Was war das für ein Aufschrei in den vergangenen Wochen: Die Deutsche Umwelthilfe hatte im Oktober 2016 ihre Klage gegen die Stadt Mainz wegen der miesen Luftreinhaltewerte wiederaufgenommen und dabei betont, man wolle Fahrverbote für Diesel ab 2018 durchsetzen. Prompt hagelte es Reaktionen von allen politischen Fraktionen in Mainz, einhelliger Tenor: Das sei „unsozial“ und völlig überzogen, schließlich könnten sich nicht die Bürger auf einen Schlag neue Autos kaufen. Mainz& hat das keine Ruhe gelassen und nachgefragt – und siehe da: Im Interview mit Mainz& offenbarte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe eine durchaus spannende Strategie.

Stau auf der Theodor-Heuss-Brücke
Autolawine in Mainz, hier auf der Theodor-Heuss-Brücke – Foto: gik

„Nein, die Bürger müssen sich nicht neue Fahrzeuge kaufen“, betont Jürgen Resch, DUH-Geschäftsführer, die Klagen gegen Städte wie Mainz hätten ein ganz anderes Ziel: „Wir wollen erreichen, dass die Bundesregierung die Autoindustrie zwingt, alle Fahrzeuge durch einen amtlichen Rückruf kostenfrei nachzurüsten.“ Das sei genau das, „was in den USA von der Automobilindustrie schon gemacht“ werde und keineswegs unerreichbar. Dafür fahre die DUH eine Doppelstrategie, verriet Resch: In rund zehn Verfahren klage man bereits gegen den Bundesverkehrsminister und gleichzeitig gegen 16 Städte bundesweit. Sobald Gerichte Fahrverbote verhängten und es damit ernst werde, werde es nämlich auch in Deutschland massenhaft zu Klagen gegen die Autoindustrie kommen, glaubt Resch – und die werde reagieren müssen.

„Nach sieben Jahren mit vorzeitigen Toten ist jetzt einfach Schluss“

Im Oktober hatte die DUH angekündigt, ihre seit Dezember 2013 ruhende Klage gegen die Stadt wegen überhöhter Stickoxidwerte wieder aufzunehmen. Enttäuscht sei man, hatte Resch damals gesagt, dass sich die Stadt bei dem Versuch, außergerichtlich wirksame Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung zu erreichen, nicht genügend bewegt habe. „Uns ist der Kragen geplatzt“, sagt Resch, die Untätigkeit der Politik sei einfach nicht länger hinzunehmen: „Nach sieben Jahren Überschreitung von Werten, von vorzeitigen Toten, ist jetzt einfach Schluss.“

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Stickoxide greifen die Lungen an und verursachen Asthma, sagt Resch. 10.600 vorzeitige Tote gebe es dadurch jedes Jahr bundesweit, dreimal so viele wie durch Unfälle im Straßenverkehr. Dabei gilt eigentlich seit 2010 verbindlich ein Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresdurchschnitt, doch gerade an viel befahrenen Straßen liegen die tatsächlichen Werte weit darüber. In Mainz sind es an der Haupteinfallroute Parcusstraße 57 Mikrogramm, 47 Mikrogramm auf normalen Innenstadtstraßen – und das unverändert seit Jahren. Genau das geht der DUH gegen den Strich: Gehe es weiter wie bisher, ändere sich bis 2030 nichts, sagt Resch. Das gehe einfach nicht an. Die dicke Luft in den Städten entstehe aber vor allem durch Dieselfahrzeuge, in Mainz sind das fast 35 Prozent.

Politik förderte Jahrzehnte dreckige Diesel – und die neuen sind noch dreckiger

Bus auf der Rheinallee
Die Diesel-Busse in Mainz tragen erheblich zur Stickoxid-Belastung der Innenstadt bei – Foto: gik

Seit mehr als zehn Jahren weise die DUH auf die Gefahr durch Diesel-Schadstoffe hin, man habe Studien erstellt, Pressekonferenzen gehalten, die Politik angeschrieben, sagt Resch – ohne Erfolg. Jahrelang habe die Politik entgegen aller Warnungen die Anschaffung von Diesel-Fahrzeugen gefördert, sagt Resch, dann kam der Abgasskandal und das große Erschrecken. Nach Messungen der DUH sei der neueste Euro 6-Diesel noch wesentlich schmutziger als die zehn Jahre alten Euro 4-Fahrzeuge, betont er. Und so gebe es eigentlich nur eine wirksame Maßnahme, sagt Resch: „Man muss die Stinker aussperren.“

In Mainz führte das zu einem Aufschrei: Mit ihrer Klage pro Fahrverbote treffe die DUH vor allem die normalen Bürger und Handwerker, man könne doch nicht einem Drittel der Bürger vorschreiben, von heute auf morgen ein neues Auto zu kaufen. Und Verkehrsderzenentin Katrin Eder (Grüne) äußerte sich enttäuscht, dass die DUH die Anstrengungen der Stadt zur Verringerung der Schadstoffbelastungen nicht würdige. Als Maßnahmen nannte Eder unter anderem die Steigerung des Radverkehrs und den Bau der Mainzelbahn.

Resch: Mainz verzichtet auf saubere Busse und saubere Taxen

Resch reicht das bei Weitem nicht aus, die Politik könne noch viel mehr machen, sagt er. 24 Prozent der Schadstoffe stammten in Mainz von den ÖPNV-Bussen, „warum verzichtet Mainz darauf, alle Busse sauber zu machen?“, fragt Resch. Trotzdem habe sich Mainz vor wenigen Jahren lediglich für eine Umrüstung mit Partikelfiltern entschieden, die aber verschlimmerten das Abgasproblem eher noch. Dass die Städte nicht von heute auf morgen ihre gesamte Busflotte austauschen können, weiß auch Resch: Es brauche Landesprogramme, die die Städte bei der Umrüstung finanziell unterstützten, fordert er. Das Land Hessen hat gerade ein solches Programm zur Förderung von Elektrobussen angekündigt.

Straßenbahn auf dem Bahnhofsvorplatz
Herausforderung Cityverkehr: wie schafft man 0 Emissionen? – Foto: gik

Die Mainzer Verkehrsgesellschaft hatte allerdings just zum Fahrplanwechsel im Dezember mitgeteilt, in Mainz würden nun Dank eines neuen Kooperationspartners 22 neue Busse der Euro 6-Norm eingesetzt. Das sei „ein großer Sprung“ bei der Umweltfreundlichkeit. Dazu hat man sich gemeinsam mit der Wiesbadener ESWE und der Frankfurter Nahverkehrsgesellschaft traffiQ zum Projekt „H2Bus Rhein-Main – emissionsfreier Nahverkehr in der Metropolregion“ zusammengeschlossen. Gemeinsam will man insgesamt elf Brennstoffzellen-Busse im Rhein-Main-Gebiet anschaffen, dabei würden auf Mainz vier Busse entfallen.

Leipzig könnte im Sommer über Fahrverbote entscheiden

Doch die Städte könnten noch mehr tun, sagt Resch: In Berlin gebe es mittlerweile 30 Prozent Benzin- und Erdgastaxen, „Mainz hinkt da weit hinterher“, kritisiert er. Auch an die städtische Flotte würde der Umweltschützer ran: Luxemburg schaffe keine Diesel mehr als Dienstfahrzeuge an, berichtet er. Und Athen, Madrid und andere europäische Städte wollten Diesel gar radikal verbieten. „Nur bei uns ist der Diesel noch immer heilig“, sagt Resch.

Was die Klagen der DUH in Sachen Fahrverbote angeht, sieht Resch gute Chancen: Alle Verfahren in Sachen Luftreinhaltung seit 2005 habe die DUH bisher zu 100 Prozent gewonnen, betont er. In Düsseldorf verfügte ein Gericht bereits, dass die Stadt Diesel-Fahrverbote einbeziehen müsse, der Fall liegt inzwischen beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Das Leipziger Urteil werde noch vor der Sommerpause fallen, glaubt Resch. Sollten die Richter im Grundsatz Fahrverbote für Düsseldorf als rechtmäßig bestätigen, werde es auch für andere Städte eng. Dann aber werde sich die Politik angesichts Hunderttausender drohend ausgesperrter Autofahrer bewegen müssen – und die Automobilindustrie zu Nachrüstaktionen zwingen.

Info& auf Mainz&: Unseren Artikel über die Klage der DUH gegen die Stadt Mainz könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen, Reaktionen dazu aus dem vergangenen Jahr genau hier.

 

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