Verschreiben Mediziner bald Herzmedikamente gegen Fluglärm? Möglich wäre es: Eine neue Studie der Mainzer Herzmedizin stellte nun erhebliche Gefäßschäden und Genveränderungen durch Fluglärm fest – genau wie bei Herzerkrankungen. „Das ist ein Durchbruch bei der Lärmforschung“, freute sich der Mainzer Kardiologe Thomas Münzel am Freitag über die Ergebnisse: Erstmals sei es gelungen nachzuweisen, dass Fluglärm oxidativen Stress erzeugt, die Gefäße schädigt und sogar Genveränderungen zur Steuerung von Zellen auslöst. Damit können die Mediziner nun die schädigende Wirkung von Fluglärm exakt und molekularbiologisch belegen – und mögliche Gegenmaßnahmen entwickeln.

Porträt Thomas Münzel auf Dach Uniklinik
Streiter gegen den Fluglärm über seinem Dach: Der Mainzer Kardiologe Thomas Münzel – Foto: gik

 

„Lärm ist nicht etwas, was uns nur nervt, sondern ein signifikanter Faktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, stellte Münzel klar. Der Leiter der Mainzer Herzklinik erforscht bereits seit Jahren die Auswirkungen von Fluglärm auf das Herz-Kreislauf-System, aus gutem Grund: Seit der Eröffnung der neuen Nordwestlandebahn am Frankfurter Flughafen wird die Mainzer Uniklinik bei Ostwind im Minutentakt von landenden Flugzeugen überflogen – mit einem Lärmpegel von bis zu 75 Dezibel. Münzel hält das für einen Skandal und verwies am Freitag noch einmal darauf, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO für Kliniken einen maximalen Lärmpegel von 55 Dezibel vorsehe.

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Münzel startete eine ganze Reihe von Lärmwirkungsforschungen zum Thema Herz und Kreislauf, 2013 wies er bereits nach, dass nächtlicher Fluglärm auch bei gesunden Menschen erheblich erhöhte Pegel des Stresshormons Adrenalin auslöst, dass die Schlafqualität sinkt und sogar Gefäße geschädigt werden. Nun testete die neue Studie den Effekt an rund 300 Mäusen: Die Tiere wurden einen Tag, zwei Tage oder vier Tage lang dem Fluglärm-typischen an- und abschwellenden Lärmpegel in Höhe von 85 Dezibel ausgesetzt. Die Lärmdatei sei dafür eigens vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt für die Studie erstellt worden, sagte Münzel. Eine Mäuse-Vergleichsgruppe wurde hingegen mit sogenanntem „White Noise“ beschallt, dem typischen Umgebungslärm, die Effekte anschließend verglichen.

Die Ergebnisse verblüfften und erschreckten die Forscher: „Schon innerhalb von einem Tag kommt es zu Gefäßfunktionsstörungen“, sagte Münzel. Bereits nach 24 Stunden seien wichtige Schutzfunktionen für die Zellenwände geschädigt und schädliche freie Radikale in den Zellen nachgewiesen worden. „Wir konnten auf molekularer Ebene die Bildung von oxidativem Stress nachweisen“, betonte der Leiter der Arbeitsgruppe, der Kardiologe Andreas Daiber. Wichtige Enzyme wurden zerstört oder änderten sich von positiven zu negativen Faktoren, auch die Einwanderung von diesen Entzündungszellen in die Gefäßwände konnten die Forscher nachweisen. Oxidativer Stress sei ein Auslöser für Bluthochdruck, der wiederum sei für jeden vierten Todesfall in Deutschland verantwortlich, sagte Münzel.

Grafik Schäden durch Fluglärm Studie Münzel - Grafik Unimedizin
Schematische Darstellung der von Fluglärm ausgelösten Schäden in Zellen – Grafik: Mainzer Unimedizin

Mehr noch: Erstmals untersuchte das Forscherteam auch die Auswirkungen auf das Gensystem. „Schon nach einem Tag gab es massive, signifikante Veränderung der Genaktivität“, sagte der Evolutionsbiologe Erwin Schmidt. Insgesamt hätten Tausende von Genen ihre Steuerungsaktivitäten verändert, darunter auch sogenannte Mastergene. Lärm sei offensichtlich ein „massiver Stressfaktor, der ganz schnell auf die Aktivität der Gene Einfluss nimmt“, sagte Schmidt. Betroffen seien vor allem Stoffwechselwege, Folgen seien negative Auswirkungen auf den Spannungszustand der Gefäße, auf die Struktur von Blutgefäßen, eine Reduzierung der oxidativen Stressresistenz sowie erhöhter Zelltod. Das passe sehr genau zu den Ergebnissen der Kollegen über Verengungen von Blutgefäßen durch den vom Fluglärm ausgelösten Stress, sagte Schmidt.

Münzel betonte, die molekularen Mechanismen seien fast identisch mit den Schäden durch Herzrisikofaktoren wie Rauchen, Diabetes und Bluthochdruck. Damit stehe Fluglärm als Risikofaktor auf einer Stufe mit diesen Erkrankungen. Das habe indes auch einen positiven Aspekt: Nun könne erstmals untersucht werden, ob Medikamente, wie sie gegen Bluthochdruck und Herzkrankheiten eingesetzt würden, vielleicht auch bei Fluglärm helfen.

Dazu habe das Mainzer Team ein weltweit einmaliges Tiermodell entwickelt, das auch andere Forscher dazu bringen werde, das Thema Lärm weltweit zu untersuchen, betonte Münzel: „Wir sind da am Anfang der Story, da wird sich noch viel draus entwickeln.“ Und auch das Mainzer Team arbeitet mit dem Mäusemodell weiter: Derzeit werde untersucht, wie die Tiere auf Lärm nur in der Nacht oder nur am Tag reagierten, sagte Münzel. Und danach werde man auch Untersuchungen mit Straßenlärm und Bahnlärm durchführen, letzterer mit 100 Dezibel wie im Rheintal. Ein Ingenieurbüro habe dafür eigens Lärmdateien entwickelt.

Team Studie Gefäßschäden Fluglärm mit Münzel - Foto Peter Pulkowski
Das Forscherteam der Fluglärmstudie (v.l.n.r.): Andreas Daiber, Leiter der Arbeitsgruppe für Molekulare Kardiologie, Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie, Swenja Kröller-Schön, Arbeitsgruppe für Molekulare Kardiologie und Erwin Schmidt, Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie – Foto: Peter Pulkowski

Münzel betonte zudem, die neue Studie zeige noch einmal ganz deutlich, dass die gesundheitlichen Folgen von Fluglärm unabhängig vom subjektiven Erleben oder gar Ärger des Betroffenen seien: „Ihr Blutdruck steigt an, ob sie sich ärgern oder nicht, der Körper reagiert, ob Sie die Nacht durchschlafen oder nicht“, betonte er: „Die Stressreaktion des Körpers ist nicht an die Aufwachsituation gekoppelt.“ Ohrstöpsel könnten deshalb in der Tat dem Körper nachts beim Entspannen helfen, „aber nicht jeder ist für Ohrstöpsel geeignet“, gab der Mediziner zu bedenken.

Münzel forderte die Politik denn auch auf, Konsequenzen zu ziehen, Lärmobergrenzen einzuführen und das Nachtflugverbot in Frankfurt auf 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr auszuweiten. Auch das Überfliegen von Kliniken sei „ein Unding“, kritisierte er: „Ich wundere mich, dass die Landesregierung das einfach zulässt und nicht fordert, dass die Uniklinik umflogen wird“, kritisierte er. Im Mainzer Verkehrsministerium hieß es dazu auf Nachfrage von Mainz&, man habe keine rechtliche Handhabe, weil die Fluglinien allein von der Deutschen Flugsicherung festgelegt würden.

Münzel kritisierte hingegen, es gebe eine Reihe von Gegenmaßnahmen gegen Fluglärm, die einfach nicht umgesetzt würden – weil es Geld koste. So werde in London-Heathrow mit dem kontinuierlichen Sinkflug gearbeitet, der die Menschen massiv vom Fluglärm entlaste. „Hier macht man es nicht, weil man dann nicht genug Flugzeuge abfertigen kann“, kritisierte Münzel, „Lärmschutz wird einfach nicht umgesetzt, weil er zu teuer ist.“ Er sei übrigens keineswegs dafür, den Flughafen zu schließen, betonte der Herzspezialist noch, „wir müssen auch fliegen.“ Politik, Umwelthaus und Flughafen-Betreiber Fraport müssten aber endlich verstehen: Fluglärm sei keine Belästigung, Fluglärm mache krank.

Info& auf Mainz&: Die neue Studie erscheint beim renommierten European Heart Journal und ist bereits im Internet zum Download verfügbar – hier ist der Link. Informationen zur Studie auf Deutsch findet Ihr hier bei der Universitätsmedizin Mainz.

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