Es jault, es quietscht und es dröhnt – der Fluglärm über Mainz hat insbesondere im Jahr 2018 drastisch zugenommen. Besonders betroffen davon ist auch die Mainzer Uniklinik: Mit zwei verschiedenen Routen wird das größte und einzige Universitätsklinikum von Rheinland-Pfalz regelmäßig direkt von landenden Maschinen des Frankfurter Flughafens überflogen. Und dabei wird es ordentlich laut: Der durchschnittliche Lärmwert im Monat liege zwischen 43 und 52 Dezibel, der Spitzenpegel am Tag aber regelmäßig bei 68 Dezibel,  sagte nun der Präsident des Landesumweltamtes, Stefan Hill. Die Fluglärmsituation über der Klinik habe sich stark verschlechtert, das gelte besonders für die Nacht. Der Chef der Mainzer Uniklinik, Norbert Pfeiffer, forderte die Politik auf, deutlich mehr gegen den Fluglärm über der Klinik zu tun.

Der Kardiologe Thomas Münzel mit der Fluglärmmessstation auf dem Dach der Mainzer Uniklinik. - Foto: gik
Der Kardiologe Thomas Münzel mit der Fluglärmmessstation auf dem Dach der Mainzer Uniklinik. – Foto: gik

2013, nach der Eröffnung der neuen Nordwestlandebahn am Frankfurter Flughafen, richtete das Landesumweltamt (LfU) eine Lärmmessstation auf dem Dach des Augenklinik-Hochhauses ein, einem acht Stockwerke hohen Gebäude auf dem Gelände der Mainzer Uniklinik. Das Problem des Uniklinikums: Seit der Eröffnung der neuen Landebahn führt die Anflugroute unmittelbar über das Uniklinikum. „Es gibt zwei Linien, die über uns gehen, die eine direkt über die Augenklinik, die andere direkt über die Innere Medizin“, sagte der Chef der Kardiologie, Professor Thomas Münzel, „und ich habe das Gefühl, dass die Flugzeuge immer niedriger fliegen und immer lauter werden.“

Zumindest das mit dem „lauter werden“ bestätigen nun Messungen des LfU: Die Menge der Flugzeuge habe von 2014 auf 2018 klar von 20.000 auf rund 25.000 im Monat zugenommen, sagte LfU-Präsident Stefan Hill am Dienstag bei der Vorstellung der Lärmmesswerte. Unmittelbar über den Dächern der Klinik werde so im Monat ein Lärmwert zwischen 43 und 52 Dezibel erreicht. Das aber ist nur ein Durchschnittswert: Der Spitzenpegel liege am Tag regelmäßig bei 68 Dezibel, sogar Maximalpegel zwischen 71 und 76,5 Dezibel kamen vor. „Das ist so laut wie eine ungedämmte Baumaschine“, erläuterte Hill.

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Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht Einrichtungen wie Klinken als besonders schützenswert vor Lärm und empfehle einen Maximalpegel von 40 Dezibel – für gesunde Menschen, sagte Münzel. Laut der Lärmschutzrichtlinie der Bundesrepublik Deutschland gilt bei Kliniken tagsüber ein Immissionsrichtwert von 45 Dezibel, nachts sollten hier lediglich 35 Dezibel erreicht werden. Als „Nacht“ definiert die TA Lärm die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr morgens, am Frankfurter Flughafen gilt aber nur die sogenannte „Mediationsnacht“ – ein Nachtflugverbot zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr morgens.

Fluglärmpegel über der Mainzer Uniklinik. - Quelle: Landesamt für Umwelt, Foto: gik
Fluglärmpegel über der Mainzer Uniklinik. – Quelle: Landesamt für Umwelt, Foto: gik

Und ausgerechnet in den frühen Morgenstunden maßen die Geräte die größten Lärmspitzen: Pünktlich ab 5.00 Uhr morgens starte der Fluglärm über der Uniklinik, im rheinhessischen Umland sogar bis zu 30 Minuten früher, sagte Hill: „Morgens um 6.00 Uhr sind wir schon mitten im Flugbetrieb.“ Gerade zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr maßen die Geräte auf der Uniklinik regelmäßig 20 bis 309 Fluglärmereignisse mit Spitzenpegeln größer als 68 Dezibel, genau dann seien aber die Menschen besonders lärmempfindlich, sagte Hill. Das gelte auch für die Nachtrandstunden: „Die gesetzliche Nacht beginnt um 22.00 Uhr, am Himmel ist da noch viel Bewegung“, sagte Hill. In den Nachtstunden würden regelmäßig 55 Dezibel im Schnitt erreicht, „das ist eine ganze Menge“, sagte Hill.

LfU-Präsident Stefan Hill und Kardiologe Thomas Münzel bei der Vorstellung der Ergebnisse zum Fluglärm über der Mainzer Uniklinik. - Foto: gik kleiner
LfU-Präsident Stefan Hill und Kardiologe Thomas Münzel bei der Vorstellung der Ergebnisse zum Fluglärm über der Mainzer Uniklinik. – Foto: gik

Zumal in den Nachtstunden besonders laute Flugzeuge wie große Frachtmaschinen unterwegs seien, „diese Riesenbelastungsspitzen tun richtig weh“, sagte der LfU-Präsident. Es gebe auffallend viele sehr laute Einzelschallereignisse von bis zu 72 Dezibel, regelmäßig dröhnten nach 22.00 Uhr und vor 6.00 Uhr zwischen 200 und 400 Maschinen mit mehr als 58 Dezibel über die Klinik. Im Februar 2018 waren es etwa 227 solcher nächtlichen Fluglärmereignisse, die völlig legal über Mainz dröhnen, im Juli 2018 verzeichnete die Messstation 278 nächtliche Fluglkrmereignisse, 397 sogar im Oktober 2018. Den Rekord hält der Mai 2018, als 518 nächtliche Lärmflüge über der Uniklinik verzeichnet wurden.

„Im Mai 2018 hatten wir 532 Fluglärm-Ereignisse mit mehr als 55 Dezibel“, sagte der Chef der Mainzer Kardiologie, Thomas Münzel: „Das ist eine Entwicklung, die absolut inakzeptabel ist.“ Gerade die Belastung der Patienten in der Nacht sei nicht hinnehmbar, schließlich habe die Wissenschaft inzwischen nachgewiesen, dass gerade nächtlicher Fluglärm krank mache und Auslöser sein könne für Herzprobleme und Bluthochdruck. Schon ein einziges lautes Flugzeug reiche, um den Schlaf zu stören, auf den seien aber gerade Patienten unbedingt angewiesen. „Wir haben hier die einzige Unimedizin in Rheinland-Pfalz, hier kommen schwerkranke Menschen her – und unsere Patienten werden durch Nachtfluglärm belastet“, schimpfte Münzel: „Wenn man eine Uniklinik hat, muss man sie auch schützen.“ Trotzdem sei die neue Landebahn in die direkte Verlängerung der Uniklinik gebaut worden – ein Unding, schimpfte Münzel.

Blick vom Dach der Augenklinik auf das Gelände der Mainzer Uniklinik. - Foto: gik
Blick vom Dach der Augenklinik auf das Gelände der Mainzer Uniklinik. – Foto: gik

Auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte am Montag den gestiegenen Fluglärm kritisiert und höhere Lärmentgelte gefordert. Dass in der Kernnacht zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr „so oft geflogen wird, ist nicht zu akzeptieren“, sagte Dreyer: „Wenn der Flughafen-Betreiber Fraport die Fluglärmproblematik in der Rhein-Main-Region tatsächlich endlich ernst nimmt, braucht es ein unüberhörbares Signal für die Bürger und Bürgerinnen. Dazu gehört eine strikte Einhaltung der Mediationsnacht am Frankfurter Flughafen.“

Dreyer schloss sich damit den Forderungen der Fluglärmkommission an, die kürzlich eine deutliche Anhebung der Lärmentgelte insbesondere bei nächtlichen Verspätungslandungen auf 350 bis 500 Prozent gefordert hatte. Flughafen-Betreiber Fraport hatte vergangenen Woche angekündigt, man habe einen Antrag auf höhere Entgelte gestellt – die Höhe verriet Fraport dabei nicht. Die höheren Entgelte sollen ab 2020 gelten und müssen vom hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) genehmigt werden. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hatte sich bislang mit Kritik in Sachen Fluglärm eher zurückgehalten, Maßnahmen, die hessischen Nachbarn zur Verringerung des Fluglärms diesseits des Rheins zu bewegen, gab es in den vergangenen Jahren keine.

Der Kardiologe Thomas Münzel fordert mehr Schutz seiner Patienten vor Fluglärm. - Foto: gik
Der Kardiologe Thomas Münzel fordert mehr Schutz seiner Patienten vor Fluglärm. – Foto: gik

„Der Protest der Landesregierung ist nicht kontinuierlich genug, um es positiv zu formulieren“, sagte Münzel am Dienstag. Dabei hat sich gerade 2018 durch häufiger auftretende Ostwetterlagen der Fluglärm über Mainz glatt verdoppelt, dazu brachten die Billigairlines am Frankfurter Flughafen deutlich mehr Fluglärm in den Nachtstunden. Weder Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) noch Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) schalteten sich gegen diese Entwicklung ein. Die Bundesregierung wiederum verschob jüngst im Januar 2019 die Novelle des Fluglärmschutzgesetzes bis 2021 und strich zudem sämtliche Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes aus dem Gesetz – auch eine eigentlich geplante Absenkung der Dezibelgrenzwerte.

Dabei gebe es durchaus Möglichkeiten zur Lärmreduzierung, sagte Münzel: „Höher fliegen, steiler landen, kontinuierlichen Sinkflug über der Uniklinik einsetzen – gemacht wird das alles nicht.“ Die Deutsche Flugsicherung hat gerade erst die Flughöhen über Mainz wieder abgesenkt. 1,6 Mio Lebensjahre gingen in Westeuropa pro Jahr durch Lärm verloren, betonte Münzel. Es müsse nun schnell einen „Runden Tisch“ geben, an dem die Ergebnisse der Lärmmessungen diskutiert und Sofortmaßnahmen zum Schutze unserer Patienten beschlossen würden. „Die Mainzer Landesregierung ist gefordert, sie muss mit der Fraport verhandeln, dass der Fluglärm hier sinkt“, sagte Münzel.

Anzahl der nächtlichen Lärmereignisse über der Mainzer Uniklinik. - Quelle LfU, Foto: gik
Anzahl der nächtlichen Lärmereignisse über der Mainzer Uniklinik. – Quelle LfU, Foto: gik

Das forderte auch der Chef der Mainzer Uniklinik Norbert Pfeiffer: „Die Kernnacht muss lärmfrei sein, ebenso die Nachtrandstunden“, forderte Pfeiffer. Zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr dürfe die Uniklinik nicht überflogen werden. „Wir wissen wirklich, dass Lärm schadet, das ist nachgewiesen und geht weit über das Maß einer einfachen emotionalen Bewertung hinaus“, betonte Pfeiffer. Schon Hippokrates habe gewusst, dass für die Genesung von Kranken Licht, Luft, schöne Aussicht und Ruhe wichtig seien. „Das gehört bis heute dazu, auch wenn wir Antibiotika haben“, sagte Pfeiffer.

Die Messungen zeigten ja, dass es auch Flieger gebe, „die mit einem Bruchteil der Lärmbelastung hier herein kommen“, sagte der Klinikchef weiter: „Dann müssen besonders laute Flieger eben in Dubai landen und nicht hier.“ Auch Pfeiffer forderte deshalb „sehr, sehr hohe Gebühren für laute Flieger, es braucht eine steuernde Bewegung, das geht nicht ohne Geld“, sagte er, und betonte: „Es muss wirklich etwas geschehen in Sachen Fluglärm.“ Die Uniklinik kündigte zudem an, es werde künftig einen monatlichen Bericht über die Fluglärmwerte auf dem Dach der Augenklinik geben – dazu werde man dann auch jeden Monat Stellung nehmen.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Fluglärm über der Mainzer Uniklinik und wie ein Fluglärmreferent in Hessen den Fluglärm über der Klinik einfach negierte, lest Ihr hier bei Mainz&, einen ausführlichen Bericht über die Forschung zu den Schäden durch nächtlichen Fluglärm durch Professor Münzel lest Ihr hier bei Mainz&. Die jüngsten Forderungen der Fluglärmkommission könnt Ihr hier nachlesen, den Bericht zum Antrag der Fraport genau hier. Wie stark der Fluglärm über Mainz 2018 gestiegen ist und warum steht genau hier. Die gesamte Präsentation des Landesumweltamtes mit allen zahlen zum Fluglärm über der Mainzer Uniklinik findet Ihr hier im Internet.

 

 

 

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