Mitten in einer Ostwind-Phase mit erheblichem Fluglärm veröffentlichen die Kardiologen der Mainzer Uniklinik neue Ergebnisse der Fluglärmforschung: Extremer Fluglärm könne zu deutlich mehr Herzrhythmusstörungen führen, teilte das Zentrum für Kardiologie der Mainzer Universitätsmedizin mit. Anhand von Daten aus der Gutenberg-Gesundheitsstudie habe man nachweisen können, dass mit steigender Lärmbelastung auch die Häufigkeit des Vorhofflimmerns stark zunehme. Bei den Lärmquellen habe bei den Probanden der Fluglärm mit 84 Prozent tagsüber und 69 Prozent während des Schlafens an erster Stelle gestanden. Besonders stark trat der Zusammenhang bei nächtlichem Fluglärm auf, die Forscher fordern nun eine Ausweitung des Nachtflugverbots, um die Nachtrandstunden mehr zu schützen. Derweil geraten die unter immer mehr Lärm: Die Fluglinie Ryanair bricht weiter in erheblichem Maße das Nachtflugverbot – und stellte mit 40 verspäteten Fliegern im April einen neuen Rekord auf.

Nächtlicher Fluglärm über Mainz hat offenbar noch gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit als bislang gedacht. – Fotomontage: Peter Pulkowski

„Die Studienergebnisse zeigen erstmals auf, dass Lärmbelästigung durch verschiedene Quellen am Tag und beim Nachtschlaf mit einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern assoziiert ist“, sagte Studienleiter Omar Hahad, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Kardiologie. Insbesondere die nächtliche Lärmbelästigung habe einen stärkeren Einfluss auf den Herzrhythmus gehabt. Demnach sei die Häufigkeit von Vorhofflimmern bei extremer Lärmbelästigung bis auf 23 Prozent angewachsen, während dieser Wert ohne diesen Umwelteinfluss bei nur 15 Prozent lag.

Bei der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) werden mehr als 15.000 Frauen und Männer aus der Region Mainz und dem Landkreis Mainz-Bingen im Alter zwischen 35 und 74 Jahren auf Herz-Gefäß-Risiken untersucht. Die GHS ist weltweit eine der größten Studien ihrer Art, eine der wichtigen Fragestellungen ist, welche Auswirkungen Fluglärm auf den menschlichen Organismus hat. Die Forscher konnten so bereits einen Zusammenhang zwischen Lärm und Gefäßerkrankungen nachweisen und durch Daten belegen, dass etwa Nachtfluglärm, aber auch Straßen- und Schienenlärm zu einem vermehrten Auftreten von Bluthochdruck und zu mehr Herzinfarkten und Schlaganfällen führen.

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Herzspezialist Thomas Münzel hat in Mainz die Wirkungsforschung zu Fluglärm, Herzinfarkten und Gefäßschäden begründet. – Foto: gik

Bisher hätten aber explizite Untersuchungen gefehlt „inwieweit es einen Zusammenhang zwischen Lärmbelästigung und Herzrhythmusstörungen gibt“, sagte der Direktor der Kardiologie und Senior-Autor der Studie Thomas Münzel. Für diese Studie wurden die Probanden mittels Fragebögen um eine Einschätzung gebeten, wie stark sie in den vergangenen Jahren durch Straßen-, Schienen-, Bau- und Gewerbe-, Nachbarschaftslärm sowie Fluglärm belästigt wurden, und zwar am Tag und in der Nacht. Die Lärmbelästigung sei mit international gebräuchlichen, standardisierten Fragebögen erfasst worden. Das Vorhofflimmern, die am häufigsten vorkommende Herzrhythmusstörung in der Allgemeinbevölkerung, wurde aufgrund der Krankengeschichte oder anhand von Studien-EKGs diagnostiziert.

Die Forscher weisen denn auch einschränkend darauf hin, dass nicht der physikalische Lärm gemessen wurde, sondern Lärmbelästigung. Die Lärmbelästigung (im Englischen Annoyance) sei aber der wichtigste Indikator für die Entscheidung, welche Geräuschbelastungen als erheblich oder unzumutbar angesehen werden müssten und eine gesundheitsschädigende Wirkung hätten, heißt es weiter: „Ärger, gestörter Schlaf, Erschöpfung und Stresssymptome durch Lärm beeinträchtigen auf Dauer Wohlbefinden, Gesundheit und Lebensqualität.“ Die Fluglärmbelästigung habe 60 Prozent der Bevölkerung betroffen, also mehr als jeden zweiten in der Region Mainz-Bingen – und habe damit andere Lärmquellen wie Straßen-, Schienen- oder Nachbarschaftslärm deutlich übertroffen.

„Der Zusammenhang zwischen Lärmbelästigung und Vorhofflimmern ist ein wichtiger Befund, der vielleicht auch erklärt, warum Lärm zu mehr Schlaganfällen führen kann“, sagte Münzel. Es dürfe aber auch nicht vergessen werden, dass Lärm auch zu gesundheitlichen Schäden führe, ohne dass eine Ärgerreaktion vorliegen müsse.

Mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens durch die dritte Landebahn im Nordwesten 2011 ist die Fluglärmbelastung gerade über Mainz und dem rheinhessischen Umland stark gestiegen. Die Forscher untersuchten auch, welche Auswirkungen das 2011 eingeführte Nachtflugverbot in Frankfurt von 23.00 Uhr bis 5.00 Uhr auf die von den Teilnehmern angegebene Fluglärmbelästigung hatte.

Es habe „einen signifikanten Anstieg der Fluglärmbelästigung nach Einführung des Nachtflugverbots gegeben, und das sowohl am Tag als auch beim Nachtschlaf“, sagte Münzel. Dies könne unter Umständen daran liegen, dass trotz des Nachtflugverbotes insgesamt die Zahl der Flugbewegungen nicht abgenommen habe und Flugbewegungen mehr in den Randstunden von 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr und 5.00 Uhr bis 6.00 Uhr konzentriert worden seien. Die Konsequenz daraus müsse eine Ausdehnung des Nachtflugverbotes auf 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr morgens sein, forderte der Herzspezialist, das entspreche im Übrigen dem gesetzlich definierten Nachtzeitraum.

Grafik zur Studie Gefäßschäden durch Fluglärm der Mainzer Kardiologie. – Grafik: Mainzer Universitätsmedizin

Ryanair: Neuer Rekord mit 40 verspäteten Maschinen allein im April

Mit den Erkenntnissen der Forscher, dass insbesondere nächtliche Lärmbelästigung durch Fluglärm Herzflimmern auslösen kann, bekommt auch eine andere Nachricht neue Brisanz: Die irische Billigfluglinie Ryanair bricht weiter in hohem Maße das Nachtflugverbot. Wie das Hessische Verkehrsministerium am Donnerstag auf Anfrage von Mainz& mitteilte, landeten im April 38 Maschinen von Ryanair erneut verspätet nach 23.00 Uhr. Das waren 53 Prozent aller 72 verspäteten Landungen und für Ryanair neuer Rekord: Vor dem neuen Sommerflugplan lag der Anteil der verspäteten Ryanair-Flieger noch bei 22 Prozent, schon das galt als gravierend.

Das Land Hessen hatte deshalb seinen Druck auf die Fluglinie erhöht und mit Mahnungen und Einbestellungen ins Ministerium auf das Einhalten der Nachtfluggrenze gedrungen – vergeblich. Mit dem Sommerflugplan Ende März stieg die Zahl der Verspätungen durch Ryanair-Flugzeuge massiv an. Das Ministerium wirft Ryanair inzwischen vor, die Grenze bewusst durch eine zu eng getaktete Flugplangestaltung zu verletzen – das wäre eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld bis zu 50.000 Euro Höhe geahndet werden könnte. Das Ministerium hatte deshalb Mitte April ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Ryanair beim zuständigen Regierungspräsidium Darmstadt eingeleitet, dort sollen nun sämtlich verspätete Flüge der beiden Ryanair-Verbindungen nach London-Stansted und Barcelona – insgesamt 29 – untersucht werden – von diesen beiden Flughäfen kommen besonders viele Ryanair-Flieger verspätet in Frankfurt an.

Ryanair hat wiederholt betont, man tue alles, die Nachtfluggrenze einzuhalten. „Für alle Flüge von Ryanair nach Frankfurt am Main wird bei der Planung das Nachtflugverbot berücksichtigt“, hieß es im März in einer Stellungnahme. Im März seien aber einige der Frankfurt-Flüge „von geringfügigen Verspätungen betroffen“ gewesen, die durch von Fluglotsen verursachte Slot-Verspätungen in Großbritannien und Deutschland zustande gekommen seien. „Wir haben uns bereits schriftlich an die zuständigen Behörden gewandt, um diese zu einer Lösung dieses Problems aufzufordern“, sagte Robin Kiely, Kommunikationsdirektor bei Ryanair.

Fluglärmspuren am 2. Mai 2018 über Mainz, aufgezeichnet vom Deutschen Fluglärmdienst. – Screenshot: gik

In Hessen klingen die Gründe der Fluglinie den Politikern der Opposition aber offenbar immer weniger stichhaltig: „Ryanair tanzt der schwarz-grünen Landesregierung weiterhin auf der Nase herum und offenbart ihre Handlungsunfähigkeit“, sagte der SPD-Flughafenexperte Marius Weiß: „Man hat das Gefühl, dass jedes Mal, wenn die Landesregierung auf das Verhalten von Ryanair mit neuem hilflosen Aktionismus reagiert, die Zahlen im nächsten Monat wieder schlechter werden.“ Diese Bilanz „blamiert die Landesregierung schlicht, denn sie hat offensichtlich weder eine Idee noch eine Handhabe gegen diese Entwicklung, die sie mit der Ansiedlung von Ryanair selbst geschaffen hat“, betonte der SPD-Politiker.

Auch Linksfraktionschefin Janine Wissler nannte das Agieren von Ryanair „immer dreister“: „Wenn allein eine Airline 40 Mal in einem Monat nach 23.00 Uhr landet, wird das Nachtflugverbot zur Farce“, kritisierte Wissler. Ryanair lasse sich nicht von Ordnungswidrigkeiten-Verfahren beeindrucken, Ryanair schere sich nicht um den Schutz der Anwohner, der Beschäftigten oder der Umwelt. „Das System des Dumpingfliegers beruht auf einem auf Kante genähten Flugplan, unter dem Beschäftigte im Flugzeug, am Boden sowie die Passagiere zu leiden haben“, kritisierte sie: „Das Übertreten von Gesetzen und Regelungen zum Schutz von Menschen und Natur ist Teil des Geschäftsmodells.“ Besonders litten darunter die Menschen, deren Nachtruhe gestört werde.

Info& auf Mainz&: Die genauen Ergebnisse der Untersuchung „Lärmbelästigung und Herzflimmern“ („Annoyance to different noise sources is associated with atrial fibrillation“) wurden in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „International Journal of Cardiology“ veröffentlicht – und hier könnt Ihr das Paper auf Englisch herunterladen. Mehr zu der Problematik mit verspäteten Ryanair-Flügen könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.

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