Seit Freitag hat Deutschland in den Krisenmodus geschaltet, dem Land droht der komplette Shutdown – Italien, Frankreich, Österreich und Belgien machen es vor. Den Grund unterstrich noch einmal am Sonntag Innenminister Horst Seehofer (CSU): „Das Einschränken der sozialen Kontakte ist jetzt das A und O“, betonte Seehofer in einer Pressekonferenz am Sonntag in Berlin: Die Coronavirus Pandemie sei „mit Abstand die größte Krise, die ich bisher erlebt habe“, fügte er hinzu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief die Menschen am Samstag in ihrem Podcast dazu auf, soziale Kontakte weitgehend einzustellen und zuhause zu bleiben. „Das ist das, was wir tun, damit wir Menschenleben retten“, sagte die Kanzlerin. Zeit, Klartext zu reden.

Das Problem: Das Coronavirus, im Fachjargon SARS-CoV-21 genannt, ist komplett neu für die Menschheit. Niemand hat Antikörper dagegen, deshalb ist die Infektionsrate enorm – genau das unterscheidet das neue Virus auch von der herkömmlichen Grippe. So gut wie jeder, der mit dem Virus in Berührung kommt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit daran erkranken, die von dem Virus ausgelöste Lungenkrankheit wird Covid-19 genannt. Durch das neue Virus sind deshalb auch deutlich mehr Menschen in Gefahr als durch eine Grippe.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt inzwischen als Risikogruppe alle „älteren Personen mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50–60 Jahren“ an, dazu Raucher und Personen mit Vorerkrankungen. Das Spektrum der Vorerkrankungen reicht von Asthma und chronischer Bronchitis über Herzleiden, Vorerkrankungen von Leber, Niere oder Krebs, Diabetiker sowie alle Personen mit einem geschwächten Immunsystem. Nach Angaben des RKI lag bisher das Durchschnittsalter der Erkrankten bei 51 Jahren, rund 78 Prozent der Fälle sind zwischen 30 und 69 Jahren alt. Die unter 20-Jährigen seien mit 2,4 Prozent hingegen kaum betroffen, Schwangere haben kein erhöhtes Risiko. Nach bisherigen Daten scheinen die Verläufe bei Kindern eher mild zu sein, Kinder gelten aber als hochgradige Übertrager des Erregers, vor allem auch, weil sie oft gar nicht merken, dass sie krank sind.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrem Podcast zur Coronavirus Krise in Deutschland. - Foto: gik
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrem Podcast zur Coronavirus Krise in Deutschland. – Foto: gik

„Jeder einzelne Mensch ist betroffen in unserem Land“, betonte deshalb auch Kanzlerin Merkel am Samstag, und unterstrich ausdrücklich: „Das Virus, um das es geht, ist neuartig. Es gibt kein Medikament und es gibt keinen Impfstoff.“ Und genau hier beginnt das große Problem: „Wir müssen die Verbreitung dieses Virus verlangsamen, um unsere Gesundheitssysteme nicht zu überfordern“, sagte Merkel. Nach Angaben führender Virologen in Deutschland wie etwa dem Leiter des Berliner Charité, Christian Drosten, werden sich voraussichtlich 60 bis 70 Prozent der Menschen in Deutschland mit dem Virus infizieren – eben weil wir keine Antikörper dagegen haben.

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sowie von Virologen wie Drosten verlaufen in der Regel rund 80 Prozent aller Erkrankungen milde bis moderat. 14 Prozent der Erkrankungen aber verliefen schwer, aber nicht lebensbedrohlich, das RKI gibt als schwer an: „mit Atemnot, Sauerstoffsättigung unter 94%, oder Lungeninfiltraten in mehr als der Hälfte der Lunge.“ In 6 Prozent der Fälle war der klinische Verlauf kritisch bis lebensbedrohlich – die Todesrate liegt demnach wohl zwischen 4 und 6 Prozent. Alle sind nachzulesen auf dieser Internetseite.

#flattenthecurve - Kurve der Infektionen mit dem Coronavirus ohne und mit Social Distancing. - Screenshot: gik
#flattenthecurve – Kurve der Infektionen mit dem Coronavirus ohne und mit Social Distancing. – Screenshot: gik

Deutschland hat rund 82 Millionen Einwohner, 60 Prozent davon wären 49,2 Millionen Menschen. Erkranken also 20 Prozent davon schwer, wären das 8,8 Millionen Menschen. Sechs Prozent potenziell tödliche Fälle wären 2,85 Millionen Menschen – und genau davor haben Politer und Mediziner Angst. Denn in Deutschland gibt es derzeit bundesweit 28.000 Betten auf Intensivstationen, aber noch viel weniger Beatmungsgeräte. Die Frage ist deshalb nicht mehr: Wer infizierte sich – sondern wann infizieren sich wie viele Menschen gleichzeitig. Alle Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden – Grenzschließungen, Schulschließungen, Shutdown des öffentlichen Lebens – dienen dazu, damit die Welle der Schwerkranken nicht gleichzeitig auftritt. „Flattenthecurve“ heißt der dazu gehörende Fachbegriff, der derzeit überall kursiert – er meint genau das.

Würde Deutschland so weiter machen wie es das bis gestern noch tat – die Kurve der Infizierten würde binnen weniger Tage steil ansteigen. Italien hat es vorgemacht: Dort kursierte, so die derzeitige Erkenntnis der Virologen, das Virus unerkannt bereits seit Mitte Januar, eingeschleppt womöglich von Reisenden aus China. Die Infektionsherde aber blieben unerkannt, auch weil Ärzte Hilfesuchende offenbar abwimmelten, anstatt zu testen. Der sogenannte „Patient Null“, also der erste Infizierte, wurde in Italien nie gefunden. Der Staat reagierte zu spät, die Abriegelung von Gebieten wie Venetien und Lombardei an den Karnevalstagen kam deutlich zu spät, sagen die Virologen heute – das Virus hatte sich längst verbreitet.

Karte der John Hopkins Universität zum Stand der weltweiten Infektionen mit dem Coronavirus am Sonntagabend. - Screenshot: gik
Karte der John Hopkins Universität zum Stand der weltweiten Infektionen mit dem Coronavirus am Sonntagabend. – Screenshot: gik

In Italien schnellten die Zahlen binnen der vergangenen sieben Tage praktisch unkontrollierbar in die Höhe – die Experten nennen das einen exponentiellen Anstieg. Dabei verdoppeln sich im Prinzip alle ein bis zwei Tage die Fallzahlen, inzwischen zählt die John Hopkins Universität in ihrer interaktiven Datenkarte in Echtzeit in Italien 21.157 mit dem Coronavirus infizierte Personen. Dass Italien zugleich auch 1441 Tote hat – die zweitgrößte Zahl nach China weltweit – liege genau daran, sagen die Experten: Dass die Welle der Infektionen auf einen Schlag kam. In Italien berichten Ärzte und Krankenschwestern von einer völligen Überforderung des Gesundheitssystems. Ärzte müssen entscheiden, wer noch in ein Krankenhaus aufgenommen werden kann und wer nicht. Aufgenommen werden die Fälle, die noch Aussicht haben, das Virus zu überleben – die anderen werden zum Sterben nachhause geschickt.

Die deutschen Behörden haben aus Italien gelernt – alle Bemühungen sind gerade darauf gerichtet, genau solche Zustände zu verhindern. Deutschland liege etwa sieben bis zehn Tage hinter Italien, sagt der Virologe Drosten, und betonte wiederholt: „Wir sind gut vorbereitet.“ Die oberste Devise, um zu verhindern, dass auch in Deutschland die Verbreitung der Infektionen einen exponentiellen Verlauf nimmt, heißt: Soziale Kontakte nicht nur vermeiden, sondern einstellen. Sofort und im Prinzip komplett. „Social distancing“ nennen die Experten das etwa irreführend, es heißt: Abstand halten. Nur noch aus dem Haus gehen, wenn unbedingt nötig, zur Arbeit oder zum Einkaufen. Ansonsten: zuhause bleiben. Draußen von Menschen einen Abstand von zwei Metern halten – das ist offenbar die Reichweite einer Tröpfcheninfektion zwischen zwei Menschen. Keine Restaurants besuchen, keine Bars, schon gar nicht dicht gedrängt, Menschenansammlungen meiden.

#flattenthecurve: Claus Kleber im Heutejournal mit der Grafik zu den Infektionen Coronavirus ohne Social Distancing. - Screenshot: gik
#flattenthecurve: Claus Kleber im Heutejournal mit der Grafik zu den Infektionen Coronavirus ohne Social Distancing. – Screenshot: gik

In ganz Deutschland strömten die Menschen am Wochenende ungeachtet dessen unverdrossen vor die Tür. „Man darf durchaus noch ins Freie gehen“, rät Virologe Drosten – was der Virologe sicher nicht meinte war: In Mainz standen Menschen dicht gedrängt in langen Warteschlangen vor Eisdielen. In der Pfalz drängten (!) sich Besucher bei der Mandelblüte, obwohl das Fest abgesagt worden war – Abstand hielt da so gut wie keiner. In Restaurants und Bars wurde fröhlich ohne Mindestabstand getafelt, Partys und Geburtstage fanden unverdrossen statt.

„Meine Freunde in Deutschland denken noch immer genauso wie ich – also wie ich vor ein paar Tagen“, schrieb gerade ein junger deutscher Austauschstudent auf der Plattform Bento. Der Student hielt sich bis vor Kurzem in Ancona auf, auch dort feierten sie vor wenigen Tagen noch trotzig Parties in den Studenten-WGs, weil sie sich „von Viren die Stimmung nicht versauen lassen“ wollten. Ein paar Tage später stand Italien unter Quarantäne, und das komplett. Inzwischen fragt sich der Student: „Wie konnten wir die Lage so falsch einschätzen? Wie konnten wir die Umstände so lange ignorieren?“ Man habe die Signale einfach nicht wahrhaben wollen. In Italien waren am Sonntagabend 21.157 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. In Deutschland gab es am Donnerstag 2.078 Infizierte mit dem Coronavirus, am Freitagabend 3.156. Samstagmittag zählte die John Hopkins Universität 4.585 Infizierte, am Sonntagabend, 22.00 Uhr, waren es bereits 5.426.

Noch liegt die Zahl der Toten in Deutschland offiziellen Angaben zufolge nur bei acht – eine der niedrigsten Raten weltweit. Frankreich hat mit 4.499 Infizierten aktuell bereits 91 Tote, Spanien bereits 289 bei knapp 8000 Infizierten. „Jeder und jede kann mit seinem und ihrem persönlichen Verhalten dazu beitragen, dass sich die Geschwindigkeit, in der Menschen infiziert werden, so verlangsamt, dass unser Gesundheitssystem nicht überfordert wird“, sagte Kanzlerin Merkel am Samstag: „Das ist das, woran wir arbeiten. Das ist das, was wir tun, damit wir Menschenleben retten.“

#flattenthecurve: Claus Kleber im Heutejournal mit der Grafik zu den Infektionen Coronavirus MIT Social Distancing. - Screenshot: gik
#flattenthecurve: Claus Kleber im Heutejournal mit der Grafik zu den Infektionen Coronavirus MIT Social Distancing. – Screenshot: gik

Das bedeute in der Konsequenz: „soziale Kontakte weitestgehend einstellen, wo immer das möglich ist“, mahnte Merkel: „Damit helfen wir insbesondere den Menschen, die von der Erkrankung durch dieses Virus in besonderer Weise betroffen sein werden. Das sind die Älteren und Menschen mit Vorerkrankungen.“ Ja, das bedeute auch, „dass die Enkel nicht ihre Großeltern besuchen sollen“, das rieten die Experten, sagte Merkel weiter. Es dürfte auch bedeuten, dass auch Deutschland in den nächsten Tagen – wenn nicht Stunden – alle Geschäfte außer Lebensmittelläden, Apotheken und Banken schließen wird, so wie es Frankreich, Belgien und Österreich bereits getan haben. Nordrhein-Westfalen und Bayern kündigten bereits an, Clubs, Bars und Restaurants zu schließen, alle Bundesländer werden dem folgen.

Deutschland bleibt zum Abwenden einer Katastrophe nur eines: der komplette Shutdown. Experten sagen inzwischen auch: genau das hilft zur Eindämmung der Pandemie am besten. Soziale Distanz, so die neueste Erkenntnis der Virologen, helfe sogar noch besser, die Infektionskurve klein zu halten, als bislang gedacht. Entscheidend ist indes: Jeder muss mithelfen. „Jeder und jede kann mit seinem und ihrem persönlichen Verhalten dazu beitragen“, betonte die Kanzlerin, „das Coronavirus ist für uns eine riesige Herausforderung in Deutschland.“

Hamsterkäufe gehören indes nicht dazu: Wirtschaftsverbände und Regierungen betonen übereinstimmend, es gebe keinerlei Knappheit mit Lebensmitteln oder anderen Gütern des täglichen Lebens in Deutschland – auch nicht mit Toilettenpapier. Die Regale würden beständig neu aufgefüllt, für den Warentransport ist inzwischen das Lkw-Fahrverbot an Sonntagen für Lebensmittel bundesweit ausgesetzt.

Info& auf Mainz&: Den gesamten Podcast der Bundeskanzlerin könnt Ihr hier im Internet ansehen und hier als Text im pdf zum Nachlesen herunterladen. Aus der Schriftform haben wir auch zitiert. Alle Daten und Fakten des Robert-Koch-Instituts stammen aus diesem Steckbrief zum Coronavirus, der noch sehr viele andere Informationen enthält – wir legen Euch den ans Herz. Die interaktive Weltkarte der John Hopkins Universität zu Covid-19-Infektionen findet Ihr hier im Internet – Achtung, die Karte aktualisiert sich fortlaufend, Daten können deshalb zwischendurch nicht verfügbar sein. Dann einfach die Karte nach einigen Minuten neu laden. Alle Informationen, Meldungen und Hintergründe zur Coronavirus Epidemie findet Ihr ab sofort auf unserer neuen Sonderseite „Alles zum Coronavirus“ genau hier bei Mainz&. Den aktuellen Stand der Lage am Sonntagabend findet Ihr hier.

Kommentar& auf Mainz&: Zeit, Klartext zu reden – Es geht um Menschenleben

Dieser Artikel ist KEINE Panikmache. Er beruht auf ausschließlich wissenschaftlichen Informationen sowie Aussagen führender Politiker und Virologen. Alle Informationen sind nachgeprüft und stammen NUR aus vertrauenswürdigen Quellen. Leider haben viele Menschen da draußen den Ernst der Lage in keiner Weise erkannt – ihr verhalten an diesem Wochenende hat es gezeigt. Kommentare in sozialen Netzwerken belegen es. Deutschland steht vor der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, eine Pandemie wie diese gab es zuletzt vor 100 Jahren – mit der Spanischen Grippe. Doch das war vor der Globalisierung, vor weltweitem Reise- und Warenverkehr in unserem heutigen Ausmaß. Deshalb: Es wird zeit, Klartext zu reden.

„Was man bei all dem verstehen muss“, sagte Claus Kleber am Samstag im Heutejournal: „Es geht nicht mehr darum zu verhindern, dass Menschen mit dem Virus zusammenkommen, das ist eine Pandemie, sie ist nicht mehr zu stoppen.“ Worum es jetzt gehe, sei schlicht etwas anderes: „Es kommt darauf an, den verlauf dieser Kurve zu strecken – und alle können die maximale Hilfe moderner Medizin bekommen. Das ist im Moment das Ziel.“ Und deshalb sei scheinbarer Kleinkram wie Händewaschen und keine Party machen jetzt so wichtig. „Es geht um Menschenleben“, fügte Kleber auf Twitter hinzu: „Leider keine Übertreibung.“ #stayathome – Bleibt Zuhause. #flattenthecurve – es kommt jetzt auf jeden einzelnen an. Und das haben wir gerade im Internet dazu gefunden:

 

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