Fünf Wochen nach dem Start der Mainzelbahn hat die neue ÖPNV-Struktur in Mainz offenbar noch erheblich mehr Auswirkungen als gedacht: „Es gibt viele, die so einen Frust haben, dass sie jetzt wieder Auto fahren“, sagte die Mainzer CDU-Kreischefin Sabine Flegel am Freitag in Mainz. Es gebe massive Probleme mit dem neuen Fahrplan und den Verbindungen, die CDU erreichten massenhaft Beschwerden. Tatsächlich berichten auch Mainz&-Leser von ausgedünnten Buslinien und gekappten Verbindungen. Die CDU fordert nun Nachbesserungen beim Fahrplan und das schnelle Abstellen von Mängeln entlang der neuen Mainzelbahn-Strecke. Messungen über Erschütterungen in Mainz-Bretzenheim müssten sofort erfolgen, die Baustelle auf der Autobahn 60 endlich verschwinden.

Mainzelbahn Hindemithstraße mit Wendekreis
Die Mainzelbahn an der Endhaltestelle Hindemithstraße auf dem Lerchenberg. Im Hintergrund der Wendekreis mit zu Beginn laut quietschenden Gleisen. – Foto: gik

 

Nach Berichten über massive Probleme von mehr als 20 Anwohnern der neuen Mainzelbahn-Strecke in Bretzenheim hatte die CDU am Freitag zum Pressegespräch ins Rathaus geladen. CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig betonte dabei gleich vorweg: „Die CDU-Fraktion war und ist Unterstützer der Mainzelbahn.“ Man habe aber den Eindruck, „dass nach einem sehr schönen Einweihungsfest Anfang Dezember ein bisschen der Elan verloren gegangen ist, was die Abarbeitung von notwendigen Beschwerden und Problemen angeht.“ Es gebe „eine ganze Reihe von Problemen und Sachverhalten“, die dringend abgearbeitet werden müssten.

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Weiche wird von Hand gestellt, Wendekreis quietscht weiter

Als Beispiele nannte Schönig das laute Quietschen der Bahnen am neuen Wendekreis auf dem Lerchenberg. Auch wenn dort die Gleise nun von Hand geschmiert würden, „es gibt noch immer Phasen, wo es sehr laut ist“, berichtete er. Überhaupt stelle sich doch die Frage, warum die Schmieranlage nicht zeitgleich mit der Bahn bestellt und eingebaut worden sei? „Es drängt sich der Eindruck auf, man hat erst mal abgewartet, ob man es braucht“, argwöhnte Schönig. Auch dass ein Mitarbeiter noch immer die Weiche auf der Saarstraße am Arbeitsamt von Hand umstellen müsse, sorgte bei dem CDU-Mann für Kopfschütteln: „Das ist ja keine moderne Verkehrsinfrastruktur des 21. Jahrhunderts“, sagte er.

Die Ampelschaltungen entlang der Mainzelbahn-Strecke seien ein großes Problem, ergänzte Flegel, hier sei dringender Handlungsbedarf. Besonders besorgt zeigte sie sich über Berichte von Rissen in den Häusern und bröselndem Putz von den Wänden, das habe sie persönlich gesehen, sagte Flegel. „Es gab eine Bürgerbeteiligung, auf der im O-Ton gesagt wurde von der MVG: ‚Sie werden weder Schall noch Lärm verspüren.'“ Die Anwohner seien auf diese Art „beruhigt worden, und die haben das geglaubt“, sagte Flegel, „die Realität ist jetzt eine ganz andere.“

CDU fordert sofortige Messungen wegen Erschütterungen in Bretzenheim

Mainzelbahn in Bretzenheim weiß
In Bretzenheim sorgt die Mainzelbahn derzeit für hohe Erschütterungen, berichten Anwohner. – Foto: gik

„Risse in den Häusern und hoher Körperschall, das macht uns Angst“, sagte CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster, es könne nicht sein, dass die Leute „einen massiven Wertverlust“ durch die Mainzelbahn erlitten. „Das hat niemand gewollt“, betonte er, und auch Gerster berichtete, es sei im Vorfeld gesagt worden, „dass es quasi geräuschlos sein werde.“ Die Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) hatte das am Mittwoch auf Mainz&-Anfrage energisch bestritten: „Es hat niemand je behauptet, man würde eine Straßenbahn nicht hören“, sagte MVG-Sprecher Michael Theurer.

Die CDU forderte nun, schnell Messungen in den betroffenen Häusern durchzuführen. „Wir brauchen jetzt verlässliche Zahlen“, sagte Flegel. Es gehe nicht an, dass die MVG sich darauf zurückziehe, man könne den Schall erst in einigen Wochen messen, denn derzeit sei der durch die kalten Temperaturen und den gefrorenen Boden besonders stark. „Ich kann mir doch nicht den Zeitpunkt raussuchen, der mir passt“, kritisierte Schönig empört, „ich muss doch die Realitäten messen.“ Die Straßenbahn fahre jetzt, die Belastungen seien hoch, da müsse man doch auch die Spitzenwerte messen. „Die Messungen müssen jetzt sofort gemacht werden“, forderte er.

Rasengleise hätten laut Planfeststellungsbeschluss vor Start liegen müssen

Auch an den noch nicht verlegten Rasengleisen übte die CDU scharfe Kritik: Im Planfeststellungsbeschluss stehe eindeutig, die Rasengleise müssten VOR Inbetriebnahme verlegt sein, betonte Flegel. Tatsächlich heißt es auf Seite 31 des Regelwerks für die Genehmigung des Projektes explizit: „Die in den Planunterlagen dargestellten aktiven Lärmschutzmaßnahmen (Rasengleise) sind durchzuführen. Es ist sicher zu stellen, dass die Anlage der Rasengleise rechtzeitig vor Betriebsaufnahme fertig gestellt ist.“ Warum sei das nicht geschehen, fragte Flegel.

Direkt an die Stadtspitze mit Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) richtet Schönig Kritik in Sachen Baustelle auf der Autobahn 60. Dort ruht die Baustelle an der Mainzelbahn-Brücke noch immer, obwohl sie schon vor Monaten hätte fertig sein müssen. Dem Vernehmen nach kann eine Leitplanke nicht eingebaut werden, die Arbeiten sollen nun Anfang Februar fortgesetzt werden. „Die Baustelle auf der A60 muss endlich verschwinden, das ist ein Skandal mittlerweile“, sagte Schönig. Die volkswirtschaftlichen Schäden durch die täglichen langen Staus würden einfach ignoriert, die Leute führen durch die Stadt. „Wir vermissen hier ein massives Einwirken der Führungskräfte dieser Stadt“, sagte Schönig an die Adresse Eders und Eblings: „Da hätte doch mal ein OB sagen müssen: hier gibt es ein Problem, dann muss ich mal von oben Druck machen, aber es kommt nichts.“

„Buslinien aus Innenstadt gekappt, die Leute fahren wieder Auto“

Mainzelbahn am Ostergraben ohne Bahn
Die Rasengleise am Ostergraben hätten wohl vor Inbetriebnahme liegen müssen. – Foto: gik

Und dann ist da noch der neue Fahrplan: „Eine ganze Menge Buslinien aus der Innenstadt wurden gekappt“, berichtete Gerster, von der südlichen Altstadt komme man jetzt nur noch mit großen Wegen zu den Kliniken in der Oberstadt, weil die Linie 68 nicht mehr fahre. „Im Prinzip wird die ganze Altstadt vom ZDF und der Oberstadt abgehängt“, kritisierte er. Jedes Umsteigen verlängere eine Fahrzeit um fünf bis zehn Minuten. „Die MVG muss sehr aufpassen, dass der ÖPNV nicht unattraktiv wird“, warnte Gerster. „Wenn die Leute anfangen, ihre Jobtickets zurückzugeben, haben wir ein Riesenproblem.“

Auch Flegel berichtete von zahlreichen Beschwerden in Zuschriften an die CDU: Eine Fintherin habe sie angerufen und geklagt, es sei unmöglich, pünktlich bei Schott auf der Arbeit zu sein – dabei liegt das direkt an der durchgehenden Straßenbahnlinie Die ausgedünnten Straßenbahnen seien jetzt so überfüllt, dass sie gar nicht anhielten oder sie es nicht bis zum Ausgang schaffe. Mehrmals habe sie am Bismarckplatz aussteigen und zurück zu Schott fahren müssen. „Auch diese Frau sagt, ich fahr‘ jetzt wieder mit dem Auto“, berichtete Flegel. Und ein Arbeitnehmer aus Biebrich komme nun nicht mehr zu seiner Nachtschicht in die Mainzer Straße, auch der fahre nun wieder Auto. „Das kann ja nicht sein“, fügte sie hinzu.

Mainz&-Leser: ausgedünnte Busse, miese Verbindungen, keine Vernetzung mit Mainzelbahn

Auch Mainz& erhielt zahlreiche Reaktionen, nach denen sich Busverbindungen mit dem neuen Fahrplan stark verschlechtert hätten. Aus der Oberstadt habe er jetzt statt drei Verbindungen auf den Lerchenberg nur noch eine pro Stunde, berichtete ein Leser. Andere schrieben von ausgedünnten Verbindungen in Gonsenheim, von verpassten Anschlüssen an S-Bahnen nach Frankfurt wegen verspäteter Bahnen. „Die Hauptkritik ist, dass die Mainzelbahn nicht entsprechend vernetzt ist, damit alle etwas davon haben“, schrieb uns eine Leserin. Sie selbst wohne in Ober-Olm, habe „nur Nachteile“ durch die Mainzelbahn.

Mainzelbahn Kreuzung Ostergraben neu
Wie gut ist die Mainzelbahn mit den Buslinien vernetzt? ÖPNV-Nutzer klagen heftig. – Foto: gik

Das liege vor allem daran, dass man die Buslinie 68 gestrichen habe. „Dafür bekamen wir die 54, aber die hat viele Nachteile“, schreibt die Leserin weiter: Die 54 sei langsamer und sie lasse auf dem Lerchenberg das Einkaufszentrum, das Realschule plus-Zentrum und den ganzen Teil Hindemithstraße links liegen. „Es besteht keine Vernetzung mit der Mainzelbahn – und das wäre so leicht machbar gewesen!“, heißt es weiter. Die Linie 68 sei hingegen direkt zum ZDF, zum Real und dann über die Kaiserstraße zu den Gymnasien in der Innenstadt gefahren. „Viele Pendler müssen von der Linie 54 heute auf andere Buslinien umsteigen, bekommen wegen Verspätung der Busse und/oder der langen Wartezeiten keinen Anschluss“, berichtet die Ober-Olmerin.

CDU: MVG muss schneller reagieren, Antrag im Stadtrat

„Wenn sich die Schreie häufen, muss man als Betreiber reagieren“, forderte Schönig. Die MVG müsse die Mängelbeseitigung „mit mehr Verve angehen.“ Der Fahrplan müsse überarbeitet, Taktungen und Haltestellen verbessert werden, forderte Gerster, man habe offenbar „die Mainzelbahn alternativlos machen“ wollen. Das aber gehe zulasten des ganzen Netzes: „Der Fahrplan dient jetzt der Mainzelbahn, anstatt dass die Mainzelbahn dem ÖPNV dient.“

Die CDU will nun ihren Forderungen mit einem Antrag in der Stadtratssitzung am 8. Februar Nachdruck verleihen. „Wir haben ein großes Infrastrukturprojekt auf die Gleise gesetzt“, die Strecke habe „Entwicklungspotenzial“, sagte Schönig: „Das kann aber nur Akzeptanz haben, wenn es Vorteile bringt und nicht problembehaftet ist.“

Info& auf Mainz&: Mainz& hatte Anfang der Woche ausführlich über die Probleme der Anwohner entlang der neuen Mainzelbahn-Strecke berichtet, den Bericht über wackelnde Betten und Risse in Wänden könnt Ihr hier nachlesen. Reaktionen der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) dazu gibt es hier und hier. Unter anderem soll bis zur Klärung der Vorwürfe auf einem Teil der Marienborner Straße nur noch Tempo 30 für die Bahnen gelten.

Kommentar& auf Mainz&:  Die Millionen schwere Mainzelbahn rollt – und die Mainzer fahren wieder Auto? Wenn das wirklich so ist, dann muss das ein absolutes Alarmsignal für die Mainzer Verkehrsgesellschaft, aber auch für Stadtwerke und Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) sein. Wenn sich durch die neue Straßenbahn das Liniennetz so verschlechtert hat, dass der ÖPNV unattraktiv ist, dann wäre das wahrlich ein schlechter Witz. Und die Beschwerden darüber häufen sich seit Jahresbeginn massiv. Offenbar merken die Menschen erst jetzt erst so richtig die Auswirkungen der neuen Takte und Verbindungen – und sie sind not amused.

Quer durch Mainz ziehen sich die Beschwerden, ganz besonders am Mainzer Südring. Dort nahm man den Anwohnern die Linie 6, die alle zehn Minuten fuhr. Nun gibt es ganze Gebiete, die nur noch alle halbe Stunde eine Verbindung in die Stadt haben – das ist ein K.O.-Faktor und einer modernen Großstadt nun wirklich nicht angemessen. Aber selbst aus Gonsenheim, Finthen, der Altstadt und der anderen Rheinseite kommt Kritik. Das sind nicht mehr nur wenige Unzufriedene, da läuft etwas gewaltig schief. Die MVG muss dringend nachbessern und einen bösen Eindruck aus der Welt schaffen: Dass der ÖPNV der Mainzelbahn dient und nicht umgekehrt.

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