Seit Monaten leiden die Menschen um den Frankfurter Flughafen unter dem stark zugenommenen nächtlichen Fluglärm, nun legt der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) sechs Wochen vor der Landtagswahl in Hessen ein Konzept zur Bekämpfung vor: Sieben Punkte sollen für mehr Nachtruhe am Frankfurter Flughafen sorgen. In den Mittelpunkt stellt der Minister dabei die Bekämpfung von Verspätungen, das Ziel: den nächtlichen Verspätungslandungen nach 23.00 Uhr einen Riegel vorschieben. Die Opposition spricht von Wahlkampfmanöver und wirft dem Grünen vor, fünf Jahre alles „verschlafen“ zu haben, was den Menschen genützt hätte. Al-Wazir sei „ein politischer Habenichts“, schimpfte die SPD. Tatsächlich bräuchte Al-Wazir für die Umsetzung seiner Maßnahmen Akteure im Bund – und am Flughafen selbst.

Der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) bei der 100. Montagsdemo am Frankfurter Flughafen im Jahr 2014. – Foto: gik

Seit sich der Flughafen-Betreiber Fraport für Billigairlines wie Ryanair, Laudamotion und Co. geöffnet hat, explodieren die verspäteten Landungen nach 23.00 Uhr: 203 waren es allein im Juni, 162 im Juli und noch immer 124 im August. In der ersten Hälfte des Septembers zählte das Hessische Verkehrsministerium bisher 33 Verstöße gegen die Nachtfluggrenze von 23.00 Uhr: Danach dürfen Flugzeuge eigentlich nur noch in Ausnahmefällen landen, eine Sondergenehmigung brauchen sie dafür aber im Gegensatz zu startenden Fliegern nicht. Die Folge: vor allem die Billigairlines reißen die Nachtfluggrenze in hohem Maße.

Das Ministerium wirft der irischen Billigfluglinie Ryanair sowie der Linie Condor vor, ihre Flugpläne so eng getaktet zu haben, dass die Verspätungen billigend einkalkuliert werden. 138 solcher Flüge wurden deshalb inzwischen an das Regierungspräsidium Darmstadt zur Überprüfung gemeldet, 88 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, alle entfallen auf sechs Verbindungen. Eine Entscheidung liegt aber in noch keinem Fall vor, die Verhängung eines Bußgeldes könne Monate dauern, heißt es aus dem Ministerium.

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Seit Monaten kämpft Al-Wazir gegen die Tendenz, mal bestellte er die Fluglinien ins Ministerium ein, mal machte er öffentlichen Druck. Die sinkenden Zahlen zeigten, dass die Maßnahmen des Ministeriums gegenüber den Airlines greifen, betonte Al-Wazir am Montag in Wiesbaden, „das Niveau ist aber immer noch deutlich zu hoch.“ Am Montag legte der Minister nun „Sieben Punkte für mehr Nachtruhe“ vor – sechs Wochen vor der Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober. Darin fordert Al-Wazir eine deutliche Erhöhung der Bußgelder bei Verspätungslandungen sowie erheblich höhere Lärmentgelte in Frankfurt, mehr Personal für die Flugsicherung, moderne Sicherheitskontrollen am Boden und eine direkte Belangung der Airlines.

Als „Wacke-Dackel“ von CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier verspotteten die Fluglärmgegner schon 2014 den Grünen Tarek Al-Wazir: Der Minister habe sich von der Flughafen-freundlichen CDU einfangen lasse und tue nichts mehr gegen Lärmschutz, klagten sie. – Foto: gik

Der Haken: die meisten Maßnahmen kann weder der Minister noch die Hessische Landesregierung durchsetzen, Al-Wazir braucht entweder den Bund oder Flughafenbetreiber Fraport dafür. SPD-Flughafen Marius Weiß kritisierte denn auch den 7-Punkte-Plan als „unglaubwürdig und ein Zeichen der Hilflosigkeit des Ministers“ beim Thema Lärmschutz. Al-Wazir habe „fast fünf Jahre Zeit“ gehabt, für mehr Nachtruhe am Frankfurter Flughafen zu sorgen, stattdessen hätten die Flugbewegungen am Frankfurter Flughafen in den Nachtrandstunden enorm zugenommen, wetterte Weiß. Zudem sei der Minister „bei sämtlichen der sieben Maßnahmen ist Minister Al-Wazir entweder nicht in der Verantwortung, oder hätte die vorgeschlagenen Maßnahmen längst umsetzen können.“

Tatsächlich richten sich Al-Wazirs „Sieben Punkte“ fast komplett an andere Akteure: Lärmentgelte etwa setzt die Fraport fest, schon jetzt wird für Verspätungslandungen nach 23.00 Uhr ein Zuschlag von 200 Prozent erhoben. Viel ist das dennoch pro Maschine nicht, die Entgelte sollten „noch einmal deutlich erhöht werden“, forderte Al-Wazir nun. Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten haben bislang eine Obergrenze von 50.000 Euro, „das ist aus unserer Sicht nicht ausreichend“, betonte Al-Wazir weiter: Bei wiederholten Verstößen gegen die Nachtfluggrenze seien Bußgelder von 200.000 Euro und mehr angemessen. Das aber müsste der Bundestag beschließen.

Dazu will Al-Wazir eine Regelung, dass die Airlines ihre Unterlagen auf Anfrage offen legen müssen, um Verspätungen besser auf den Grund gehen zu können. Regeln müsste dies aber das Bundesverkehrsministerium – und das Haus von Andreas Scheuer (CSU) machte bislang wenig Anstalten, sich gegen die Luftfahrtindustrie zu positionieren. Auch das Luftverkehrsgesetz muss der Bund ändern, es regelt, wen das Land Hessen bei Verstößen habhaft machen kann – und bislang ist das nicht die Airline: „Das Gesetz gibt uns bisher keine Möglichkeit, direkt gegen die Airline vorzugehen, wir müssen erst gegen den Piloten vorgehen“, sagte Al-Wazir. Mit einer Bundesratsinitiative will Hessen nun das Gesetz so ändern, dass die Airlines direkt zur Verantwortung gezogen werden können, am Freitag soll bereits der Bundesrat darüber befinden. Auch Rheinland-Pfalz könnte dem dann zustimmen.

„Region im Eimer“, so sahen es schon 2013 Demonstranten einer Anti-Fluglärm-Demo in Wiesbaden. – Foto: Mainzer Initiative gegen Fluglärm

Al-Wazir forderte aber auch von der Fraport, die Zahl der abzuwickelnden Flugbewegungen zu Stoßzeiten nicht weiter zu erhöhen. Derzeit liegt dieser sogenannte Koordinierungseckwert bei 104 Flugzeugen pro Stunde, die Fraport hatte ihn in den vergangenen Jahren bereits mehrfach von 80 auf 104 erhöht – im Hessischen Verkehrsministerium wurde diesen Anträgen regelmäßig stattgegeben. Das will Al-Wazir offenbar jetzt nicht mehr einfach so tun: Schon jetzt könnten die Maschinen in Stoßzeiten kaum mehr planmäßig abgefertigt werden, sagte Al-Wazir, gleichzeitig planten viele Airlines ihre Flugbewegungen aber immer enger sähen kaum noch Puffer in der Flugplangestaltung vor. Das verschärfe die Verspätungssituationen weiter – und die verschieben sich dann in die Nacht. Er begrüße deshalb die Ankündigung der Fraport, derzeit keine weitere Erhöhung des Eckwertes zu beantragen, betonte Al-Wazir.

Maßnahmenpunkt Nummer sechs: Die Deutsche Flugsicherung (DFS) müsse ihr Personal bei den Fluglotsen „schnellstmöglich aufstocken und flexibler einsetzen“, forderte der Minister, um Verspätungen im Luftraum zu reduzieren. Derzeit klagen Flughäfen in ganz Europa über Engpässe bei den Fluglotsen, es herrscht Stau am Himmel und nicht selten Chaos am Boden. Mehr als 133 Prozent hätten die Verspätungen im Flugverkehr binnen eines Jahres zugenommen, berichtete jüngst das Handelsblatt – und macht dafür neben den Airlines selbst auch fehlende Fluglotsen und langwierige Sicherheitskontrollen mit verantwortlich.

An letzterem Punkt will auch Al-Wazir ansetzen: Die Organisation der Sicherheitskontrollen am Boden sollten vom Bund auf die Fraport übergehen, so könne schneller moderne Sicherheitstechnik angeschafft werden, sagte er. Untersuchungen zufolge werden an anderen europäischen Flughäfen mit dem gleichen Personal bis zu doppelt so viele Passagiere abgefertigt, Deutschland hinkt hier hinterher. Derzeit zuständig für die Personenkontrolle ist der Bund, Bundespolizei und private Sicherheitsdienste schoben sich in den vergangenen Wochen gegenseitig die Schuld ist. Al-Wazir schlägt nun vor, die Organisation und Durchführung der Kontrollen „möglichst kurzfristig“ der Fraport zu übertragen und die Fachaufsicht dem Land Hessen.

Gerade erst luden Fluglärm-Gegner zur großen Montagsdemo am 10. September 2018, und veranstalteten dabei ein „Scharfgericht“ gegen untätige Politiker. – Foto: Thomas Scheffler

„Wir gehen jetzt mit diesen Punkten in die diversen Gespräche“, sagte Al-Wazir weiter – Adressaten sind Bundestag, Bundesregierung und die anderen Bundesländer für den Bundesrat, dazu Fraport und DFS. Für den 5. Oktober hat das Bundesverkehrsministerium die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit großen Flughäfen zu einem Luftverkehrsgipfel nach Berlin eingeladen, dann werde er auf die Umsetzung der sieben Punkte dringen. „Das Maßnahmenpaket zeigt“, sagte Al-Wazir, „dass man für mehr Pünktlichkeit sorgen kann.“

Des Ministers Grünen-Landtagsfraktion in Hessen lobte, das seien „konkrete Schritte“, um mögliche Verspätungen und Fehlplanungen frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren. Lob kam auch vom Koalitionspartner CDU: Al-Wazirs „Überlegungen“ seien richtig, der Flughafen als wichtiger Jobmotor mit seiner wichtigen Drehscheibenfunktion brauche „zur weiteren Entwicklung auch der Akzeptanz der Rhein-Main-Region und ihrer Bewohner“, sagte CDU-Fraktionschef Michael Boddenberg. Das setze voraus, „dass sowohl Fraport als auch die Airlines alles daran setzen, die Belastungen wo immer möglich zu reduzieren.“

Die Linke sprach hingegen von einem „durchsichtigen Wahlkampfmanöver“ und schimpfte, die Grünen hätten in ihrer Regierungszeit „alles geschehen lassen, vom Spatenstich für Terminal 3 bis zur Ansiedlung der Billigflieger“, und das im Übrigen von „wirkungslosen Placebo-Maßnahmen wie einer ‚Lärmobergrenze'“ oder den „völlig unverbindlichen ‚Lärmpausen'“ flankiert. Um die Menschen von Fluglärm zu entlasten, seien „ein echtes, achtstündiges Nachtflugverbot sowie eine Begrenzung der Flugbewegungen auf 380.000 im Jahr und der Verzicht auf einen weiteren Ausbau notwendig“, forderte Linksfraktionschefin Janine Wissler.

Info& auf Mainz&: Alle Maßnahmen des Hessischen Verkehrsministerium für mehr Lärmschutz rund um den Frankfurter Flughafen könnt Ihr hier durchlesen. Mainz& berichtet seit Monaten über die stark gestiegen nächtlichen Verspätungslandungen und die Gründen dafür – zuletzt zum Beispiel hier über den August. Im Juni forderten gleich mehrere SPD-Politiker in Hessen und Rheinland-Pfalz eine Höchstgrenze pro Nacht, davon war am Montag keine Rede. Der Grund: Der Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen erlaubt im Jahresschnitt bis zu 133 planmäßige Flugbewegungen pro Nacht – diese Zahl ist bislang noch nicht einmal ansatzweise erreicht: Derzeit gibt es zwei bis drei Verspätungen pro Nacht, erlaubt sind nach dem Jahresschnitt 7,5 Verspätungslandungen pro Nacht.

 

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