Seit 2013 wird von Wiesbadener Seite aus die neue Schiersteiner Brücke gebaut, im November 2017 wurde die erste Hälfte für den Verkehr freigegeben. 1.280 Meter lang ist der Koloss aus Stahl und Beton, doch das Gebilde ist keineswegs ein massiver Klotz: Im Inneren ist die Schiersteiner Brücke hohl. „Natürlich“, sagt Harald Mank, „sie würde sonst unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen.“ Das Innere der Schiersteiner Brücke, wir durften es am Donnerstag mit einer Journalistenführung erkunden. Eine Stunde lang sind wir mitten durch die Brücke von Wiesbaden nach Mainz gelaufen, über uns der dröhnende Verkehr, um uns eine ganz eigene Welt aus Stahl und Beton. Entstanden ist da auf dem Rhein ein Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst – eine Erfindung in Sachen Brückentechnik inklusive, um die uns ganz Deutschland beneidet.

Baubereichsleiter Harald Mank im Hohlraum „seiner“ Schiersteiner Brücke. – Foto: gik

„Das sieht doch gigantisch aus, nicht wahr?“, fragt Harald Mank, „wie in einer Kathedrale.“ Wir stehen in einem gut 20 Meter breiten und acht Meter hohen Hohlraum, um uns herum Stahlrohre und Stützen, unter uns ein dünner Laufsteg. Von oben dröhnt es, ein leises Zittern geht durch den Bau – und vor uns erstreckt sich eine ewig lange Flucht aus Stahlgestänge. Die neue Schiersteiner Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden ist von innen ein riesiger Hohlkörper, am Donnerstag gab das Unternehmen Hessen Mobil einen Einblick in ihr Innenleben.

„Wir wollen den Leuten mal zeigen, was drin steckt“, sagt Mank, Bauleiter bei Hessen Mobil, und streicht geradezu liebevoll über Beton und Stahlstützen. Vor uns liegt ein 1,2 Kilometer langer Tunnel, ein verborgener Gang zwischen den Landeshauptstädten Mainz und Wiesbaden. Wir sind umgeben von 18.000 Tonnen Stahl, auf 200 Metern Länge gibt es nur Streben und Stahlwände. „Die perfekte Kulisse für einen James Bond-Film“, sagt eine Kollegin.

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Kathedrale aus Stahl, bis zu acht Meter hoch: Das Innere der Schiersteiner Brücke. – Foto: gik

Immer wieder müssen wir durch enge Durchlässe kriechen, weniger als einen Meter hoch, es sind Öffnungen in den Verbindungswänden der einzelnen Brückenteile. „Eigentlich sind es sechs Brücken hintereinander“, erklärt Mank. Die etwa 70 Meter langen Teilstücke bestehen aus einer Stahlwanne mit einer Stahlbetondecke, das sei wirtschaftlicher, aber nicht so tragfähig für weite Spannweiten. 200 Meter lang und mehr sind die Teilstücke aus reiner Stahlkonstruktion, die an Land gefertigt und dann per Schiff über den Rhein eingeschwommen wurden.

Seit 2013 baut das Land Hessen zwei neue, parallel verlaufende Rheinbrücken zwischen Wiesbaden und Mainz, es ist ein Mammutprojekt: 18.000 Tonnen Stahl werden hier pro Brücke verbaut, „wenn wir fertig sind, haben wir eine Million Stunden für Stahlbau geleistet“, sagt Mank. Mank ist Bauleiter Westhessen beim Landesbetrieb Mobilität, die Schiersteiner Brücke ist wahrlich nicht seine erste: „Ich habe Mainbrücken gebaut, Rheinbrücken und Lahnbrücken“, sagt der Ingenieur mit Spezialausbildung Schweißen, die Schiersteiner sei schon etwas Besonderes.

Der Weg durch die Schiersteiner Brücke führt tatsächlich bergauf und bergab, die einzelnen Teilstücke sind unterschiedlich hoch. – Foto: gik

„Wir sind die zweitgrößte Brückenbaustelle Deutschlands, nach Leverkusen“, sagt Mank und räumt ein, man streite sich mit den Kollegen vom Hochmoselübergang um Platz zwei. Doch in Schierstein werde eben nicht nur eine Brücke gebaut, sondern gleich zwei, „aneinander gelegt sind wir länger“, sagt Mank. Teurer ist die Schiersteiner ebenfalls, bis 2021 werden hier 200 Millionen Euro verbaut. Zusammen mit dem Ausbau des anschließenden Schiersteiner Kreuzes seien es sogar eine Viertel Milliarde Euro, sagt Mank.

Einer der flachen Bereiche: ein Trog aus Stahl mit einer Stahlbetondecke oben drüber. Links verlaufen Versorgungsleitungen, hinten duckt sich ein Kollege gerade durch eine der kleinen Verbindungstüren. – Foto: gik

1962 stand die Autobahnbrücke zwischen Mainz und Wiesbaden, ausgelegt einst für 20.000 Fahrzeuge am Tag. Heute rollen 80.000 bis 90.000 Fahrzeuge pro Tag über die Rheinquerung, um die Jahrtausendwende war die Schiersteiner kurz vor dem Aus. „Wir hatten massive Probleme mit der alten Brücke, die Schweißnähte flogen uns um die Ohren“, berichtet Mank. Alle drei Monate musste geprüft und geschweißt werden, 2003 wurden deshalb die Weichen für eine neue Brücke gestellt.

2013 war Spatenstich, mehrfach verzögerten sich die Arbeiten durch Hochwasser im Rhein, Niedrigwasser – oder Unfälle. Im Februar 2015 sackte auf Mainzer Seite an der Vorlandbrücke ein Pfeiler wegen fehlerhafter Grundierungsarbeiten weg, aber auch auf hessischer Seite gab es Probleme mit dem sandigen Boden. „Wir sind zeitlich im Verzug, das ist so“, sagt Mank, „aber wir kämpfen hier wie die Löwen.“

Am Ausstieg auf Mainzer Seite an einem der Brückenpfeiler eröffnet sich ein spektakulärer Blick auf die Schiersteiner Brücke von unten. – Foto: gik

60 bis 100 Mann arbeiten derzeit pro Tag auf der Brückenbaustelle, „momentan ist überall Bewegung“, sagt Mank: Erdarbeiten zur Gründung der neuen Pfeiler für die zweite Brücke, parallel dazu Abbrucharbeiten des alten Bauwerks und auch noch Stahlarbeiten. In gleich zwei Werken in Plauen und Neumarkt werden die Stahlteile gefertigt und vor Ort in Schierstein zusammengebaut.

Und dabei erfanden die Wiesbadener Ingenieure auch gleich noch eine Besonderheit: Wo die Rohre auf das Anschlussblech treffen, sei sonst immer viel Spannung aufgetreten und damit Druck auf die Schweißnähte, sagt Mank: „Wir haben einen neuen Anschluss erfunden und jetzt einen viel besseren Kraftabfluss.“ Jetzt gelte die Schiersteiner Brücke als „das Beste im Stahlbau in der Bundesrepublik“, sagt Mank, „wir sind schon sehr stolz hier auf die Leistung.“

Info& auf Mainz&: Mainz& hat immer wieder über die Schiersteiner Brücke, den Unfall 2015 und den Neubau berichtet – zum Beispiel im November 2017 über die Freigabe der ersten Brückenhälfte. Im Februar 2018 waren wir dabei, als ein 120 Meter langes Teilstück der alten Schiersteiner Brücke abgerissen und über den Rhein abtransportiert wurde, im November 2016 erlebten wir, wie ein Teilstück der neuen Brücke über den Rhein eingeschwommen wurde. Das Neuste zum Ausbau der anschließenden A643 auf Mainzer Seite lest Ihr hier.

 

2 Kommentare

  1. apropos kraftfluss:
    ein professor der Tu Darmstadt, herr bouwkamp, hat zu meiner Zeit mal gesagt, die langen Stäbe eines Fachwerks so zu legen, dass in ihnen eine Zugkraft entsteht, wegen der Stabknickung. jedoch gibt es noch andere enflüsse wie schwingungen und temperaturschwankungen unter belastung. wichtig ist auch, dass ein statisch bestimmtes Tragwerk wegen einer Stützenabsenkung oder Temperaturänderung keine inneren Kräfte aufbaut und dadurch auch keine Risse bekommt. beim Träger (Balken auf mehreren Stützen) wurde das problem der inneren kräfte durch die plazierung von Gelenken zwischen den Stützen durch Gerber gelöst, und in wirtschaftlicher Weise die Probleme der statischen unbestimmtheit vermieden, was auch im nebenfach Massivbau eine Rolle gespielt hat

  2. Der von ewig gestrigen Wachstumsfetischisten geforderte 6-spurige Ausbau des Zubringers zur Schiersteiner Brücke ist verkehrstechnisch kontraproduktiv. Es muss noch nicht einmal der Naturfrevel bemüht werden, um das Projekt in Frage zu stellen.

    Denn der berüchtigte Stau vom Lennebergdreieck in Richtung Brücke entsteht durch die Einbieger vor allem an der Mombacher Zufahrt von der Rheinallee kommend. Diese Einfädler verengten bisher die Herankommenden praktisch auf eine Spur. Nach Freigabe des zweiten Brückenkörpers wird sich zeigen, dass dann die beiden Kolonnen vom Lenneberg kommend, glatt durchfahren können, weil diese von der dritten Spur der Brücke aufgenommen werden und nicht nicht mehr alles unfallträchtig ausbremsen.

    Und in der Gegenrichtung ist es ähnlich. Der Engpass ist das Finther Dreieck mit einspuriger Verzweigung in Richtung Darmstadt oder Bingen. Das harmoniert mit einem zweispurigen Zubringer. Eine Verbreiterung würde nicht dem Verkehrsfluss dienen sondern lediglich einen vergrößerten Stauraum darstellen. Notwendig ist alleine, die fortbestehende scharfe Verschwenkung über ein paar hundert Meter baulich zu strecken.

    Warum nur wollen das die Entscheidungsträger nicht begreifen? Gibt es da von Bauprofiteuren fernglenkte Interessen? Stuttgart 21 lässt grüßen. Und der Naturverbrauch wäre weitaus größer als dieser kleingerechnet wird. Denn die Wegnahme des randständigen Buschwerks würde den ohnehin schwer geschädigten Stangenacker schutzlos freilegen.

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