Stundenlanges Warten, überfüllte Wartezimmer, unnötige Fälle – diese Zustände sollen in Zukunft in der Notaufnahme der Mainzer Uniklinik der Vergangenheit angehören. Mit einer neuen Struktur und mehr Personal will das Mainzer Universitätsklinikum die Weichen neu stellen. Nötig ist es: Rund 17.000 Patienten werden inzwischen pro Jahr in der allgemeinen Notaufnahme versorgt – nur etwa die Hälfte aber wird tatsächlich stationär aufgenommen. Seit Jahren werden nicht nur in Mainz Notaufnahmen von Patienten überrannt, die eigentlich „nur“ zum Hausarzt gehörten. Ein neues System soll ab 2019 Abhilfe schaffen: Neben der Notaufnahme soll eine reguläre ambulante Praxis mit zwei Ärzten entstehen, ein gemeinsamer Eingangstresen die Patienten zwischen stationär und ambulant sortieren. Langfristig soll sogar eine komplett neue, zentrale Notaufnahme entstehen.

Neuer Leiter der Mainzer Notaufnahme in der Universitätsmedizin: Andreas Fischbach. – Foto: Thomas Boehm/ Universitätsmedizin Mainz

Vier Stunden sitzt die Mutter mit dem zehnjährigen Kind schon in der Notaufnahme der Mainzer Uniklinik, der Junge hatte eine Sturz, nun muss die Kopfwunde versorgt, ein Arm geröntgt werden. Erst morgens um halb drei ist es geschafft, eine siebenstündige Odyssee durch drei Notaufnahmen liegt hinter ihnen. Es ist ein aktueller Fall von Ende Juni, der Mainz& geschildert wurde – ein Einzelfall ist es mitnichten: „Die Notaufnahme ist ein Brennpunkt“, sagt der Leiter der Mainzer Universitätsmedizin, Norbert Pfeiffer, „der Zustand ist nicht wirklich gut.“

Seit Jahren werden die Notaufnahmen in Deutschland bereits förmlich von Patienten überrannt. Rund 17.000 Patienten kamen im vergangenen Jahr in die internistische Notaufnahme der Mainzer Universitätsklinik, nur etwa die Hälfte war wirklich ein stationärer Notfall – der Rest hätte auch bei einem regulären Arzt behandelt werden können. Die Notaufnahme sei zur Anlaufstelle für alle ungeplanten Vorfälle geworden, sagt Pfeiffer, für viele Bürger inzwischen die erste Anlaufstelle nach dem Hausarzt. Die Gründe seien vielschichtig: Viele Menschen verstünden die komplizierte medizinische Aufteilung in Deutschland zwischen Klinik und ambulanten Praxen nicht, andere bekämen keinen Termin beim Facharzt, nicht einmal bei Hausärzten sei der Termin am gleichen Tag noch garantiert. „Der Patient sagt, er ist in Not, also geht er in die Notfallzentrale“, weiß Pfeiffer, „dabei sollten hier eigentlich nur echte Notfälle behandelt werden.“

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Die Notaufnahme der Mainzer Universitätsmedizin wird überrannt, und stellt sich deshalb neu auf. – Foto: Thomas Boehm/ Universitätsmedizin Mainz

Jahr für Jahr steigen deshalb auch die Zahlen in der Mainzer Notaufnahme, etwa 1.000 Patienten waren es 2017 noch einmal mehr als im Jahr zuvor. Nachts wäre in vielen Fällen erst einmal die Bereitschaftspraxis der Allgemeinärzte zuständig, ein eigener Dienst der Krankenkassen, in Mainz am St. Vincent-Krankenhaus angesiedelt. Das System funktioniere nicht wirklich, sagt Pfeiffer seufzend: „Wir haben immer wieder Schilder aufgestellt, aber außer uns selbst liest die offenbar niemand.“

Das Ergebnis: stundenlange Wartezeiten, überfüllte Notaufnahmen, genervte und gestresste Pfleger und Ärzte. Aggressionen sind keine Seltenheit, wenn sich stundenlang kein Arzt sehen lässt – weil echte Notfälle immer vorrangig behandelt werden. „Ich habe ein Bild, da erkennt man 17 Rettungswagen vor der Notaufnahme gleichzeitig“, erzählt Pfeiffer seufzend. Das sei zwar während der Grippewelle Anfang des Jahres gewesen, die Situation in den Krankenhäusern zeigt es dennoch. Das liegt auch daran, dass die Arbeitsteilung zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken nicht wirklich funktioniert: Die Mutter mit dem Zehnjährigen wurde von der Bereitschaftspraxis in die Notaufnahme der Klinik geschickt, von dort in die Kinderklinik, von dort in die chirurgische Notaufnahme der Uniklinik – nur dort gab es nachts ein Röntgengerät. Auch verweisen Praxen auf ihren Homepages auf die Notaufnahmen der Kliniken – im Zweifel gehen die Patienten eben direkt dorthin.

Große Pläne für die Notaufnahme der Mainzer Universitätsmedizin: Klinikleiter Norbert Pfeiffer (links) und der Leiter der Notaufnahme, Andreas Fischbach (rechts). – Foto: gik

Zum Vorwurf könne man das den Patienten gar nicht machen, sagt Pfeiffer: „Die Patienten sind da, und die sind auch in Not, und können nicht unbedingt sagen, was genau sie brauchen“, sagt der Klinikleiter. Damit liege der „Schwarze Peter“ bei den Kliniken – und deshalb müsse man reagieren. Zum 1. April wurde deshalb die internistische Notaufnahme in eine eigene Station umgewandelt, mit einem eigenen Leiter und einer eigenen Bettenstation ausgestattet.

„Wir müssen uns anders ausrichten, die bauliche Struktur anpassen und uns mit Personal entsprechend wappnen, um unsere Performance zu steigern“, sagt der neue Chef Andreas Fischbach. Der 53-Jährige ist Internist und Kardiologe und seit zwölf Jahren in der Notfallmedizin tätig. Drei Jahre lang leitete Fischbach eine Notaufnahme in Offenbach, war vier Jahre lang Leiter der Zentralen Notaufnahme der Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden, die er im Anschluss zu einer eigenen Klinik für Notfallmedizin ausbaute. In Mainz konnte Fischbach zum 1. Mai schon mal eine eigene Station mit 15 Betten für die Notaufnahme in Betrieb nehmen.

„Wir haben natürlich auch Patienten, wo man nicht in zwei, drei Stunden entscheiden kann, ob die stabil sind“, sagt Fischbach, die könne man in der eigenen Station unterbringen, ohne das System der Uniklinik mit ihnen zu belasten. Viele der Patienten seien ältere Leute, es gebe deshalb eine enge Zusammenarbeit mit der Geriatrie. „Das funktioniert gut, mehr als zwei Drittel der Patienten konnten wir wieder entlassen“, sagt Fischbach. Dazu wurde die Zahl der Ärzte um fünf Vollzeitstellen auf zwölf aufgestockt, das kostet die Unimedizin allein eine halbe Million Euro pro Jahr.

Den Hauptunterschied aber soll ein neues Modellprojekt machen, das spätestens Anfang 2019 starten soll: „Wir werden eine allgemeinmedizinische Praxis auf dem Campus einrichten, eine echte Praxis, die mit uns Schulter an Schulter arbeitet“, sagt Pfeiffer. Die Praxis richte die Kassenärztlichen Vereinigung ein, zentraler Baustein ist ein gemeinsamer Tresen, an dem die Patienten je nach Schwere des Problems sortiert werden. „Die Wartezeiten werden dadurch kürzer, die Zuwendung kommt schneller und der Situation angepasster“, hofft Pfeiffer. Die Patienten sollten eben nicht in der Notaufnahme verweilen müssen.

Notarzt in der Notaufnahme der Mainzer Universitätsmedizin – die wird immer öfter von ambulanten Patienten in Anspruch genommen. – Foto: Universitätsmedizin

Das Modellprojekt liegt derzeit zur Genehmigung beim Bundesversicherungsamt, sobald die Zusage da sei, könne man die notwendigen vier neuen Behandlungsräume bauen, sagt Pfeiffer: „Dann kommen wir eine große Strecke voran.“ Eine halbe Million Euro soll hier allein für den Umbau von den Krankenkassen investiert werden. Die neue ambulante Praxis soll allerdings nur tagsüber besetzt sein, den Patientenstau in der Nacht würde das nicht abbauen. Man habe aber festgestellt, dass die meisten Hilfesuchenden tagsüber kämen, betont Fischbach: Typische Gipfel seien am späten Vormittag, und dann noch einmal am Nachmittag und in die Nacht hinein.

Im Universitätsklinikum träumen sie deshalb schon von der ganz großen Lösung: „Wir planen eine große gemeinsame Notaufnahme in einem zentralen Gebäude“, sagt Pfeiffer. Damit könnte auch die derzeitige Zergliederung in die verschiedenen Notaufnahmen beseitigt werden, ambulant und stationär besser verzahnt werden. Doch dafür brauche es ein kompletten Neubau, sagt Pfeiffer – und einige Millionen an Investitionen. Gerade hat die Mainzer Uniklinik ein Defizit von 33,2 Millionen Euro im Jahr 2017 eingefahren, wieder einmal.

Das liege auch an der strukturellen Unterfinanzierung der Kliniken, klagt Pfeiffer: Gerade einmal 20 Euro bekomme die Notaufnahme pro Patient, „das hat mit den realen Kosten nichts zu tun.“ Rund einhundert Euro pro Patient seien nötig, um kostendeckend arbeiten zu können, schätzt der Klinikchef, drei Millionen Euro lege sein Haus jetzt schon jedes Jahr für die Notaufnahme drauf. 1,4 Millionen Euro wird die neue Notaufnahme samt Ambulanz pro Jahr mehr kosten. Ein eigener Topf für die Finanzierung der Notfallvorsorge wäre sinnvoll, sagt auch Fischbach, „damit wir uns diese Form der Daseinsvorsorge auch leisten können.“

Ein eigenes Notfallmedizinisches Zentrum würde den Patienten viel Lauferei und Ärger ersparen, die Reibungsverluste auch zwischen den behandelnden Ärzten würden verringert. „Im Idealfall haben wir eine einzige Anlaufstelle für Notfallpatienten“, sagt Pfeiffer, „und diese Zentren werden dann auch vernünftig ausgestattet.“ Dazu gehöre Personal ebenso wie medizinische Geräte – und eine ausreichende Finanzierung durch die Politik: „Erstattet wird dann, was es kostet“, betont Pfeiffer, „das ist meine Erwartung.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Finanzproblemen des Mainzer Universitätsklinikums lest Ihr hier in einem Mainz&-Artikel über die Bilanz 2016 – die Bilanz 2017 präsentieren wir Euch demnächst ebenfalls.

 

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