Kommenden Montag, den 4. Februar, ist Weltkrebstag, der Tag hat explizit zum Ziel, die Vorbeugung, Erforschung und Behandlung von Krebserkrankungen ins Blickfeld zu rücken. Das hatten wir bei Mainz& schon im Dezember getan: mit unserer Reportage über die Geschichte des Mainzers Manfred Scharein, der mit Hilfe einer hochinnovativen Therapieform seinen Darmkrebs besiegt hat. Die Geschichte ist wahr und von Ärzten bestätigt, und es ist eine Geschichte, die Mut macht: die Krebs-Immuntherapie mittels Checkpoint-Inhibitoren gilt als eine der großen Zukunftshoffnungen beim Besiegen von Krebs. Noch ist es nicht so weit, noch ist diese Therapieform nicht bei allen Krebsarten erforscht, geschweige denn zugelassen. Aber das Prinzip ist so genial, dass es dafür 2018 den Nobelpreis für Medizin gab – aus aktuellem Anlass hier noch einmal unsere Reportage.

Am 1. Oktober 2018 wurde der Nobelpreis für Medizin bekannt gegeben: der Amerikaner James P. Allison und der Japaner Tasuko Honjo wurden für ihre Entdeckungen zur Krebs-Immuntherapie mittels Checkpoint-Inhibitoren ausgezeichnet. Es ist nichts weniger als eine Revolution in der Krebsbekämpfung: das Immunsystem zur Bekämpfung des Krebses zu nutzen. Manfred Scharein hat genau das selbst erlebt: Vor drei Jahren hatte der Mainzer nur noch Wochen zu leben – Scharein hatte Darmkrebs im Endstadium. Was dann geschah, hätte man früher ein Wunder genannt: Manfred Scharein bekam ein neuartiges Medikament, die Immuntherapie schlug bei ihm in unglaublicher Geschwindigkeit an. Heute, drei Jahre später, arbeitet Scharein wieder und genießt das Leben – der Krebs gilt als vorläufig besiegt. Dies ist eine wahre Geschichte, es ist eine Geschichte voller Unglaublichkeiten und voller Wissenschaft – eine Geschichte zum Staunen, eine Geschichte, die Hoffnung macht. Unsere Weihnachtsgeschichte 2018.

Manfred Scharein heute, nach seiner Dramkrebserkrankung, die ihn ganz nah an den Tod führte. – Foto: Christian Fiedler

„Austherapiert“ lautete die Ansage der Ärzte. Es war im Herbst 2015, und austherapiert lediglich ein anderes Wort für: Wir können nichts mehr machen. Manfred Scharein, damals 45 Jahre alt, hatte Darmkrebs, HNPCC, das steht für Hereditäres nicht polypöses Kolonkarzinom. Der Darmkrebs beruht auf einem familiär vererbten Gendefekt in Schareins Familie. „Ich hatte mich im Herbst 2015 schon ins Endstadium eingestuft“, sagt Scharein nüchtern, „ich hätte maximal bis Ostern durchgehalten. Vielleicht auch nur bis Weihnachten.“

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Drei Jahre danach steht Manfred Scharein auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt und genießt das Leben. „Vorerst ist der Krebs weg“, sagt der heute 48-Jährige: „Als Krebspatient bin ich absolutes Neuland, wissenschaftlich echt relevant.“ Scharein habe „im Moment keinen nachweisbaren Tumor“, sagt sein Arzt Arndt Weinmann, Oberarzt in der Gastroenterologie und Onkologie an der Universitätsmedizin Mainz, „ein fantastisches Ergebnis.“

Das Zauberwort heißt Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren, genau dafür gab es den diesjährigen Nobelpreis für Medizin. Es könnte der Durchbruch im Kampf gegen den Krebs sein. „Es gibt Hoffnung für Krebspatienten“, sagte Forscher James Allison am Tag der Verkündung in den Medien. Manfred Scharein kann das bestätigen.

Es war im August 2011, als Scharein auf der Arbeit kollabierte. Im Krankenhaus fanden sie einen perforierten Darm – und Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Die Diagnose: HNPCC, nur fünf Prozent der Darmkrebs-Patienten haben diese Form. „Dann bin ich erst einmal ganz klassisch behandelt worden“, erzählt Scharein. Sechs große Operationen, bei denen große Teile des Darms entfernt wurden. Wie viele Chemotherapien er bekommen hat, kann Scharein gar nicht mehr zählen. „Viele“, sagt er nur.

Tasuku Honjo und James P. Allison, sie erhielten den Nobelpreis für Medizin 2018 für ihre Entdeckungen, die Immuntherapien gegen Krebs möglich machen.- Fotos: Wikipedia, Foto Allison von Gerbil. Auch den Urheber des Honjo-Fotos hätten wir gerne angegeben – wenn er nur nicht in japanischen Schriftzeichen angegeben gewesen wäre…

„Er durchlief alle klassischen Chemotherapien im Laufe der Zeit“, sagt Weinmann, „aber am Ende entwickelte der Tumor Resistenzen.“ Der Krebs kam immer wieder, die Symptome wurden schlimmer. Scharein ist promovierter Statistiker, arbeitet beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, hatte Lehraufträge an den Fachhochschulen in Mainz, Worms und Frankfurt. Ab Mitte 2014 wird die Krankheit als systemisch eingestuft. Scharein galt als unheilbar krank.

Ende 2014 kam es zu einem Darmverschluss und Darmeinriss, da war Scharein kurz vor dem Tod. In der Folge schlug der Krebs richtig zu, befiel die Lymphknoten, den gesamten Bauchraum. Tumorschmerzen setzten ein, Atmen, Gehen – alles ging nur noch unter stärksten Schmerzmitteln. „Wir hatten ihm maximal noch ein paar Wochen gegeben“, sagt Weinmann, „es gab keine Alternative mehr.“

Scharein hielt nur durch, weil sein Arzt ein neues Medikament in Aussicht stellte: Pembrolizumab. Im Mai 2015 wurde auf dem großen amerikanischen Krebskongress eine Studie der John Hopkins-Universität vorgestellt, die vom Einsatz von Pembrolizumab an Patienten berichtete. „Mit diesen Daten haben wir das Gewebe von Herrn Scharein noch mal analysiert“, sagt Weinmann. „Ich war der perfekte Kandidat“, sagt Scharein.

Am 10. Oktober 2015 bekam Scharein zum ersten Mal Pembrolizumab. 12 Tage später verschwanden die Schmerzen in seinem Körper, über Nacht. „Ich konnte vorher keine 30 Meter mehr am Stück laufen“, sagt Scharein, „auf einmal konnte ich wieder aufrecht stehen, laufen – und hatte einen Mordsappetit.“ 35 Infusionen bekam er, nahm rasant wieder zu. „Nach drei Wochen habe ich die Schmerzmittel komplett abgesetzt“, sagt Scharein: „Das Leben kam in einer brutalen Geschwindigkeit zu mir zurück.“

Zurück im Leben: der Mainzer Manfred Scharein. – Foto: privat

Es war Schareins eigenes Immunsystem, das kurzen Prozess mit dem Krebs machte. „Jeder von uns entwickelt mehrere tausend potenzielle Krebs-Vorläuferzellen pro Tag“, erklärt Weinmann, das körpereigene Immunsystem beseitige die aber normalerweise perfekt von allein. Doch manche Krebszellen finden einen Weg, das System zu überlisten: „Der Kommunikator der Krebszelle simuliert, sie wäre gesund, dem Immunsystem fehlt schlicht der Killbefehl“, erklärt Scharein.

„Medikamente wie Pembrolizumab lösen die Bremse, damit das Immunsystem aktiv gegen die Zelle vorgeht“, sagt Weinmann. Die Idee, das Immunsystem zur Bekämpfung des Krebses „scharf“ zu stellen, gibt es schon sei einhundert Jahren: Der Frankfurter Mediziner Paul Ehrlich formulierte 1909 als erster die These, dass das Immunsystem Tumorzellen erkennen und beseitigen kann. Allison und Honjo entdeckten bestimmte Proteine, die an den „Checkpoints“, den Kontrollstellen des Systems einen Zugriff des Immunsystems verhindern. So erkennt das System zwar den Eindringling, doch der „Killbefehl“ bleibt aus. Allison und Honjo entdeckten – unabhängig voneinander – zwei verschiedene Proteine, die dafür verantwortlich sind und entwickelten Wege, diese Bremsen zu lösen.

Die Medikamente sind bislang nur für wenige Krebsarten zugelassen, schwarzer Hautkrebs ist eine davon. Für Darmkrebs ist Pembrolizumab bisher offiziell nicht zugelassen, seine Wirkung entfaltet es bisher nur bei bestimmten Darmkrebsarten, wie HNPCC. Noch ist Scharein einer von ganz wenigen Dickdarmkrebspatienten, der mit Pembrolizumab behandelt wurde, doch sein Fall elektrisiert die Ärzte: Von einer zukunftweisenden Therapieform spricht Weinmann. Binnen Wochen ging der Krebs zurück, zwei Jahre später waren bei Scharein keine Tumore mehr nachweisbar. „Entweder“, sagt Weinmann, „ist der Tumor komplett weg, oder das Immunsystem hat gelernt, ihn zu kontrollieren.“

Schon ab April 2016 konnte Scharein wieder voll arbeiten, beschwerdefrei ist er nicht. Auch die letzte Therapie verlief nicht ohne Nebenwirkungen, zeitweise sank seine Nierenfunktion auf 20 Prozent, seine Darmfunktionen sind durch die Operationen bleibend beeinträchtigt. „Ich bin immer noch schwerbehindert“, sagt Scharein. Und ob die Krebsgefahr dauerhaft gebannt ist, weiß derzeit niemand. „Ja, der Tumor kann wiederkommen“, sagt Weinmann, „aber im Moment ist er besiegt.“ Das Wort Heilung mag er noch nicht in den Mund nehmen, und dennoch: „Undenkbar“, sagt Weinmann, „ist es nicht.“

 

 

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