Betretenes Schweigen im Rathausfoyer. Punkt 18.00 Uhr flattern die ersten Prognosen über die Fernseher, bei der CDU herrscht das große Schweigen. Aus dem Raum nebenan schallt dröhnender Jubel herüber, die Grünen können ihr Glück kaum fassen: Mit fast 30 Prozent sind sie in Mainz wohl mit Abstand stärkste Partei geworden. Das gilt sowohl bei der Europa-, als auch bei der Kommunalwahl: der Bundestrend, die Fridays for Future-Bewegung, am Ende noch die „Zerstörung der CDU“ durch den Youtuber Rezo, all das hat ersten Prognosen zufolge auch die Kommunalwahl in Mainz stark bestimmt. „Da hat ein Bundestrend volle Kanne durchgeschlagen“, sagte am Abend Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD).

Betretene Gesichter bei der SPD Mainz, sie war der große Verlierer des Wahlabends - hier Spitzenkandidatin Alexandra Gill-Gers und SPD-Chef Marc Bleicher. - Foto: gik
Betretene Gesichter bei der SPD Mainz, sie war der große Verlierer des Wahlabends – hier Spitzenkandidatin Alexandra Gill-Gers und SPD-Chef Marc Bleicher. – Foto: gik

Für die SPD war es ein desaströser Abend: „Das ist ein sehr, sehr schwerer Abend für die SPD“, sagte der Mainzer SPD-Chef Marc Bleicher bereits kurz nach 18.00 Uhr. Ein Absturz bei der Europawahl bundesweit auf nur noch 15,5 Prozent – „das ist bitter“, sagt Bleicher. Aber auch in Mainz rutscht die SPD ab, rund 19 Prozent waren es am Abend – 2014 waren es noch 27,7 Prozent. Die SPD war damit der große Wahlverlierer des Abends.

„Es gab niemanden, der so viele Angebote, so viele Hausbesuche gemacht hat, wie wir“, sagte eine sichtlich enttäuschte Spitzenkandidatin Alexandra Gill-Gers. Die SPD habe kommunal „einfach nicht auffangen können, was bundesweit passiert“. Eigene Fehler wollten Bleicher und Gill-Gers nicht ausmachen. „Es gab keine Wechselstimmung“, betonte Gill-Gers, die Ampel-Kolaition mit Grünen und FDP könne voraussichtlich weiter regieren, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

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Trend Stadtratswahl 2019 – Foto: gik

Die neuen starke Männer und Frauen von Mainz feiern nebenan ungehemmt und lautstark. „Ich bin sprachlos“, sagte ein Grüner, „niemand hätte je damit gerechnet, dass die Grünen heute so durch die Decke gehen.“ Einer indes hatte es kommen sehen: „Ich wurde vor einer Stunde noch fast massakriert, als ich gesagt habe, wir kämen auf die Spitzenposition“, rief Bürgermeister Günter Beck (Grüne) euphorisch in die Menge: „Die haben gesagt, der hat doch gekifft.“ So eine tollen Wahlkampf hätten die Grünen in Mainz noch nicht erlebt.

„Gestern Abend sind wir zum Abschluss Straßenbahn gefahren, und wir haben gepartied“, rief Umwelt- und Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne), „und wir haben gesungen: morgen fährt die Straßenbahn nach Ebersheim!“ Die Grünen seien „so beschimpft worden“ für Baustellen und Staus, sagte Eder, nun zeige sich: „Die Leute wollen den Wechsel, die Verkehrswende.“ Am frühen Abend hätten die Demonstranten von „Fridays von Future noch vor dem Rathaus gesessen, „wir stehen jetzt im Wort“, sagte Eder.

Der große Wahlsieger des Abends waren die Grünen, hier mit Bürgermeister Günter Beck. - Foto: gik
Der große Wahlsieger des Abends waren die Grünen, hier mit Bürgermeister Günter Beck. – Foto: gik

„Grün ist hipp“, sagt die Mainzer Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU), „und das unabhängig davon, ob Versprechungen umgesetzt werden oder umgesetzt werden können.“ Bei der CDU überwiegt der Schock über das Mainzer Ergebnis, dass man in Sachen Europa in Rheinland-Pfalz stärkste Kraft geblieben ist, spielt nur eine Nebenrolle. Der Bundestrend habe sich seit Monaten abgezeichnet, sagt CDU-Kreisgeschäftsführer Andreas Blum, und zuckt mit den Schultern. Eine echte Katastrophe sei das Ergebnis für jemanden anders – für die SPD. „Es gibt jetzt zwei große Volksparteien in Deutschland“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner: „CDU und Grüne.“

CDU-Landeschefin Julia Klöckner redet lieber über Bremen und den dortigen Erdrutsch, die CDU ist dort erstmals stärkste Kraft geworden. Über Berlin mag die Bundeslandwirtschaftsministerin nicht so gerne reden, schon gar nicht über Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auch nicht über mögliche Erschütterungen im Kabinett durch das miserable Ergebnis der SPD.

„Freiheit, Selbstbestimmung, Sicherheit waren unsere Themen“, sagt Klöckner dann doch noch mit Blick auf den Europawahlkampf der CDU, „das waren am Ende aber nicht die dominierenden Themen.“ Dominiert hätten am Ende „emotionale Themen“ – vor allem Umwelt und Klima. Weder CDU noch SPD konnten damit aber punkten, die Kompetenz sahen die Wähler hier am Ende fast komplett bei den Grünen.

Auch die ÖDP konnte in Mainz vom Ökotrend nicht profitieren: 4,0 Prozent in der ersten Prognose bedeutet keine Verbesserung für die kleine Oppositionspartei. Bei den Freien Wählern war die Enttäuschung noch größer: 1,9 bis zwei Prozent, da hatte man sich mehr ausgerechnet.

Betretene Gesichter bei der CDU, die Opposition hatte sich mehr ausgerechnet. - Foto: gik
Betretene Gesichter bei der CDU, die Opposition hatte sich mehr ausgerechnet. – Foto: gik

Die CDU litt am Ende schließlich noch unter dem miserablen Management im Umgang mit Youtuber Rezo und seiner „Vernichtung der CDU“. Von „Schwarz-Weiß-Denken“, gar von „Radikalisierung“ schimpfte Klöckner mit Blick auf Rezo, „diese Überspitzung, ich finde es bedenklich, dass nicht der Inhalt, sondern der Absender entscheidet.“ Ein Youtube-Video sei ja „ein guter Impuls“, aber das ersetze doch keine Debatte, sagte Klöckner. Rezo sei doch „ein Unternehmer, der seinen Marktwert darüber gesteigert hat“, kritisierte sie. Die „digitale Theke“ habe „enorm an Bedeutung gewonnen“, dort müsse man „sich aber nicht gegenseitig ins Gesicht schauen und sich seinen Widersprüchen nicht stellen“. Die Leute dort auf Youtube, „CO2-neutrale Autos fahren die ja nicht gerade“, sagte sie noch.

Dass sich ihre Partei in der Reaktion auf die geharnischte Kritik des Youtubers nicht mit Ruhm bekleckert hat, Klöckner sieht so aus, als wüsste sie das. „Das müssen wir besprechen“, sagt sie nur, das werde Thema der CDU-Klausurtagung sein. „Ich hätte die Partei aufgerufen: antwortet individuell, wer will auch auf Youtube“, schiebt sie noch hinterher.

Aber auch auf Mainzer Ebene macht sich Enttäuschung bei der CDU breit: „Freude geht irgendwie anders“, sagt Matz dabei habe die CDU alles gegeben. „Die Enttäuschung ist groß, dass wir nicht mehr stärkste Fraktion sind“, sagte Matz, Fehler der CDU sehe sie aber nicht. „Wir haben eine CDU erlebt, die so geschlossen zusammengearbeitet hat wie noch nie“, sagte CDU-Chefin Sabine Flegel: „Wir haben gekämpft, wir haben nicht überzeugt, aber wir haben den ersten Schritt gemacht.“ Wirklich ausgezählt werde zudem erst am Montag, „vor fünf Jahren hatten wir am Montag drei Prozent mehr“, sagte Flegel.

„Das Motto der CDU, „Wechsel-Wählen“, ist krachend gescheitert“, sagte hingegen Ebling, die CDU habe aus ihrem verlorenen Landtagswahlkampf 2016 „nichts gelernt“. Dinge schlecht zu reden, verfange beim Wähler nun einmal nicht, „ich glaube, das negative Campaigning funktioniert nicht“, sagte Ebling. Die Grünen seien „der unbestrittene Wahlsieger“, für die Sozialdemokraten das Ergebnis „sehr unbefriedigend“, sagte Ebling weiter – offenbar seien viele SPD-Wähler zu den Grünen gewechselt.

Vergleichsweise zufriedene Gesichter gab es hingegen bei der FDP: „Wir wollten hinzugewinnen, das ist geglückt“, sagte Kreischef David Dietz. Entscheidend für die Wahl seien „Zeitgeist und Trend“ gewesen, die CDU habe trotz einer guten Ausgangslage im vergangenen November nicht punkten können. „Das ist ein sehr interessanter Abend mit blick auf die Oberbürgermeisterwahl“, sagte Dietz noch, „da wird der eine oder andere heute Abend sehr nervös werden.“

Bislang haben für die OB-Wahl Ende Oktober Amtsinhaber Ebling und der parteilose CDU-Kandidat Nino Haase ihre Kandidatur erklärt – die Grünen haben sich bislang nicht geäußert. Erwartet wird, dass die Grünen-Bundestagsabegordnete Tabea Rößner antritt, auch Eder rechnet sich aber wohl noch Chancen aus.

Info& auf Mainz&: Die genauen Zahlen zur Kommunalwahl in Mainz gibt es erst am Montagabend – mehr zu den ersten Trends und Prognosen lest Ihr hier auf Mainz&. Alle Ergebnisse aus Mainz, auch in den Ortsteilen könnt Ihr live hier im Internet bei der Stadt Mainz mitverfolgen. Update: Zum vorläufigen amtlichen Endergebnis für Mainz geht es hier entlang.

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