Drei Stunden brauchte Horst Lenz, um die Bombe am Mainzer Zollhafen zu entschärfen – ungewöhnlich lange für den Chef des Kampfmittelräumdienstes in Rheinland-Pfalz. „Ich hatte es befürchtet“, sagte Lenz nach der Entschärfung um 00.15 Uhr, „das war die schlimmste Bombe, die ich je gesehen habe.“ Das 250-Kilo-Geschoss aus dem Zweiten Weltkrieg war stark beschädigt und zum Teil beim Aufschlag explodiert. Der zweite Teil hatte nun mehr als 70 Jahre in Mainzer Erde gelegen. Zur Entschärfung mussten Lenz und seine Experten den Zünder der Bombe regelrecht herausfräsen – ein Geduldsspiel.

Sprengmeister Host Lenz beim Interview nach der erfolgreichen Entschärfung der Bombe im Mainzer Zollhafen. – Foto: gik

Vor gut einer Woche war der Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg bei Bauarbeiten an der Oberen Austraße gefunden worden, auf einem Gelände der Mainzer Stadtwerke etwa zwischen Hauptzollamt und Eisengießerei Römheld & Moelle. Mehrere Meter tief in der Erde lag das Geschoss stabil in einer Grube, weil in der Umgebung praktisch ausschließlich Industrie und Gewerbe angesiedelt sind, entschieden sich Stadt, Feuerwehr und Kampfmittelräumdienst, die Entschärfung am Gründonnerstag in den Abendstunden vorzunehmen. Ab 20.00 Uhr wurde das Gebiet um die Bombe in einem Radius von 500 Metern gesperrt, die Schifffahrt auf dem Rhein und der Zugverkehr über die benachbarte Kaiserbrücke eingestellt.

Horst Lenz zeigt den gut erhaltenen Drehzünder der Bombe, rechts das Loch, in dem er saß. – Foto: gik

Rund 90 Gewerbebetriebe und vier produzierende Industriebetriebe waren von der Sperrung betroffen, darunter neben der Eisengießerei auch der Glashersteller Schott und die Firma Erdal. Ganze drei Einwohner mussten aus dem Gebiet „evakuiert“ werden, die Herrschaften seien essen gegangen oder hätten sich anderweitig einen schönen Abend gemacht, hieß es von Seiten der Feuerwehr. Für 21.00 Uhr war die Entschärfung angesetzt worden, kurz zuvor prüften Sicherheitskräfte noch einmal, ob sich auch wirklich niemand mehr in dem Gebiet aufhielt – vom Zollhafen zur Ingelheimer Aue wird gerne gejoggt.

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Kurz nach 21.00 Uhr begannen dann Horst Lenz und sein Team von fünf Experten mit dem schwierigen Geschäft der Entschärfung – und die dauerte. Um 21.58 Uhr meldete sich Horst Lenz dann per Funk in der Einsatzzentrale: „Es gibt Schwierigkeiten, den Zünder rauszukriegen. Das dauert noch.“ In der Einsatzzentrale in der Feuerwache 2 an der Rheinallee wurde gelassen gewartet. Etwa 70 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Ordnungsamt und Technischem Hilfswerk hielten sich bereit und sorgten für Verpflegung und Getränke. „Eine Brezel, zwei Eier und einen Spundekäs bitte!“ schallte es aus der Leitstelle. Ansonsten gab’s belegte Brötchen und heißen Fleischkäse, der Zugführer persönlich bediente am Buffet: „Unsere Küchenfee ist schon im Osterurlaub“, lachte er.

In schlechtem Zustand: 250-Kilo-Bombe der Amerikaner aus dem Zweiten Weltkrieg am Mainzer Zollhafen. – Foto: gik

Die Warterei zog sich hin, um 23.00 Uhr hieß es dann: Horst Lenz hat das Werkzeug draußen, es wird gebohrt und gefräst. Manch einem wurde es da ein bisschen mulmig bei dem Gedanken, dass da jemand gerade an einem 250-Kilo-Geschoss herumbohrt… Um kurz nach Mitternacht dann die erlösende Mitteilung: Geschafft! Bombe entschärft und gesichert! Das habe schon lange gedauert, sagte Lenz danach, der Grund: „Ein Herausschrauben des Zündsystems der Bombe auf normalem Weg war nicht möglich.“

Zwar sei der Zünder an der Bombe selbst „voll in Ordnung“ gewesen, doch der Rest der Bombe in sehr schlechtem Zustand: Der Sprengkörper sei zur Hälfte beim Aufschlag explodiert, der Heckzünder explodiert, der hintere Teil fehle, erklärte uns Lenz nach der Entschärfung am Fundort. Dann aber habe sich die Explosion totgelaufen, weil dem restlichen Sprengstoff – Amatol – der weitere Impuls gefehlt habe. „Die Bombe hat in jedem Fall was durchschlagen, ist wahrscheinlich durch ein Gebäude durch“, sagte der Experte. Denn der Bombenkörper sei stark zernarbt gewesen, an ihm hätten sich noch Scherben und Steingut und Glas gefunden. „So eine schlecht erhaltene Bombe habe ich noch nie gesehen“, sagte Lenz Kopf schüttelnd: „Die sieht ja aus, als hätte sie in Säure gelegen.“

Meister der Bomben: Sprengmeister Horst Lenz nach erfolgreicher Entschärfung der Bombe am Mainzer Zollhafen. – Foto: gik

Das will etwas heißen: Seit 1984 widmet sich der Rheinländer dem Entschärfen von Sprengstoff und den Hinterlassenschaften des Krieges, wie viele Bomben er schon entschärft hat, kann er selbst nicht sagen. Das Geschäft des Sprengmeisters sei „ein bisschen wie Archäologie“, sagte Lenz einmal gegenüber Mainz&, Geschichte brauche man dafür, Physikkenntnisse und Geografie. Die Bombe am Zollhafen konnte Lenz denn auch genau zuordnen: Eine amerikanische GP 500 Pounds ANM 64 sei das gewesen, sagte er prompt, der Zünder ein ANM 103 mit einem De Bange-Schraubverschluss.

Eine Bombe sei „immer eine Herausforderung“, sagte Lenz, die am Zollhafen vor allem „viel Arbeit“ gewesen, das Wichtigste: „ein Zusammenhalten der Gedanken, damit man sich nicht verläuft.“ Schritt für Schritt arbeiteten sich Lenz und sein Team vor, konzentriere man sich dabei nicht genau, „erschafft man eine Situation, aus der keine Rückkehr mehr möglich ist“, sagte Lenz: „Die Bombe hier hat eine ziemliche Herausforderung an den Verstand gestellt.“

Zuerst hätten sie versucht, den Zünder mit der Zange zu drehen, „das hat sich vielleicht einen Millimeter oder zwei bewegt, danach war aber Feierabend, dann gab’s nix mehr zurück und nix mehr vor“, berichtete Lenz ganz ruhig danach. Die Aufgabe war, den gezackten Zünder so weit zu drehen, dass die Zacken ins Leere greifen, doch genau das ließ sich zunächst nicht bewerkstelligen. Die Lösung brachte schließlich das Anbohren mit Hilfe einer Bohrschablone, mit der im Millimeterbereich genau das Gewinde angebohrt werden konnte, um eine Drehung im Sechzehntelbereich zu erreichen – damit der Zünder keinen Kontakt mehr hatte zum Rest der Bombe und sich dann herausziehen ließ.

Die Bombe samt dem Sprengstoff darin wird nun ins Lager des Kampfmittelräumdienstes gebracht und von dort zu einer Spezialfirma. Dort werde der Sprengstoff herausgepresst und unschädlich gemacht, der metallene Bombenkörper außen herum verschrottet. Komplett harmlos sei die Bombe ohne Zünder noch immer nicht, sagte Horst Lenz noch: „Würde da jemand drauf schießen, dann flumpt dat noch.“

Info& auf Mainz&: Wenn Ihr einen Vergleich wollt: Die größte bisher gefunden Bombe in Mainz war eine 500-Kilo-Bombe, die im November 2014 in Weisenau in Nähe des Volksparks gefunden wurde. Damals dauerte die Entschärfung weniger als eine Stunde, auch sie wurde von Horst Lenz unschädlich gemacht – alles dazu in der Mainz&-Reportage „Bis zur nächsten Bombe.“ Ein Video mit Horst Lenz über die Entschärfung der Bombe am Mainzer Zollhafen findet Ihr auf der Mainz&-Facebook-Seite.

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