Es ist die Gretchenfrage der Mainzer Fastnacht: Wie finde ich guten Narren-Nachwuchs? Die Riege der berühmten Redner bei „Mainz bleibt Mainz“ ist in die Jahre gekommen, vor zwei Jahren trat auch noch Hans Peter Betz als Guddi Gutenberg von der Bühne ab – was kommt danach? Von Nachwuchsmangel in der Fastnacht ist gerne die Rede – doch das ist eine Mär: Der Nachwuchs steht geradezu Schlange. Das zumindest zeigt die „Narrenschau“ von Gonsenheimer Carnevals-Verein (GCV) und Füsiliergarde überdeutlich. Zum zweiten Mal luden die Gonsenheimer Narren vergangenen Samstag zur großen Narren-Nachwuchs-Show ins Otto-Schott-Gymnasium, und wieder einmal zeigte sich: Ein großer Narr entsteht nicht über Nacht.

Die Brüder Adrian und Rainer Werum wärmen den Saal für die Narrenschau 2018 auf. – Foto: gik

Es ist 19.11 Uhr, und der Saal ziert sich. Draußen verglühen die letzten goldenen Oktoberstrahlen, man erzählt vom Sitzen im Garten und den warmen Temperaturen – und dann stimmt der Moderator allen Ernstes ein „Helau“ an. Noch vor dem 11.11. hatte der GCV in diesem Jahr seine „Narrenschau“ angesetzt, da klang der Narrenruf noch reichlich rostig. Doch es hilft ja nichts: Was ein richtiger Fastnachtsstar werden will, muss früh anfangen, und wenn die Kampagne einmal läuft, bleibt meist wenig Zeit fürs Nachwuchs-Coaching. Und so legte der GCV eben einen Frühstart hin und gewährte einen beinahe schon exklusiven Blick in die Narren-Zukunft.

Und die sieht alles andere als düster aus: 23 Nachwuchs-Narren präsentierten sich am Samstagabend auf der Bühne der Schulmensa im Otto-Schott-Gymnasium rund 300 Zuschauern. Die Idee des GCV dabei: Leuten, die gerne Erfahrungen in der Fastnacht sammeln wollen, die schon immer mal davon träumten, auf einer Fastnachtsbühne zu stehen, genau diese Chance zu geben. Ungefähr 30 Interessierte bewarben sich dafür in diesem Jahr, 23 wurden am, Ende ausgewählt, alle bekamen einen der erfahrenen GCV-Narren als Pate zur Seite, der mit Rat und Tat im Vorfeld half. 2017 klappte das bereits bei einigen Neu-Narren so gut, dass sie prompt auf der großen GCV-Bühne landeten – allen voran Felix Kettenring mit seinen Oliver Mager-Songs.

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Tolle Entdeckung des Abends: Oskar Betzler mit einem witzig-pfiffigen Vortrag über sein irres Elternhaus. – Foto: gik

Ihren Einstand auf der großen Bühne gaben auch Rainer und Adrian Werum, und die brachten bei der Narrenschau 2018 gleich mal den Saal in Schwung. Die zwei Herren am Klavier sind schon richtig gute Akteure, ihre gesungenen Hommages an Mainzer Kreppel, Handkäs und natürlich Weck, Worscht und Woi feine gesungene Moritaten. „Das Leben ist ein Fastnachtslied, es spielt mal Dur, mal Moll“, singen die Werums, „mal ist es wunderbar zu Dir, mal ist es nicht so doll.“ Wie gut, dass bald wieder Fastnacht ist.

Und die packt gleich mal einen fetten Dur-Akkord aus: Ganze 12 Jahre jung ist Oskar Betzler, doch der Schüler verzieht in der Bütt keine Miene. „Bei mir, da kommt’s knüppeldick“, seufzt der Jungspund, und berichtet haarklein von seiner „Vollpension im (heimischen) Irrenhaus.“ Seine Leiden mit seinen Eltern sind urkomisch, kommen auch noch gereimt daher und glossieren Jugendalltag von Handynutzung bis zur Spülmaschine ohne in platte Allgemeinheiten abzugleiten. Vor allem aber serviert Betzler das Ganze mit hochprofessioneller Lässigkeit – ein Bombenauftritt. „Das war der Anfang, aber sicher nicht das Ende Deiner Fastnachtskarriere“, sagt Moderator Christophe Hinz danach, beeindruckt wie der ganze Saal. Hinz führt wieder gemeinsam mit Sabrina Korn durch den Abend, eine tolle Entdeckung als Moderatorin, die sichtlich Spaß am Bühnenleben hat.

Sensation des Abends: Luca Lautenschläger mit einer furiosen Solo-Fastnachtsnummer. – Foto: gik

Überhaupt ist es die Nacht der jungen Talente: mit toller Stimme besingt Angelina Alexandrow den schrecklichen Montagmorgen, die Schülerin meistert bravourös das ziemlich sperrige Lied. Und Angelina ist beileibe nicht die einzige weibliche Akteurin des Abends, bei der „Narrenschau“ ist die Frauendichte enorm. Sängerin Kira Resch aus Dieburg ist zum zweiten Mal dabei und legt wieder einen forschen Nahezu-Profi-Auftritt auf die Bühne, der allerdings stark Schlager-lastig und Diskomäßig daher kommt. Das Publikum im Saal bleibt denn auch verhalten, es will Fastnacht und das am besten pur. Das kommt in seiner klassischsten Form von Lea Arnold: Die gerade 15 Jahre alte Schülerin nimmt das Auditorium mit in den wahrhaft närrischen Hollandurlaub mit den Eltern, ein klassischer, gereimter Fastnachtsvortrag der alten Schule.

Es sind genau solche Vorträge, die zeigen, wie schwierig es am Ende ist, auf der großen Fastnachtsbühne zu bestehen. Das Gonsenheimer Publikum ist hoch anspruchsvoll, und was im kleinen Rahmen hervorragend klappt, muss auf der großen Bühne nicht genauso funktionieren. Da ist eine besondere Art von Ausstrahlung gefragt, die berühmte Rampensau sozusagen, dazu spielerische Leistungen gemeinsam mit einem guten Text – an einem Abend wie diesen merkt der Zuschauer, welch hohe Kunst das ist.

Klebte noch zu sehr am Text, gab aber einen feinen Einstand als Fastnachtsredner: Axel Efferth. – Foto: gik

So serviert Jürgen Meißner als „Engel Moguntia“ zwar eigentlich ein textlich hervorragendes Protokoll, doch die Pointen zu setzen wie die großen Redner, das Publikum bei der Stange zu halten – das ist alles andere als einfach. Auch Joshua Vogelsang mit seiner Standup-Comedy hat Mühe: der junge Mann bewegt sich gewandt auf der Bühne, spielt gekonnt mit Miene und Stimme, doch dem Poetryslammer aus Bad Kreuznach fehlt am Ende der zündende Abschluss. Den B’Town Sisters aus Bischofsheim wiederum fehlt trotz toller Kostüme als Putzfrauen und mit Glitzerfracks, doch noch sehr die Dynamik bei den Tanzeinlagen, dazu kommt das Ballett wenig synchron daher. Da merkt der Besucher, welch großen Sport die Fastnachtsballetts der großen Vereine so in der Kampagne auf die Bühne bringen.

Zeit und Raum, der richtige Vortrag zur rechten Zeit, all das spielt in der Fastnacht ebenfalls eine wichtige Rolle. Tobias Mayer kommt als Holländer „Frederik van der Sonne“ blendend an im Saal, doch seine kleinkunst-mäßige Akkordeonnummer verpufft dann eher. Ulrike Sersch als perfekte Meenzer Babbelschnut wiederum nimmt die zugereiste Hautevolee auf die Schippe, doch recht zünden wollen Thema und Vortrag nicht im Saal – womöglich lag’s auch an der Überlänge der Narrenschau, die ohne Pause vier Stunden lang närrische Kost servierte. Darunter litten gleich mehrere späte Redner: Christophe Hinz lieferte in diesem Jahr als Götterbote Hermes sein gesungenes Protokoll ab, aber das kommt einfach zu spät. Dabei hat Hinz mit der Metoo-Debatte, mit Özil-Affäre und vor allem mit seinem Lied zum Klimawandel die goldrichtigen Themen, verpackt in klasse Liedpersiflagen, doch der Saal ist da schon jenseits der Narren-Sperrzeit.

Große Narrenkunst: die Herpes House Band als Meenzer Hofsänger. – Foto: gik

Und schließlich ist mancher auch noch damit beschäftigt, über die Entdeckungen des Abends zu staunen. Da rockt der 14 Jahre als Luca Lautenschläger im Alleingang den Saal, springt in die Bütt und dann wieder zurück auf die Bühne, singt ein „traditionelles Selbstbeweihräucherungslied“ und parodiert Größen wie Heininger & Schier, als stünden die persönlich auf der Rostra. Völlig respektlos, pfiffig und zum Schreien komisch – der 14-Jährige ist die Sensation des Abends. Eine Entdeckung ist auch Axel Efferth, der als „Baulöwe für Kassenpatienten“ herrlich-närrisch Pfahlbauten in der Kläranlage baut, weil sonst in Mainz ja kein Baugrund mehr zu finden ist. Efferth persifliert mit seinem Vortrag das derzeit wohl aktuellste Mainzer Thema originell und mit viel Witz, dass dem Newcomer noch Bühnenerfahrung fehlt – nun, genau dafür ist die Narrenschau ja da.

Aus der Kneipenfastnacht kommen die Meenzer Zibbelkappe, das Musiktrio hat liebevolle Lokalhymnen als Gitarrenballaden zum Mitsingen im Gepäck, das gefällt dem Saal ausgesprochen gut. Den Vogel aber schießen vier junge Sänger ab: Die Herpes House Band nimmt so völlig repektlos und gleichzeitig gekonnt die Mainzer Hofsänger auf die Schippe, dass sich der Saal vor Lachen biegt. Im Gegensatz zum berühmten Fastnachtschor versteht man bei den Jungs sogar die Texte – und das ist gut so: Ihre Lieder über die Hässlichkeit und die Sprühregen über den Wolken sind große Narretei und weder etwas für schwache Mägen, noch für schwache Lachmuskeln. Und wenn wir die Zeichen richtig deuten, dann werden wir die Jungs in der Kampagne auf einer großen Bühne wiedersehen…

Info& auf Mainz&: Keine Angst, bis zum 11.11. bleibt Ihr jetzt von Fastnacht auf Mainz& auch gleich wieder verschont – wer aber noch mal nachlesen will, was sich der GCV bei seiner Narrenschau so gedacht hat – bitte hier entlang, da gibt’s unser Interview vom vergangenen Jahr. Und wenn Ihr noch mal über die Entdeckung von 2017 staunen wollt, über Gesangstalent Felix, dann könnt Ihr das hier in unserem Mainz&-Youtube-Kanal tun. Und natürlich darf eines nicht fehlen: Unsere Fotogalerie. Viel Spaß!

 

 

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