Sie will als Frau und als erste Grüne Oberbürgermeisterin von Mainz werden, und sie würde damit bundesweit Geschichte schreiben: Tabea Rößner, 52 Jahre alt, gelernte Journalistin, tritt am kommenden Sonntag als eine von vier Herausforderern an, Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sein Amt streitig zu machen. Rößner lebt seit 1992 in Mainz, nun will sie ihre Heimatstadt noch aktiver mitgestalten: Seit zehn Jahren vertritt sie Mainz für die Grünen im Bundestag, wurde schon mal für ein Ministerinnenamt in Rheinland-Pfalz gehandelt. Ein Gespräch über Identität und Johannes Gutenberg, über Bürgernähe, Mainzer Juwelen und Mobilität: „Man kann den Finanzdeckel für den ÖPNV lösen“, sagt Tabea Rößner, „der öffentliche Nahverkehr muss massiv ausgebaut werden.“ Teil 2 unserer Mainz&-Interviews zur Oberbürgermeisterwahl 2019.

Die grüne OB-Kandidatin Tabea Rößner auf der Interviewbank von Mainz&. - Foto: gik
Ready for Interview: Die grüne OB-Kandidatin Tabea Rößner auf der Interviewbank in der Mainz&-Popup-Redaktion in der Dependance der Weinraumwohnung in der Mainzer Altstadt. – Foto: gik

„Die Zeit ist reif“, findet Tabea Rößner, „reif für einen Wechsel in Mainz, reif für eine Frau an der Stadtspitze.“ Wir sitzen in der Popup-Redaktion der Internetzeitung Mainz& in der Dependance der Weinraumwohnung in der Mainzer Altstadt, Rößner ist die zweite OB-Kandidatin, die auf unserer Interviewbank Platz nimmt. Die schnellste bei der Verkündung ihrer Kandidatur war sie nicht: Erst Anfang Juni verkündete Rößner ihre Kandidatur für das Amt der Oberbürgermeisterin von Mainz – nach der Kommunalwahl am 26. Mai.

Bei der Wahl im Mai waren die Grünen erstmals stärkste Kraft im Mainzer Stadtrat geworden, mit 27,7 Prozent hängten sie klar den bisherigen Koalitionspartner SPD ab. Die Sozialdemokraten kamen mit 20,2 Prozent nur noch auf Platz drei, noch hinter der CDU, die auf 23,5 Prozent kam. Die Grünen sind damit klar die bestimmende Kraft in Mainz, eine eigene OB-Kandidatin war die logische Folge.

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Kohlekraftwerk, Bundestag, Beinahe-Ministerin

Rößner selbst ist in Mainz keine Unbekannte: Als alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern engagierte sie sich in der Kitabetreuung ihrer Kinder, saß im Ortsbeirat, später mehr als acht Jahre lang im Mainzer Stadtrat. Ihr größter Erfolg: Die Verhinderung des Bau des Kohlekraftwerks auf der Ingelheimer Aue 2009. Schon damals kämpfte Rößner mit dem Argument, ein Kohlekraftwerk sie eine nicht mehr zeitgemäße Schleuder dreckiger Investitionen, am Ende machte die Wender der Mainzer CDU den Weg für das Aus im Stadtrat frei.

Plakat Tabea Rößner bei der Bundestagswahl 2017. - Foto: gik
Plakat Tabea Rößner bei der Bundestagswahl 2017. – Foto: gik

Die Grünen in Mainz katapultierte das bei der darauf folgenden Kommunalwahl 2009 auf damals sagenhafte 21,9 Prozent (lest hier: Die Grünen, die Kohle und der Handkäs), Tabea Rößner brachte es in die Bundespolitik: Bei der Bundestagswahl 2009 zog sie über den dritten Platz auf der Landesliste der Grünen in den Bundestag ein. Dort machte sie sich schnell als Sprecherin für Medienpolitik und Digitales einen Namen – unter anderem,. Als sie in der Causa Brender bis vor das Bundesverfassungsgericht zog, und 2014 Änderungen im ZDF-Staatsvertrag durchfocht. In dem Verfahren lernte sie auch ihren heutigen Mann kennen, den Medienrechtler Karl-Eberhard Hain. Ihren größten Erfolg hätte sie schon 2016 erringen können: Rößner sollte Ministerin für Integration in Rheinland-Pfalz werden, sie ließ der heutigen Ministerin Anne Spiegel den Vortritt.

Warum OB? „Ich liebe Mainz, es gibt den Wunsch nach Veränderung“

Nun soll es also das Amt der Mainzer Oberbürgermeisterin werden – warum? „Weil ich Mainz liebe, und weil ich in Mainz zuhause bin“, sagt Rößner wie aus der Pistole geschossen. Nach zehn Jahren Bundespolitik, „fragt man sich manchmal ja schon: was kommt überhaupt an?“ Sie habe als Abgeordnete aus der Stadt immer auch Politik für Mainz gemacht, „aber wie viel Reichweite hat das überhaupt?“ Kommunalpolitik sei hingegen „viel direkter, man muss sich direkt mit den Menschen vor Ort auseinander setzen, das ist auch eine besondere Herausforderung“, sagt sie.

Der geplante und abgelehnte Bibelturm auf dem Liebfrauenplatz am Dom. - Foto: gik
Den Bibelturm auf dem Liebfrauenplatz am Dom lehnten die Mainzer mit großer Mehrheit ab – es war auch ein Votum gegen den Umgang der Stadtspitze mit zahlreichen Bauprojekten in Mainz. – Foto: gik

„Es gibt einen Wunsch nach Veränderung in der Stadt“, betonte Rößner, das habe sie in vielen Gesprächen gehört. Und in ihrer Kritik gegenüber Amtsinhaber Ebling wird sie deutlich: „In der Stadtverwaltung wird zu viel gegeneinander gearbeitet, es wird nicht koordiniert, es wird nicht gestaltet, man lässt es so laufen“, zählt Rößner in unserem Gespräch auf. Große Kritik entzünde sich zudem am Umgang mit dem Gutenberg-Museum und dem Bürgerentscheid zum Bibelturm im April 2018 – die Mainzer hatten damals mit 77,3 Prozent dem Projekt eine klare Absage erteilt.

„Ich finde, so kann man mit den Menschen als Stadtoberhaupt nicht umgehen“, kritisiert Rößner: Erst habe Ebling einen Stadtratsbeschluss pro Bibelturm herbeigeführt, dann den Gegenwind gespürt und einen Bürgerentscheid ausgerufen. Dann aber habe sich der OB zurückgehalten, „sage, ich bin Moderator, ich bin neutral, ich habe da keine Haltung“ – das gehe gar nicht. „Das muss man als OB erst mal schaffen, sich mit den Befürwortern UND den Gegner zu überwerfen“, kritisiert Rößner: „Das war ein deutliches Zeichen gegen die Art und Weise, wie hier in der Stadt mit großen Projekten umgegangen wird.“

Bürgerbeteiligung first, Transparenz – Gutenberg-Museum bis 2025

Sie selbst fordert, die Bürgerbeteiligung müsse vorne stehen, am Anfang. „In den Arbeitswerkstätten wird jetzt vollzogen, was am Anfang hätte passieren müssen“, betont Rößner, „dann braucht es Transparenz, auch das kommt in dieser Stadt zu kurz.“ Als OB würde sie eine Transparenzplattform auf den Weg bringen, das sei die Umkehrung der Verantwortung: „Die Verwaltung muss dann von sich aus informieren, das ist ein Paradigmenwechsel“, betonte Rößner. Das werde der veränderten Haltung der Bürger gerecht, und sei gut zu ermöglichen durch die Digitalisierung. Auch ein gutes, transparentes   Ratsinformationssystem zählt Rößner dazu, „in dem man die Sachen auch findet – das geht mir nämlich selbst so, dass ich da nichts finde.“

Johannes Gutenberg Museum in Mainz. - Foto: gik
Eine neues Museum für Johannes Gutenberg – Tabea Rößner will das bis 2025 hinbekommen. – Foto: gik

Für ein neues Gutenberg-Museum wünscht sie sich „mehr Druck“: „Ich möchte 2025, wenn der Buchdruck 575 Jahre alt wird, das neue Gutenberg-Museum einweihen“, sagt Rößner. Das sei ambitioniert, aber es müsse sich eben dringend etwas tun, auch bei einer erweiterten Trägerschaftsstruktur für das Museum. „Es ist absurd, dass ein Museum mit dieser Bedeutung immer noch eine Abteilung der Stadt ist“, kritisiert Rößner – und wirft der SPD vor, die Erneuerung des Museums zur „parteipolitischen Geschichte“ gemacht zu haben: Weder sie noch die CDU-Bundestagsabgeordnete Ursula Groden-Kranich seien einbezogen worden, vor der Kommunalwahl habe die SPD flugs einen Termin im Bundeskulturministerium verkündet – den es gar nicht gab. „Das hat mich wirklich geärgert und empört“, sagt Rößner.

Kulturhauptstadt: Mainzer Juwelen zum Leuchten bringen

Mainz sei eine kulturell so reiche Stadt, mit einer unglaublich reichen Geschichte, „wir haben in Mainz so viele Juwelen, Gutenberg, Römer, Georg Forster“, sagte Rößner: „Diese Juwelen leuchten aber nicht, wir wissen sie gar nicht richtig zu schätzen.“ Es gebe „kein Konzept, wie wir Mainz zum Leuchten bringen“, Rößner will deshalb, dass sich Mainz als Kulturhauptstadt Europas bewirbt.

OB-Kandidatin Tabea Rößner im Gespräch auf der Mainz&-Interviewbank. - Foto: gik
OB-Kandidatin Tabea Rößner im Gespräch auf der Mainz&-Interviewbank. – Foto: gik

Eine solche Bewerbung „bringt eine Kraft in die Stadt bei Wissenschaft, Kultur, Medien, aller, die sich beteiligen wollen“, sagt Rößner, das habe sie in anderen Städten erlebt: „Da sieht man: die Stadt hat einen ungeheuren Schub genommen.“ Ein solches gemeinsames Projekt könne auch in Mainz „den Zusammenhalt der Stadt stärken“ und viele Initiativen wertschätzen und miteinander verbinden. „Ich will Mainz herauszuputzen, damit Mainz auch mit Selbstbewusstsein sagen kann: Wir sind nicht eine kleine Provinzhauptstadt, sondern eine Landeshauptstadt mit einem großen kulturellen Erbe – und wir könne uns messen mit vielen anderen Städten, denen man das mehr zutraut.“

Amtsinhaber Ebling will die historischen Stätten von Mainz mit einer Landesgartenschau aufwerten, Rößner ist skeptisch: Eine Landesgartenschau sei nicht dafür gedacht, „bestehendes Grün aufzuhübschen“, sagt sie, sondern, um Konversionsflächen in lebenswerte Quartiere umzugestalten – so sähen das die Richtlinien des Landes vor. Dazu drohe während der Bauzeit den Mainzern dann ihre wenigen Grünflächen auch noch verloren zu gehen – Zitadelle, Grüngürtel und Mainzer Rheinufer.

Wohnen: „Die Frischluftschneise ist für mich Tabu“

Eine brach liegende Konversionsfläche – in Mainz ist das vor allem mit der GFZ-Kaserne verbunden, die der Bund immer noch nicht für die Stadt freigegeben hat. „Es braucht da mehr Druck auf den Bund“, sagt Rößner dazu: „Man muss der Bima die Dringlichkeit deutlich machen, dass wir die Flächen brauchen, um Wohnraum zu schaffen.“ Bima, das ist die Immobilienverwaltung des Bundes, die Kommunikation zwischen der Stadt und der Bima lief zuletzt mit viel Streit und wenig Ergebnissen.

Blick über die Häuser der Mainzer Neustadt. - Foto: gik
Häuser aufstocken, Dachflächen ausbauen, das ist für Rößner eine Maßnahme gegen Wohnungsmangel in Mainz – Foto: gik

„Das sind wertvolle Flächen mitten in der Stadt, wo wir gut angebunden Wohnraum schaffen können“, sagt Rößner, nach ihrer Vorstellung solle die Wohnbau hier günstigen Wohnraum schaffen. Einem neuen Stadteil für Mainz an der Rheinhessenstraße erteilt die Grüne eine klare Absage: „Die Frischluftschneise an der Rheinhessenstraße ist für mich Tabu“, betont Rößner, „ehe wir eine neuen Stadtteil in Frischluftgebieten schaffen, sollten wir erst einmal Wohnraum auf den Flächen schaffen, die bereits erschlossen und entwickelt sind.“

Neben der GFZ-Kaserne sieht sie „ein kleines Potenzial auf dem Layenhof, ein großes Potenzial hingegen beim Ausbau von Dachgeschossen sowie in der Zusammenarbeit mit dem rheinhessischen Umland. Die Grundstücksvergabe dürfe nicht einfach an den Investor mit dem höchsten Gebot erfolgen, Neubaugebiete eine Sozialraumquote von 30 Prozent haben, so Rößner weiter. Auch das Zentrenkonzept gehört für sie auf den Prüfstand – gerade wenn es den Bau von Wohnungen über Supermärkten verhindert.

„Man kann den Finanzdeckel für den ÖPNV lösen“

Für eine engere Anbindung des Umlands brauche es auch besseren ÖPNV dorthin, betont Rößner – und sagt klar Ja zu einer Straßenbahn nach Mainz-Ebersheim. „Der öffentliche Nahverkehr muss massiv ausgebaut werden“, betont Rößner , das gelte auch für eine Ringlinie zwischen den Stadtteilen. Der Öffentliche Nahverkehr müsse eine Pflichtaufgabe für die Kommunen werden, „dafür werde ich mich massiv einsetzen“, verspricht Rößner.

Mainzelbahn am Ostergraben mti Autoverkehr. - Foto: gik
Vorrang für die Straßenbahn, das will auch OB-Kandidatin Rößner. – Foto: gik

Tatsache ist aber auch: Die Grünen regieren bereits seit zehn Jahren in Mainz mit – warum ist nicht längst mehr geschehen? Die Stadt habe vor zehn Jahren erst einmal die Wohnbau vor der Pleite retten müssen, danach habe die grüne Verkehrsdezernentin „nicht die Unterstützung in der Stadtspitze dafür“, sagt Rößner. Mainz hat so noch immer einen Deckel von 16 Millionen Euro für die Kosten für Bus und Bahn – ein Zuschuss, der nicht ausreicht. „Man kann den Deckel lösen“, betont Rößner, „aber dafür braucht man Unterstützung vom Land – und man muss die Kommunalaufsicht mit ins Boot nehmen.“

Ultrafeinstaub messen, Alternativen für Autoabsetzanlage suchen

Unzufrieden ist Rössner auch mit der aktuellen Fluglärm-Situation: Der Ausbau des Frankfurter Flughafens sei falsch gewesen, die Entwicklung eine falsche – mit steigendem Flugverkehr, Billigtickets und Subventionen für den Flugverkehr. „Als Stadt kann man sich nur laut Gehör verschaffen, in dem man sich auf den verschiedenen Ebenen einbringt“, sagt Rössner, als grüne OB könne sie ihre Kontakte zum hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) „nutzen, und ihm auf die Füße treten.“ Zudem würde sie sich für eine Ultrafeinstaub-Messstation in Mainz einsetzen – mehr zu dem Thema hier.

Auf der Mainz&-Interviewbank: OB-Kandidatin Tabea Rößner (Grüne) mit Mainz&-Chefin Gisela Kirschstein (links). - Foto: gik
Auf der Mainz&-Interviewbank: OB-Kandidatin Tabea Rößner (Grüne) mit Mainz&-Chefin Gisela Kirschstein (links). – Foto: gik

In Sachen Schiffsanlager plädiert Rößner dafür, konzentrierter nach Alternativen zu suchen – vor allem für die Autoabsetzanlage vor der Caponniere. Die widerspreche einer nachhaltigen Entwicklung des Rheinufers und sei auch weder im Bebauungsplan für den Zollhafen enthalten noch mit den Alteinwohnern abgestimmt. Mehr zu Rößners Vorschlag für Alternativen lest Ihr hier.

„Ein Weinkontor im heutigen Haus des Weins“

In Sachen Wein plädiert der Riesling-Fan Rößner für mehr Sichtbarkeit der Great Wine Capital Mainz: „Wein hat ganz viel mit Erlebnis zu tun, und zeichnet sich dadurch aus, dass man ihn probiert“, sagte Rößner, ein reiner Verkaufsraum werde dem nicht gerecht. „Wir brauchen ein attraktives Haus des Weines“, sagt sie deshalb, „das würde sich doch jetzt im alten Haus des Weins anbieten: ein zentraler Ort, direkt neben dem Staatstheater.“ Und so sehe Mainz auch in acht Jahren unter einer Oberbürgermeisterin Tabea Rößner aus: Mainz genieße dann den Wein in einem neuen Weinkontor und sei noch immer „eine Stadt mit einem wunderschönen Lebensgefühl“, habe nachhaltiges Wohnen in Kasernen geschaffen, flaniere auf beruhigten Straßen und habe viele Radwege mit eigenen Spuren.

Info& auf Mainz&: Das Interview mit Tabea Rößner war Teil 2 unserer Gesprächsreihe auf der Mainz&-Interviewbank, das ganze Gespräch könnt Ihr Euch auf dem Mainz&-Youtube-Kanal ansehen: Teil eins zu Gutenberg gibt es hier, Teil zwei zu Wohnen, Verkehr und Wein findet Ihr hier. Im ersten Gespräch hatten wir den OB-Kandidaten der Satirepartei „Die Partei“, Martin Ehrhardt zu Gast – den Text und Link zum Video findet Ihr hier. Mehr zur OB-Kandidatin Rößner haben wir hier bei ihrer Vorstellung im Juni und hier zu ihrem Programm aufgeschrieben. Die nächsten Gespräche: Nino Haase (parteilos), Michael Ebling (SPD), Martin Malcherek (Linke). Alle Informationen, Portraits und Artikel zur Oberbürgermeisterwahl am 27. Oktober findet Ihr hier in unserem Mainz&-Sonderdossier OB-Wahl 2019.

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