Die Mainzelbahn ist noch nicht einmal komplett fertig, da steht schon das nächste Straßenbahn-Großprojekt vor der Tür: Wiesbaden plant die Citybahn. Mehr als 16 Jahre lang brachte die hessische Landeshauptstadt das Projekt einer Stadtbahn nicht auf die Schiene, auch wegen des Widerstands der FDP, nun aber soll sie kommen. „Wir wollen 2022 fahren, wenn auch vielleicht noch nicht durchgehend“, sagte Hermann Zemlin, Geschäftsführer der Wiesbadener ESWE-Verkehrsgesellschaft im Interview mit Mainz&. Der Trick dabei: „Wir bauen von Mainz aus“, sagt Zemlin – ob die Mainzer das wissen? Ja, sagt Zemlin: Am 1. Juli werde eine Citybahn Planungs- und Baugesellschaft gegründet, sagt Zemlin: „Da machen die Mainzer mit.“

Ab 2022 könnte die Citybahn bereits durch die Wiesbadener Innenstadt rollen – so zumindest die Vision der Wiesbadener ESWE. – Fotomontage: ESWE

Zemlin ist ein alter Hase, der 76 Jahre alte Ingenieur ist seit dem 1. April 2014 als „Change Manager“ bei den Wiesbadener Verkehrsbetrieben ESWE für die Neuordnung zuständig. Und Wandel, das will Zemlin wahrhaft erreichen: 16,9 Kilometer lang soll die Strecke von der Wiesbadener Hochschule bis nach Mainz sein. Vom Wiesbadener Hauptbahnhof soll es zum Wiesbadener Ostbahnhof gehen und von da nach Mainz-Kastel. Geschätzte 149 Millionen Euro soll das Vorhaben kosten – die Anschaffung der Fahrzeuge noch nicht mitgerechnet.

In Kastel aber will Zemlin die Citybahn weiter über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz führen, und hier an das Mainzer Straßenbahnsystem andocken. Über die Große Bleiche etwa könnte die Straßenbahn dann zum Mainzer Hauptbahnhof rollen, dann könnten die Fahrgäste einmal in 30 Minuten von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof fallen, sagt Zemlin. Es gebe genug Pendler zwischen beiden Städten, sagt er – und Wiesbaden brauche die Bahn dringend: 82.00 Fahrgäste am Tag prophezeiten die derzeitigen Vorhersagen für eine Citybahn, 35.000 davon sollen vom Auto umsteigen.

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So könnte die Strecke der Citybahn durch Wiesbaden und nach Mainz-Kastel führen. – Grafik: ESWE

35.000 Autofahrten weniger wären gut fürs Klima

„Wenn wir über 35.000 Autofahrten weniger hätten, das wäre nicht schlecht fürs Klima“, sagt Zemlin. Denn die Landeshauptstadt hat ein ganz ähnliches Problem wie Mainz: Seit Jahren liegen auch in Wiesbaden die Stickoxidwerte deutlich über dem Erlaubten, die Deutsche Umwelthilfe klagt gegen die Stadt – auch Wiesbaden drohen in naher Zukunft Dieselfahrverbote. Die ESWE hat nun beschlossen, darauf zu reagieren und grundlegend umzusteuern: Als erste Landeshauptstadt in Deutschland will man einen komplett emissionsfreien Nahverkehr, die Citybahn soll ein wichtiger Baustein dazu sein.

„Wir haben steigende Fahrgastzahlen, wir kriegen die mit Bussen allein einfach nicht alle weg“, sagt Zemlin, schon jetzt ersticke die Wiesbadener Innenstadt im Busverkehr. Eine Schienenbahn fasse so viele Menschen wie drei Gelenkbusse, sechs normale Busse – oder 400 Pkw. 30 Dieselbusse könne man mit der Citybahn ganz abschaffen.

Und Zemlin hat noch mehr vor: Nichts weniger als ein komplettes Stadtbahnnetz für Wiesbaden soll entstehen, die Bahn auch in den Taunus hinauf nach Bad Schwalbach fahren. Für die 14,8 Kilometer lange Strecke könnte die alte Aartalbahn reaktiviert werden, 122 Millionen Euro werden hier noch einmal an Kosten veranschlagt, ein Seitenast nach Wiesbaden-Klarenthal inklusive. „Damit hoffen wir, eine ganze Reihe von Pendlern zum Umsteigen zu kriegen“, sagt Zemlin.

Bau soll von Mainz aus starten – Mainzer müssten ihre Strecke selbst bezahlen

Bis zu 450 Millionen Euro könnte das Gesamtprojekt kosten, Anschaffung von Fahrzeugen und Baunebenkosten inklusive. Finanzieren will die ESWE das mit einem ausgefeilten Plan an Fördergeldern: „Wenn die derzeit laufende Kosten-Nutzen-Untersuchung gut ausgeht, dann kriegen wir vom Bund 60 Prozent der Kosten für die Strecke“, sagt Zemlin. 27,5 Prozent gebe das Land Hessen dazu, das hessische Umweltministerium unterstütze die Planungen und habe die Maßnahme bereits für die Bundesförderung angemeldet. Blieben für Wiesbaden rund 17 Millionen Euro, „das ist ein Schnäppchen“, sagt Zemlin.

Und so könnte die Citybahn aus Wiesbaden in Mainz angebunden werden: Durch die Große Bleiche. – Grafik: ESWE

Und noch ein Trick soll die Citybahn schnell aufs Gleis bringen: „Wir bauen von Mainz aus“, sagt Zemlin, das mache das Projekt billiger – denn die Mainzer müssten ihre etwa 6,8 Kilometer lange Strecke selbst bezahlen. In Mainz herrschte zu dem Thema bislang allerdings eher vorsichtige Distanz, zum Thema Citybahn mochte man sich bislang öffentlich nicht äußern. „Das sei bisher kein Thema“, hieß es lediglich – schließlich stöhnt die Stadt noch immer unter den Nachwehen des Straßenbahnbaus. Das Wort „Baustelle“ ist zum Reizwort Nummer eins geworden.

Gemeinsame Citybahn GmbH soll am 1. Juli gegründet werden

Hinter den Kulissen werden derweil aber offenbar Weichen gestellt: Die geplante Citybahn Planungs- und Baugesellschaft werde gemeinsam von den Wiesbadener und Mainzer Verkehrsbetrieben gegründet, sagt Zemlin, auch das Schienensystem werde ja dasselbe sein. Wiesbaden will zudem dieselben oder ähnliche Fahrzeuge wie Mainz anschaffen, und zur Wartung die Mainzer Werkstätten nutzen, gegen Entgelt natürlich, sagte Zemlin. Die Mainzer Anfangsschwierigkeiten mit quietschenden Wendeschleifen und rumpelnden Bahnen beobachte man dabei aber genau, versichert Zemlin: „Wir werden von den Mainzer Fehlern lernen.“

Auch ein paar andere Probleme müsse er noch lösen, räumt Zemlin ein: Am Wiesbadener Ostbahnhof werde es eng, auch die Gleise durch die Innenstadt zu bekommen, werde eine gute Planung brauchen. „Wir werden die Bürgerbeteiligung sehr ernst nehmen“, verspricht der Ingenieur. Im Herbst sollen die Ergebnisse der Voruntersuchungen vorliegen, dann werde auch die Bürgerbeteiligung starten. Sobald die Planungen stünden, solle die Strecke dann von Mainz her nach Wiesbaden wachsen, „und immer, wenn wir eine Haltestelle haben, fahren wir schon mal“, schwärmt Zemlin. So werde Akzeptanz geschaffen und die vielen Pendler zwischen Mainz und Wiesbaden zum Umstieg motiviert.

Über die Theodor-Heuss-Brücke müsste die Citybahn von Wiesbaden nach Mainz rollen. – Foto: gik

Mainzer FDP: Debatte „zum unglücklichsten Zeitpunkt“

Von der Mainzer FDP kam indes eine skeptische Reaktion: Die erneut aufkeimende Debatte um die Citybahn komme „zum unglücklichsten Zeitpunkt, den man sich denken kann“, sagte FDP-Kreischef David Dietz. Ganz Mainz und weite Teile der Region ächtzen unter extremen verkehrlichen Belastungen. „In der Situation eine Diskussion vom Zaun zu brechen, wann und wie schnell ein neues Megaprojekt auf den Weg gebracht werden kann, grenzt an politische Unvernunft“, schimpfte Dietz. Die verstärkte Zusammenarbeit mit Wiesbaden biete eigentlich „eine riesige Bandbreite von Vorteilen, wir sollten sie nicht mit unnötigem Druck verspielen.“

Auch vom jetzt von der ESWE vorgelegten Tempo will man sich nicht beeindrucken lassen: „Entscheidungen in Sachen Citybahn stehen eher weiter hinten auf unserer Agenda“, sagte Dietz, „wir werden uns sicherlich nicht von Entscheidungen aus Wiesbaden treiben lassen.“ Erst müssten „alle Hausaufgaben in puncto Mainzelbahn abgearbeitet sein, bevor es an das nächste Megaprojekt geht.“ Auch wenn Mainz jetzt der Citybahn GmbH beitrete, eine Vorentscheidung sei das nicht, fügte er hinzu.

In Wiesbaden gibt man sich unbeeindruckt: „Einfach ist das Unterfangen nicht – aber es macht Spaß“, sagt Zemlin – zumal er mit der Citybahn eine echte Vision verbindet: „Es muss im Rhein-Main-Gebiet außer Frankfurt eine weitere Metropolregion geben“, sagt Zemlin: „Eine Metropolregion westliches Rhein-Main-Gebiet muss entstehen, eine Metropolregion Mainz-Wiesbaden – die Städte müssen enger zusammenwachsen.“

Info& auf Mainz&: Alle Informationen rund um das Projekt Citybahn in Wiesbaden findet Ihr auf dieser Internetseite, dort könnt Ihr auch die bisherigen Pläne und Studien detailliert einsehen.

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