Der Corona-Shutdown war fraglos gut für die Luftqualität in Deutschland, eines der sichtbarsten Merkmale dafür: der unglaublich blaue Himmel in den vergangenen Wochen. Einen der Hauptgründe dafür benennen nun Wissenschaftler des Mainzer Max-Planck-Instituts: Das Fehlen der Kondensstreifen, weil die Luftfahrt am Boden lag. Genau dafür interessiert sich nun die Forschungsmission „Bluesky“: Mit einem Forschungsflieger wurden in den vergangenen Tagen Ballungszentrum in Deutschland abgeflogen, HALO will die Zusammensetzung der Aerosole und damit den Grad der Schadstoffe in der Luft erkunden. Der Verdacht: Flugzeuge tragen deutlich mehr zur Luftverschmutzung bei als bislang gedacht.

Forschungsflieger HALO vergangene Woche im Anflug auf Frankfurt. - Screenshot: gik
Forschungsflieger HALO vergangene Woche im Anflug auf Frankfurt. – Screenshot: gik

Am Donnerstag zog über dem Rhein-Main-Gebiet, den Flughäfen Frankfurt, Köln und auch dem Flughafen Hahn im Hunsrück ein schlankes Forschungsflugzeug seine Runden: HALO soll den Stand der Luftverschmutzung in der Coronazeit erforschen. „HALO wäre jetzt eigentlich in Brasilien“, sagt Mira Pöhlker vom Mainzer Max-Planck-Institut (MPI) für Chemie. Das Messflugzeug ist mit hochsensiblen Geräten ausgestattet, eigentlich hätte es jetzt die Partikelentstehung in der Atmosphäre über dem brasilianischen Regenwald erforschen sollen – die Corona-Pandemie verhinderte die Flüge.

Nun setzt das Mainzer MPI für Chemie gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) HALO sowie einen zweiten Messflieger mit Namen Falcon ein, um den Himmel über Deutschland unter die Lupe zu nehmen: „Bluesky“ soll die Konzentrationen von Spurengasen und Schadstoffen in der Luft über europäischen Ballungszentren sowie im Flugkorridor nach Nordamerika messen. Zwei Wochen lang werden die Flieger über Ballungszentren wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt Daten sammeln, in der norditalienischen Po-Ebene war man schon unterwegs, Paris und London könnten folgen. Falcon und HALO sollen bis in die erste Junihälfte hinein fliegen, die Auswertung der Daten und die Analyse der Ergebnisse werden anschließend mehrere Monate in Anspruch nehmen.

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Forschungsflieger HALO, hier auf einem brasilianischen Flugplatz. - Foto: MPI Chemie
Forschungsflieger HALO, hier auf einem brasilianischen Flugplatz. – Foto: MPI Chemie

Die Gelegenheit sei derzeit einfach einmalig, schwärmt Physikerin Pöhlker: In der Coronakrise brach der Flugverkehr zeitweise bis auf 90 Prozent ein, derzeit sind vielleicht 20 Prozent der Flugzeuge des Normalbetriebs unterwegs. „Wir können uns gerade einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Luftverschmutzung in Europa verschaffen“, sagt Pöhlker, „und damit im Vergleich die menschengemachten Emissionen viel besser bestimmen.“

Tatsächlich, sagen die Experten, hat sich während des Corona-Shutdowns die Luftverschmutzung deutlich reduziert: Um 20 bis 40 Prozent sei die Luftverschmutzung zurückgegangen, die Werte durch die Luftfahrt sogar um 85 Prozent, heißt es beim Mainzer Max-Planck-Institut – die Atmosphäre sei derzeit deutlich geringer mit Schadstoffen aus Verkehr und Industrie belastet. Über Europa sind in normalen Zeiten täglich etwa 30.000 Flugzeuge unterwegs, mit entsprechend markanten Emissionen.

Tiefblauer Himmel über Mainz vergangene Woche, ganz klein über dem linken Baumwipfel: HALO im Anflug auf Frankfurt. - Foto: gik
Tiefblauer Himmel über Mainz vergangene Woche, ganz klein über dem linken Baumwipfel: HALO im Anflug auf Frankfurt. – Foto: gik

„Der einzigartige blaue Himmel der vergangenen Wochen lässt sich nicht durch die meteorologischen Verhältnisse und den Rückgang der Emissionen in Bodennähe erklären“, sagt der Mainzer Atmosphärenforscher Jos Lelieveld, wissenschaftliche Leiter der HALO-Flüge. Es gelte zu klären, ob es einen Zusammenhang zwischen dem klaren Blau des Himmels während des Lockdowns und der Menge an Aerosolpartikeln in der Atmosphäre gebe. Aerosole sind mikroskopisch kleine Partikel in der Luft, die Sonnenstrahlung streuen und absorbieren und so einen Einfluss auf unser Klima haben, sie entstehen unter anderem bei der Verbrennung fossiler Energieträger. „Eventuell haben Flugzeuge einen größeren Einfluss auf die Bildung von Aerosolpartikeln als bisher gedacht“, vermutet Lelieveld.

Die Forschungsflieger steuern deshalb auch gezielt Flughäfen im Niedrigflug an, so etwa vergangene Woche in Frankfurt: Dank des geringen Flugverkehrs konnte HALO die Landebahnen in Frankfurt im Tiefflug ansteuern und gleich wieder durchstarten, so können die Wissenschaftler Messdaten direkt aus der Luft über dem Flughafen sammeln. Man nehme bei den Ballungszentren die atmosphärische Grenzschicht in ein bis zwei Kilometern Höhe unter die Lupe, sagte Lelieveld: „Uns interessiert, wie sehr sich die Konzentrationen an Schwefeldioxid, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen und deren chemischen Reaktionsprodukten sowie Ozon und Aerosolen verändert haben.“

HALO ist mit hochspezialisierten Messgeräten ausgestattet, an Bord überwacht ein Spezialist die Messungen, hier Thomas Klimach. - Foto: MPI Chemie
HALO ist mit hochspezialisierten Messgeräten ausgestattet, an Bord überwacht ein Spezialist die Messungen, hier Thomas Klimach. – Foto: MPI Chemie

„Der derzeitige Zustand der Atmosphäre stellt für die Wissenschaft eine Art „Nullpunkt“ dar“, betont Christiane Voigt, Leiterin der Abteilung Wolkenphysik des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre: Genau jetzt könnten die Wissenschaftler eine Referenz-Atmosphäre messen, die nur wenig mit Emissionen aus Industrie und Verkehr einschließlich der Luftfahrt belastet sei. „Das gibt uns die einzigartige Möglichkeit, die Effekte der erhöhten Emissionen vor dem Shutdown besser zu verstehen“, sagte Voigt.

Die Hoffnung dabei: Die Atmosphäre in einem Zustand zu vermessen, „der in Zukunft durch nachhaltiges Wirtschaften erreicht werden könnte“, sagt Rolf Henke, DLR-Vorstand für Luftfahrtforschung. Genau jetzt könnten die Wissenschaftler „intensiv beobachten, wie sich die Umwelt mit dem Hochfahren unseres industriellen Lebens wieder ändern wird.“  Damit bekomme man „einen völlig neuen Blick auf den Einfluss des Menschen auf unsere Atmosphäre“, fügte Henke hinzu – das könne „ein wesentlicher Beitrag zur Neubestimmung nach der Krise“ sein.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Forschungsmission „Bluesky“ findet Ihr hier auf der Internetseite des MPI Chemie. Mehr über saubere Luft in Corona-Zeiten mit Blick auf den Autoverkehr haben wir hier auf Mainz& berichtet – im Gegensatz zum Luftverkehr sanken die Schadstoffe am Boden durch den gesunkenen Straßenverkehr nämlich nicht so eindeutig wie am Himmel.

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