Was kommt dabei heraus, wenn man das Jahr 1452, einen Mann des Milleniums, zwei Fastnachtsikonen, drei Promis, ein Gutenberg-Denkmal und das Jahr 2019 nimmt, durcheinanderschüttelt und viel Musik und eine große Dosis Mainzer Humor hinzugibt? Richtig: Ein Gutenberg-Musical. Am Dienstagabend hatte das mit Spannung erwartete Gutenberg-Musical aus der Feder von Frank Golischewski im Mainzer Unterhaus Premiere, zwei Stunden lang drehte sich im Mainzer Unterhaus alles um den großen Mainzer Sohn, den Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern – und um Mainz, den Wein und die Lebensfreude. Ganz nebenbei gab es eine Geschichtsstunde und ganz viel Musik – manches davon sogar mit Gänsehaut-Moment.

Fust (Helmut Markwort), Gutenberg (Gunther Emmerlich) und Peter Schöffer (Sebastian Zipp) in der Druckerwerkstatt. – Foto: gik

„Unter Druck kann ich nicht setzen“, schäumt Johannes Gensfleisch zu Gutenberg: „Ich bin der Mittler des Wortes Gottes, nicht sein Krämer! Wort ist Zeit, Wort ist Ewigkeit!“ – „Zeit ist Geld, Wert, Fracht, Macht“, kontert Johannes Fust: „Wo bleibt meine Bibel?“ Es ist 1450, und in der Druckerwerkstatt in Mainz tobt ein erbittertes Ringen um das Wort, die Bibel, ja, und auch um das Geld. „Fakten, Fakten, Fakten“, schmeißt der arrogante Kaufherr noch schnell in den Raum, und das Publikum kugelt sich vor Lachen, denn der Herr Fust ist niemand anderes als der Urheber dieses Spruches – Ex-Fokus-Chef Helmut Markwort. Es ist 2019, und im Mainzer Unterhaus wird gesungen, getanzt und gerappt und ja, auch gekalauert, was das Zeug hält.

Es beginnt im Vatikan, und Il Papa, der Papst hat Sorgen: Alles bewegt sich, alles verändert sich, und Calixto II. will doch nur seine Ruhe – und einen Kreuzzug. Und jetzt hat dieser nervige deutsche Gesandte Silvio Enea Piccolomini, Sekretär von Friedrich III., auch noch eine neuartige Bibel aufgetan: 180 mal gedruckt, im Schnellverfahren, ohne jeden Fehler – alles absolut gleich! Der Papst ist entsetzt, „am Ende versteht noch jeder, was in der Bibel drin steht“, und singt: Alles gehört in den Kirchenschoß!

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Kaufherr Fust (Helmut Markwort) umringt von buntem Marktvolk mit Piccolomini (Frank Golischewski) vorne. – Foto: Bernd Weisbrod

Doch die Zeitenwende ist nicht mehr aufzuhalten: In Mainz tüftelt Johannes zu Gensfleisch, genannt Gutenberg, in seiner Werkstatt an Tinten, Bleilettern und dem richtigen Druckverfahren, perfekt soll sie werden, die neue Bibel, da kann man sich doch nicht hetzen lassen. Doch sein Investor Fust sitzt ihm im Nacken, bedrängt ihn, droht – im Duett treffen Zaster auf Werte und Handwerkskunst auf das schnelle Geld. Der Erfinder der Buchdrucks mit beweglichen Lettern gilt als Urheber einer Weltrevolution, Gutenbergs Kunst legte den Grundstein für Martin Luther und die Reformation, ja für die gesamte moderne Kommunikation. Umso erstaunlicher, dass es über Gutenberg bisher so gut wie keine Theaterstücke gibt, einzig zwei Opern versuchten sich an dem Stoff, ein großer Erfolg war ihnen nicht beschieden.

Ein Grund: über Johannes zu Gensfleisch genannt Gutenberg gibt es kaum Gedrucktes, Quellen sind rar. Musical-Erfinder Frank Golischewski stützt sich deshalb, wie alle Gutenberg-Nachspürer, auf Prozessakten und die (wenigen) bekannten Fakten. Heraus kam ein lebendig-leichtes Gutenberg-Musical, eine historische Zeitreise, die zwischen dem 15. Jahrhundert und dem modernen Mainz hin- und herzappt wie eine moderne Fernbedienung.

Stadtführerin Margit Sponheimer muss Johannes Gutenberg (Gunther Emmerlich) die moderne Zeit erklären – gar nicht so einfach…. – Foto: Bernd Weisbrod

Da führt Margit Sponheimer, Sängerin und Mainzer Fastnachtsikone, Touristen durch Mainz und erzählt dabei vom alten Gutenberg und seiner Medienrevolution. Da ringen Gott und Teufel um Gutenbergs Seele und führen ihm die Folgen seiner Erfindung vor Augen – von Pornos und Fake News bis hin zu Kochbüchern von Johann Lafer. „Ablassbriefe! Wallfahrtsspiegel!“, schallt es durch den Unterhaus-Keller – die Bühne wird zum prallem mittelalterlichen Markttreiben, und kurz danach rappt es von der Bühne: „Er war der Checker, der Bücherhacker, ein Technikzocker, echter Milleniumrocker: Gugugugugutenberg!“

Autor, Komponist und Regisseur Golischewski entwirft mit seinem Musical ein pralles Gesellschaftsbild, das vom Papst bis hin zum modernen, lebensfrohen Mainz reicht. Die Lebensgeschichte Gutenbergs wird wie in einem Kaleidoskop aufgefächert, angereichert mit etwas Weltgeschichte. Das kommt mit viel Lokalkolorit und kalauerischen Wortspielen daher, ein schwankartiges Kammerspiel, das sich selbst nicht allzu ernst nimmt, aber doch ein ziemlich vollständiges Bild der Lebensgeschichte Gutenbergs sowie seiner Zeit entwirft.

Frank Golischewski spielt dabei persönlich den Piccolomini, der dereinst als Papst Pius II. als bedeutender Humanist, Historiker und Schriftsteller selbst in die Geschichte eingehen sollte. Gut möglich, dass Piccolomini und Gutenberg sich kannten – Ersterer jedenfalls erwarb, das ist verbrieft, Bibelseiten Gutenbergs auf dem Frankfurter Markt. Im Gutenberg Musical fungiert Piccolomini als eine Art Reiseführer des Mittelalters, als Erzähler und zugleich als Kirchenfürst, der der Moderne zuneigt. Golischewski entwarf für sein Musical nicht nur den Text, er schrieb und komponierte auch die Lieder und führte gemeinsam mit Thomas Weber Regie.

Papst Sixtus (Helmut Schlösser) und Piccolomini (Frank Golischewski vorne) mit den Mönchen Sebastian Zipp und Dennis Johnson. – Foto: gik

„Ich bin fasziniert von Mainz, und Mainz atmet ja Gutenberg, man kommt hier gar nicht an ihm vorbei“, sagte Golischewski im Gespräch mit Mainz& nach der Premiere: „Ich habe mich immer gefragt, wie hat Gutenberg gelebt, welche Persönlichkeit war er?“ Vor fünf Jahren entwickelte Golischewski, der auch schon als Fastnachter bei den Bohnebeiteln auf der Bühne stand, die Idee fürs Musical, mehrere Jahre ging er damit hausieren – und handelte sich nur Absagen ein. Doch dann lief sein Bühnenstück „Feucht & Fröhlich“ im Unterhaus aus, für die „Lücke“ im Programm kam das Gutenberg-Musical gerade Recht.

Ein Heimatstück sei es geworden, sagte Golischewski, und ein Kammerspiel – aber das eigentlich nur aus der Not heraus: „Ich hätte es mir größer gewünscht“, sagt Golischewski, mit Chören, großen Shownummern, bunten Szenen wie dem Markttreiben. „Mit wenigen Handgriffen könnte man es mit einem großen Ensemble spielen“, träumt Golischewski: „Meine Idee war immer, es Open Air vor dem Dom zu spielen.“

Im Unterhaus ist es ein fast intimes Stück Mainzer Lokalkolorits geworden, das zum Leben erweckt wird von der hervorragenden Besetzung: In mindestens sechs Rollen brilliert Helmut Schlösser, der Mombacher Fastnachter wird in Sekundenschnelle vom Papst zum unbedarftem Touristen oder zur schwarzen Witwe – herrlich überdreht. Niemand geringeres als Altmeister Gunther Emmerlich aber gibt einen großartigen zerrissen-nachdenklichen Gutenberg, dem man sein Streben nach der Verkündung des Wortes zutiefst abnimmt. Ex-Fokus-Chef Markwort verkörpert perfekt den kalten Geschäftsmann, der am Ende Gutenberg um seine Druckwerkstatt bringt – die Lieder meistert der Journalist und Neu-Politiker im bayrischen Landtag mit stakkatoartigem Sprechgesang.

Schlussbild des Gutenberg Musicals mit allen Akteuren. Zweite von rechts: Jasmin Reif. – Foto: gik

Fürs Singen sind andere zuständig, alle voran das großartige Trio aus jungen Schauspielern, die die alte Garde bestens ergänzt und die Szenerie ordentlich aufmischt. Dennis Johnson, Sebastian Zipp und Jasmin Reif geben unglaublich wandelbar Mönche und Marktvolk, deutsch-türkisches Jungvolk der Moderne oder auch Gothic-Punks, und vor allem Jasmin Reif brilliert auch mit einem wunderbar klaren Sopran.

Und dann ist da natürlich Margit Sponheimer: Die Fastnachtsikone zeigt ihre schauspielerische Seele und prägt als Fremdenführerin und als „Margittsche“ die Szenerie – vor allem, wenn sie dem vom Sockel herab gestiegenen Gutenberg die Moderne erklären muss. Und natürlich singt die Sponheimer auch, mit dem wunderbaren „Moguntia“ schrieb ihr Golischewski gar eine Art neue Hymne auf den Leib – ein echter Gänsehautmoment.

Am Ende entpuppt sich alles als Traum. „Ich hab geträumt du wärst der Gutenberg und ich die Sponheimer“, sagt die Sponheimer: „Wir wurden kein Paar.“ Nicht alles kann eben ein Happy End haben – aber gut ausgegangen, das ist die Sache mit dem Gutenberg-Musical dann schon.

Info& auf Mainz&: 13 Vorstellungen gibt es nach Angaben des Unterhauses noch vom Gutenberg-Musical in diesem Jahr, aber ach: alle sind restlos ausverkauft. Doch eine Chance habt Ihr: Kommende Woche beginnt der Vorverkauf weitere 15 Aufführungen – im Januar 2020. Informationen dazu hier beim Mainzer Forum Theater Unterhaus im Internet.

 

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