Wir fragen uns: Warum diese Hektik? Warum diese Heimlichtuerei? Der Mainzer Landtag steht an prominenter Stelle in Mainz, das Deutschhaus ist ein elementarer Teil der Stadtgeschichte. Von seinem Balkon aus wurde die erste Republik auf deutschem Boden ausgerufen, hier rangen die Mainzer um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Gemeinsam mit dem Kurfürstlichen Schloss bildet das Deutschhaus zudem ein großartiges Ensemble voller Geschichte und Symbolik, schon lange wird in Mainz um eine Aufwertung der Achse an der großen Bleiche gerungen. Und als ginge sie das alles nichts an, setzen mitten hinein die Verantwortlichen des Mainzer Landtags unter Ausschluss der Öffentlichkeit nun ein Kunstwerk: drei Metallstangen, neun Meter hoch, an jedem soll ein Stück Stoff flattern, Schwarz, Rot, Gold. Doch das Spiel mit den Nationalfarben wird in der Realität weder zum Nachdenken, noch zum Verweilen anregen: Abgehoben von der Bevölkerung, haut es den Bürgern ihre Nationalfarben schlicht um die Ohren. Was für ein Signal der Demokratie…

Der Siegerentwurf „Drei Farben“ für den neuen Mainzer Landtag: flatternde Bahnen in luftiger Höhe. – Foto: Landtag

Die „Kunst am Bau“ ist ein hehres Element der Bauvorgaben unserer Zeit, sie soll uns gemahnen, dass Funktionalität nicht alles und der Mensch mehr ist, als eine Maschine und die Gesellschaft mehr als ein Gebilde aus Beton. Gut so – wären da nicht die vielen Fälle, in denen Kunst am Bau bei den Bürgern im Nachhinein mehr Kopfschütteln verursacht, als Freude und Inspiration auslöst. Und so einen Fall bekommen wir gerade wieder beschert, in Mainz am neuen Mainzer Landtag.

Als „Kunst am Bau“ nämlich kürte eine laut Pressemitteilung „hochkarätige Jury“ unter dem Vorsitz einer Darmstädter Kunstexpertin ein Kunstwerk aus drei Metallrahmen mit einem Stück Stoff darin. Das ist die auf den ersten Blick sichtbare Essenz der „Drei Farben“, ein Kunstwerk, das mit den Nationalfarben Schwarz, Rot und Gold spielt und der Historie dieser drei Farben, die aus der Fahne des Hambacher Schlosses stammen – Einzelheiten dazu bitte hier nachlesen.

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Doch wie Kunstwerke nun einmal so sind, erklären auch die „Drei Farben“ dem unbedarften Betrachter – nichts. Wer ihren Sinn erkennen will, braucht viel Hintergrundwissen, über die Demokratie, die Geschichte von Mainz, das Hambacher Fest in der Pfalz. Auf der Wiese neben dem Landtag wird das nicht zu finden sein. Doch die drei Metallrahmen, neun Meter hoch, werden die Wiese neben dem Landtag prägen, und das in einer Situation, in der in Mainz um die Neugestaltung genau dieses Areals intensiv gerungen wird.

Das Areal rechts und links der Großen Bleiche war schon Festivalgelände und Sportmeile, Public Viewing Area und einfach nur Wiese. Die Frage ist: was passiert damit in der Zukunft? – Foto: gik

Da wird mal von einem Schlosshotel geträumt, und mal von einem barocken Schlossgarten, der Ernst Ludwig-Platz könnte Festmeile werden und bedarf vor allem dringend der Aufwertung – die Mainzer brauchen dringend mehr und attraktivere Grünanlagen in ihrer Stadtmitte. Inzwischen ist das Schlosshotel – so besagt es die Gerüchteküche von Mainz – passé, die Aufwertung der Grünanlagen bekommt dadurch erst richtig neue Dynamik: Nun wäre der Platz da zum Gestalten, zum Schaffen von Verweiloasen, von Treffpunkten. Die Stadt wollte indes neben der Sanierung des Schlosses auch den Umbau des Landtags abwarten, schließlich entsteht zur Großen Bleiche hin ein neuer Anbau.

Da klatscht, wir sagen das jetzt mal so, der Landtag den Mainzern einfach ein Kunstwerk auf die Wiese, mit dem so richtig niemand etwas anfangen kann. Die „Drei Farben“ mögen hochsymbolisch und sehr künstlerisch mit der deutschen Nationalfahne spielen – einen attraktiven Raum, der zum Verweilen einlädt, schaffen sie zumindest auf den ersten Blick nicht. „Wäscheleine“ lautete ein erster, spontaner Spitzname für die Metallgestelle, die flatternden Fahnenbahnen sollen zudem extra verwittern und verblassen – was sollen die Mainzer damit anfangen? Dass die Fahnen zum Reflektieren über die Demokratie einladen sollen, klingt wie ein Witz, ein schlechter wird es, wenn man die Alternativen sieht: Ein Raum für Vielfalt, ein echter Treffpunkt, ein Ort zum Debattieren, ein Garten gar hätte hier entstehen können. Ein Kunstwerk, das die Menschen im Land spiegelt, die menschliche Vielfalt, die demokratischen Prozesse. Die flatternden Bahnen in luftiger Höhe sind nichts davon.

Einer der Alternativvorschläge: Ein begehbarer Garten in Form des Plenarrundes mit Min-Beeten statt Stühlen. – Foto: gik

Die Entscheidung fiel zudem hinter verschlossenen Türen, heimlich, in einer Jury unter Vorsitz von Nicht-Mainzern. 170 (!) Kunstwerke aus ganz Europa werden mit einem Strich vom Tisch gewischt, ohne dass die Öffentlichkeit auch nur von ihnen erfährt. Zehn Finalentwürfe mit Modellen, ganzen Präsentationstafeln und ausführlichen Konzepten werden genau eine Woche lang im Landtag ausgestellt – nachdem die Entscheidung schon gefallen ist. Offenbar will man jede Debatte über das Kunstwerk im Keim ersticken, anders ist diese Hektik und Heimlichtuerei nicht zu erklären.

Der Landtag stellt die Stadt vor vollendete Tatsachen, schlimmer noch: Er stellt die Bürger vor ein Kunstwerk, das ihnen Tuch um die Ohren haut, anstatt Raum für Debatten und Begegnung zu schaffen – genau den Bürgern, die im Landtagsrund vertreten werden sollen. Bei allem Respekt vor dem Kunstwerk: Das ist eines Parlaments voller Volksvertreter unwürdig, das hat niemand verdient. Mainz nicht, seine Bürger nicht, die Fahne nicht – und die Demokratie schon gar nicht.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Siegerentwurf „Drei Farben“ am neuen Mainzer Landtag lest Ihr hier auf Mainz&, mehr zu den anderen neun Finalisten könnt Ihr hier bei Mainz& lesen. Die Modelle der zehn Finalteilnehmer könnt Ihr sehen, wenn Ihr Euch sehr beeilt: Am Mittwoch schließt die Ausstellung in der Steinhalle des Landesmuseums schon wieder.

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