Auch zehn Tage nach dem Bürgerentscheid zum Bibelturm wird in Mainz noch über das Ergebnis diskutiert – und nicht wenig gestaunt. Satte 77,3 Prozent votierten bei der Abstimmung am 15. April gegen den Turmbau am Gutenberg-Museum. Das klare Votum wird als „Ohrfeige“, „Klatsche“ und „Misstrauensvotum“ gegen die Politik der Stadtspitze gewertet, besonders scharf steht Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) in der Kritik. Die CDU-Opposition warf Ebling gar komplettes Versagen vor: Der OB sei in den Wochen vor dem Bürgerentscheid abgetaucht und habe versäumt, die Bürger der Stadt zusammenzuführen und mitzunehmen. Die SPD kritisierte das als „Polemik“. Unterdessen hat das Nachdenken begonnen, wie eine Erneuerung des Gutenberg-Museums nun aussehen könnte: die Ampelfraktionen kündigten an, ein „tragfähiges Zukunftskonzept“ entwickeln zu wollen.

Zu diesem Bibelturm auf dem Liebfrauenplatz sagten die Mainz am 15. April deutlich Nein. – Foto: DFZ Architekten

Beim Bürgerentscheid am 15. April stimmten 49.663 Mainzer gegen den Bibelturm, nur 14.555 dafür – das entsprach einem Verhältnis von 77,3 Prozent Nein und 22,7 Prozent Ja. „80 Prozent Nein sind eine Klatsche mit Anlauf für das Nichtstun des OB’s“, kritisierte umgehend CDU-Kreischefin Sabine Flegel, selbst Mitglied des Stadtrats. Ebling habe „schlicht und einfach versagt und ist zusammen mit dem Stadtvorstand maßgeblich dafür verantwortlich, dass ein Projekt seiner Verwaltung von einer überwältigenden Mehrheit der Mainzer abgelehnt wurde.“ Ebling habe es in den Wochen vor dem Bürgerentscheid zugelassen, dass die Stadt in der Frage Bibelturm gespalten und die Diskussionen vielfach immer unsachlicher geworden sei. „Dabei ist es seine Aufgabe, die Menschen zusammenzuführen“, betonte Flegel.

Stattdessen sei Ebling gemeinsam mit fast dem gesamten Stadtvorstand abgetaucht, kritisierte der Chef der CDU-Stadtratsfraktion, Hannsgeorg Schönig: Bis auf Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) und Museumsdirektorin Annette Ludwig habe sich kein einziges Mitglied des Stadtvorstands in den vergangenen Wochen für den Turm eingesetzt und klar dafür Position bezogen, kritisierte Schönig: „Es war schon erbärmlich, dass sich der Stadtvorstand versteckt hat.“

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Das klare Nein der Mainzer sei deshalb auch „ein Misstrauensvotum der Menschen gegen den OB und die Politik seines Stadtvorstands“, und „eine schallende Ohrfeige für die Informationspolitik der Stadt“, sagte der Fraktionschef weiter. Zwei Tage vor der Abstimmung hatte Mainz& berichtet, dass die offizielle Informationsbroschüre zum Bibelturm nicht, wie versprochen, bei allen Haushalten angekommen war. Der Befund hat sich seither bestätigt: Immer mehr Mainzer berichten Mainz&, dass die Broschüre auch ihren Haushalt nicht erreicht hat. Viele erfuhren von der Existenz des Informationsheftes erst durch das Lesen unseres Artikels.

Die CDU wirft OB Ebling in Sachen Bibelturm Versagen vor. Im Sommer 2017 hatte Ebling noch persönlich für das Projekt geworben. – Foto: gik

Die CDU-Stadtratsfraktion hatte sich selbst mehrheitlich für den Bibelturm ausgesprochen, einzelne CDU-Vertreter hatten sich aber im Wahlkampf stark gegen das Projekt engagiert – etwa der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Gerster. Die SPD warf der CDU deshalb „Polemik“ vor: Die CDU habe sich „gleichzeitig als Dafür- und als Dagegen-Partei profilieren wollen“, kritisierten die Fraktionschefs der Ampel-Koalition im Rathaus. Ebling sei hingegen als Wahlleiter zu Neutralität verpflichtet gewesen und habe sich gar nicht so engagieren können. Die Mainzer hätten „in einer Sachfrage votiert“, betonte hingegen der Mainzer SPD-Chef Marc Antonin Bleicher, der Bürgerentscheid sei „weder eine vorgezogene Kommunal- noch Oberbürgermeisterwahl“ gewesen.

Doch so einfach ist die Sache nicht: in die Entscheidung zum Bibelturm spielten viele Fragen der Mainzer Stadtpolitik hinein. Auch die Fraktionschef der Ampel-Koalition – Alexandra Gill-Gers (SPD), Sylvia Köbler-Gross (Grüne) und Walter Koppius (FDP) – nannten eine Vielzahl von Themen: „Die Aufgabe des Platzes, das auf Spenden beruhende Finanzierungskonzept, die Architektur des Turms oder bei dem ein oder anderen auch mal die Möglichkeit, seine Unzufriedenheit gegenüber einer sich immer schneller verändernden Umgebung in einer wachsenden Stadt auszudrücken“, hätten eine Rolle gespielt, hieß es selbstkritisch.

Das Votum der Mainzer habe sich nicht nur gegen den Bibelturm, sondern „gegen die miserable Stadtpolitik“ der vergangenen Jahre mit Verkehrschaos, Rathaus-Desaster, explodierenden Mieten und den Investitionsstau bei Schulen und Bürgerhäusern gerichtet, betonte die Junge Union. Die Stadtpolitik dürfe nicht länger an den Bürgern vorbei gemacht werden.

Auch moderne „Bausünden“ der jüngeren Vergangenheit wie die Glaskuppel auf dem Mollerbau des Stadttheaters spielten in die Entscheidung gegen den Bibelturm hinein. – Foto: gik

Die Mainzer hätten sich beim Bibelturm ihrem generellen Ärger über die Stadtpolitik Luft gemacht, meinte auch der Fraktionschef der Freien Wähler, Kurt Mehler: „Lange genug“ habe Ebling „den Bürgern den Mund verbieten wollen“, nun hätten die „der Gutsherrenart ihres Oberbürgermeisters und der Stadtverwaltung eine deutliche Abmahnung erteilt.“ Die Freien Wähler hofften, „dass Oberbürgermeister Ebling und Baudezernentin Grosse nun Courage zeigen und die richtigen Lehren aus diesem Ergebnis ziehen.“ Die Bürger wollten mitbestimmen, es brauche in Zukunft mehr Bürgerentscheide insbesondere zu Bauprojekten.

Ein Nein zum Gutenberg-Museum selbst sei das Votum hingegen nicht gewesen, unterstreicht die Bürgerinitiative Gutenberg-Museum, im Gegenteil: „Wir sind überzeugt, dass dieses Votum ein JA zur Modernisierung des Museums ist“, sagte Sprecher Nino Haase. Das Nein zum Bibelturm habe die Chance für ein neues Konzept eröffnet, „Mainz ist nun fokussiert und sensibilisiert für diese Aufgabe“, sagte BI-Gründer Thomas Mann: „Wir denken, dass das endlich die richtige Aufbruchsstimmung für ein entsprechendes Projekt darstellt.“

„Jetzt muss eine neue Konzeption mit Bund und Land für ein wirkliches Weltmuseum der Druckkunst her“, reagierte auch CDU-Mann Gerster, und bot erneut seine Expertise und Mithilfe an. Flegel und Schönig forderten ebenfalls, nun müsse zeitnah ein völlig neues Zukunftskonzept erarbeitet werden. „Alle Überlegungen müssen ergebnisoffen sein und dürfen in keinem Fall durch Vorfestlegungen eingeengt werden“, mahnten beide, alle Akteure müssten eingebunden werden. „Alleingänge der Verwaltung darf es nicht mehr geben“, forderten die CDU-Politiker.

Auch die Gutenberg-Stiftung betonte, gefragt sei nun „ein zielgerichtetes gemeinsames Voranschreiten von Stadtverwaltung, Stiftung und Mainzer Bürgern.“ Die Reise müsse hin zu einem „auch finanziell gut von Stadt, Land, Bund, Stiftung und Bürgerschaft getragenen Museum“ gehen, damit das Weltmuseum der Druckkunst endlich seiner herausragenden Rolle in der nationalen und internationalen Museumslandschaft gerecht werden könne.

Neustart für das Gutenberg-Museum – und vor allem für eine Neukonzeption für die Erneuerung. – Foto: gik

Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne) sieht dafür auch Chancen, Gelder des Bundes locker zu machen: Das Museum sei von nationaler Bedeutung, dass es einer grundlegenden Modernisierung bedürfe, stehe außer Frage. „Für solche Projekte gibt es durchaus Möglichkeiten, finanzielle Förderung vom Bund zu bekommen“, sagte Rößner, die sich vor dem Bürgerentscheid klar für den Bibelturm ausgesprochen hatte. Das hätten bereits viele andere Projekte vorgemacht. Für eine Finanzierung mit Bundesmitteln müssten sich aber „die Abgeordneten des Wahlkreises bei ihren Haushältern vehement darum werben“, betonte Rößner. Einfach werde das nicht, das verlange Engagement und Kreativität. „Aber wenn die Möglichkeit besteht, ein tragfähiges Konzept zu unterstützen, dürfen wir sie nicht ungenutzt lassen“, sagte Rößner. Sie wolle ihren Teil dazu beitragen.

Zuschüsse von Bund oder Land sowie von privaten Investoren werde es aber nur geben, „wenn ein großer Wurf kommt“, betonte die Junge Union. Dafür müsse das Museum aber aus städtischer Trägerschaft befreit werden. Zudem forderte die Junge Union die Stadt auf, ganz neue und unterschiedliche Standorte für das Gutenberg-Museum zu prüfen – und schlägt ganz konkret das Rathaus vor: Ein Gutenberg-Museum des Buchdrucks in einem markanten Gebäude am Rhein könne „eine Bereicherung für Mainz sein“, die Stadt doppelt profitieren. Dann nämlich könne die Stadtverwaltung aus dem Rathaus in Teilen ins Kurfürstliche Schloss verlegt werden, betonte die JU – der Stadtrat hat das allerdings bereits abgelehnt und die Sanierung des Rathauses als Rathaus beschlossen.

„Wir haben verstanden“, hieß es derweil von Seiten der Ampel-Fraktionen: Man müsse „in der Frage nach dem ‚Wie‘ zurück auf Los“ und wolle dabei „die Energie und die Ideen, die sowohl Befürworter als auch Gegner in den vergangenen Wochen für das Museum zum Ausdruck gebracht haben, bündeln und in eine Struktur bringen.“ Gemeinschaftlich solle nun ein tragfähiges Zukunftskonzept für das Museum entwickelt werden, dafür wolle man im Rat eine breite Mehrheit suchen.

Oberbürgermeister Ebling, der im Vorfeld noch behauptet hatte, die Stadt habe „keinen Plan B“ für den Fall eines Neins, kündigte noch am Wahlabend an, die Stadt werde „natürlich eine neue Planung“ für die Aufwertung und Ertüchtigung des Museums anstoßen. Und dieses Mal, fügte der OB noch hinzu, werde man die im Vorfeld „vielleicht so ausführlich diskutieren, dass uns das nicht noch einmal passiert.“

Info& auf Mainz&: Eine ausführliche Analyse zum Bürgerentscheid zum Bibelturm lest Ihr hier bei Mainz&, unseren Bericht vom Abend des Bürgerentscheids findet ihr hier.

 

 

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein