Es fing an mit einer Schnapsidee: „Magnus, bewirb Dich doch mal, Du kannst das doch“, sagte ein Bekannter. „Das war eigentlich nur Frotzelei“, sagt Magnus Kissel, „Weinkönigin – das ist doch was für Mädels.“ Doch die Idee zog Kreise und wuchs, bis es hieß: „Ein Weinkönig, das wär‘ doch mal was!“ Seit einer Woche ist der 22 Jahre alte Magnus Kissel aus Saulheim nun der erste Weinkönig von Rheinhessen. Ein Mann im Amt der ehrwürdigen Weinmajestät? In Saulheim finden sie das cool, für Magnus ist es schlicht selbstverständlich und zugleich eine Ehre: „Ich will das Jahr in vollen Zügen genießen“, sagt der Jungwinzer.

Der erste Weinkönig Rheinhessens: Weinkönig Magnus I. vertritt nun ein Jahr lang die Verbandsgemeinde Wörrstadt. – Foto: gik

Die Krönung fand zum Auftakt des Weinfestes der Verbandsgemeinde Wörrstadt statt, Saulheim richtete in diesem Jahr turnusgemäß das Verbandsgemeinde-Weinfest aus. „Wir sind der Ort mit den meisten Weingütern in der Verbandsgemeinde“, sagt Vater Karl Kissel, genannt Charly, stolz. Zur Eröffnung hat sich denn auch praktisch ganz Saulheim auf dem Platz vor dem Rathaus eingefunden, die Blaskapelle spielt, der Bürgermeister ist sichtlich nervös: So viel Rummel war noch nie – der erste Weinkönig stößt auf reges Interesse.

Dabei ist Magnus noch nicht einmal die erste männliche Weinmajestät in seinem Heimatort: „2011 hatten wir schon mal einen Weinprinz“, sagt Verbands-Bürgermeister Markus Conrad (CDU): „Wir haben schon vor zehn Jahren die Richtlinie geändert.“ Die Richtlinie, das ist die Regel, die bisher in den meisten Gemeinden des Landes festschreibt, dass eine Weinkönigin eben eine junge Frau zu sein hat. Im Moselort Kesten hält seit 2016 ein Weinkönig Hof – der dortige Amtsinhaber ist ein Jurastudent und sprang ein, weil sich keine weibliche Bewerberin fand.

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In Saulheim war das anders: Zwei junge Frauen konkurrierten um das Amt, Eva Brodrecht und Annika Thörle stammen beide aus der Weinbranche – hervorragende Kandidatinnen für das Amt. „Ich habe gar nicht wirklich damit gerechnet, Weinkönig zu werden“, sagt Magnus. Ein Mann als Weinkönig? „Ich find’s schön“, sagt Jonas Dechent, ein Freund von Magnus. Es sei zwar nicht unbedingt so, dass es mehr Rechte für Männer bräuchte, „aber mehr Gleichberechtigung im Sinne einer Normalisierung, das ist doch gut, dass sich das ändert“, findet der 20-Jährige. Uncool findet es hier niemand, das sich ein junger Mann auf das Amt bewarb. „Ich hab‘ ihm zugeraten“, sagt der stolze Vater, „ein besseres Netzwerk kriegst du nirgends.“

Mainz&-Leser kennen die Familie Kissel – als Gewinner des Mainz&-Glühweintests auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt im Jahr 2015. Rechts Mutter Marika, daneben Vater Charly Kissel. – Foto: gik

Das Amt der Weinkönigin – schon seit einigen Jahren löst sich das einstmals sehr traditionsbewusste Amt von Dirndl, Römerglas und altbackenen Weinsprüchen. Weinköniginnen auf höheren Ebenen des Weinanbaugebiets und erst recht die Deutsche Weinkönigin sind heute moderne Marketingfrauen im Hosenanzug mit geschliffenem Auftreten und einer enormen Menge an Weinfachwissen. Das Amt gilt als hervorragende Schule fürs Berufsleben und als prima Sprungbrett für eine spätere Karriere in der Weinbranche oder anderswo. Nur eines war bisher immer gleich: Weinköniginnen – das waren immer Frauen.

Auch Magnus reizten die Erfahrung des Amtsjahres, die Fortbildungen, die Netzwerke. „Ich bin halt sehr weinverbunden“, sagt er bescheiden, was einer bodenlosen Untertreibung gleichkommt: Just am Vortag hat der Jungwinzer seine Bachelorarbeit an der Weinbauuni Geisenheim eingereicht, Weinbau und Oenologie studiert Magnus dort. Seine Familie betreibt schon seit 300 Jahren Landwirtschaft und Weinbau in Saulheim, 1714 kamen die ersten Vorfahren in das rheinhessische Dorf. Opa Karl stellte den Betrieb komplett auf Weinbau um, mit dem Enkel auf dem Traktor zog er durch die Weinberge – da war eigentlich schon klar, dass Magnus den Weinvirus hat.

Magnus Eltern Charly und Marika konzentrierten sich zunächst mehr auf Lohnabfüllung, erst vor gut sieben Jahren beschlossen sie, auch eigene Weine zum Direktverkauf zu vermarkten. Es ist die Rückkehr zu einer alten Tradition: Schon in den 1920er Jahren habe der Opa ganz Frankfurt mit Wein beliefert, erzählt Charly Kissel. 18 Hektar Weinberge besitzt die Familie, er selbst habe schon seine eigenen Wingerte, erzählt Magnus. Sein Krönungswein, ein feiner Weißburgunder trocken, ist ebenso aus seiner Hand wie ein Gelber Muskateller, ein Wein voller Duft und Frucht. Neben seiner Bachelorarbeit lernte Magnus für die Juryprüfung.

Schwenkt das Szepter: Weinkönig Magnus I. mit seinen beiden Weinprinzessinnen – die tragen ordentlich Krone. – Foto: gik

„Wir haben ja noch gesagt, mal sehen, ob die Jury schon so weit ist“, sagt Mutter Marika lachend. Sie war – die 20-köpfige Jury ließ sich schnell von dem fundierten Wissen des ungewöhnlichen Bewerbers überzeugen – und von seinem Redetalent. Und so bekam Weinkönig Magnus I. am Freitag statt einer Krone ein schweres Szepter mit Weintrauben und Weinblättern überreicht – eigens für ihn geschmiedet. Bei den Jungen sei das heute ganz anders, sagt Mutter Marika, „die sehen das als selbstverständlich an, dass auch ein Mann das machen kann.“

Naja, sagt Kerstin Waldorf, komisch sei das irgendwie schon. Die Saulheimerin war von 1982 bis 1983 sogar rheinhessische Weinkönigin, um Winzerin werden zu dürfen, musste sie damals noch einen Winzer heiraten – „ich selbst durfte es nicht werden“, erzählt sie. Nun müsse man mal abwarten, wie das mit dem Weinkönig Magnus werde, „die Zeiten ändern sich eben.“

Krönung des Weinkönigs Magnus I. rechts und links von ihm seine beiden Weinprinzessinnen Eva Brodrecht (links) und Annika Thörle (rechts). Ganz rechts: die amtierende rheinhessische Weinkönigin Laura Lahm. – Foto: gik

Oben auf der Bühne sind sie inzwischen bereit zur Krönung. Die beiden Prinzessinnen erhalten Kronen aufs Haupt gedrückt, Weinkönig Magnus bekommt indes ein eigens geschmiedetes Szepter mit Weintrauben überreicht. Und dann singen sie noch das Lied vom Ritter Hundt, der entweder blau war oder sich einen einschenkte. Saulheim, erklärt Vater Kissel, sei der Weinort, in dem man den Verbrauch von Wein auf Hochzeiten auf 1.200 Liter gesetzlich begrenzen musste. „Vorher gab’s nämlich Tote…“

Vielleicht also ist es gar kein Zufall, dass sie ausgerechnet hier nun den ersten Weinkönig Rheinhessens feiern. Rund 50 Termine warten auf Magnus I. im kommenden Jahr: Weinproben, Veranstaltungen, Repräsentation. „Ich freue mich riesig“, sagt der neue Weinkönig. Und eigentlich, ergänzt Kumpel Dechent noch, sei es „doch egal, ob ein Mann oder eine Frau das macht.“

Info& auf Mainz&: Das Zuhause des ersten Weinkönigs Magnus I., Weinmajestät der Verbandsgemeinde Wörrstadt, findet Ihr hier im Internet: das Weinhaus Kissel in Saulheim.

 

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