Er war der erste Rebell der Neuzeit, Bibelübersetzer, Genussmensch, streitbarer Geist: 2017 ist es genau 500 Jahre her, dass Martin Luther mit seinen 95 Thesen eine Revolution auslöste. „Eine Diskussion wollen, eine Revolution anzetteln“, so brachte es der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) am Donnerstag auf den Punkt. Auch Mainz feiert natürlich das Lutherjahr, auch wenn der Reformator wohl nie hier war. Doch Johannes Gutenbergs Buchdruck-Erfindung legte die Grundlage für Luthers Revolution, Grund genug, den Reformator auch in Mainz zu feiern. Den Auftakt bildet nun eine spannende Ausstellung im Mainzer Rathaus: Mit „Bildern von Luther“ wirft der Bildhauer Herbert Birck ein spannendes und sehr menschliches Licht auf den Theologieprofessor aus Wittenberg.

Harald Birck mit Luther Kopf im Foyer des Mainzer Rathauses
Künstler Harald Birck mit seinem großen Luther-Kopf im Foyer des Mainzer Rathauses – Foto: gik

„Nachdenklich, polternd, geistreich, launisch“ – nein, Martin Luther sei kein einfacher Mensch gewesen, meinte Ebling zur Eröffnung der Ausstellung im Rathausfoyer und fragte mal ganz direkt: „Wen feiern wir da eigentlich?“ Gute Frage: Der Mönch und Theologieprofessor ist durch die Revolution, die er auslöste, zum Mythos geworden. „Wir alle haben von Luther ein Bild im Kopf“, sagte der evangelische Stadtdekan Andreas Klodt: Luther, stattlich, groß, unerschrocken vor dem Reichstag in Worms, die Bibel in der Hand, sein berühmtes „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ auf den Lippen. Oder auch Junker Jörg auf der Wartburg bei Eisenach, das Tintenfass nach dem Teufel werfend.

Neue Bilder von Luther – Künstler Birck zeigt den zweifelnden Reformator

Das 19. Jahrhundert prägte unsere Bilder von Luther, sowie die Gemälde des Malers Lukas Cranach des Älteren, eines Zeitgenossen Luthers. Der wahre Luther sei „wesentlich vielfältiger als das, was wir kennen“, sagte Klodt. Und so habe denn auch der Berliner Künstler Harald Birck dem anderen Luther, dem menschlichen, nachgespürt: Den zweifelnden, den zerbrechlichen Luther könne man in seinen Statuen finden, sagte Ausstellungskurator Andreas Pitz. Die Ausstellung war schon in Gladbach und München zu sehen, jetzt ist sie nach Mainz gekommen. Birck selbst sagte, er habe den angeschlagenen, den zitternden und trotzdem standhaften Luther zeigen wollen, „nicht den Über-Luther, sondern den Menschen.“ Heraus kamen kraftvolle kleine Statuen, die ein spannendes Bild auf den Reformator und sein Ringen werfen.

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„Ein Mann, der sich nicht in Schubladen stecken ließ“, nannte Ebling den Mann aus Wittenberg. Tatsache ist: Die Diskussion, die der Theologe 1517 anstieß, führte zu einer Revolution. Luther wollte eine Reform der Kirche, am 31. Oktober 1517 schlug er seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg – und löste damit ein Erdbeben aus. Am Ende standen Religionskriege und eine Kirchenspaltung – und die Geburt einer zweiten christlichen Kirche, der protestantischen.

Luther als streitender Bär von Harald Birck
Luther, ein ringender, temperamentvoller Streiter, so sieht ihn Künstler Harald Birck in dieser Figur – Foto: gik

Poetry Slam, Jazz-Bigband, Musical und Churchnights

„Wir feiern hier den Beginn einer Revolution“, sagte Ebling am Donnerstag, denn das ganze Jahr über wird auch in Mainz des Beginns der Reformation und Luthers Wirken gedacht. Dutzende von Veranstaltungen, Lesungen, Vorträgen und Gottesdiensten beleuchten das Wirken und die Wirkung des Reformators. „Wir möchten raus gehen in diesem Jahr, raus auf die Plätze, unsere Räume verlassen und unters Volk gehen – wie Luther“, sagte Juliane Diel vom Evangelischen Dekanat Mainz. Und so gibt es Luther-Stummfilm und Luther-Musical, eine Kinderbibelnacht am 28. Januar und die lange Churchnight am 2. September für Jugendliche, die mit Luther durch die Nacht führt.

„Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf“ – Martin Luther wäre vermutlich ein guter Poetry Slammer gewesen, und so widmet sich am 31. August ein Poetry Slam der Macht der Worte Luthers, hinterfragt sie kritisch und betrachtet sie satirisch und frech – Luther hätte das gefallen. Denn der Reformator rang in seiner Bibelübersetzung um jedes Wort und wusste genau um die Macht der Sprache. Am 27. August findet ein großes Mainzer Tauffest unter freiem Himmel statt, am 18. Juni würdigt eine Jazz-Bigband mit der Soulsängerin Sarah Kaiser in der Christuskirche Luther – schließlich hinterließ Luther auch über 30 Kirchenlieder, die er komponierte und textete.

Alles Luther – mit Tanzuraufführung SHIFT in der Christuskirche

Also „Alles Luther, oder was?“ Definitiv: Am Freitag, dem 20. Januar, beginnt eine Vortragsreihe mit genau diesem Titel, die mit dem Thema Luther und die Entdeckung der Gewissensfreiheit startet und dann auch anderen Reformatoren wie Erasmus von Rotterdam sowie Reformatorinnen nachspürt. Denn was Luther auslöste, war viel mehr als eine Glaubenskrise: Er beförderte die Entwicklung einer neuen Geisteshaltung, die von Humanismus und der beginnenden Renaissance – also der Wiederentdeckung der Antike – mit befeuert wurde. Die Wiederentdeckung der antiken Gedankenwelt, vom Menschen als selbstverantwortlichem Wesen, befreite das Denken aus den vielen Fesseln, die gerade die mittelalterliche Kirche den Menschen auferlegt hatte.

Luther Büste von Harald Birck im Rathaus
Luther Büste von Harald Birck – Foto: gik

Und genau dieser Spur spürt eine ganz besondere Kooperation im Lutherjahr nach: Gemeinsam mit dem Mainzer Staatstheater hat das Evangelische Dekanat eine ganze Reihe von Konzerten, Lesungen, Workshops und künstlerischen Projekten aufgelegt. Den Anfang macht gleich kommende Woche SHIFT, eine große Tanzproduktion des Staatstheaters, die in der Christuskirche gezeigt wird. Der renommierte portugiesische Choreograph Rui Horta will dann mit zwölf Tänzern die Idee der Reformation und den Prozess der Erneuerung hin zu einer frei denkenden, selbstbestimmten Religion künstlerisch reflektieren – inspiriert von der Architektur der Christuskirche, dieses Rundbaus auf der Kaiserstraße, der ja mit seiner Höhe den Dom herausfordert…

Erste Protestanten mussten über den Rhein nach Biebrich zum Gottesdienst

Die ersten Protestanten mussten übrigens jahrzehntelang über den Rhein nach Biebrich zum Gottesdienst, bis ihnen der französische Präfekt Jeanbon St. André 1802 mit der Altmünsterkirche die erste Kirche als eigenes Gotteshaus überließ. Die Christuskirche ist sichtbares Zeichen dafür, wie stark der Protestantismus in Mainz ist: Laut Wikipedia standen 2014 im angeblich so erzkonservativen Mainz rund 73.600 Katholiken etwa 46.000 Protestanten gegenüber – Mainz hat wahrlich eine starke protestantische Gesinnung 😉 Schon früh soll es Domprediger gegeben haben, die gar im Mainzer Dom, dem Sitz des Erzbischofs, reformatorische Gedanken verbreitet haben – Wolfgang Capito, 1520 als Domprediger an den Mainzer Dom berufen und dann Berater des Erzbischofs Albrecht von Mainz, wird hier an vorderster Stelle genannt. Capito galt als Verteidiger Luthers, bekannt wurde er als bedeutender Reformator von Straßburg, wohin er sich 1523 zurückzog.

Lesender nachdenkliche Luther von Harald Birck
Lesender nachdenklicher Luther von Harald Birck – Foto: gik

Luther selbst war wohl nie in Mainz, vielleicht machte er bewusst einen Bogen um die Stadt, in der sein ärgster Widersacher saß: Denn es war ausgerechnet Erzbischof Albrecht von Mainz, der zum Auslöser von Luthers Thesenanschlag wurde. Albrecht nämlich war oberster Verfechter des Ablasshandels, mit den Einnahmen wollte er wenigstens zum Teil seine Schulden bei den Bankiers der Fugger bezahlen. Es war Albrechts Instructio Summarum, eine Anweisung für im Land umherziehende Ablassprediger, die Luther zum Verfassen seiner 95 Thesen animierte. Und es war Albrecht von Mainz, der Luther in Rom anzeigte und vor den Reichstag nach Worms zitierte.

Staatstheater widmet sich der Macht der Sprache, Mathis dem Maler und dem Anderssein

500 Jahre Reformation böten „einen reizvollen Anlass“ für die Auseinandersetzung „mit gesellschaftlicher Veränderung, mit der Macht von Sprache und mit der Wirklichkeit, die durch sie geschaffen wird“, sagte Staatstheaterintendant Markus Müller bei der Vorstellung des Programms vergangenes Jahr: „Den Dingen auf den Grund zu gehen, um sie dann neu und möglicherweise ganz anders zu denken, ist eine Kernkompetenz des Theaters.“ Und so wird im März im Staatstheater im Jugendtheaterstück „Anders“ von Andreas Steinhöfel das Thema des Andersseins ebenso verhandelt wie die Frage nach Schuld und Vergebung. Und ab dem 19. März widmet sich ein ganzer Reigen von Veranstaltungen der Oper „Mathis der Maler“, dem Werk von Paul Hindemith, das das Werken des Renaissance-Malers Matthias Grünewald aufgreift, der den berühmten Isenheimer Altar schuf. Zu dem wiederum das Evangelische Dekanat am 13. Mai eine Reise nach Colmar anbietet.

Aber natürlich gibt es noch eine ganz andere, wichtige Verbindung zwischen Luther und Mainz: Es war die Erfindung von Johannes Gensfleisch zu Gutenberg des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, die den Weg zu Luthers Revolution ebnete. Denn mit Gutenbergs Erfindung wurde erst die massenhafte Verbreitung von Luthers Thesen per Flugschrift möglich – „die Reformation war auch eine Medienrevolution“, wie Ebling sagte. Und so könne man wohl etwas verkürzt sagen, „ohne Mainz kein Wittenberg“, das sei eben „die Sicht eines Mainzer Oberbürgermeisters“, fügte er schmunzelnd hinzu.

Luthertafel am Reformationstag – und Motivwagen im Rosenmontag

Luther mitten ins Leben holen - Ausstellung Birck
Luther mitten ins Leben holen, auf die Plätze, unter die Menschen, das will das Evangelische Dekanat in Mainz in diesem Jahr – Foto: gik

Höhepunkt des Lutherjahres ist aber natürlich auch in Mainz der Reformationstag am 31. Oktober – und er wird auf wahrhaft meenzerische Weise begangen: Eine Luthertafel lädt dann die Mainzer in die Innenstadt zum gemeinsamen Genießen ein, es gibt Luther-Bier und Kürbissuppe, Fleischwurst und Katharina von Bora-Wein, benannt nach Luthers Ehefrau. „Iss, was gar ist, red‘ was wahr ist“, soll Luther gesagt haben, seine Tischreden waren legendär. Gelöst und frei soll es auch bei der Luthertafel auf dem Bischofsplatz zugehen, Schauspieler werden sich zwischen die Gäste mischen und Luthers Tischreden zitieren. Posaunen spielen auf, eine Thesentür lädt zum Nachdenken ein, und für die Kinder gibt es Wartburgbauen und Tintenfassweitwurf.

Den „Höhepunkt“ der Mainzer Würdigung aber erfährt der Reformator an Rosenmontag: Luther bekommt einen eigenen Wagen im Mainzer Rosenmontagszug. Und wenn wir nach dem Vers gehen, den das Evangelische Dekanat dazu geschmiedet hat, dann können wir uns schon vorstellen, wie der aussehen wird: „Doch Luther lässt sich nicht beirren – mit Weck, Worscht, Woi in allen Wirren.“

Info& auf Mainz&: Die Ausstellung „Luther im Bild“ ist noch bis zum 25. Januar 2017 im Foyer des Mainzer Rathauses zu sehen, der Eintritt ist wie immer kostenfrei. Zur Ausstellung gibt es einen Katalog für 19.90 Euro mit Texten allerlei Prominenter zu Martin Luther – von Frank Walter Steinmeier über Malu Dreyer bis Julia Klöckner und Harald Martenstein. Eine Führung mit dem Künstler Harald Birck gibt es am Samstag, dem 21. Januar um 11.00 Uhr, danach könnt Ihr um 19.30 Uhr zur Uraufführung des Tanzstückes SHIFT in die Christuskirche gehen. Das ganze Programm zum Lutherjahr in Mainz findet Ihr auf der Homepage der Stadt Mainz, genau hier, und natürlich auf den Seiten des Evangelischen Dekanats Mainz, hier geht’s zur Startseite. Wenn Ihr mehr über Luther und die Reformation in Mainz wissen wollt – am 17. Juni gibt’s um 14.00 Uhr einen Rundgang zum Thema „500 Jahre Reformation in Mainz“.

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