In Berlin diskutiert die Politik noch über Hardware-Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge, derweil macht die Wirtschaft in der Rhein-Main-Region klar: Ein Dieselfahrverbot etwa in Frankfurt wäre noch deutlich schlimmer als gedacht – und die Verkehrsinfrastruktur im Rhein-Main-Gebiet ist kurz vor dem Kollaps. Von den 2,234 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Region pendelt jeder zweite zu seinem Arbeitsplatz, 40 Prozent davon über Kreisgrenzen hinweg. „Die Verkehrsinfrastruktur stößt an die Kapazitätsgrenzen“, warnen die Industrie- und Handelskammern in Hessen in einer neuen Pendler-Studie – und dabei pendeln beileibe nicht alle nur nach Frankfurt. Und nicht einmal die Hälfte der Firmen in Rheinhessen ist mit der Verkehrsinfrastruktur aktuell zufrieden.

Nach Hessen zur Arbeit pendeln – das tun jeden Tag fast 40.000 Mainzer. Eine Pendlerstudie zeigt nun auf, wie dicht die Pendlerströme im Rhein-Main-Gebiet geworden sind. – Foto: gik

Damit sind die Pendlerströme in den vergangenen Jahren in der Region zwischen Aschaffenburg und Bad Kreuznach, Darmstadt und Gießen deutlich gestiegen. Der Grund: die boomende Wirtschaft. Knapp 170.000 Arbeitsplätze sind nach der IHK-Studie allein in den vergangenen drei Jahren in der Metropolregion Rhein-Main entstanden. Doch in der Nähe ihres Arbeitsortes wohnen offenbar immer weniger Arbeitnehmer: Jeder zweite pendelt über Kreisgrenzen hinweg zum Arbeitsort. Das sei einerseits „erfreulich, weil es ein Ausdruck der Wachstumsdynamik ist, führt aber auch zu wachsendem Druck auf allen Verkehrsträgern“, sagte der Präsident der IHK Frankfurt am Main, Mathias Müller, bei der Vorstellung der „Stau- und Pendlerstudie 2018“, die von der IHK Frankfurt erstmals für die Initiative PERFORM der Wirtschaftskammern in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz erstellt wurde.

Besonders im Fokus der Pendler steht natürlich Frankfurt selbst. 360.000 Menschen pendeln pro Tag in die Bankenmetropole zur Arbeit und heben damit deren Einwohnerzahl über die Eine-Millionen-Grenze – Frankfurt ist die Pendlerhauptstadt Deutschlands. In keiner anderen Großstadt ist der Anteil der Einpendler an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort so hoch wie hier. Fast zwei Drittel aller in Frankfurt Beschäftigten wohnen nicht in der Stadt – nur Düsseldorf und Stuttgart erreichen ähnlich hohe Werte. Die Zahlen stammen aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit, erfasst wurde dabei nicht, ob die Arbeitnehmer täglich oder vielleicht nur wöchentlich pendeln.

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In diese Orte pendeln Mainzer zur Arbeit. – Quelle: IHK-Pendlerstudie, Screenshot: gik

Doch die Studie konstatiert: Die Pendlerströme seien vielfältiger und dichter geworden. „Die Beschäftigten leben die Region und machen weder an Stadt-, Kreis- noch Landesgrenzen Halt, um zu ihrem Arbeitsort zu gelangen“, heißt es. Und die Arbeitsplätze seien beileibe nicht nur in den Städten, sondern sogar vorrangig in den Regionen entstanden – allen voran in den Kreisen Alzey-Worms mit 36 Prozent, Mainz-Bingen mit knapp 30 Prozent und im Hochtaunuskreis mit 28 Prozent.

So pendeln immerhin rund 25.000 Menschen pro Tag in den Kreis Mainz-Bingen hinein, davon rund 1.400 aus Wiesbaden und rund 4.700 aus Mainz. 54.000 Menschen aber verlassen den Landkreis, um zur Arbeit zu kommen, die meisten – rund 22.000 – fahren nach Mainz, nach Wiesbaden pendeln 6.300, knapp 4.600 bis nach Frankfurt. 1.140 Beschäftigte fahren sogar zur Arbeit bis in den Main-Taunus-Kreis, 157 gar nach Offenbach und 22 bis Aschaffenburg.

Mainz gehört aber ebenfalls zu den großen Einpendlerstädten der Region, rund 70.000 Arbeitnehmer kommen nach Mainz zum Arbeiten, knapp 53.000 davon aus der Metropolregion. Allein rund 22.000 Pendler kommen dabei aus dem Kreis Mainz-Bingen, knapp 7.000 aus dem Raum Alzey-Worms und allein 8.700 aus Wiesbaden. Gleichzeitig pendeln rund 40.000 Menschen von Mainz weg zur Arbeit, meist über den Rhein hinweg nach Wiesbaden (8.356), Frankfurt (8.278) oder nach Rüsselsheim mit seinem Opel-Werk (2.086). Bis an die Bergstraße (116), nach Offenbach (241) oder sogar nach Fulda (11) fahren die Mainzer zur Arbeit.

Pendler aus der Rhein-Main-Region nach Mainz – 70.000 sind es pro Tag. – Quelle: IHK-Pendlerstudie, Screenshot: gik

„Die Verkehrsinfrastruktur, egal ob Straße oder Schiene, stößt an die Kapazitätsgrenzen“, warnen die Wirtschaftsvertreter denn auch. Viele Hauptverkehrsachsen der Metropolregion seien chronisch überlastet und in hohem Maße stauanfällig. Schon 2017 standen Autofahrer in Hessen mehr als 37.000 Stunden im Stau, Stau-Hotspots waren unter anderem die A60 im Mainzer Süden, die A66 zwischen Wiesbaden und Frankfurt, die A 3 zwischen Hanau und Obertshausen und die A5 zwischen dem Nordwestkreuz Frankfurt und dem Bad Homburger Kreuz.

Besonders unzufrieden zeigten sich Firmenvertreter aber auch in Rheinhessen: Da hier die meisten Arbeitsplätze neu entstanden seien, steige der Bedarf an Infrastruktur hier entsprechend stark, sagte der Hauptgeschäftsführer die Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen, Günter Jertz: „Das spüren die Unternehmen vor Ort schon jetzt.“ In einer Standortumfrage der IHK Rheinhessen und der Handwerkskammer Rheinhessen zu Jahresbeginn sei nicht einmal die Hälfte der Firmen mit der Verkehrsinfrastruktur zufrieden gewesen.

Die Straßenanbindung sei zwar für 79 Prozent der Unternehmen der wichtigste Standortfaktor, „nur 44 Prozent waren aber mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden“, sagte Jertz. Der sechsspurige Ausbau der A 643 bleibe deshalb für die Wirtschaft ein Top-Thema: „Alleine mehr als 16.000 Auspendler fahren werktäglich aus unserer Region nach Wiesbaden“, betonte Jertz. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat gerade den Zeitplan für den sechsspurigen Ausbau der A 643 vorgestellt, Baurecht wird es frühestens 2020 geben.

So leer ist die Rheinhessenstraße nach Mainz-Ebersheim nur selten. SPD und grüne sind allerdings derzeit gegen einen vierspurigen Ausbau, die CDU fordert ihn. – Foto: gik

Die Wirtschaftsvertreter im Rhein-Main-Gebiet fordern denn auch deutlich mehr Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur, und zwar für Straßen und Schiene: Die Region brauche leistungsfähige Straßen ebenso wie ein leistungsfähiges Schienennetz, einen leistungsfähigen und bezahlbaren ÖPNV und einen Ausbau des Radwegenetzes. Einen regionalen Masterplan Mobilität mit verknüpften Verkehrswegen und einer Entlastung für die Innenstädte fordern die IHKs. Sanierungsmaßnahmen an Straßen müssten deutlich früher durchgeführt werden, die Hauptverkehrsachsen leistungsfähig gehalten werden. Gleichzeitig müsse die Leistungsfähigkeit des Schienennetzes erhöht werden, um den ÖPNV an die rasant steigende Einwohnerzahl und das Beschäftigungswachstum anzupassen.

Zudem schlägt die IH-Pendlerstudie eine Ausbau eines Lkw-Vorrangnetzes und eines regionales Lkw-Routenkonzeptes vor und mahnt, den Flughafen Frankfurt „nicht weiter einzuschränken“ – Fluglärm-geplagte werden das mit Zähneknirschen hören. Insgesamt müssten, so die Wirtschaftsvertreter weiter, die best5ehenden Verkehrsmittel besser verknüpft werden, auch über Ländergrenzen hinweg. „Es bedarf“, so die Studie weiter, „eines gemeinsamen politischen Willens, die Mobilität in der Region voranzubringen.“

Info& auf Mainz&: Die komplette Stau- und Pendlerstudie mit noch sehr viel mehr Zahlen, Fakten und Erkenntnissen könnt Ihr Euch hier bei der IHK Rheinhessen herunterladen. Mehr zum Ausbau der A 643 lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zum drohenden Diesel-Fahrverbot in Frankfurt und dem Stand in Mainz lest Ihr hier bei Mainz&.

 

 

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