Paukenschlag am Dienstag: Mainz bekommt nun doch einen Bürgerentscheid zum umstrittenen Bibelturm am Gutenberg-Museum. Die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP beschloss am Montag in einer gemeinsamen Fraktionssitzung „einen eigenen Bürgerentscheid zum sogenannten Bibelturm zu initiieren“, wie es in einer Mitteilung auf Facebook heißt. Dies habe man am Dienstag „dem Mainzer Oberbürgermeister mitgeteilt, der daraufhin zugesagt habe, für kommenden Dienstag einen Ältestenrat diesbezüglich einzuberufen.“ Auch die CDU hatte am Dienstag einen Bürgerentscheid für das umstrittenen Bauprojekt gefordert und einen eigenen Antrag für den Stadtrat am 29. November angekündigt.

Der Turm des Anstoßes: Über den Bau dieses Bibelturmes direkt vis-avis des Mainzer Doms wird nun aller Voraussicht nach ein Bürgerentscheid befinden. – Foto: gik

Anfang 2016 hatte die Stadt Mainz das Ergebnis des Architektenwettbewerbs für einen Erweiterungsbau des Gutenberg-Museums verkündet: Ein bronzener Bücherturm solle auf dem Liebfrauenplatz entstehen, als Hort für Bücher, Café, eine Bibliothek. Im Januar 2017 dann wurde die abgespeckte Version vorgestellt: Übrig blieb ein Turm, der vorwiegend aus einem Treppenhaus besteht, Café und Bibliothek waren gestrichen, im Keller des Gebäudes soll hingegen ein Raum für die weltberühmten Gutenberg-Bibeln entstehen. Gestrichen waren allerdings auch sämtliche Fenster und Türen des ersten Entwurfs: Der Turm soll nun nur noch durch den Keller zugänglich sein.

Von Anfang an stieß das Modell „Bücherturm“, später in „Bibelturm“ umbenannt, auf heftige Ablehnung in der Bevölkerung. Das Gebäude wurde als kalt und menschenfeindlich empfunden, die hochmoderne Architektur als unpassend für den historischen Platz im Herzen von Mainz, unmittelbar am Mainzer Dom. Im April 2016 gründete sich deshalb eine Bürgerinitiative Gutenberg-Museum, die von Anfang an einen Bürgerentscheid zu dem Bau forderte: „Fragt die Mainzer“, forderte die BI damals in einem offenen Brief an den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) – die Stadtspitze lehnte ab.

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Grosse lehnte Bürgerbeteiligung ab: „Das geht hier in diesem Verfahren nicht“

Nur wenige Tage nach dem offenen Brief lehnte Bau- und Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD) eine Bürgerbeteiligung mit der Begründung ab: „Das geht hier in diesem Verfahren nicht, eine direkte Bürgerbeteiligung würde das Verfahren sprengen.“ Es gebe eben „bestimmte Prozesse, da ist eine Bürgerbeteiligung nicht vorgesehen“, dieses europaweite Verfahren sei so eines, sagte Grosse gegenüber Mainz&. Auch sei die Auswahl des richtigen Bauentwurfes „so komplex und schwierig“, dass dieser bei der Fachjury gut aufgehoben sei, sagte die Dezernentin weiter: „Ich glaube nicht, dass eine Bürgerbeteiligung funktionieren kann.“

Auch Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) setzte sich öffentlich für den Bau des Turmes ein. – Foto: gik

Auch die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP lehnten im April 2016 einen Bürgerentscheid ab mit der Begründung, man habe volles Vertrauen, dass die Fachjury zu einem guten Ergebnis kommen werde. Nun heißt es hingegen: „Ein Bürgerentscheid bietet die große Chance, dieses einmalige Projekt im Bewusstsein der Mainzer zu verankern und so eine solide Basis für die weitere Entwicklung dieses einmaligen Museums zu legen.“

Die Kritik am Bau und der Gestaltung des Bibelturms war nicht abgerissen, trotz wochenlanger Führungen des Gutenberg-Museums durch eine Ausstellung der Architektenentwürfe. Die Bürgerinitiative erhielt stetig mehr Zulauf, Mitte Oktober übergab sie mehr als 13.500 Unterschriften gegen den Bibelturm an Oberbürgermeister Ebling. Dabei forderte die BI erneut den Stadtrat auf, einen Bürgerentscheid zu initiieren, 7.814 Unterschriften von in Mainz wohnenden Personen wären dafür nötig gewesen. Ob die erreicht wurden, ist zwar noch nicht bekannt – die Stadt sagte eine intensive Prüfung zu -, offenbar übte aber die schiere Masse der Unterschriften einen erheblichen Druck auf die Politik aus.

„Wir stehen auch weiterhin uneingeschränkt zu unserem Beschluss im Stadtrat, den Bibelturm zu bauen“, betonten die Fraktionsvorsitzenden Alexandra Gill-Gers (SPD), Sylvia Köbler-Gross (Grüne) und Walter Koppius (FDP). Es sei wichtig, dass sich ein Weltmuseum der Druckkunst sowie die weltberühmte Gutenberg-Bibel in einem angemessenen Gebäude präsentieren könnten. Wichtig sei aber auch, dass ein lebendiges Umfeld auf dem Liebfrauenplatz erhalten bleibe, wovon das neue Museum und die Mainzer profitierten. „Wir sind uns nach zahlreichen Diskussionen mit vielen Mainzern sicher, dass eine Mehrheit ganz klar hinter solch einem prägnanten Merkmal des Gutenberg-Museums mit hohem Erkennungswert stehen wird“, betonen die Ampel-Politiker weiter.

Übergabe von mehr als 13.500 Unterschriften gegen den Bibelturm an Ebling. – Foto: gik

CDU: „Sinnvoll und geboten, die Bevölkerung abstimmen zu lassen“

Auch die CDU-Opposition hatte sich am Dienstag für einen Bürgerentscheid ausgesprochen: Man wolle in der kommenden Stadtratssitzung am 29. November einen eigenen Antrag gemäß Paragraph 17a der Gemeindeordnung stellen, sagte CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig. Aus Sicht der CDU solle „ein Bürgerentscheid so schnell wie möglich durchgeführt werden, um zeitnah Klarheit in dieser wichtigen Frage zu erhalten.“ Die CDU stehe mehrheitlich hinter den Planungen und wolle das Museum „ohne Wenn und Aber“ modernisieren und attraktiver gestalten.

Gleichwohl müsse man „zur Kenntnis nehmen, dass dieses Projekt in der Bevölkerung leidenschaftlich diskutiert wird“, sagte Schönig weiter – das zeige sich schon an der Existenz zweier BIs, von denen sich die eine für den Bau des Turms einsetze. Auch dürfe man die sehr hohe Zahl der gesammelten Unterschriften nicht ignorieren, die sich für die Durchführung eines Bürgerentscheids ausgesprochen haben.

„Wir halten es angesichts dieser Gemengelage für sinnvoll und geboten, die Bevölkerung über dieses Thema abstimmen zu lassen“, betonte Schönig. Bei einem solchen Entscheid hätten beide Seiten die Möglichkeit, für ihre Positionen zu werben, die Zukunft des Gutenberg-Museums rücke dabei ins Bewusstsein und in den Fokus der Bürger. Und, fügte Schönig noch hinzu, nichts sei schlimmer als ein möglicherweise jahrelanger Rechtsstreit zwischen der Stadt Mainz und der Bürgerinitiative Gutenberg-Museum, in dem nichts unternommen werden könne.

BI Gutenberg-Museum: „Großer Erfolg“

Damit ist die überwältigende Mehrheit im Mainzer Stadtrat für einen Bürgerentscheid – eine sehr plötzliche und durchaus überraschende Entwicklung. „Es ist natürlich ein großer Erfolg für die BI, dass das Thema Bürgerentscheid jetzt kommen könne“, reagierte Thomas Mann am Abend auf Mainz&-Anfrage. Allerdings stelle sich die Frage, mit welcher Fragestellung Ampel und CDU-Fraktion den Bürgerentscheid in den Stadtrat einbringen wollten. Die Frage, ob der Turm gebaut und die Bäume am Liebfrauenplatz gefällt werden sollten, dürfe nicht verwässert werden. „Wir halten an unserem Antrag für den Bürgerentscheid fest, wir sind die Stimme der Bürger, die unterschrieben haben“, betonte Mann. Ohne das Engagement der BI „hätte es keinen Druck auf den Stadtrat gegeben.“

Nun werden also wohl doch die Mainzer entscheiden, ob dieser Bibelturm gebaut wird oder nicht. – Foto: gik

 

Kommentar& auf Mainz&: Na endlich. „Fragt die Mainzer!“, hatte Mainz& schon im April 2016 kommentiert – und nicht, weil wir für oder gegen den Bücherturm wären. Nein, hier geht es um moderne Stadtplanung und die Frage, ob man Bürger daran beteiligen will, wie ihre Stadt gestaltet wird. „Verschanzt Euch nicht hinter angeblichen Star-Architekten, deren Entwürfen schon seit Langem das Menschliche, Warme, kurz: das Leben fehlt“, schrieb Mainz& damals: „Redet mit Euren Bürgern! Erkundet ihren Willen!“ Lange wurde das in Bausch und Bogen abgelehnt, gar für „unmöglich“ erklärt – das war schon damals, mit Verlaub: Unsinn. Jetzt, anderthalb Jahre später, ist offenbar die Erkenntnis gereift: Wer den Stadtfrieden bewahren will, der sollte, nein, der muss seine Bürger einbeziehen.

Der massenhafte Aufschrei der Mainzer – anders kann man es nicht nennen -, die tausendfache Weigerung, sich von einer schwammigen Architektenplanung überzeugen zu lassen, die sich zudem von Mal zu Mal änderte, führte am Ende dazu, dass auch die Politik merkte: Wenn wir den Turm einfach durchziehen, verlieren wir die Bürger. Schade, dass für diese Erkenntnis anderthalb Jahre heftige Auseinandersetzungen nötig waren, Diffamierungen von Turmgegnern und ihrer angeblichen Unfähigkeit, moderne Architektur zu verstehen, inklusive. Wer so argumentiert, der hat keinerlei Interesse daran, Architektur FÜR Menschen zu gestalten. Es war auch diese Arroganz der Planer und ihrer Verteidiger, die die Kritiker bis heute so gegen das Projekt aufbringt.

Und dabei gibt es wirklich niemanden da draußen, egal ob Gegner oder Befürworter, der nicht dafür ist, das Weltmuseum der Druckkunst hochgradig aufzuwerten. Gutenberg und seine Erfindung haben ein wunderbares Haus mit großartiger Präsentation verdient, ein echtes Weltmuseum der Druckkunst – dafür sind alle in dieser Stadt. Nur gehen die Meinungen eben auseinander, WIE das geschehen soll. Und so bietet der Bürgerentscheid endlich, endlich den Rahmen, sich über die verschiedenen Vorstellungen und Argumente auszutauschen, wie das geschehen könnte. Argumente haben beide Seiten, beide werden wir in den kommenden Wochen vorstellen, ausführlich und vorurteilsfrei.

Endlich wird in Mainz über das Projekt Bibelturm offen und konstruktiv debattiert, endlich werden die Bürger in die Debatte einbezogen! Die Politik hat in letzter Sekunde die Kurve noch bekommen – es wäre beinahe zu spät gewesen. Und DAS hätte in der Stadt enormen Schaden angerichtet – vor allem in der demokratischen Kultur.

Info& auf Mainz&: Die Vorgeschichte zum Bücherturm könnt Ihr natürlich ausführlich auf Mainz& nachlesen, die Forderungen der BI Gutenberg-Museum und unseren ausführlichen Kommentar damals hier: „Fragt die Mainzer!“ Die Ablehnung eines Bürgerentscheids durch Dezernentin Grosse lest Ihr hier noch einmal – im selben Artikel findet Ihr auch Details zu einer Kritik moderner Architektur, unter anderem durch den Philosophen Jürgen Habermas. Die Planungsdetails zum Bibelturm findet Ihr hier.

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