Es kommt nicht oft vor, dass Gerhard Trabert die Fassung verliert. Der Mainzer Arzt kennt als Obdachlosenarzt Leid und Not zu Genüge, war schon in Katastrophenregionen unterwegs. Doch was Trabert auf seinem Einsatz mit der Sea Watch im Mittelmeer erlebte, machte ihn so fassungslos, dass er die Fassung verlor: „Die Politiker müssten mal in so einem Boot sein“, sagte Trabert am Freitag in Mainz, „diese Ignoranz der Politik, das ist… ich kann das nicht nachvollziehen!“ Sein Einsatz im Mittelmeer bewog den Helfer zu einem flammenden Appell: Die Flüchtlingspolitik der EU muss sich ändern – jetzt. Sofort.

Trabert und das leere Mittelmeer
Und das Meer so leer – Gerhard Trabert nach seiner Rückkehr von der Sea Watch – Foto: gik

Dabei erlebten die Helfer auf ihrem Turn im Mittelmeer gar nicht die Not in den Flüchtlingsbooten hautnah: Die Sea Watch musste nämlich nach vier Tagen unverrichteter Dinge wieder umkehren – erst streikte der Generator, dann streikte das Getriebe. Ohne Getriebe wäre die Sea Watch selbst in Seenot geraten, also drehten die Helfer wieder um zurück zum Hafen nach Lampedusa. „Das war, als würde man uns die Luft abschnüren“, sagte Trabert, „man hat fast das Gefühl von Schuld.“

Helfen wollen, aber nicht können – die vierte Fahrt der Sea Watch stand unter keinem guten Stern. Seit Anfang Juni kreuzt der alte Kutter des Brandenburgers Harald Höppner vor der Küste von Libyen und Tunesien, um marode Flüchtlingsboote aufzuspüren und die Menschen darin zu retten. Gut 600 Flüchtligne half die Sea Watch auf ihren ersten Turns retten, dieses Mal glückte nichts dergleichen. „Wir haben verschiedene Rettungsrufe mitbekommen, einen ganz konkreten, bei dem aber stimmten die Koordinaten nicht“, berichtet Trabert.

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Die Sea Watch suchte das Meer ab, stundenlang stand die Crew Wache – vergeblich. Am Abend dann bekamen sie mit, das Flüchtlingsboot was bei Eintreffen eines anderen Rettungsschiffes gekentert, 200, 300 Menschen ertranken. „Das war für uns alle furchtbar“, berichtet Trabert leise. Dann die Getriebepanne, und auf dem Rückweg wurde die Sea Watch noch vier Mal von der italienischen Seenotretztung kontaktiert – und musste ablehnen. Die Helfer frustriert, ohnmächtig, hilflos.

Und wütend: Das alles mache doch nur deutlich, wie dringend sich an dem Grundproblem etwas ändern müsse, betont Trabert. Legale Wege müsse es nach Europa geben, die frühere Rettungsmission Mare Nostrum sofort reaktiviert werden. „Europa muss teilen und abgeben können“, fordert er, Afrika wirtschaftlich gestärkt werden. „Und es gibt Bundeswehrschiffe da unten, warum fahren die nicht zur Rettung aus?“

Trabert mit Foto Flüchtlinge
Trabert vor einem Foto von Flüchtlingen in Lampedusa: „Verstehe die Poliik nicht“ – Foto: gik

Zuhause in Deutschland aber habe er dann gleich im ersten Interview Bundesinneninister Thomas de Maizière (CDU) von „Armutsflüchtlingen“ reden hören. Das ist der Moment, als Trabert die Fassung verliert, nicht weitersprechen kann, mit Tränen kämpft – Bilder von Flüchtlingen in winzigen Schlauchbooten vor dem Auge, ohne Wasser, mitten auf dem Meer, verzweifelt, wild entschlossen. In Libyen seien die Menschen zum Teil mit Waffengewalt auf die Boote gezwungen worden, kehrten sie zurück, drohe ihnen die Erschießung, sagt er. Auf dem Meer aber hätten sie den Tod durch Ertrinken vor Augen.

„Es kann einfach nicht sein, dass die Menschen ihr Leben riskieren, um zu uns zu kommen“, sagt Trabert. Es müsse legale Wege geben, nach Europa zu kommen, und es müsse sie jetzt geben. Mit Flüchtlingen selbst hatten Trabert und vier seiner Studentinnen Kontakt auf Lampedusa, wo die Sea Watch liegt und wo viele Flüchtlinge an Land gebracht werden. Die Italiener machten „eine super Arbeit“, führen jeden Tag ‚raus aufs Meer, gingen mit den Menschen freundlich, wertschätzend und mitfühlend um. Von der EU und Deutschland aber „fühlen sie sich im Stich gelassen“, betont Trabert: „Man spürt, wie gut es ihnen tut, dass sich Deutsche hier engagieren.“ Tja, das Bild von uns Deutschen, im Ausland ist es stark ramponiert.

„Und dann wird da so ein Schrott von Armutsflüchtlingen erzählt, als ob wir nicht die wirtschaftlichen Kapazität hätten, diese Menschen aufzufangen“, sagt Trabert: „Es ist unerträglich, dass die EU den Tod so zulässt und akzeptiert.“ Im Mittelmeer, sagt Trabert aufgewühlt, im Mittelmeer „ertrinken gerade die humanitäten Werte, auf die sich Europa so gerne beruft.“ Die Menschenrechte „sind unser Fundament, wenn wir diese Werte verlieren, verlieren wir unsere Identität – und dann werden wir große Krisen erleben.“ Europa ist doch schon mittendrin…

Die Sea Watch wird hoffentlich in wenigen Tagen wieder aufs Mittelmeer starten können, und sie wird weiter tun, was sie kann, um Menschen zu retten. Nur August und September bleiben noch, dann wird die See zu unruhig, werden die Flüchtlingsboote hoffentlich ausbleiben. Nächstes Jahr aber soll die Sea Watch erneut starten, „wenn es noch notwendig ist“, sagt Trabert. Denn eines sei auch klar: „Es gibt zu Menschlichkeit keine Alternative.“

Info& auf Mainz&: Mehr über Gerhard Trabert und den Beginn der Sea Watch-Mission könnt Ihr in den Mainz&-Artikeln Trabert hilft bei Flüchtlingsrettung und hier lesen. Die Sea Watch findet Ihr im Internet genau hier. Der Sea Watch könnt Ihr auch auf Twitter folgen, sie twittert unter @seawatchcrew.

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