in der Regel welche nach. In der Altstadt sehen wir ein Problem in den sehr hohen Mietforderungen. Die Tendenz ist zu versuchen, das Maximum herauszuholen, man nimmt dann Leerstand in Kauf. Wenn man da überzieht, passiert genau das, was wir jetzt haben: immer wieder Leerstände. Aber wir als Stadt haben da keinen Einfluss darauf.

Mainz&: Wirklich nicht? Kann die Stadt nicht etwa mit einem Runden Tisch Eigentümer, Geschäftsleute und Anwohner zusammenholen und gemeinsam eine Strategie für eine lebendige Altstadt entwickeln?

Sitte: Warum sollte sich ein Hausbesitzer auf so etwas einlassen? Es ist doch eine Privatangelegenheit, wie viel Miete ich verlange, und ich kann doch einem Händler nicht vorschreiben, wie viel die Jogginghose kosten darf. Mehr als einen Appell kann ich auch an einem Runden Tisch nicht an die Teilnehmer richten, und wir appellieren ja als Stadt, die Mieten im Auge zu behalten und nicht zu überziehen. Wir haben deshalb gerade alle Hausbesitzer in der Altstadt, bei denen es Leerstände gibt, angeschrieben, wir sind da schon sehr aktiv und rührig. Wenn die Eigentümer merken, dass sie die Mietforderungen nicht erzielen können, dann werden die Preise auch wieder runtergehen.

Bahnhofstraße mit Bus
Reparatur Bahnhofstraße: Entrée zur Innenstadt soll attraktiver werden – Foto: gik

Mainz&: Eine attraktive Innenstadt muss sich abheben, sagen Sie selbst – wodurch kann sie das?

Sitte: Wir müssen Aufenthaltsqualität schaffen, eine attraktive Innenstadt bieten. Dazu gehören Wohlfühlfaktoren wie das Marktfrühstück, Feste, verkaufsoffene Sonntage. Und dazu gehören auch Städtereparaturen, wo es nötig ist – wir investieren jetzt viele Millionen in die Neugestaltung der Achse Bahnhofsstraße – Große Langgasse.

Mainz&: Und was kann der Einzelhandel tun, um sich attraktiver aufzustellen?

Sitte: Der stationäre Handel allein wird künftig nicht mehr reichen. Man muss daneben noch einen Onlinekanal aufbauen, damit man neben der fachkundigen Beratung im Geschäft noch die Möglichkeit hat, 24 Stunden lang Käufe entgegen zu nehmen. Da fehlt es momentan noch, was aber auch daran liegt, dass der Aufwand für den Einzelnen noch sehr groß ist – ein echter Onlineshop kostet viel Geld und Zeit.

Rheingoldhalle
Hohe Parkgebühren schrecken viele vom Einkaufsbummel in Mainz ab – Foto: gik

Es wird derzeit deshalb an der Schaffung einer gemeinsamen Plattform gearbeitet, mit der sich die Einzelhändler gemeinsam als Onlinekaufhaus präsentieren können. Im Herbst soll es dafür in Mainz neue Ansätze geben – mit dem Ziel, im Weihnachtsgeschäft hoffentlich schon online zu sein.

Es gibt aber auch ein paar Themen, die nicht so richtig gelebt werden: Viele beklage sich über zu hohe Parkgebühren, aber es gibt ja die Initiative „Parken aufs Haus“ – nur sehen sie die nirgends am Laden angeschlagen, und der Kunde wird auch nicht drauf angesprochen. So ist oft nicht erkennbar, wer mitmacht.

Mainz&: Gutes Stichwort: Die hohen Parkpreise in den Mainzer Parkhäusern sorgen immer wieder für harsche Kritik, auch bei Mainz&-Lesern. Andere Städte im Rhein-Main-Gebiet senken die Parkpreise – Hanau etwa. Und in Mainz hat die Parken in Mainz GmbH gerade die Preise heftig angehoben….

Sitte: Stellen Sie die Frage Frau Eder, das ist das Thema der Verkehrsdezernentin, und die PMG ist eine eigenständige GmbH. Wünschenswert wäre eine minutengenaue Abrechnung in den Parkhäusern, damit man wirklich nur für die Zeit zahlt, die man gestanden hat.

Poterie in Pezenas
Töpferei in Pezenas in Südfrankreich: Die Stadt fördert die Ansiedlung voin Kunsthandwerks-Läden – Foto: gik

Mainz&: Ich war im Urlaub in Südfrankreich, dort gibt es eine kleine Stadt namens Pezenas – und dort vergibt die Stadt jedes Jahr Geschäfte an Kunsthandwerker, die dort eine Saison (oder länger) arbeiten und verkaufen – es ist ein ungeheurer Besuchermagnet. Wäre das nicht auch etwas für Mainz?

Sitte: Ein solches Konzept setzt allerdings voraus, dass die Stadt Immobilien mit Ladengeschäften hat – und das haben wir nicht. Das war einmal anders mit der Mainzer Wohnbau, aber im Rahmen des Sanierungskonzept hat man sich dort von diesen Gewerbeimmobilien getrennt. Aber wir können auch nicht als Stadt Mainz in das Marktgeschehen eingreifen und das subventonieren. Wir haben das Geld nicht dafür, das wäre eine freiwillige Leistung, die uns die Aufsichtsbehörde ADD sofort aus dem Haushalt streichen würde.

Aber genau solch eine künstlerische Zwischennutzung für leer stehende Läden kann ja auch die Schnittstelle 5 vermitteln, das können bildende Künstler sein, aber auch Musiker, die abends mal eine Jazzsession machen oder eine Lesung, und das kann auch Kunsthandwerk sein. Bisher kam die Schnittstelle nur schwer an die Eigentümer heran, wir haben deshalb jetzt die Eigentümer angeschrieben und gebeten, sich bei Interesse zu melden. Wir haben da auch schon einige Rückmeldungen.

Mainz&: Ist es nicht auch so, dass der Mainzer Innenstadt einiges fehlt? Wo kann man denn schon Computer oder Telefone in der Innenstadt kaufen – in Wiesbaden an der Äppelallee gibt es hingegen Läden wie Pflanzen Kölle oder Computermaxx, die boomen.

Sitte: Die Wiesbadener haben ihr Sortiment in der Äppelallee in der Tat geöffnet, das geht aber zu Lasten der Innenstadt. Genau das wollten wir in Mainz eben nicht, wir wollen keine zweite Äppelallee auf der grünen Wiese. Wir haben immer gesagt, wir wollen am Zentrenkonzept festhalten, weil wir die Innenstadt schützen wollen – sie kann den Wettbewerb mit der Grünen Wiese nicht gewinnen.

Mieträder hinten, Bike-Kitchen vorne - Foto: gik
Fahrradstadt Mainz – aber wer repariert die Räder? Die Stadt will nun Fahrräder aus dem Zentrenkonzept herausnehmen – Foto: gik

Aber wir sehen auch, dass es bestimmte Bereiche in der Innenstadt seit Jahren nicht mehr gibt – Dinge wie Angeln, Golf oder Surfen. Dann macht es Sinn sich zu überlegen, diese Produktbereiche aus dem Konzept zu entlassen – und genau das tun wir jetzt. Das Zentrenkonzept muss dem tatsächlichen Einkaufsverhalten Rechnung tragen, deshalb entrümpeln wir es und schreiben es jetzt zum vierten Mal fort.

Nehmen Sie das Beispiel Reiten: Wer kauft denn Reitstiefel? Das sind die Reiter, aber auch die Fastnachtsgarden – aber es gibt in Mainz kein Geschäft, das dieses Sortiment hat. Also kaufen die ihre Stiefel außerhalb von Mainz oder im Internet, wir wollen aber lieber die Kaufkraft am Standort halten. So haben wir vielleicht die Chance, dass sich ein Reitladen in Mainz etabliert.

Mainz&: Aber warum wollen Sie ausgerechnet den Bereich Fahrräder aus dem Zentrenkonzept entlassen – hat Mainz nicht genug Fahrradläden?

Sitte: Nein, die Nachfrage hat sich dermaßen erhöht, der Flächenbedarf steigt, das kriege ich in der Innenstadt nicht abgedeckt. Mainz ist auch Fahrradstadt, aber in den Stadtteilen gibt es fast keine Radläden mehr. Außerdem wollen Menschen, die ein Fahrrad kaufen, das vorher heutzutage ausprobieren, da hat sich etwas grundlegend geändert.

Mainz&: Spielt da auch die Ansiedlung von Decathlon eine Rolle? Seit Jahren tobt jetzt die Debatte um eine Decathlonfiliale in Mainz – kommt sie nun oder nicht?

Decathlon Filiale - Unternehmensbroschüre Decathlon
Decathlon Filiale – Foto: Unternehmensbroschüre Decathlon

Sitte: Decathlon will weiter nach Mainz, weil das für Decathlon ein hoch attraktiver Standort ist. Und wir wollen Decathlon nach wie vor hier haben, das ist ein tolles Unternehmen. Aber mit deren Konzept hat das in Hechtsheim nicht funktioniert – das Unternehmen müsste auch bereit sein, sich ein bisschen anzupassen. Decathlon will am liebsten auf die grüne Wiese, und auf jeden Fall 3.000 Quadratmeter – in Wiesbaden bauen sie jetzt aber an der Äppelallee für 1.000 Quadratmeter. Warum geht das nicht auch in Mainz?

Mainz&: Sehen Sie denn überhaupt noch eine Variante, wie Decathlon trotz Zentrenkonzept nach Mainz kommen könnte?

Sitte: Es gäbe Standorte, wo die sich sofort ansiedeln könnten – etwa im Mainzer Gutenbergcenter, aber es ginge auch im Alten Postlager am Hauptbahnhof. Mit dem damaligen Eigentümer wurde sich das Unternehmen nicht einig, doch mit dem neuen Eigentümer gibt es neue Überlegungen. Eine Variante, die jederzeit möglich wäre, wäre erst einmal einen Flagshipstore in der Innenstadt zu beziehen, einen kleineren Laden – und was ich dort nicht kriege, kann ich am Ausgang am Terminal bestellen. Wir sind mit Decathlon im Gespräch, ob das eine Möglichkeit ist – ich glaube, Decathlon wird sich in Mainz ansiedeln.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Einzelhandel in Mainz findet Ihr natürlich auf Mainz& – in unserer aktuellen Serie beleuchten wir schwerpunktmäßig die Frage, wie es um Geschäftsstruktur, Branchenmix und das „Problem“ mit dem Internet bestellt ist. Die Ergebnisse des Einzelhandelsmonitoring findet Ihr hier, unsere Kolumne „Warum ich notgedrungen dauernd im Internet einkaufe“ lest Ihr hier. Und Mainz& wird auch noch mit Einzelhändlern und Marktbeschickern reden, sich um die neuen Pläne für das Shoppingcenter auf der LU kümmern, und, und, und. Bleibt dran 😉

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