Nun hat es auch Mainz erwischt: Auch die Stadt Mainz muss 2019 ein Fahrverbot in ihrer Innenstadt einführen – sofern die Stickoxidwerte nicht im ersten Halbjahr 2019 deutlich sinken. Allen Beteuerungen der Politik und allen Bemühungen der Stadt zum Trotz verhängte das Verwaltungsgericht Mainz am Mittwoch: Der aktuelle Luftreinhalteplan der Stadt Mainz ist nicht ausreichend, die Stadt muss ihn so fortschreiben, dass der Grenzwert für Stickoxide „schnellstmöglich“ eingehalten werden kann. Und dabei habe die Stadt „auch die Erforderlichkeiten von Verkehrsverboten für Dieselfahrzeuge einbeziehen.“ In der Verhandlung am Mittwoch machte das Gericht nämlich auch klar: alle bisher getroffenen und gestarteten Maßnahmen reichen nicht aus, eine weitere Verschiebung der sinken Werte in die Zukunft ist zu vage und zu weit weg. Damit drohen Mainz sehr reale Fahrverbote ab dem 1. September 2019 – denn das die Stickoxidwerte bis Juni 2019 auf 40 Mikrogramm sinken, ist kaum zu schaffen.

Kämpfer für saubere Luft, für Dieselfahrverbote und Umrüstung der Dieselfahrzeuge mit Hardware: Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. – Foto: gik

Besonderen Wert legte die oberste Richterin Stefanie Lang am Mittwoch in der mündlichen Verhandlung nämlich auf ein besonderes Wort: „schnellstmöglich.“ „Die Beklagte überschreitet den Grenzwert zum Schutz der Gesundheit der Menschen bereits seit mehreren Jahren“, sagte Lang wörtlich, und eine Überschreitung des Grenzwertes sei auch 2018 zu erwarten. 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft schreibt das Gesetz als maximalen Wert für die als giftig und gesundheitsschädlich geltenden Stickoxide vor, in der Mainzer Parcusstraße wurden im Jahresmittelwert 2017 noch immer 48 Mikrogramm erreicht. Die Stadt Mainz argumentiert, die Werte seien seit Jahren im Sinken begriffen, das werde auch so weiter gehen – das Gericht war sichtbar skeptisch. „Es reicht nicht, dass ein Trend zur Reduzierung da ist, der Grenzwert muss eingehalten werden“, sagte Lang streng.

Dazu legte die Deutsche Umwelthilfe überraschend weitere Zahlen vor Gericht vor: Ganz kurzfristig habe man noch eine Studie des Autoexperten Dudenhöfer von der Universität Duisburg-Essen bekommen, der habe die Realwerte für 2018 ausgewertet, sagte DUH-Anwalt Remo Klinger. Und danach sänken die Stickoxidwerte in Mainz keinesfalls, „die Werte in der Parcusstraße steigen“, betonte Klinger: „Wir liegen bei 48,5 Mikrogramm.“ Dazu verwies die DUH auf sogenannte Passivsammler, die zusätzlich zu den festen Messstellen eingesetzt werden – und da lägen die Werte gar bei 59 Mikrogramm an der Binger Straße, bei 58 Mikrogramm an der Rheinallee und bei 53 Mikrogramm auf dem Neubrunnenplatz.

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Könnten doch 2019 in Mainz aufgestellt werden: Schilder für ein Dieselfahrverbot in der Mainzer Innenstadt. – Foto: gik

„Der Grenzwert ist für das gesamte Stadtgebiet einzuhalten“, betonte Lang, genau das könne die Stadt aber derzeit nicht gewährleisten. Daraus folge die „zwingende Verpflichtung“, solche Maßnahmen in den Luftreinhalteplan aufzunehmen, die die Werte bis zu einer Unterschreitung des Grenzwertes absinken ließen – und genau das müsse „kurzfristig“ geschehen. Lang stellte völlig klar: unter Kurzfristig sei binnen weniger Wochen zu verstehen, da reiche kein Ende des Jahres 2019, und erst recht kein 2020. Die Stadt hatte aber argumentiert, man werde durch die Umrüstung der Dieselbusflotte, durch den Ausbau des Radverkehrs sowie durch weitere Maßnahmen Ende 2019 den Grenzwert einhalten können – Lang blieb noch immer skeptisch: „Also erwarten Sie selbst, dass der Wert erst 2020 eingehalten werden kann“, sagte sie unverblümt in Richtung der städtischen Vertreter – das sei einfach zu spät. Der Grenzwert gelte dann seit zehn Jahren, das könne man nun wirklich nicht „so schnell wie möglich“ nennen. „Wir können nicht weiter vertrauen und warten“, fügte sie hinzu.

Auch hätten die bisherigen Maßnahmen ja offenbar nicht zu einer ausreichenden Reduzierung der Stickoxide geführt, sagte Lang weiter, der Luftreinhalteplan selbst gehe nicht von einer kurzfristigen Reduzierung aus. Mainz hatte im Sommer eigens noch einen „Masterplan Green City“ mit rund 70 Maßnahmen zur Verbesserung der Luftwerte in der Innenstadt vorgelegt, doch nicht einmal das reichte dem Gericht: Sämtliche Maßnahmen seien „nicht zur schnellstmöglichen Einhaltung“ des Grenzwerts ausreichend, betonte Lang. Das gelte sogar auch für die Umrüstung der Dieselbusse. Die Stadt hatte vor Gericht argumentiert, man werde bis Ende 2018 sämtliche Busse der MVG auf Euro 6-Norm umgerüstet haben, am Montag beginne der Einbau der SCA-Filter. Dazu seien bereits zwei E-Busse sowie zwei Wasserstoffbusse bestellt, die Anfang 2019 geliefert würden.

„Wir haben Bedenken, was die Busumrüstung angeht“, sagte Lang dazu, „da kann man schon ein Fragezeichen machen, ob das wirklich so umsetzbar ist.“ Die Realität sehe oft anders aus, auch bleibe die Frage, ob die prognostizierte Senkung um 4 bis 5 Mikrogramm dann auch wirklich eintrete. Zudem lägen die Stickoxidwerte dann immer noch über dem Grenzwert, betonte die Richterin. Zudem hingen Maßnahmen wie Radverkehr und ein Umstieg auf Busse und Bahnen „oft von der Mitwirkung Dritter ab“, das sei nicht kalkulierbar. Gerade beim Radverkehr habe Mainz ja schon kräftig agiert, das habe sich aber auf die Stickoxidwerte nicht entscheidend ausgewirkt, sagte Lang weiter – es sei zu fragen, ob da nicht schon „ein Scheitel erreicht“, ob die Attraktivität überhaupt weiter zu steigern sei. „Man kann da Zweifel mit Blick auf die Wirkung haben“, sagte Lang wörtlich.

Diesel-Fahrzeuge gelten in Mainz als Verursacher von rund 30 Prozent der Luftschadstoffe, jetzt muss die Stadt umgehend handeln, befand das Verwaltungsgericht. – Foto: gik

Die Deutsche Umwelthilfe warf an dieser Stelle dann auch noch ein, dieses Argument komme bei der Verteidigung häufig, doch in der Regel sagten die Gerichte dann, solche Effekte seien „nicht quantifizierbar – und deshalb nicht einzurechnen.“ Die Richterin folgte dieser Argumentation. „Ihr Plan ist auf Kante genäht“, sagte sie in Richtung der Stadt, die Frage sei: „Wie realistisch ist es, dass das auch eintritt?“ Die Vertreterin der Stadt räumte das sogar ein – und verwies dann auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Wenn die Einhaltung des Grenzwerts auf anderem Wege erreichbar sei, so das Bundesverwaltungsgericht, seien Fahrverbote unverhältnismäßig, argumentierte Susanne Schuck vom Rechtsamt der Stadt.

Das gelte nur, falls die Werte „unerwartet drastisch“ sänken, hakte hier DUH-Rechtsanwalt Klinger ein: „Ihre Darstellung ist nicht das Beispiel, was das Gericht im Kopf hatte.“ Das Gericht habe womöglich Hardware-Nachrüstungen der Diesel-PKW im Kopf gehabt, die eine plötzliche Änderung der Situation auslösen könnten. „Aber die Bundesregierung belässt es ja nur bei Bitten in Richtung Automobilindustrie“, fügte Klinger hinzu.

Das Gericht folgte am Ende zum Großteil der Argumentation der DUH: Die Stadt müsse bis zum 1. April 2019 einen neuen Luftreinhalteplan vorlegen, und der müsse entsprechende Konzepte für Fahrverbote einschließen. „Sie müssten sich über ein Fahrverbot Gedanken machen, wenn die anderen Maßnahmen nicht reichen“, sagte Lang in der Verhandlung, und diese Gedanken „müssen sie sich jetzt schon machen, um sie ohne Zeitverlust umsetzen zu können.“

Tabelle der Jahresmittelwerte von Stickoxiden in Mainz laut Landesumweltamt. Im Jahr 2017 lag der Wert in der Parcusstraße noch bei 48 Mikrogramm, in der Großen Langgasse bei 42 Mikrogramm. – Foto: gik

Gleichzeitig ließ das Gericht aber eine Tür offen: Sollte Mainz es schaffen, dass die Stickoxid-Werte im ersten Halbjahr 2019 unter den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sinken, müssen Fahrverbote nicht verhängt werden. Damit wolle man ausdrücklich die Bemühungen der Stadt zur Verbesserung der Luftqualität würdigen, sagte Lang. Fahrverbote seien eine „effektive und schnell wirkende Maßnahme“, sei eine Senkung der Werte nicht anders zu erreichen, müssten solche Verbote zum 1. September 2019 einbezogen werden. Das Gericht ließ eine Revision zu.

„Wir sind sehr zufrieden“, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch nach dem Urteil, das Gericht habe eine „sehr kluge Entscheidung“ getroffen. „Wir glauben, dass die Luft in Mainz durch die Maßnahme sauberer wird“, betonte Resch, das sei ein guter Tag für die Menschen in Mainz. Zugleich unterstrich er, das sei auch ein „klares Urteil der achtjährigen Untätigkeit“, das müsse jetzt „für Politiker der Weckruf“ sein. „Was wir jetzt brauchen ist ein Durchgreifen der Bundesregierung in Richtung Autoindustrie“, betonte Resch. Der Bund müsse die Hersteller jetzt endlich zu Hardware-Nachrüstungen verpflichten, und zwar durch einen amtlichen Rückruf. Die Behauptung der Autoindustrie, eine Nachrüstung dauere Jahre, sei falsch, „wir haben nachgewiesen, dass das kurzfristig geht“, sagte Resch. Die Teile seien zugelassen und entwickelt, die Software-Updates hingegen wirkungslos.

„Es kann nicht weiter gehen, dass die Autoindustrie geschützt wird“, betonte Resch, die Fahrzeughalter müssten endlich entschädigt werden und saubere Autos bekommen. „Wir wollen doch nicht Messsensoren glücklich machen, sondern Menschen in der Stadt“, sagte Resch, „ich verstehe nicht, warum man den Herstellern nicht auferlegt, den Betrug zu beseitigen.“ Sollte die Bundesregierung diesen Weckruf von Mainz „erneut missverstehen“ – nun, man habe noch sechs weitere Klagen anstehen, sagte Resch. Die DUH habe bisher keine einzige Klage wegen Dieselfahrverboten verloren – Mainz sei die Nummer 13 gewesen.

Und selbstverständlich könne man die Autoindustrie zur Nachrüstung auf ihre Kosten zwingen, sagte Resch auf Mainz&-Nachfrage noch: Der Terminus dafür laute „in normal Use“, also „im normalen Gebrauch“, und das gelte ja auch bei Sicherheitsgurten oder Bremsen, erklärt Resch, und fügte hinzu: „Bei Bremsen würde man sich ja auch nie darauf einlassen, dass die nur im Labor funktionieren.“

Info& auf Mainz&: Wie die Stadt Mainz und die politischen Parteien in Mainz auf das Urteil reagieren, das lest Ihr hier auf Mainz&. Mehr zur Argumentation der Stadt in Sachen masterplan Green City und Busumrüstungen lest Ihr hier in diesem Mainz&-Artikel.

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