Heute beginnt das Open Ohr in Mainz! Und die 43. Ausgabe des politischen Festivals wartet wieder mit einem hochspannenden Thema auf: „Wegwerfware Mensch“ heißt das aktuelle Thema des Jahres 2017, es geht um moderne Sklaverei, aber auch um Schuldknechtschaft, Zwangsprostitution und Leih- und Zwangsarbeit. Damit widmet sich das 43. Open Ohr erneut einem hochbrisanten und unbequemen Thema – ganz bewusst. Zu den Podien und Diskussionen gibt es aber auch viel Musik, in diesem Jahr von Rock über Blues und Ska bis hin zu afrikanischen Klängen. 70 Veranstaltungen warten auf Euch vom 2. bis 5. Juni auf der Zitadelle, die Karten sind schon jetzt begehrt – das Open Ohr wird wieder ausverkauft sein.

Um den Menschen als „Wegwerfware“, um Ausbeutung und moderne Sklaverei geht es auf dem 43. Open Ohr an Pfingsten 2017 in Mainz. – Foto: gik

Das Thema „Wegwerfware Mensch“ sei „kein locker-flockiges Wohlfühlthema“, räumte Diane Ackermann von der Freien Projektgruppe am Mittwoch in Mainz ein, „Sklaverei klingt antiquiert, wie ein Problem vergangener Jahrhunderte.“ Tatsächlich aber „haben wir es mit einem der größten Menschenrechtsprobleme der Gegenwart zu tun“, betonte sie. Obwohl die Sklaverei weltweit verboten sei, existiere sie noch immer, dazu sei heute „ein aufgebrauchter Arbeiter für 90 Dollar zu ersetzen.“ Das Festival nimmt deshalb Schuldknechtschaft, Zwangsprostitution, Kinderarbeit oder Wirtschaftssklaverei als moderne Erscheinungsformen der Sklaverei in den Fokus und fragt: Welchen Wert hat heute ein arbeitender Mensch?

All dies wird auf dem 43. Open Ohr wieder einmal mit einem Feuerwerk an Musik, Kultur und Diskussionen beleuchtet und debattiert. 70 Veranstaltungen stehen insgesamt an den vier Tagen von Pfingstfreitag bis Pfingstmontag auf dem Programm, Herzstück sind dabei natürlich die rund 15 Foren und Lesungen: Da geht es etwa um Kinderhandel, Sexobjekt Mensch oder die Ausbeutung im Textilhandel in der Dritten Welt, aber auch um Rechtsprechung und Rechtsgrundlagen sowie die Sklaverei im Wandel der Zeit. Zum Eröffnungspodium am Samstag um 11.30 Uhr kommen unter anderem der Soziologe Stephan Lessenich und der Sozialethiker Hartmut Kreß sowie ein Vertreter der International Justice Mission Deutschland.

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Die Podien sind das Herzstück des politischen Jugendkulturfestivals Open Ohr. – Foto: gik

Hochrangige Politiker lassen sich hingegen eher weniger blicken in diesem Jahr, offenbar scheuen sich viele, mit dem Thema in Verbindung gebracht zu werden. Das gelte auch für Chefs großer Textilfirmen oder ähnlicher Wirtschaftsvertreter, sagte Stephan Lamb von der Freien Projektgruppe: Alle Anfragen der Projektgruppe seien abgelehnt worden. Dafür gibt es wieder allerlei kreative Aktionen zum Thema – so wird etwa mehrmals täglich auf Schatzsuche gegangen, etwa in Euren Smartphones, und die Frage gestellt, ob man in Nutella die harte Arbeit schmecken kann oder wie eigentlich fair hergestellte Alternativen munden. Und als neues Format diskutieren Mitglieder des Debattierclubs Johannes Gutenberg e.V., wie sich ein nachhaltiger und fairer Lebensstil im Alltag umsetzen lässt.

Auch das Theaterprogramm dreht sich natürlich um das Festivalthema. So präsentiert das Mainzer Staatstheater seine Produktion „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“, die kritische Reflexion um den legendären Apple-Gründer und die Produktionsbedingungen seiner Kult-Erfindungen. Das Junge Ensemble Marabu aus Bonn veranstaltet gleich mal eine Konferenz im metaphorischen Global Village unter dem Titel „In meinem Hals steckt eine Weltkugel“, und die Wiener Studentenproduktion „Kalbfleisch“ widmet sich dem Thema, wie junge Mädchen in Zwangsprostitution kommen.

Flucht im Container, das thematisierte schon vor zwei Jahren ein beklemmendes Theaterstück auf dem Open Ohr. – Foto: gik

Die große Platzbespielung am Sonntagabend kommt in diesem Jahr von der Close-Act Theatre Company aus den Niederlanden: Ihr Stück „Convoi“  dreht sich um das zentrale Thema der Sklaverei, nämlich um Freiheit und Unfreiheit, und stelle dies in einem Kampf von Gut und Böse mit Stelzenläufern, Figuren, Musik und Tanz dar, sagte Christin Dauborn. Close Act sei schon in über 46 Ländern aufgetreten und eine sehr bekannte Gruppe für große, fulminante Platzbespielungen mit hypnotischer Performance und tollen Effekten.

Auch das Filmprogramm widmet sich Themen wie Ausbeutung und zeigt etwa Produktionsbedingungen des Kakaoanbaus. Ein Highlight gibt es Freitagnacht auf dem Drususstein: Im Freiluftkino wird um Mitternacht ein fast verschollener Stummfilm von 1927 gezeigt. „Das Frauenhaus von Rio“ sei eine alte Literaturverfilmung, die sich mit Verschleppung junger Frauen in ein Bordell beschäftige, sagte Ackermann – ein wahres Zeitdokument, live begleitet von einem DJ.

Die offene Bühne wird’s auch in diesem Jahr wieder geben. – Foto: gik

Kult ist natürlich auch das mitternächtliche Kabarettprogramm im Kabarettzelt des Open Ohr, doch da gibt es dieses Jahr eine kleine Einbuße: Politisches Kabarett gibt’s dieses Jahr nur an zwei Abenden. Freitag kommt um Mitternacht gleich Hazel Brugger mit ihren bitterbösen Spitzen, Samstagabend gibt sich Jan Philipp Zymny mit einem Mix aus Kabarett, Comedy und Poetry Slam. Sonntagabend allerdings haben die Macher das traditionelle Kabarett durch ein Puppetry Slam ersetzt, einem Puppentheaterwettstreit.

Bei dem neuen Format gilt die Regel: Ein Mensch und eine Puppe oder ein Objekt haben sieben Minuten Zeit, sich auf der Bühne zu präsentieren. Die gezeigten Nummern müssen selbstverfasst und in Eigenregie erarbeitet worden sein, am Ende wird abgestimmt. Man habe mit den etablierten Formen auch mal spielen wollen, hieß es dazu von der Freien Projektgruppe – und dafür eine Kabarettnummer in den Tag gesetzt: Till Reiners tritt jetzt am Sonntag um 15.30 Uhr auf.

Bleibt noch die Musik – und die wird in diesem Jahr so vielfältig wie selten. Es habe vergangenes Jahr viel Kritik an der Auswahl gegeben, räumte Lamb ein, nur Männer auf der Bühne, alles habe gleich geklungen. „Wir haben dieses Jahr auf besonders große Diversität geachtet“, betonte er denn auch – mit Blues, Rock, Afro, Ska und Swing aus unterschiedlichen Ländern sei das musikalische Programm breit aufgestellt.

Gänsehautatmospähre und Abtanzen gibt’s sicher auch in diesem Jahr beim Open Ohr. – Foto: gik

Los geht es denn auch gleich am Freitagabend mit der britischen Rocklady Nathalie Findlay, am Samstagmittag wird eigens ein Urgestein und Vorreiter des Afropop eingeflogen: Ebo Taylor, 80 Jahre alt, gilt weltweit als der bedeutendste Highlife-, Afrofunk- und Afrobeat-Musiker Ghanas und ist vermutlich der letzte aktive Musiker der ersten Generation moderner Musik Afrikas.

Samstagabend dann erwartet Euch mit The Correspondents ein Elektro-Swing-Duo aus Großbritannien auf der Hauptbühne, gefolgt von der belgischen Punk-Rock-Kombo La Chiva Gantiva. Am Sonntag gibt’s in aller Herrgottsfrühe (10.00 Uhr) New Folk mit den Broom Bezzums und Hip-Hop-Jazz mit Icarus‘ Cloud. Abends warten dann Frankreich-Export The Inspector Cluzo mit authentischem Rock und Blues auf Euch, gefolgt von Adam Angst – das soll Punkrock mit Sozialkritik sein.

Die Freie Projektgruppe des Open Ohr im Jahr 2017 mit Sozialdezernent Kurt Merkator (SPD – 2.v.r.). – Foto: gik

Montag spielen dann noch das New Yorker Trio Moon Hooch mit experimentellem, bassgetriebenem Bläser-Jazz und zum krönenden Abschluss Les Yeux d’la Tete mit einem Clash aus Swing, Punk, Chanson und Ska, eine Kultband aus Frankreich, auf.

Ein reiches Programm also – um die Karten solltet Ihr Euch schnell bemühen. Schon jetzt sind rund 2.200 Karten im Vorverkauf weg, im vergangenen Jahr musste wieder einmal das Gelände wegen Überfüllung geschlossen werden. Das aber bedeutet: Rein kommen dann nur noch Dauerkarteninhaber, Tageskarten werden dann nicht mehr ausgegeben. Der scheidende Festivaldezernent Kurt Merkator (SPD) warnte übrigens bei der Programm-Pressekonferenz am Mittwoch eindringlich davor, die Unabhängigkeit des Open Ohr zu gefährden – mehr dazu lest Ihr hier.

Info& auf Mainz&: 43. Open Ohr-Festival vom 02. bis 05. Juni 2017 auf der Zitadelle in Mainz zum Thema „Wegwerfware Mensch“. Das komplette Programm findet Ihr wie immer auf der Homepage im Internet, dort auch weitere Infos zum Titelthema. Los geht’s am Freitag ab 17.00 Uhr, Ende ist Montag gegen 21.00 Uhr. Karten sind bereits im Vorverkauf erhältlich und kosten wie im Vorjahr 36,20 Euro im Vorverkauf für alle vier Tage oder 40,- Euro an der Tageskasse. Tageskarten kosten 23,- Euro und sind jeweils morgens ab 9.00 Uhr erhältlich, Freitag ab 11.00 Uhr, der Montag kostet 11,- Euro. Kinder bis einschließlich 13 Jahre haben freien Eintritt.

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