Der Streit um das Mainzer Zentrenkonzept wird schärfer, einen Tag nach der Forderung der Industrie und Handelskammer (IHK) nach dessen Abschaffung konterte nun die Mainzer Stadtspitze: Der Vorschlag, das Zentrenkonzept komplett abzuschaffen, sei „sehr resolut“, meinten Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und sein Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte (FDP) – und werfen ihrerseits der IHK vor, sich an der Diskussion zur Weiterentwicklung 2016 nicht beteiligt zu haben. Die IHK hatte am Donnerstag von einem „Verhinderungskonzept“ für die Wirtschaft gesprochen, die Stadtspitze kontert: „Wir wollen keinen Ausverkauf!“ Eine Verödung der Innenstadt habe der Mainzer Bürger, die Kunden und der Einzelhandel nicht verdient.

Oberbürgermeister Michael Ebling verteidigt das Zentrenkonzept in Mainz. – Foto: Alexander Heimann

Es war eine geharnischte Kritik, die die IHK da auffuhr, die Vollversammlung verabschiedet gleich eine ganze Resolution dazu:  Das Mainzer Zentrenkonzept für den Einzelhandel sei „überholt“ und veraltet, es wirke „als reines Verhinderungskonzept“ und müsse „in der bestehenden Form abgeschafft“ werden. Das Konzept wurde vor Jahren ins Leben gerufen, um die Innenstadt vor allzu großer Konkurrenz auf der grünen Wiese zu schützen. Das Zentrenkonzept legt genau fest, welche Waren allein in der Innenstadt verkauft werden dürfen und begrenzt damit die Möglichkeiten für Geschäfte, sich in Gewerbegebieten anzusiedeln. Die IHK argumentiert hingegen, das zwölf Jahre alte Konzept habe zuletzt konkrete Ansiedlungswünsche im Mainzer Gewerbegebiet Hechtsheim scheitern lassen, die Limitierung sei in Zeiten von Online-Handel und gestiegenen Kundenwünschen nicht mehr zeitgemäß.

Ebling und Sitte wiesen das einen Tag später zurück: „Unser Ziel ist, an der klassischen europäischen Innenstadt festzuhalten, in der auch der kleine Einzelhändler eine Chance hat“, sagte Sitte. Menschen und Kunden sollten durch ein vielfältiges Angebot in die Stadt gezogen werden und dort auch verweilen, „das Letzte, was wir uns wünschen, ist eine tote Innenstadt!“ Aufgabe der IHK sei zudem ja nicht nur die Interessen von potenziellen Investoren in Mainz zu berücksichtigen, sondern „insbesondere die Interessen der Einzelhändler und kleinen Unternehmen, die schon hier seien“, schlug Sitte dann in Richtung der Handelsvertretung zurück.

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Radio Bauer, Foto Oehling – zahlreiche alteingesessene Läden haben in den vergangenen Monaten in Mainz dicht gemacht – trotz Zentrenkonzept. Wie bleibt Mainz als Einkaufsstadt attraktiv? – Foto: gik

Doch die Frage bleibt, wie man eine attraktive Innenstadt erreicht. In Mainz schlossen in den vergangenen drei Jahren zahlreiche etablierte Einzelhändler wie Radio Bauer, Foto Oehling oder auch Modeboutiquen ihre Tore, Ladengeschäfte standen und stehen bis heute wochenlang leer – und das alles trotz existierendem Zentrenkonzept. Umgekehrt hat der Sportartikelmarkt Decathlon, für den es kein vergleichbares Angebot in Mainz gibt, bis heute keinen Markt in Mainz eröffnet, das Unternehmen Globus sowie mindestens ein Babyartikelmarkt wollten nach Mainz, konnten aber nicht. Und die Firma Caravaning Moser überlegte 2016 ernsthaft abzuwandern, weil das Zentrenkonzept einer Erweiterung ihres Sortiments im Wege stand – das benachbarte Hessen lockte hingegen mit fertigen Verträgen.

„Wieder sieht sich ein alteingesessenes Familienunternehmen vor die Frage gestellt, ob es den Standort Mainz verlassen muss, weil die Stadt bei den Expansionsbedürfnissen keine wirtschaftlich vernünftige Hilfestellung bieten will und sich völlig unflexibel zeigt“, kritisierte damals, Ende Oktober 2016, die CDU-Opposition. Unternehmen, Marktbeschicker, ja der gesamte Handel fühle sich von Wirtschaftsdezernent Sitte „nicht ernst genommen und vernachlässigt“, doch trotz vieler kritischer Stimmen ändere sich nichts.  Das sei „fatal für den Standort Mainz“.

Es gebe keine positiven Ansiedlungsimpulse, sagt hingegen Dezernent Sitte: „Gerade im Bereich der Neuansiedlung von Unternehmen ist in den letzten Jahren eine enorme Dynamik entstanden.“ Insbesondere in der Mainzer Startup-Szene stecke großes Potenzial, Mainz erreiche bei Gründungsrankings regelmäßig Spitzenplätze. Startups in Mainz gründen zwar durchaus auch kleine Geschäfte, aber selten Unternehmen für den Massenbedarf – wie eben Babyartikel, Campingutensilien oder schlichte Supermärkte. Hingegen verließ vergangenes Jahr die Spedition Hensel mit mehr als hundert Mitarbeitern Mainz in Richtung Bingen – man konnte sich nicht über den Verkauf eines Grundstücks im Wirtschaftspark Hechtsheim einigen, wie die Allgemeine Zeitung berichtete.

Für Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte (FDP) hat Mainz eine tolle Dynamik. – Foto: gik

Auch das Deutsche Weininstitut (DWI) verließ Mainz unter anderem, weil man sich mit der Mainzer Wohnbau nicht auf eine verträgliche Miete einigen konnte. Und auch Möbel Martin klagt, die Stadt verhindere weitere Ansiedlungen von Fachmärkten im Hechtsheimer Gewerbepark, die wiederum den Standort stärken würden. Hingegen kamen die Paketdienste DHL und Hermes sowie die Baufirma Köbig in den Wirtschaftspark. Geschäfte zum Einkaufen sind das dezidiert nicht – und offenbar ist auch das genau so gewollt: Erst im Oktober 2016 erneuerte der Stadtrat auf Vorschlag der Stadtspitze das Zentrenkonzept und gab ihm damit neue Gültigkeit.

Nur eine leichte Änderung nahm die regierende Ampel-Koalition vor: Ausgenommen wurden nun die Sportsegmente Angeln, Golf, Motorradfahren, Reiten, Wassersport und Fliegen, aber nur „die Funktionsartikel und Funktionsbekleidung, nicht die Alltagsgegenstände“ selbst, wie Sitte betonte. Und obwohl es in Mainz zahlreiche Fahrradläden gibt, die um die Kunden konkurrieren, entließ die Stadt auch den Verkauf von Fahrrädern aus der Zentrenrelevanz – die ÖDP kritisierte das damals scharf.

Die CDU hatte hingegen in einem Antrag für die entscheidende Stadtratssitzung deutliche Lockerungen für das Zentrenkonzept gefordert, etwa für Sortimente, die es in Mainz nicht oder zu wenig gibt oder für solche, die Mainz attraktiver als Einkaufsstandort machen würden. Zudem forderte die CDU nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Angebotspalette in der Innenstadt ergänzt werden könne und schlug insgesamt ein umfangreiches Konzept zum Thema Einkaufen in Mainz vor. Der Stadtrat lehnte das mit den Stimmen von SPD, FDP und Grünen ab.

Das derzeitige Zentrenkonzept sei „durchaus nicht in Stein gemeißelt“, betonten nun Ebling und Sitte anlässlich der IHK-Kritik. Es werde „selbstverständlich von Zeit zu Zeit neu bewertet“, um auf aktuelle Entwicklungen in und um die Innenstadt reagieren zu können. Es sei aber „verwunderlich, dass die IHK nun mit Kritik am Zentrenkonzept hinterherhinkt“, man sorge sich jetzt um die Zukunftsfähigkeit des Standorts , „nachdem die politische Diskussion um die Fortschreibung bereits im letzten Herbst mit einem gemeinsamen Beschluss im Stadtrat beendet worden ist.“ Er habe sich gewünscht, sagte Sitte dann noch, „dass die IHK und ihr Handelsausschuss sich aktiv an den Diskussionen im Vorfeld beteiligt hätten.“ Auf sein damaliges Angebot an die IHK, die Planungen dort vorzustellen, sei man „bedauerlicherweise nicht eingegangen.“

Info& auf Mainz&: Die detaillierte Kritik der IHK am Mainzer Zentrenkonzept samt Resolution und Hintergründen lest Ihr hier auf Mainz&.

 

 

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