Am Tag eins des Shutdown zur Eindämmung der Coronavirus Pandemie musste die Stadt Mainz gegen zahlreiche Verstöße durch Betriebe vorgehen, auch tummeln sich weiter die Menschen auf Spielplätzen und auf öffentlichen Sportfeldern. Am Mittwoch habe man 22 Betriebe schließen müssen, die gegen die Allgemeinverfügung der Stadt verstießen, teilte die Stadtverwaltung am Donnerstag mit, auch zwei Prostitutionsstätten seien dicht gemacht worden. Aktuell würden zwei Sonnenstudios versiegelt, da sich der Betreiber weigere, den Betrieb einzustellen, teilte Stadtsprecher Marc-André Glöckner mit. Auch verstoßen weiter viele vor allem Jüngere gegen die Schließung von Spielplätzen und Sportanlagen, auch ihnen drohen erhebliche Geldstrafen und im Wiederholungsfall sogar Freiheitsstrafen. Update: Die Stadt Bad Homburg erließ inzwischen deshalb ein Verbot von Versammlungen von mehr als fünf Personen, das meldet der Radiosender FFH.

Menschenleere Mainzer Innenstadt: Am Einkaufszentrum Brand war schon am Mittwoch nichts mehr los. - Foto: gik
Menschenleere Mainzer Innenstadt: Am Einkaufszentrum Brand war schon am Mittwoch nichts mehr los. – Foto: gik

Bundesweit waren ab dem Mittwoch Läden und Geschäfte jenseits des notwendigen Bedarfs geschlossen worden, nicht bei jedem war das auch angekommen. „Zum überwiegenden Teil wurden die Regelungen eingehalten“, teilte die Stadt Mainz am Donnerstag mit, allerdings habe man auch 22 Betriebe schon am Mittwoch schließen müssen, weil sie sich nicht an die Regeln hielten. „Weiter wurden bisher sieben Spielhallen überprüft, die alle geschlossen waren, zwei Prostitiutionsstätten wurden geschlossen“, teilte die Stadt Mainz weiter mit. Drei Gaststätten seien auf Einhaltung des Mindestabstandes von zwei Metern für die Tische überprüft worden, Beanstandungen habe es nicht gegeben.

Nicht jede Gaststätte und nicht jeder Imbiss hatte das allerdings schon verstanden: Am Mittwochmittag war in der Mainzer Innenstadt durchaus noch Betrieb. Autos sind mehr unterwegs als sonst, offenbar meiden die Mainzer zunehmend den Öffentlichen Nahverkehr. In Imbissstuben im sitzen Menschen beim Mittagessen, die Tische im selben Abstand wie immer. Vor dem türkischen Herrenfriseur steht eine Schlange Wartender, immerhin draußen.

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Trotz Shutdown: Geöffnete Cafés auf dem Mainzer Markt am Mittwoch. - Foto: gik
Trotz Shutdown: Geöffnete Cafés auf dem Mainzer Markt am Mittwoch. – Foto: gik

Auf dem Marktplatz bummeln Menschen durch den lauen Vorfrühlingstag, in den Cafés genießen sie die ersten warmen Strahlen. Businesspartner gehen ins Gespräch vertieft dicht nebeneinander, von Abstand keine Spur. Pärchen halten Händchen, die Bedienung im Café steht so nah am Tisch wie sonst auch. Immerhin – die Tische sind deutlich auseinandergezogen. Der Dönerbetreiber hängt gerade ein Schild raus: „Ab sofort nur noch Straßenverkauf“, er gestikuliert mit dem Kollegen von nebenan. Es ist Tag eins des Shutdowns in Deutschland, aber hat Deutschland eigentlich schon den Ernst der Lage verstanden?

Noch am Vortag tummelten sich in der Mainzer Innenstadt Familien mit Kindern auf Spielplätzen, drängten sich Menschen in Eiscafés, vor denen sich lange Schlangen bildeten. „Abstand halten, mindestens zwei Meter“, hatten die Betreiberinnen der Mainzer Kultdiele N’Eis auf den Boden vor ihrem Laden gepinselt – daran gehalten hat sich so gut wie niemand. Am Mittwoch teilte N’Eis mit, man bleibe bis auf Weiteres geschlossen, andere Eisdielen hatten wie gewohnt geöffnet. Drei Kunden habe er heute gehabt, berichtete der Kellner der Eisdiele am Brand am Mittwochnachmittag, und fügt hinzu: „Gut – und nicht gut.“

Leeres Eiscafé am Brand am Mittwoch in Mainz. - Foto: gik
Leeres Eiscafé am Brand am Mittwoch in Mainz. – Foto: gik

Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Shutdown und Abstand voneinander setzt sich nur langsam durch – obwohl die Appelle dringlicher werden. „Setzen Sie die Maßnahmen um“, mahnte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, am Mittwoch eindringlich: „Abstand halten, mindestens 1,5 Meter, wo immer Sie können, und bitte, reduzieren Sie soziale Kontakte!“

Wer öffnen darf und wer nicht, so ganz klar ist das nicht immer. „Wir dürfen“, sagt der Optiker, dabei stehen Optiker nicht explizit in den Ausnahmelisten. „Wir sind ein Handwerksbetrieb, ich habe eine Meisterprüfung“, erklärt der Mann, „und wir gehören zum Gesundheitswesen.“ Die Auslegung der Verordnungen – manchmal verlangt sie Interpretation. Eine Konkretisierung der Verordnung über die notwendige Schließung soll kommen, vieles ist schnell entstanden und deshalb nicht bis ins Letzte ausformuliert.

Geschlossener Schuhladen in Mainz, viele Geschäfte stellen jetzt auf Versand um. - Foto: gik
Geschlossener Schuhladen in Mainz, viele Geschäfte stellen jetzt auf Versand um. – Foto: gik

Die Buchhandlung zu Füßen des Mainzer Doms gehört allerdings eindeutig zu den Betrieben, die jetzt zuhaben müssten, doch am Mittwochmittag geht hier noch eine Kundin ein und aus, ein Mann drängt sich neben dem Besitzer durch die enge Einkaufstür. Abstand halten? Der Mann guckt nur unwirsch. Dass er eigentlich gar nicht mehr aufhaben darf – der Besitzer ist erstaunt. „Im Internet stand doch heute bis 18.00 Uhr“, sagt der Chef, ein älterer Mann, „es wurde ja nie richtig kommuniziert.“ Das Mainzer Ordnungsamt fährt Kontrollen durch die Innenstadt, der Buchhändler schließt dann doch lieber mal. „Wir bieten dann jetzt eben Lieferservice an“, sagt er. Vorsichtsmaßnahmen, Hygiene? „Jaja“, sagt der Mann nur.

Die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten stieg am Mittwoch in Deutschland erstmals über die 10.000er Marke, 10.082 zählte die Johns Hopkins Universität am Mittwochnachmittag, weltweit waren es erstmals über 200.000. Am Donnerstag stieg die Zahl der Infizierten in Deutschland laut Johns Hopkins Universität am Mittag auf 13.093, weltweit waren es über 222.000 Infizierte – und mehr als 9.0000 Tote. „Wenn wir es nicht schaffen, die Kontakte wirksam und über einige Wochen nachhaltig zu reduzieren, dann ist es möglich, dass wir in zwei bis drei Monaten bis zu 10 Millionen Infizierte in Deutschland haben“, warnte Wieler. Es drohe eine „erhebliche Überlastung des Gesundheitssystems.“ Am Zeitungskiosk vorne steht eine Gruppe Rentner so dicht wie sonst auch zusammen und diskutiert angeregt.

Plaudernde Passanten am Zeitungskiosk: Viele haben die Notwendigkeit von Abstand noch nicht verstanden. - Foto: gik
Plaudernde Passanten am Zeitungskiosk: Viele haben die Notwendigkeit von Abstand noch nicht verstanden. – Foto: gik

Mindestens die Hälfte der Menschen „haben noch nicht verstanden“, schätzen die Verkäuferinnen im Laden für Beautyprodukte um die Ecke. Der Laden dürfe öffnen, weil er als Drogerie klassifiziert sei, berichten die Damen am Mittwoch – sie fühlen sich sichtlich unwohl dabei. „Wir tragen Handschuhe, fordern Abstand von den Kunden, viele verstehen das gar nicht“, sagt die eine Kollegin, sie wäre jetzt lieber zuhause. Ihre Produkte seien doch „nicht wirklich lebensnotwendig“, finden sie, im großen Drogeriemarkt nebenan hätten sich am Morgen die Menschen gedrängt – unverantwortlich.

„Ich hoffe, dass die Ausgangssperre kommt“, sagte die Kollegin, „ich verstehe gar nicht, dass man es nicht gleich gemacht hat.“ Auffallend viele der Frühlingsbummler sind zudem Menschen mit Migrationshintergrund – wer wisse schon, welche Informationen diese Gruppen überhaupt erreichten? Dass Friseure noch öffnen dürfen, verstehen die Damen auch nicht. „Wir soll denn der Friseur einen Meter Abstand halten?“, fragt die eine verständnislos. „Ich habe geöffnet“, berichtet eine Friseurin, „was soll ich denn machen?“ Miete, Strom, zwei Angestellte – alles laufe ja weiter. Muss sie schließen, ist sie pleite. Die Industrie- und Handelskammern in Rheinland-Pfalz berichteten am Mittwoch von mehr als 1.300 Anrufen besorgter Unternehmer allein am Mittwoch, die mit den Folgen der Coronakrise zu kämpfen haben.

Hochgestellte Tische und Stühle in einem Café am Markt, dahinter wässern Gärtner die Stiefmütterchen. - Foto: gik
Hochgestellte Tische und Stühle in einem Café am Markt, dahinter wässern Gärtner die Stiefmütterchen. – Foto: gik

Krisenfest sieht dagegen ein anderer Job aus: Auf dem Markt wässern die Gärtner der Stadt Mainz die leuchtenden Stiefmütterchen vor dem Gutenberg-Museum, hier ist viel Platz, ein Job an der frischen Luft, fern von Menschen. „Wir haben schon diskutiert, wieso wir noch arbeiten müssen“, sagt die freundliche Gärtnerin. Auf dem Weg zum Einsatzort säßen sie im Lkw nahe beieinander, „geht ja nicht anders“, sagt sie, „und der Pausenraum ist auch nicht sooo groß.“

Ein ungutes Gefühl greift um sich, es lauert hinter den Fassaden und in den Autos. Der Taxifahrer hat extra den Vordersitz nach vorne geklappt und die hinteren Sitze nach hinten gelegt, damit möglichst viel Abstand zwischen ihm und seinen Fahrgästen herrscht. „Mehr Abstand ist besser für alle“, sagte er, „ich warte jetzt noch auf einen Kunden, der ist gerade in der Chemo, dann mache ich Feierabend.“

Nach dem Feierabend zog es offenbar viele Mainzer noch einmal zum Spaziergang an die frische Luft – verständlich, bei dem Wetter. Das Problem dabei: Viele liefen munter plaudernd in großen Gruppen umher oder spielten gar Basketball oder besuchten Spielplätze – genau das, was die Behörden mit ihrer Verordnung nun wirklich verhindern wollten. Menschenansammlungen sind genau das, was jetzt zu einer weiteren Ansteckungswelle führen werde, warnen die Virologen. Die Mainzer Polizei musste am Mittwochabend gar den Goethepark und weitere Spielplätze räumen, Anwohner berichteten, die Unbelehrbaren seien kurz danach gerade wieder zurückgekehrt.

Die Polizei musste am Abend den Goethepark räumen - der Park ist zum Großteil als Spielplatz und Sportstätte qualifiziert und deshalb geschlossen. - Foto: Polizei Mainz
Die Polizei musste am Abend den Goethepark räumen – der Park ist zum Großteil als Spielplatz und Sportstätte qualifiziert und deshalb geschlossen. – Foto: Polizei Mainz

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte in ihrer Fernsehansprache am Mittwochabend ausdrücklich, die Maßnahmen zu befolgen – und drohte ziemlich unverholen damit, dass es sonst auch in Deutschland ein Ausgangsverbot geben werde. Die Stadt Mainz teilte am Donnerstag mit, der Spielplatz in der Kaiserstraße habe bereits mehrfach geräumt werden müssen. Am Mittwoch sei auch ein Sportplatz in Bretzenheim genutzt worden, die Personen hätten sich offenbar über einen nieder getretenen Zaun Zutritt verschafft. Beim Eintreffen der Kollegen hätten die Personen die Flucht ergriffen. Auch am Donnerstag gingen weiter zahlreiche Meldungen über Verstöße ein.

Die Stadt Mainz warnte, die Sanktionen bei Verstößen gelten auch für Privatpersonen. „Wir können mit Bußgeldern von bis zu 25.000 Euro sanktionieren und mit Freiheitsstrafen von bis zwei Jahren“, sagte Stadtsprecher Glöckner, und betonte: „Das gilt für Gewerbetreibende wie für Privatpersonen, die sich auf Spielplätzen aufhalten.“ Die Polizei prüfe derzeit schwerpunktmäßig Spielplätze, das Ordnungsamt Läden und Betriebe. „Wir ermahnen jetzt erst einmal mündlich“, sagte Glöckner, „da ist auch noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.“

Info& auf Mainz&: Wer sich jetzt noch draußen herumtreibt, gerade in Ansammlungen von mehreren Personen, wer KEINEN Abstand hält  – der gefährdet akut Menschenleben. Er handelt unsolidarisch und unverantwortlich. Diese Pandemie ist nicht zu unterschätzen – nach Angaben von führenden Virologen ist es bereits „5 nach 12“ – mehr dazu in diesem Interview mit dem Virologen Alexander Kekule im heutejournal. Warum es jetzt so ungeheuer wichtig ist, zuhause zu bleiben, lest Ihr hier. #flattenthecurve. Alle Informationen, Meldungen und Hintergründe zur Coronavirus Epidemie findet Ihr ab sofort auf unserer neuen Sonderseite „Alles zum Coronavirus“ genau hier bei Mainz&.

 

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