Tja, die armen kleinen Flatter-Ulmen in der Lesselallee sind kaum ausgeschlagen – da haben sie schon den ersten Schädling. Die 72 Jungbäume haben samt und sonders angenagte und durchbohrte Blätter, an manchen Bäumen sind manche Äste regelrecht kahl gefressen. Natürlich haben wir uns gefragt: Was ist das? Gegen welchen Schädling müssen die Bäumchen kämpfen – und wie schlimm ist es? Die Stadt Wiesbaden ist indes ganz gelassen: „Für keinen der Bäume besteht eine Gefahr“, sagte Ralf Wagner vom Wiesbadener Ordnungsamt Mainz&.

Ast Flatterulme mit vielen zerfressenen Blättern - Foto gik
Ast an Flatterulme in der früheren Lesselallee – Foto: gik

Ihr wisst ja, die Jungbäume wurden als Ersatz für die 100 Jahre alten Kastanien gepflanzt, die am 4. November 2014 samt und sonders gefällt wurden – 72 uralte Bäume. Die Stadt Wiesbaden behauptet bis heute steif und fest, die Kastanien seien alle durch den Phytophthora-Pilz geschädigt und deshalb die Allee nicht mehr sicher gewesen – was Experten vorher und hinterher massiv anzweifelten.

Aussage Nummer 1 des Grünamtes: Heckenwickler

Nun also haben die Flatterulmen einen Schädling, und das Grünamt der Stadt sagte zunächst, dabei handele es sich um den Heckenwickler, einem recht unansehnlichen braunen Schmertterling, dessen Raupen sich auf Laubbäumen niederlassen, dort Fraßschäden verursachen, sich verpuppen und schlüpfen. Einige Tage später hieß es dann, nein, der Schädling sei der Ulmen-Zipfelkäfer, dessen Raupen aber ebenfalls harmlos für den Baum seien. Im Übrigen seien nur die ersten 17 Bäume vom Klärwerk aus betroffen, sagte Thomas Kroppen vom Grünamt der Frankfurter Rundschau.

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Ast Flatterulme mit angefressenen Blättern 2 - Foto gik
Weitere Ulme, weitere Fraßschäden – Foto: gik

Also sind wir selbst mal gucken gefahren 😉 Und siehe: Als wir am Montagnachmittag durch die Mini-Allee spazierten – fanden wir Fraßschäden an jeder einzelnen Flatterulme. Gut, bei zwei Bäumen waren wir uns nicht ganz sicher – bei allen (!) anderen fanden wir kleine bis überaus deutliche Fraßschäden, die allermeisten deutlich sichtbar.

Gutachter des Grünamtes: Es ist der Ulmen-Zipfelfalter

„Es ist der Ulmen-Zipfelfalter“, sagte auf unsere Anfrage hin dann Ralf Wagner vom Ordnungsdezernat – das Grünamt bekamen wir irgendwie nicht ans Telefon. Ein Sachverständiger sei am Montag vor Ort gewesen, der habe die Bäume begutachtet und den Zipfelkäfer eindeutig diagnostiziert, sagte uns Wagner dann inzwischen am Mittwoch. Doch auch er bestand auf der Version, der Falter habe die Bäume „in Teilen befallen“, es handele sich um „die ersten 15 Bäume vom Klärwerk aus gesehen.“

Nun, wenn der Sachverständige wirklich am Montag, also am gleichen Tag wie wir, vor Ort war, müsste er ja eigentlich die Schäden an den anderen 57 Bäumen auch gesehen haben. Wenn nicht – wir können ihm gerne unsere Fotos zur Verfügung stellen. Wir haben nämlich die Bäume fotografiert und die Schäden dokumentiert. Und zwar bei allen 72.

Ulme Nummer 36 mit Fraßspuren
Ulme Nummer 36 steht am Ende – und hat Fraßschäden – Foto: gik

Schäden an allen Bäumen gefunden – Stadt WI: nur 15 Bäume

So sind zwar in der Tat Bäume vorne am Klärwerk sehr stark befallen, aber auch die Ulme Nummer 36 wies beispielsweise deutliche Fraßschäden an ihren Blättern auf – und Nummer 36 steht ganz am anderen Ende der Allee. Auch die Ulmen Nummer 41 und 47, auch am hinteren Ende der Allee, haben zerfressene Blätter, ebenso Baum Nummer 26, und der steht so ziemlich in der Mitte der Allee. Offenbar hat sich der Schädling deutlich weiter verbreitet, als es das Grünamt der Stadt Wiesbaden weiß – oder glauben machen will.

Beunruhigt ist man dort aber nicht: Die Raupen des Falters seien mittlerweile verpuppt, die Falter sogar schon geschlüpft – „weitere Fraßschäden an den Bäumen sind nicht zu erwarten“, sagte Wagner. Das lässt sich ja in ein, zwei Wochen leicht feststellen.

Stadt WI: Johannisaustrieb reguliert Schaden, Falter zieht weiter

Blatt Flatterulme mit Fraß und Fäden nah - Foto gik
Angefressenes Ulmenblatt mit Fäden von einem Cocon – Foto: gik

Überhaupt, heißt es bei der Stadt Wiesbaden, sei der Schaden nicht schlimm: „Wir haben jetzt den Johannistrieb in ein, zwei Wochen“, sagte Wagner, das sei der zweite Austrieb der Bäume, eben um Johannis herum: „Der kann die Fraßschäden dann auffangen, der Baum ganz normal seinem Wachstum nachgehen.“ Diese Schadenskompensation sei von der Natur so vorgesehen.

Gespritzt werde gegen den Schädling nicht, es werde auch kein Insektenmittel ausgebracht, versicherte Wagner: „Die Kollegen haben gesagt, da muss man nichts tun.“ Der Falter fliege weg und suche dann als nächstes andere Bäume heim. Warum aber heißt der dann ULMEN-Zipfelfalter?

Expertendatenbank: Falter nur an blühfähigen Ulmen

Die Antwort fanden wir im Internet: Der Falter sei auf Ulmen spezialisiert, ja sogar an das Vorhandensein blühfähiger Ulmen gebunden. Bei „Arbofux“, einer offiziellen Diagnosedatenbank für Gehölze, die auch die Profis benutzen, heißt es zum Ulmen-Zipfelfalter: „Aufgrund seiner Wirtspflanzenspezifität treten die asselförmigen Raupen des Ulmen-Zipfelfalters nur an Ulmen, und hier insbesondere an blühfähigen Pflanzen auf, da die jungen Raupen auf die Blütenknospen als Nahrungsquelle angewiesen sind.“

Egg of the butterfly Satyrium w-album on an elm (Ulmus sp.) twig Scale : egg width = 1mm Technical settings :   - focus stack of 28 images  - 28mm Componon lens reversed on a bellow
Das kleine runde Weiße ist das Ei eines Ulmen-Zipfelkäfers an einer Ulmenblüte – Foto: Gilles San Martin auf Flickr via Wikimedia Commons

Nur an blühfähigen Ulmen, soso.

Haben die Jungbäume eigentlich geblüht? Wir können uns nicht an Blüten erinnern, waren aber auch nicht durchgehend in der Lesselallee unterwegs – wer blühende Ulmen gesichtet hat, bitte melden! Denn das scheint ja für den Ulmen-Zipfelkäfer eine wesentliche Voraussetzung zu sein – andernfalls ist es ja sonst vielleicht doch ein anderer Schädling. Fotos von typischen Fraßschäden des Zipfelkäfers konnten wir leider nicht finden. Wer der Gutachter war, der den Schädling bestimmt haben soll, konnte Wagner nicht sagen.

Hohn und Spott im Netz – Anhaltende Wut ob Fällung

Im Netz hagelte es jedenfalls Hohn und Spott: „Sind die noch verkehrssicher?“, fragte ironisch der Wiesbadener Grünen-Stadtrat Ronny Maritzen, und ein anderer Facebook-User schrieb gleich in Reminiszenz an die Vorgänge rund um die Fällung und das Vorgehen von Ordnungsdezernent Oliver Franz (CDU) im vergangenen Jahr: „Dr. Franz! Hilfe! Bauzaun! Polizei! Absägen! Fällen!“

Wie sehr die Fällung der Lesselallee übrigens auch sieben Monate später noch die Menschen in Kostheim und Mainz bewegt, zeigen diese Einträge:

Ulmen-Allee von hinten
Ulmenallee auf der Maaraue vom Sportplatz aus gesehen – Foto: gik

18. April, Mathilde Hof: „Schön, dass die freie Sicht auf den Containerhafen nicht leidet und der Lärm von dort ungehindert die Maaraue beschallt. Und wo sind eigentlich die Eichhörnchen und die vielen anderen Tiere hin? Also die, die nicht vorbeugend vom Schaum erstickt wurden? Verhungert? Oder wurden sie vielleicht auch ins Schloß Freuedenberg umgezogen, so wie unsere Kastanienstämme?“

19. April, Karin Keyhan-Haghighi: „Ein MAHNMAL für die Machtgeilheit eines Politikers, der sein Amt mißbraucht, um sich über den Willen der Bürger hinwegzusetzen…“

25. April, Hansi Reif: „So so, der Weg soll hergerichtet werden, Sitzbänke sollen installiert werden, und die Wiese davor wird auch repariert? Aha,… damit wohl endlich Gras über die schändliche Art und Weise Demokratie mit aller Gewalt durch zu boxen wachsen kann? Wenn das mal kein Trugschluß ist Herr Franz…“

Wir lassen das mal einfach so stehen.

Info& auf Mainz&: Das Drama um die gefällte Lesselallee könnt Ihr natürlich ausführlich auf Mainz& nachlesen – einfach oben in die Suchmaske „Lesselallee“ eingeben, und dann viel zeit nehmen 😉 Einen kurzen Rückblick auf die Ereignisse gibt es in diesem Mainz&-Artikel: „Das ist eine zerstörte Landschaft“. Einen Fotovergleich vorher-nachher findet Ihr hier. Mehr zum Ulmen-Zipfelkäfer findet Ihr hier bei Arbofux. Infos zum Heckenwickler gibt es ebenfalls bei Arbofux.

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