Er hat wieder zugeschlagen, der Mainzer Indiana Jones: Andreas Lehnardt, Professor für Judaistic in Mainz, hat sich erneut auf die Spuren der jüdischen Geschichte von Mainz begeben. Herausgekommen ist ein neues Buch: „Eine Krone für Magenza“ erzählt nichts weniger als die Geschichten der Sammlung für jüdische Geschichte des Mainzer Landesmuseums. Die Schätze stehen zwar bereits seit 1983 im Museum – doch erforscht waren sie bisher nicht. Bis jetzt.

Andreas Lehnardt vor der Judaica-Sammlung quer - Foto Kirschstein
Professor Andreas Lehnardt vor der Judaica-Sammlung im Landesmuseum – Foto: gik

„Man denkt immer, was im Museum steht, ist gründlich erforscht, dem ist aber gar nicht so“, sagte Lehnardt im Gespräch mit Mainz&. Dabei ist die Mainzer Judaica-Sammlung ist eine der ältesten und eine der wichtigsten ihrer Art in Deutschland. Sechs große Kronen, die Tora-Rollen, das heilige Buch der Juden, zierten, dazu Tora-Schilde, Tora-Zeiger, versilberte Becher und Leuchter – die rund 150 Stücke geben Zeugnis vom materiellen und kulturellen Reichtum der Juden in Mainz.

1926 wurde in Mainz das Museum für jüdische Altertümer eröffnet, es war eines der ersten jüdischen Museen in Deutschland, sagt Lehnardt. Gelegen in einem Anbau der großen Synagoge in der Hindenburgstraße, wurden dort jüdische Kultgegenstände aus Mainz und Rheinhessen gesammelt und ausgestellt, die von Gemeindemitgliedern gespendet wurden. Man spendete für die glückliche Geburt eines Kindes oder wegen einer schweren Krankheit, ganz wie im Christentum auch. „In relativ kurzer Zeit hat sich dort sehr viel Wertvolles angesammelt“, sagt Lehnardt.

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Judaica - Tora-Schild mit Schnurrbart
Wunderschöner Tora-Schild von 1792 – Foto: gik

Von Nazis beschlagnahmt, Jahrzehntelang im Keller vergessen

1938, als die Nationalsozialisten die Synagoge zerstörten, wurde die wertvolle Sammlung beschlagnahmt, in Kisten verpackt und ins Landesmuseum geschafft. Dort blieben sie bis in die 1980er Jahre hinein unbeachtet. „Auf einer Kiste prangte ein großes Hakenkreuz, deshalb dachte man: mach` das lieber nicht auf, sonst kriegst du Schwierigkeiten“, berichtet Lehnardt: „Man dachte, dass es Raubgut ist, die Sache war eher peinlich und man wollte es unter Verschluss halten – und hat es einfach im Keller stehen lassen.“

Erst 1982 lüftete einer den Deckel: Wilhelm Weber, der damalige Direktor des Mainzer Landesmuseums. Die Überraschung muss groß gewesen sein, eine Judaica-Sammlung wurde ins Leben gerufen. Doch vollständig erforscht sind die Gegenstände bis heute nicht, bis vor Kurzem existierten noch nicht einmal ein vollständiges Inventarverzeichnis oder eine Fotodokumentation.

Lehnardt war nun der erste, der die Objekte gründlich untersuchte, ihrer Entstehung nachspürte und zum ersten Mal viele hebräische Inschriften übersetzte. Zehn Jahre forschte der Professor, mehrere Seminare füllte die Inschriften-Übersetzung. Nun geben die Stücke Zeugnis vom Wohlstand der Gemeinde – und wie verankert die Juden in Mainz waren.

Judaica - Segnungsbecher
Jüdischer Becher für den Vorabend des Sabbat von 1834 – Foto: gik

Da sind die schmückenden Tora-Aufsätze um 1810 gefertigt, die von französischen Legionsadlern geziert werden, sie stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert. „Man hat sich wohl sehr über die Franzosen gefreut, die den Juden die Gleichberechtigung brachten“, sagt Lehnardt. Die Tora-Aufsätze zeigten in einzigartiger Weise, wie die französische Kultur ihre Spuren in der Kunst hinterlassen habe. Vor Kurzem seien die beiden Stücke siogar zu einer Ausstellung in Paris gewesen, „das zeigt die große bedeutung dieser Sammlung“, betont der Forscher.

Andere Gegenstände wurden von christlichen Goldschmieden angefertigt, die gleichzeitig auch Gegenstände für Kirchen fertigten. „Dass man die gleichen Künstler beauftragte, zeigt die enge Verbindung zwischen Juden und Christen in Mainz“, sagt Lehnardt. Es muss eine weltliche Gemeinde gewesen sein, die auch keine Probleme hatte, Tiere wie Pferde als Schmuck abzubilden – im Judentum herrscht eigentlich Bilderverbot.

Judaica - Krone 2
Tora-Krone, von Goldschmied in Offenbach gefertigt – Foto: gik

Einen silbernen Pokal konnte Lehnardt bis nach Bingen zurückverfolgen, das Gefäß diente einst für das Festmahl am Abend vor dem Sabbat, dem jüdischen Wochen-Feiertag. Oder da sind die wunderbaren Tora-Schilde, dem Brustschild des Hohepriesters im Tempel zu Jerusalem nachempfunden. Mit ihren kleinen Einschüben für Schildchen dienten sie als eine Art Lesezeichen für die Tora-Rollen: Auf ihnen stand vermerkt, an welcher Stelle die Tora aufgewickelt war.

Und dann sind da noch die wunderbaren Tora-Kronen, richtig große Kronen-Gebilde aus versilbertem oder vergoldeten Messing. Eine von ihnen, fand Lehnardt heraus, wurde von einem jüdischen Goldschmied aus Offenbach gefertigt – in der hessischen Stadt gibt es eine alte Goldschmiedetradition, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht.

Eine andere Krone von 1898, das Prachtstück der Sammlung, wurde vom jüdischen Goldschmied Albert Mayer gefertigt – aus derselben Familie stammt auch jener katholische Montsignore Klaus Mayer, der nach dem Zweiten Weltkrieg den jüdischen Maler Marc Chagall zur Herstellung der Mainzer Chagall-Fenster überredete. „Ich bin sehr berührt, wenn solche persönlichen Geschichten zutage treten“, sagte die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Mainz, Stella Schindler-Siegreich, Mainz&. Damit werde den Juden von Mainz auch ein Stück ihrer Identität zurückgegeben.

Judaica - Lehnardt mit dem ältesten jüdischen Grabstein von 1049 (links)
Professor Andreas Lehnardt mit dem ältesten jüdischen Grabstein Westeuropas, der Stein ganz links – Foto: gik

Die jüdische Gemeinde ist übrigens bis heute Besitzerin der Sammlung, ausstellen kann sie die indes in der Synagoge nicht. „Eine Ausstellung will gesehen werden“, sagte Schindler-Siegreich. Lange Öffnungszeiten, dazu die notwendige Sicherheit, das könne die jüdische Gemeinde in Mainz nicht leisten. Immerhin: In der Synagoge sind in kleinen Nischen einzelne Stücke ausgestellt, wunderschön integriert in das hochmoderne Gebäude.

Doch ansonsten sind die Stücke der Judaica quer durch Mainz verstreut: Eine Teil steht in einer Vitrinenwand im Landesmuseum – mitten in der Gemäldesammlung. Zu tun hat das miteinander wirklich gar nichts. Dazu muss man erst um eine Wand mit Gemälden herumgehen, um überhaupt einen Blick auf die Schätze zu erhaschen. Auch wenn die Vitrinenwand gerade erst neu gestaltet wurde – eine stolze Präsentation jüdischer Geschichte sieht anders aus.

Coverbild Eine Krone für MainzDazu werden weitere Stücke der Sammlung im historischen Stadtmuseum auf der Zitadelle ausgestellt. Und in einem anderen Teil des Landesmuseums stehen dann noch die jüdischen Grabsteine, die Lehnardt in seinem Buch ebenfalls neu würdigt – darunter ein Grabstein von 1049, der älteste datierbare jüdische Grabstein Westeuropas. Damit sind die Schätze der Judaica über vier Orte in Mainz verteilt – wünschenswert wäre doch eine gemeinsame Präsentation des reichen jüdischen Erbes von Mainz…

Zumal Lehnardt durchaus die Parallele zum Domschatz zieht: Domschatz und Judaica würden „miteinander korrespondieren“, sagt Lehnardt, also viele Gemeinsamkeiten aufweisen, etwa in Stil, aber eben auch bei den Künstlern. So findet man etwa die Form der Tora-Kronen mit ihren Bügeln genau so auch auf Marienstatuen an Häusern in Mainz – schaut mal hin!

Die größte Überraschung bei Lehnardts Arbeit aber war ein Tora-Wimpel, der sich versteckt in einer Tora-Rolle fand. „Den Wimpel kannte bisher niemand“, berichtet Lehnardt – es habe wohl einfach niemand den Mut gehabt, hinter den Vorhang der Rolle zu schauen. „Selbst im Museum“, sagt Lehnardt mit Augenzwinkern, „kann man noch Ausgrabungen machen.“

Info& auf Mainz&: Das Buch „Eine Krone für Magenza, Die Judaica-Sammlung im Landesmuseum Mainz“ von Andreas Lehnardt ist im Michael Imhof Verlag, Petersberg, erschienen und für 19,95 Euro im Buchhandel erhältlich (ISBN: 978-3-7319-0158-7). Eine Mainz&-Artikel über den Indianas Jones alias Andreas Lehnardt in der Mainzer Stadtbilbiothek findet Ihr hier – für einen kleinen mageren Euro 😉

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