Da rieben sich nicht nur die Wiesbadener verwundert die Augen: Am Montagabend stand auf einmal mitten in der Wiesbadener Innenstadt eine goldene Statue des türkischen Machthabers Recep Tayyip Erdogan. Mehr als mannshoch, vergoldet und in typischer Haltung eines verehrten Herrschers mit hoch erhobenem Arm präsentierte sich auf einmal der türkische Staatspräsident auf dem Platz der Deutschen Einheit. Im Netz kochte daraufhin sofort Empörung hoch: Wer Menschenrechte und Demokratie abschaffe und Kurden verfolge und töte, gehöre nicht auf einen goldenen Sockel, kommentierten viele Nutzer in den sozialen Netzwerken. Die Stadt Wiesbaden zeigte sich erst überrascht, am Mittag beschloss der Magistrat: Die Statue ist Kunst und darf bis zum Ende der Wiesbadener Biennale bleiben. Am Abend dann die Kehrtwende: die Erdogan-Statue wurde noch am späten Abend abgebaut. Man habe die Sicherheit nicht mehr gewährleisten können.

Vier Meter hoch, vergoldet – und provozierend: die Erdogan-Statue auf dem Platz der Deutschen Einheit in Wiesbaden. – Foto: Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Der goldene Erdogan war Teil der „Wiesbaden Biennale“, einer Kunstwoche, mit der das Hessische Staatstheater seine neue Spielzeit eröffnet. Vom 23. August bis 2. September wollen mehr als 30 internationale Künstler sowie die Kollektive Wiesbaden die hessische Landeshauptstadt elf Tage lang „in ein pulsierendes Herz zeitgenössischer Kunst“ verwandeln, wie es bei der Biennale auf der Homepage heißt. Pulsierend, das war aber am Dienstag eher der Puls vieler Kritiker des türkischen Staatspräsidenten: Die verherrlichende, vergoldete Erdogan-Statue erregte auf Anhieb die Gemüter. „Das kann doch nicht wahr sein“, kommentierten User in den sozialen Netzwerken den überlebensgroßen Herrscher, „Wiesbaden, geht’s noch?“ fragten andere.

Die Statue sei ein „Schandmal“, das kurdischen Familien signalisiere, dass man den Völkermord an den Kurden unterstütze, wetterte der gebürtige Mainzer Journalist und Kurden-Aktivist Tobias Huch auf Facebook. Gegen solch ein „Werben für Faschismus“ müsse man sich wehren, der Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) die Statue sofort entfernen lassen, forderte Huch. „Das Ding muss weg, sonst gibt es deswegen noch Mord und Totschlag“, befürchtete auch ein weiterer Kommentator. Auch die Landespolitik in Hessen war nicht amüsiert: „Staatspräsident Erdogan schafft gerade Demokratie und Menschenrechte in der Türkei ab. Zigtausende sitzen ohne Prozess in türkischen Gefängnissen“, reagierte die hessische Europaministerin Lucia Puttrich (CDU): „Dieser Mann gehört nicht auf einen Sockel, und schon gar nicht in Gold.“

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Bei der Stadt Wiesbaden zeigte man sich zunächst sich überrascht: Er habe von der Erdogan-Statue nichts gewusst, sagte Gerich am Morgen auf Facebook. Am Mittag teilte die Stadtverwaltung mit, die Aufstellung sei in der Tat genehmigt worden, allerdings habe man nur von einem Container und einer „menschenähnlichen Statue“ gewusst. Dass es sich dabei um eine Erdogan-Statue handeln würde, sei nicht klar gewesen, betonte die Stadt.

Am Vormittag war sogar der Magistrat der Stadt zusammengetreten, „nach ausführlicher Diskussion“ beschloss man, die Statue dürfe bleiben: Man bekenne sich zur im Grundgesetz verankerten Kunstfreiheit und sehe „weder eine rechtliche Grundlage noch einen derzeitigen Handlungsbedarf solange von der Kunstinstallation keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht“, hieß es da noch.

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Von Anfang an sei klar gewesen, dass die Biennale unter dem Motto „Bad News“ provozieren werde und sehr diskussionswürdige Aktionen plane, so die Stadt in einer Mitteilung. Die Stadtpolizei plane gemeinsam mit der Landespolizei die Situation vor Ort. Bei konkreter Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Zusammenhang mit der Kunstinstallation würden die Ordnungsbehörden einschreiten.

Die Wiesbadener Biennale verteidigte unterdessen die Aktion: „Die Kunst ist dazu da, zu zeigen, wie es ist“, sagte der Wiesbadener Staatstheater-Intendant Uwe Eric Laufenberg gegenüber diversen Medien. „Wir sind uns bewusst, dass die am Wiesbadener Platz der Deutschen Einheit aufgestellte Statue kontroverse Reaktionen und Debatten auslöst“, reagierte die Biennale-Leitung in einer offiziellen Stellungnahme. Die aber seien, „so glauben wir, für eine offene und starke Zivilgesellschaft unerlässlich und gerade in diesen Zeiten absolut wichtig.“ Und man freue sich sehr, „dass die Landeshauptstadt Wiesbaden sich dazu entschlossen hat ein starkes Zeichen für die Kunstfreiheit zu setzen.“ Wer der Künstler der Statue sei, sagte die Biennale indes nicht, auch über die näheren Motive der Aktion gab es keine weiteren Angaben. Man sei aber „selbstverständlich zu einem konstruktiven Dialog“ bereit, betonten die Macher.

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Am Abend dann die Wende: Gegen 23.00 Uhr teilte die Stadt Wiesbaden auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit, OB Gerich sowie der Wiesbadener Ordnungsdezernent Oliver Franz (CDU) hätten in Abstimmung mit der Landespolizei entschieden, die Statue abbauen zu lassen. „Die Sicherheit kann nicht mehr weiter gewährleistet werden“, heiß es nun. Wie der Wiesbadener Kurier berichtete, hatten sich zu dem Zeitpunkt rund um die Erdogan-Statue mehr als 300 Menschen versammelt, auf dem Platz standen sich Erdogan-Anhänger mit Gegnern – darunter vielen Kurden – gegenüber. Die Stimmung sei zunehmend aggressiver und angespannter geworden, deshalb habe die Polizei den Abbau der Statue empfohlen. Schon am Vormittag hatten allerdings Medien wie etwa das ZDF-Studio in Wiesbaden von heftigen Auseinandersetzungen vor allem zwischen Türken und Kurden rund um den goldenen Erdogan berichtet.

Um 23.00 Uhr meldete das Polizeipräsidium Westhessen via Twitter, der Platz der Deutschen Einheit sei nun geräumt, mit dem Abbau der Erdogan-Statue werde nun begonnen. Das übernahm die Feuerwehr Wiesbaden: Mit Hilfe eines großen Krans wurde der vier Meter hohe Erdogan gestürzt und abtransportiert. Der Einsatz sie friedlich verlaufen, meldete die Polizei – der Platz der Deutschen Einheit war durch ein großes Polizeiaufgebot abgeriegelt worden. Die Wiesbadener Polizei hatte dafür eigens Verstärkung angefordert und erhalten.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Wiesbadener Biennale und ihren Kunstaktionen findet Ihr auf dieser Internetseite.

 

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