Bundespräsident Frank Walter Steinmeier wurde sehr deutlich: „Die Krise erschüttert manche Branchen besonders“, sagte der Bundespräsident vergangenen Mittwoch in einer Videobotschaft, und fügte mahnend hinzu: „Insbesondere viele Kleinunternehmer, Gastwirte, Hoteliers, Freiberufler und Kulturschaffende wissen oft nicht, wie lange sie noch durchhalten können.“ Steinmeier legte damit den Finger in eine Wunde, die besonders tief schmerzt: Gerade Künstler, Kreative und Solo-Selbstständige fühlen sich in der Corona-Krise von der Politik inzwischen völlig im Stich gelassen. Inzwischen fordern gleich mehrere Online-Petitionen Nachbesserungen, die Grünen stellten einen Antrag im Bundestag, die Gewerkschaft Ver.di fordert die Politik zum Handeln auf – getan hat sich bislang nichts. Am Montag will Rheinland-Pfalz eine „Kulturoffensive“ vorstellen.

Mit großen Gesten hatte die Politik zu Beginn des Shutdown Mitte März versprochen, jedem, der durch die Coronakrise in Not komme, werde geholfen. Bernhard Westenberger von dem Show-Spielhaus Main-Taunus brachte es nun in einem Videopodcast auf den Punkt: „Sorry, Alter, aber was Du da machst, ist ein ganz nettes Hobby. Aber wichtig? Wichtig bist Du für uns nicht“, beschreibt Westenberger die Enttäuschung der Kulturszene, welchen Stellenwert sie offenbar für die Politik hat. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie seien richtig und wichtig, er trage sie mit, betont Westenberger in dem Video. Aber dass ihn der Staat nun bei der Bewältigung seines Existenzkampfes so im Stich lasse, das sei ein Unding.

Bernhard Westenberger von dem Show-Spielhaus Main-Taunus in seinem Video zum frust über die mangelhaften Coronahilfen für die Kulturszene. - Screenhsot: gik
Bernhard Westenberger von dem Show-Spielhaus Main-Taunus in seinem Video zum frust über die mangelhaften Coronahilfen für die Kulturszene. – Screenshot: gik

„Ich habe noch ganz deutlich die Aussage im Ohr: Wir lassen niemand im Regen stehen. Niemand soll wegen Corona seinen Job verlieren – wir helfen im ganz großen Stil“, berichtet Westenberger, und bilanziert: „Ich habe mich wohl verhört. Die haben gesagt: Wir helfen den ganz Großen ohne Stil.“ Solo-Selbstständige, denen von heute auf morgen die Existenz genommen worden sei, müssten sich bis auf die Unterhose ausziehen, um Hartz IV beantragen zu können, und bekämen dann ihr letztes Sparbuch um die Ohren gehauen – während Börsen-notierte Unternehmen gleichzeitig Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten müssten, obwohl sie gleichzeitig Förderungen des Staates in Millionenhöhe einstrichen.

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Tatsächlich hat die Politik bis heute bei den Corona-Soforthilfen in Sachen Solo-Selbstständige und Künstler nicht nachgebessert. Entgegen erster Erwartungen und Aussagen hatte diese Berufsgruppe feststellen müssen: Die Soforthilfen dürfen nur für betriebliche Kosten wie Mieten und Leasingverträge eingesetzt werden, ein „Unternehmergehalt“ wie es sich der CEO oder Geschäftsführer eines Unternehmens auszahlen darf, ist Solo-Selbstständigen verboten. Stattdessen verweist die Politik diese Gruppe auf Hartz IV, der vereinfachte Antrag für die Corona-Grundsicherung hat sich indes bis heute in vielen Jobcentern noch nicht herumgesprochen, zudem wird weiter das Einkommen in der Bedarfsgemeinschaften – also des Ehepartners oder Lebensgefährten – weiter voll angerechnet.

Gerade etablierte Künstler oder erfolgreiche Solo-Selbstständige, die bereits seit Jahren am Markt aktiv sind und sich Haus und Familie aufgebaut haben, fallen so durch jedes Raster. Dazu kommt die Ungleichbehandlung zwischen den Bundesländern: Während in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen Programme für Künstler aufgelegt wurden, während Baden-Württemberg inzwischen Solo-Selbstständigen ein Grundeinkommen von 1180 Euro pro Monat zahlt – gehen Künstler und Solo-selbstständige in Rheinland-Pfalz und Hessen leer aus. Viele empfinden das als Affront gegen ihre Leistung für die Gesellschaft und als Abwertung ihrer Arbeit – so, wie Westenburger es formuliert: „Tretet mir jetzt wenigstens nicht in den A…..“

Brandbrief von sieben Kulturverbänden in RLP zu Nachbesserungen bei Corona-Soforthilfen. - Foto: gik
Brandbrief von sieben Kulturverbänden in RLP zu Nachbesserungen bei Corona-Soforthilfen. – Foto: gik

Das Nicht-Reagieren der Politik auf diese Probleme führte zu einem Entrüstungssturm: Mit einem halben Dutzend Brandbriefe suchte die Kulturszene in Rheinland-Pfalz um Hilfe bei der Politik, eine Antwort auf die Bittgesuche, die zum Teil direkt an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) gerichtet waren, gab es nicht. „Wir bitten bei den Soforthilfen dringend um Nachbesserung“, hieß es etwa in einem Offenen Brief eines Bündnisses von sieben Kulturverbänden an die Landesregierung. „Die Haltung der Landesregierung, diese Berufsgruppe auf Hartz 4 zu verweisen, ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Freiberuflers“, schimpfte Landesmusikrats-Präsident Peter Stieber. Dozenten der Volkshochschule Mainz richteten sich in einem Offenen Brief an den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) um Hilfe – alles vergeblich.

Die rheinland-pfälzischen Grünen forderten Mitte April wirksame Hilfen für Solo-Selbstständige: „Wir brauchen ein bundesweit einheitliches, unbürokratisches Soforthilfeprogramm abseits der Grundsicherung, das – wie alle anderen Hilfsprogramme – vom Bund finanziert wird“, sagte Grünen-Landeschef Josef Winkler: „Denn während die Corona-Krise gerade bei dieser Berufsgruppe zu deutlichen Verdienstausfällen führt, werden sie von den derzeitigen Hilfen des Bundes – abseits von Betriebsausgaben – nicht erfasst.“

Plädoyer der Grünen für Coronahilfen im Kulturbereich. - Grafik: Grüne
Plädoyer der Grünen für Coronahilfen im Kulturbereich. – Grafik: Grüne

Vor drei Tagen reichten die Grünen gar einen Antrag im Deutschen Bundestag ein, die Soforthilfen für Soloselbstständige und Kleinstbetriebe unbürokratisch auszuweiten und die Betriebe pauschal bei den Lebenshaltungskosten zu unterstützen. Die Soforthilfen „erweisen sich für viele als Enttäuschung“, heißt es zur Begründung des Antrags bei den Grünen, denn die Lebenshaltungskosten würden bisher nicht berücksichtigt, während bei der Grundsicherung trotzdem vielfach Vermögensprüfungen erfolgten. „Wir wollen schnelle Abhilfe schaffen“, betont die Partei, deshalb sollten die Lebenshaltungskosten ebenfalls aus den Soforthilfen bezuschusst werden, und zwar pauschal mit 1.180 Euro monatlich. Dies entspreche dem derzeitigen Pfändungsfreibetrag.

Ihre Forderung stellten die Grünen unmittelbar vor dem Tagen des Koalitionsausschusses zwischen CDU und SPD – einen Effekt hatte das nicht: Die Große Koalition im Bund hatte zwar am Donnerstag noch einmal über Nachbesserungen bei den Corona-Hilfen beraten und im Ergebnis noch einmal zehn Milliarden Euro zusätzlich für Hilfen in die Hand genommen – etwa für verbessertes Kurzarbeitergeld sowie eine Mehrwertsteuersenkung für das Essen in der Gastronomie – doch für Solo-Selbstständige und Künstler gab es nichts.

Die Politik lässt die Künstler und Solo-Selbstständigen im Dunkeln stehen - so empfindet es die Szene. - Foto: gik
Die Politik lässt die Künstler und Solo-Selbstständigen im Dunkeln stehen – so empfindet es die Szene. – Foto: gik

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) lehnte am Mittwoch (22. April) im Kulturausschuss des Bundestags weitere Hilfen für Künstler und Solo-selbstständige mit Verweis auf Soforthilfen und Corona-Grundsicherung ab. In keinem anderen Land der Welt oder Europas gebe es vergleichbare Hilfen für die Kulturszene, sagte Grütters laut einem Bericht des Deutschen Bundestags, den Ihr hier nachlesen könnt. „Kritik und zweifel an der Unterstützung“ wies Grütters dem Bericht zufolge zurück – dabei hagelte es in dem Ausschuss Kritik aller Fraktionen an der Unterstützung, auch von Grütters eigenen CDU-Parteifreunden.

Dazu kommt: Ein gemeinsamer Vorstoß der Konferenz der Wirtschaftsminister der Länder von Anfang April mit der Forderung an Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Solo-Selbstständigen und kleinen Unternehmen endlich besser zu helfen, verschwand ebenfalls in den Schubladen. Am 8. April hatte die Ministerkonferenz die Bundesregierung aufgefordert, den „mehr als anderthalb Millionen Solo-Selbständigen“, die durch den Lockdown „in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind“, endlich ebenfalls zu helfen – und zwar „in jedem Fall ohne die Beantragung von Arbeitslosengeld II“, so schrieb es die Süddeutsche Zeitung. Eine Reaktion der Bundesregierung gibt es bis heute nicht.

Petition, die Hilfe für Freiberufler und Künstler in der Coronakrise fordert. - Screenshot: gik
Petition, die Hilfe für Freiberufler und Künstler in der Coronakrise fordert. – Screenshot: gik

Stattdessen gibt es inzwischen mehrere Online-Petitionen, die Ähnliches fordern: Mehr als 119.000 Unterzeichner hat inzwischen eine Petition auf der Plattform Campact, die fordert, die Beschränkungen der Soforthilfen auf die Betriebskosten zu lockern, und die Gelder zur Deckung des Lebensunterhalts verwenden zu dürfen. Eine Petition für bessere Hilfen für Freiberufler und Künstler während des Corona-Shutdowns auf der Plattform Open.Petition haben inzwischen mehr als 287.000 Menschen unterzeichnet. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di fordert nachdrücklich, „die restriktive Handhabung der Lebenshaltungskosten zu überarbeiten“, und auch „Unternehmer-Einkommen“ als laufende Kosten anzuerkennen.

In Rheinland-Pfalz forderte die Gewerkschaft Ver.di vergangene Woche Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) auf, „dass er sich zu dem Thema erklärt und dass die Soforthilfe auf die Solo-Selbstständigen ausgedehnt wird, die im Haupterwerb ihr regelmäßiges Einkommen in der Corona-Krise nicht mehr erwirtschaften können“, wie Landeschef Michael Blug sagte: „Hier muss die Soforthilfe auch dazu dienen, den eigenen Lebensunterhalt finanzieren zu können, ohne auf Hartz-IV angewiesen zu sein.“ Viele Solo-Selbstständige stünden derzeit vor dem finanziellen Ruin und könnten ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten, weil die Soforthilfen nicht dazu dienen dürften, Umsatz- und Honorarausfälle zu kompensieren.

Die meisten Künstler und Solo-Selbstständige arbeiten "beim Kunden", eigene Arbeitsräume haben sie meist nicht. - Foto: gik
Die meisten Künstler und Solo-Selbstständige arbeiten „beim Kunden“, eigene Arbeitsräume haben sie meist nicht. – Foto: gik

„Eine freiberuflich tätige Künstlerin oder ein freier Journalist hat in aller Regel weder ein Ladengeschäft oder Büroräume angemietet, noch ein Firmenfahrzeug geleast“, betonte Blug weiter. Die Soforthilfen, die eigentlich für solche Situationen geschaffen worden seien, „laufen damit ins Leere“, auch Rheinland-Pfalz müsse eine Alternative zu Hartz IV aufzeigen, wie das Bayern gerade getan habe. Man habe den Minister bereits am 10. April „auf dieses drängende Problem in Rheinland-Pfalz aufmerksam gemacht“, sagte Blug zugleich: „Bislang gibt es aus dem Wirtschaftsministerium hierzu keine Antwort.“

In Hessen forderte jüngst die SPD-Fraktion, das Land müsse Künstlern und Solo-selbstständigen mit eigenen Mitteln unter die Arme greifen. Der Verweis auf die Grundsicherung scheine sich „in der Praxis als zu bürokratisch und durchaus hindernisreich zu erweisen, wir brauchen deshalb eine Alternative, die den betroffenen Soloselbständigen schnell und unbürokratisch aus der Not hilft“, sagten die Landtagsabgeordneten Wolfgang Decker und Tobias Eckert. Es sei jetzt „wenig hilfreich, den schwarzen Peter zwischen Land und Bund hin und her zu schieben“, den Menschen müsse „schleunigst geholfen werden“ – und solange es der Bund nicht tue, müsse das Land handeln.

Spielstätten sind geschlossen, Festivals abgesagt: Künstler haben derzeit keine Chance, Einkommen zu erwirtschaften. - Foto: Staatstheater Mainz
Spielstätten sind geschlossen, Festivals abgesagt: Künstler haben derzeit keine Chance, Einkommen zu erwirtschaften. – Foto: Staatstheater Mainz

Das Land Rheinland-Pfalz hat nun für Dienstagmittag eine Pressekonferenz angekündigt, dann wollen Ministerpräsidentin Malu Dreyer  und Kulturminister Konrad Wolf (beide SPD) eine „Kulturoffensive“ ankündigen. Man wolle die vielfältige Kulturszene im Land unterstützen und „über neue Wege des kulturellen Lebens beraten“, heißt es in der Ankündigung. Sollten dabei allerdings konkrete finanzielle Hilfen ausbleiben, wird die Wut im Land wohl immens wachsen: Schon jetzt rufen Kulturschaffende in sozialen Netzwerken dazu auf, bei der Landtagswahl 2021 die regierenden Parteien nicht mehr zu wählen – allen voran die SPD nicht.

Es sei „eine Unverschämtheit“, wenn sich eine Malu Dreyer hinstelle und behaupte, für alle sei gesorgt, schimpft etwa der Koblenzer Bassist Jörg Piccone im Gespräch mit Mainz&: „Man verschließt die Augen vor der Verantwortlichkeit, es ist eine Katastrophe!“ Man habe sich all die Jahre mit der Kultur geschmückt, „aber wenn es darum geht, der Kunst mal wirklich zu helfen, dann wird versagt“, sagte Piccone, und schlug vor: „Ich würde mir wünschen, dass alle Politiker künftig aus allen Vorstellungen ausgeschlossen werden. Die Orchester steht auf und geht, die Schauspieler spielen erst weiter, wenn Ihr gegangen seid.“ Denn das müsse doch die Konsequenz und die Botschaft sein: „In Zeiten, wo es wirklich notwendig gewesen wäre, war es Dir nichts Wert. Wir waren in der Krise nicht erwünscht, dann bist du jetzt auch nicht erwünscht.“

Info& auf Mainz&: Die weiterführenden Links zu Reden, Forderungen und Petitionen entnehmt Ihr bitte den Links oben im Text. Eine gute Übersicht, was in welchem Bundesland zu Corona-Soforthilfen für Künstler und Solo-Selbstständige gilt, findet Ihr hier bei Ver.di. Die ganze Rede des Bundespräsidenten könnt Ihr hier nachlesen. Mainz& berichtetet bereits seit Mitte März über das Thema, wir haben wieder und wieder Beispiel gebracht und Selbstständige zitiert – bitte schaut das mit Hilfe unserer Suchleiste nach. Einen umfassenden Text samt Kommentar findet Ihr hier bei Mainz&, wir haben schon damals geschrieben: Aus Witz wird Wut werden“… Wie bürokratisch die Corona-Grundsicherung durch die Jobcenter eben allen Beteuerungen zum Trotz dennoch angewandt wird, könnt Ihr hier nachlesen.  Die PK der Ministerpräsidentin am Dienstag werden wir versuchen, auf unserer Mainz&-Facebookseite zu streamen – beginn der PK ist mit 13.00 Uhr angegeben. ACHTUNG&: Wir hatten versehentlich die Pressekonferenz mit Montag angegeben, sie ist aber tatsächlich am DIENSTAG, 28. April. Sorry dafür.

 

 

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