Sie war ein Topthema im Bundestagswahlkampf 2017: die Not der Pfleger in der bundesdeutschen Pflegelandschaft. Weil ein junger Pfleger in einer Talkrunde Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beherzt anging, war der Pflegenotstand für ein paar Wochen großes Thema. Getan hat sich nicht viel: 13.000 Pflegestellen will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun zwar schaffen, doch das sei „weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Stefan Heyde: Pro Einrichtung bedeute das nicht einmal eine Stelle mehr. Heyde weiß, wovon er redet: Der Krankenpfleger aus Nieder-Olm arbeitet seit zwölf Jahren in dem Beruf. Und weil er die Zustände nicht weiter hinnehmen wollte, startete er vor einem Jahr eine bundesweite Online-Petition „Pflege in Not“. Am heutigen Donnerstag übergibt Heyde die Petition samt 12.000 Unterschriften persönlich im Bundesgesundheitsministerium, Mainz& hat vorher mit ihm gesprochen.

Krankenpfleger Stefan Heyde, hier auf einer Gewerkschaftskundgebung, übergibt heute in Berlin seine Petition „Pflege in Not“. – Foto: privat

Lange hatte Jens Spahn keine Zeit für ihn, nun hat Stefan Heyde doch einen Termin in Berlin: Heyde wird seine Petition an einen Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium übergeben, zufrieden ist er trotzdem: „Ich erhoffe mir Aufmerksamkeit mit der Aktion, weil ich das Thema Pflegenotstand in der Öffentlichkeit halten möchte“, sagte Heyde im Gespräch mit Mainz&: „Ich erhoffe mir, dass Herr Spahn nachdenkt.“ Nachdenken, das sollte der Minister über Zustände wie diese: „29 Patienten auf einen Pfleger“, „Zustände katastrophal“, „Toilettengänge, Lagerungen, Medikamentengabe, Anreichen von Mahlzeiten und Getränke, Besuche beim oder vom Facharzt, Gesprächsführungen etc. können oft nicht durchgeführt werden, weil kein Personal vor Ort ist.“

Mehr als 1.000 solcher Zuschriften hat Heyde erhalten, seit er seine Petition „Pflege in Not“ gestartet hat, einen Teil hat er anonym auf seiner Internetseite veröffentlicht. Von unhaltbaren Zuständen ist da die Rede, von Patienten, die nicht mehr geduscht werden, von Stürzen, Zwischenfällen – und manchmal sogar falschen Medikamentengaben. Die Ursache: Viel zu wenig Pflegepersonal, häufig völlig ausgebrannte und überlastete Pfleger. „Pflege ist zur Massenabfertigung geworden“, schreibt einer. „Folgen wir der Anweisung, spielen wir russisches Roulette mit dem Leben der uns anvertrauten Pflegebedürftigen“, ein anderer.

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„Es gibt in der Pflege eine gewaltiges Problem, es gibt viel zu wenig Personal“, sagt Heyde: „Der Pflegenotstand ist überall.“ Der 37-Jährige Nieder-Olmer weiß, wovon er redet. Seit zwölf Jahren arbeitet Heyde selbst in der Pflege, lernte erst Krankenpflegehelfer, machte dann eine Ausbildung zum Krankpfleger. In der Altenpflege arbeitete er sich nach oben, war lange Zeit Wohnbereichsleiter, im ambulanten Dienst auch als stellvertretende Pflegedienstleistung tätig. „Mir liegt das Soziale sehr“, sagt Heyde, „man kann Menschen genau dann Hilfe leisten, wenn sie die Hilfe brauchen. Das ist das, was die Pflege will.“

Zeit für die zu Pflegenden, so hätten wir die Pflege gerne alle. Die Realität sieht anders aus. – Foto: AOK Mediendienst

Doch das sei auch genau das, was immer mehr auf der Strecke bleibe: Bundesweit fehlten Untersuchungen zufolge 36.000 Pflegekräfte, sagt Heyde – mindestens. „Die Personalschlüssel sind veraltet“, sagt er, so seien zwei Nachtwachen für mehr als einhundert Bewohner absolut üblich. Das seien dann meist auch noch eine Fachkraft und ein ungelernter Helfer, und von Letzteren gebe es immer mehr: „Ich erlebe sehr viele unqualifizierte Helfer, die vorher etwa Imbissbuden hatten“, sagt Heyde. Mit komplexeren Situationen seien die schnell überfordert.

Unattraktiv sei der Beruf, die Akzeptanz niedrig, der Lohn noch niedriger. 2.600 brutto verdiene eine Stationsleitung, sagt Heyde. Doch gerade in der Altenpflege gebe es immer mehr private Heimbetreiber, die nicht nach Tarif bezahlten. „Das Personal wird massiv verbrannt, fällt oft aus, und kündigt sehr schnell“, hat der Krankenpfleger erlebt: Von den 20 Leuten aus seiner Ausbildung sind nach zehn Jahren noch ganze fünf dabei.

Vor einem Jahr startete Heyde deshalb seine öffentliche Petition „Pflege in Not“, mehr als 12.000 Unterschriften aus ganz Deutschland kamen zusammen. Anpassung der Pflegeschlüssel, bedarfsgerechte Finanzierung der Einrichtungen und eine höhere Attraktivität für den Pflegeberuf fordert Heyde darin. „Das ganze System fährt immer mehr gegen die Wand“, warnt er: Deutschland habe zwar europaweit die dritthöchsten Ausgaben, doch bei der Effektivität liege man weit hinten.

„Wir werden an einem neuen Gesundheitssystem nicht vorbei kommen, das alle gleich behandelt“, glaubt Heyde deshalb, sein Vorbild: die Skandinavier. Dort seien die Pflegekräfte glücklicher, besser bezahlt, es gebe ganz andere Personalschlüssel – und das bei deutlich niedrigeren Ausgaben. Eine Zusatzsteuer mache es möglich, sagt Heyde. In Deutschland hingegen „geht immer mehr Geld ins System hinein, aber es kommt immer weniger Geld bei den Betroffenen und Pflegenden an.“ Schuld seien auch die Privatisierungen: „Es ist ein Unding, dass mit Alter und Krankheiten Rendite gemacht werden darf“, sagt Heyde, „Gesundheitsvorsorge muss Aufgabe des Staates sein.“ Das will er heute auch im Ministerium vorbringen – die Antwort werde sicher einige Wochen brauchen.

Info& auf Mainz&: Mehr über die Initiative von Stefan Heyde, seine Petition und die Zuschriften aus dem Bereich der Pflege findet Ihr hier auf seiner Internetseite.

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