Es ist nicht leicht in diesen Tagen, Liberaler in Mainz zu sein. Nach dem jüngsten Debakel mit dem plötzlichen Abgang ihre Wirtschaftsdezernenten Christopher Sitte (FDP) kämpft die Mainzer FDP im Kommunalwahlkampf um jede Stimme. Nach zehn Jahren Ampel-Koalition mit SPD und Grünen fällt es der FDP schwer, sichtbar zu bleiben – in den Wahlkampfendspurt zieht die Partei mit typisch liberalen Themen: Individualität, starke Wirtschaft und die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Doch leichte Absatztendenzen von den alten Koalitionspartner sind auch zu erkennen. Die FDP kritisiert Rückstand bei Verkehrsinfrastruktur und Fahrradpolitik – und sie lässt Sympathien für einen neuen Stadtteil erkennen.

Wahlplakate der Mainzer FDP in der Kaiserstraße vor der Kommunalwahl 2019. - Foto: gik
Wahlplakate der Mainzer FDP in der Kaiserstraße – die junge Generation lässt auf den aussichtsreichen Listenplätzen allerdings noch auf sich warten. – Foto: gik

5,0 Prozent holte die FDP bei der Kommunalwahl 2014 in Mainz – es war ein Absturz um 5,7 Prozentpunkte. Kurz zuvor waren die Liberalen aus dem Bundestag und dem rheinland-pfälzischen Landtag geflogen, das reagierte man in Mainz noch relativ erleichtert über die 5,0 Prozent. Doch von der einst starken Mainzer FDP war wenig übrig, die Anzahl der Sitze im Mainzer Stadtrat auf ganze drei geschrumpft. Das reichte dennoch, um die Ampel-Koalition mit SPD und Grünen fortzusetzen, große Ansprüche konnte die FDP in den Koalitionsverhandlungen nicht stellen.

Trotzdem zog FDP-Chef David Dietz kürzlich ein positives Fazit: „Wir haben zehn Jahre sehr erfolgreich diese Stadt mitprägen dürfen und viel auf den Weg gebracht“, sagte Dietz: „Das Gesicht der Stadt hat sich sehr geändert, sie ist dynamischer geworden, frischer, jünger, der Mehltau ist nicht mehr so da.“ Dass Mainz einen ausgeglichenen Haushalt habe, sei auch das Verdienst der FDP, betonte Dietz – Finanzdezernent Günter Beck ist ein Grüner. Die FDP habe mit kluger Ansiedlungspolitik große Unternehmen wie Hermes oder Biontec nach Mainz geholt, das Gewerbesteuereinkommen um 60 Millionen Euro gesteigert, nennt die FDP als weitere Erfolge. Auch den Digital Hub für junge Unternehmen der Medienbranche verbucht man bei den Liberalen auf der Habenseite.

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Der Mainzer FDP-Parteichef David Dietz vor der Luftmessstation in der Mainzer Parcusstraße - die FDP stellt die Messungen infrage. - Foto: Puderbach
Der Mainzer FDP-Parteichef David Dietz vor der Luftmessstation in der Mainzer Parcusstraße – die FDP stellt die Messungen infrage. – Foto: Puderbach

Über die Probleme redet man derweil bei der FDP nicht so gerne – und die gab es reichlich. Da kippte der Listenparteitag im September 2018 überraschend Ex-Mainz 05-Präsident Harald Strutz von der Stadtratsliste – trotz vehementer Fürsprache für Strutz der gesamten FDP-Spitze. Strutz unrühmlicher Abgang als Mainz 05-Präsident war für die Parteimitglieder der Liberalen offenbar zu viel des Guten – Strutz flog in Abwesenheit von der Liste. Auf den drei ersten Plätzen finden sich dennoch altbekannte Namen: Nach Dietz als Spitzenkandidatn steht Cornelia Wilius-Senzer, FDP-Urgestein und Fraktionschefin der Liberalen im rheinland-pfälzischen Landtag, auf Platz zwei, gefolgt vom bisherigen Fraktionschef im Mainzer Stadtrat, Walter Koppius. Mit Alexander Puderbach von den Jungen Liberalen folgt der erste frische Nachwuchsmann erst auf Platz fünf.

FDP-Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte in seinem Büro im Mainzer Rathaus. - Foto: gik
FDP-Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte machte kurz vor Weihnachten den Abgang aus dem Rathaus. – Foto: gik

Ob die Liberalen so viele Sitze überhaupt erringen können, scheint angesichts des Debakels vom November 2018 fraglich: Zwei Tage vor der Wahl gab Dezernent Sitte völlig überraschend seinen Abgang in die Wirtschaft bekannt – und schmiss seinen Parteikollegen damit den ganzen Betrieb vor die Füße. Denn die Liberalen konnten keinen eigenen Kandidaten nachnominieren, der Posten ging an die CDU-Politikerin Manuela Matz. Über Sittes Gründe wird bis heute spekuliert, seine Aktenvernichtungsaktion kurz vor der Amtsübergabe an Matz hinterlässt bis heute einen üblen Beigeschmack – ob sie auch strafrechtlich relevant war, wird noch geprüft.

Sitte galt zudem als kein besonders erfolgreicher Wirtschaftsdezernent, der mit Aktionen wie der versuchten Neuordnung des Weihnachtsmarktes oder dem starren Festhalten am Zentrenkonzept immer wieder für Streit und Widerstand sorgte. Auch atmosphärisch soll es im Stadtvorstand alles andere als harmonisch zugegangen sein, Sittes plötzlicher Abgang wurde vielfach als Rachefeldzug gewertet. Für die Mainzer FDP war der Abgang und seine Umstände ein Debakel, welche Auswirkungen das an der Wahlurne hat, ist eine der spannenden Fragen dieser Kommunalwahl.

Der Mainzer JuLi-Chef Alexander Puderbach kettete sich an einen Baum am Mainzer Winterhafen und warb so für mehr Grillplätze am Rhein. - Foto: JuLis
Anketten für Aufmerksamkeit: JuLi-Chef Alexander Puderbach warb so für mehr Grillplätze am Rhein. – Foto: JuLis

Die Liberalen als Partei machten derweil eher mit Spaßaktionen von sich reden. Da suchte man mal „das schönste Schlagloch von Mainz“, oder Julis-Chef Puderbach kettet sich medienwirksam für mehr Grillplätze im Winterhafen an – echte Folgen hatten diese Aktionen nicht. Zuletzt starteten die Jungen Liberalen eine Volksinitiative für längere Ladenöffnungszeiten und forderten eine „Späti-Kultur“ – die Initiative hat wenig Aussicht auf Erfolg.

Parteichef Dietz wird derweil nicht müde zu betonen: „Die FDP wird auch nach dem 26. Mai in dieser Stadt dringend gebraucht werden.“ Auf dem Programmparteitag Anfang des Jahres wetterte Dietz gegen „unsinnige Fahrverbote“ und den – aus Sicht der FDP falschen – Standort der Luftmessstationen. Mainz habe viel für die Luftreinhaltung getan und den ÖPNV modernisiert, betonte Dietz. Mainz erreiche demnächst die 220.000 Einwohner-Grenze, „wir brauchen ein weiteres Wachstum auch in der Infrastruktur“, forderte Dietz. Im Gegensatz zu SPD und Grünen will die FDP die Sanierung von Straßen, eine neue Rheinbrücke zwischen Mainz und Wiesbaden – und betont, die Innenstadt müsse mit dem Auto erreichbar bleiben. Gleichzeitig will man den ÖPNV offensiv ausbauen und fordert ein Klimaschutzprojekt mit synthetischen Kraftstoffen.

Wahlplakat der Mainzer FDP: mit der Forderung einer weiteren Rheinbrücke. - Foto: FDP Mainz
Wahlplakat der Mainzer FDP: mit der Forderung einer weiteren Rheinbrücke. – Foto: FDP Mainz

„Die FDP steht für eine klugen Verkehrsmix, der alle mitdenkt“, betont Dietz, und kritisiert, gerade beim Verkehrsträger Fahrrad „gibt es einen massiven Verbesserungsbedarf“ – eine klare Spitze gegen die grüne Verkehrsdezernentin Katrin Eder. Der Citybahn, die Eder vorantriebt, steht die FDP ausgesprochen skeptisch gegenüber, man sehe den bedarf nicht, heißt es dazu. Auch beim Thema Bauen und Wohnen setzt sich die FDP von den Koalitionspartnern ab: „Wir sind gerne dabei, wenn es um neue Planungen geht“, sagte Dietz bei einem Pressegespräch im April – SPD und Grüne lehnen das vehement ab, und überschütteten einen entsprechenden CDU-Vorschlag mit Spott.

Auch Fraktionschef Koppius sagte, es gebe „garantiert Möglichkeiten für Standorte“, etwa in Richtung Ebersheim – oder auf dem Mainzer Layenhof. Das Areal zwischen Finthen und Wackernheim sei „lange Zeit stiefmütterlich behandelt“ worden, es sei aber „sehr lohnenswert, dieses Areal noch einmal ins Auge zu fassen und intensiver anzugehen“ – Mainz brauche dringend mehr Wohnraum. Die FDP will dazu Bauvorschriften durchforsten und das Aufstocken von Häusern erleichtern, fordert zugleich aber auch „einen verantwortungsvollen Umgang“ mit Freiflächen, Grünflächen und Frischluftschneisen. Die Umweltpolitik will man „in Zusammenarbeit mit den Bürgern sachorientiert gestalten“, und setzt vorrangig auf Technologie und neue Innovationen. Überhaupt setzt die FDP auf den Einsatz moderner Technik, fordert mehr Breitbandausbau und eine digitalisierte Verwaltung. Auch in den Schulen sollen „die Chancen der Digitalisierung für bessere Bildung, individuelles Lernen und innovative Lehrmethoden“ genutzt werden.

Der Mainzer FDP-Chef David Dietz. - Foto: FDP Mainz
Für den Mainzer FDP-Chef David Dietz ist die Kommunalwahl 2019 auch eine Bewährungsprobe. – Foto: FDP Mainz

„Wir wollen eine Stadt, die rechnen kann“, heißt es im Wahlprogramm der Liberalen weiter, Mainz solle wirtschaftliche weiter gestärkt, Neuverschuldung und Altschulden abgebaut und eine Kultur des Gründens und der Risikobereitschaft gefördert werden. Kurz vor der Wahl forderte die FDP zudem noch die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge und versprach, eine weitere Anhebung der Grundsteuer werde es mit ihre nicht geben. „Wer Mainz liebt, der macht es besser“, sagte Dietz in Anspielung auf den Wahlslogan der Mainzer SPD, „das muss unser Anspruch sein.“

Info& auf Mainz&: Das ganze Programm der Mainzer FDP zur Kommunalwahl 2019 findet Ihr hier im Internet. Im Wahlkampfendspurt könnt Ihr die FDP noch heute Abend, 21. Mai 2019, zum Thema „Bauen oder Klauen? – Liberale Ansätze zur Wohnungsnot“ ab 19.00 Uhr im Weinhaus Michael erleben, am 24. Mai lädt die FDP von 16.00 bis 18.00 Uhr zum „Chancen-Talk“ mit Europa-Spitzenkandidatin Nicola Beer in die Alte Lokhalle. Was die FDP vor fünf Jahren erreichen wollte, lest Ihr in unserem Fragebogen 2014 – da stehen so spannende Themen wie die Sanierung des Gutenbergmuseums… Mehr Informationen über David Dietz findet Ihr in diesem Mainz&-Artikel zur Bundestagswahl 2017.

Kommunalwahl&: Dieser Artikel ist Teil unserer Serie im Vorfeld der Kommunalwahl, dabei stellen wir (nach Möglichkeit) alle bisher im Stadtrat vertretenen Parteien in einer Analyse und mit ihren Wahlprogrammen vor. Die anderen Artikel findet Ihr hier:

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