„Es kann sich alles ändern“, sagt Dominik Bloh, und wer seiner Geschichte kennt weiß: Dieser Satz ist nicht banal. Es ist ein Wunder, selbst gemacht sozusagen. Vor 14 Jahren wurde Dominik auf die Straße gesetzt, eines Nachts, mitten im Schnee, von seiner Mutter. Dominik war 16, die nächsten Jahre verbrachte er on-and-off auf der Straße. Dominik war ein Obdachloser. Heute, 14 Jahre später hat er einen Bestseller geschrieben, ein Unternehmen gegründet und einen Duschbus für Obdachlose ins Leben gerufen. Er hat es geschafft, den tiefen Graben  zwischen  zwei komplett getrennten Welten zu überwinden. Wie er das geschafft hat? Ein Fremder in der Bahn lachte ihn an. Einfach so. Für Dominik änderte sich dadurch alles. „Kleine Gesten können Großes bewirken“, sagt er heute, „ein Lachen kann Hoffnung spenden.“ Unsere Weihnachtsgeschichte 2019.

Dominik Bloh war selbst zehn Jahre obdachlos, jetzt fährt sein Duschbus für Obdachlose durch Hamburg. - Foto: Jan Brandes
Dominik Bloh war selbst zehn Jahre obdachlos, jetzt fährt sein Duschbus für Obdachlose durch Hamburg. – Foto: Jan Brandes

„Vor vier Jahren um diese Zeit hätte ich etwas ganz anderes gemacht“, sagt Dominik Bloh: „Ich wäre über die Reeperbahn gestreunert und hätte Flaschen gesammelt.“ Jetzt sitzt Bloh auf einer kleinen Bühne im Mainzer KUZ und ist Star einer Lesung, und so ganz hat er sich noch nicht daran gewöhnt. Zehn Jahre lang lebte Bloh auf der Straße, rutschte immer wieder in die Obdachlosigkeit. „Manchmal ist der letzte warme Ort ein Bus“, sagt er.

Seit dem 6. Dezember fährt so ein Bus durch Hamburg: GoBanyo steht darauf, und Dominik Bloh ist der Mann, der ihn ermöglicht hat. GoBanyo ist ein Duschbus mit drei voll ausgestatteten Badezimmern, abschließbar, mit allem eingerichtet bis hin zum Föhn. „Waschen hat etwas mit Würde zu tun, aber auf der Straße gibt es so wenig Möglichkeiten, sich zu waschen“, sagt Bloh: „Wir alle wollen uns wohlfühlen in unserer Haut, das macht etwas mit unserer Psyche.“ Körper und Geist, sie gehen Hand in Hand, sagt er: „Wenn du immer dreckig bist, denkst du irgendwann, du bist Dreck.“

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Zwölf Meter lang ist der ausrangierte Linienbus der Hamburger Hochbahn, ein Jahr lang dauerte die Realisierung des Projektes. „Wir haben 170.000 Euro per Crowdfunding eingesammelt, um den Bus umzubauen“, sagt Bloh stolz. An vier Tagen pro Woche fährt der Bus nun durch Hamburg und bietet Obdachlosen die Chance auf eine heiße Dusche. Rund 2.000 Obdachlose gibt es offiziell auf den Straßen von Hamburg, die Dunkelziffer sei wesentlich höher, sagen sie bei GoBanyo. Im kommenden Jahr will Bloh den Bus auch nach Frankfurt schicken, er selbst wird wohl auf dem Open Ohr 2020 in Mainz zu Gast sein.

Badezimmer im Duschbus GoBanyo - Foto: Jan Brandes
Badezimmer im Duschbus GoBanyo – Foto: Jan Brandes

Der Mainzer Obdachlosenarzt Gerhard Trabert sieht indes nicht überall Bedarf für so eine Einrichtung. In Mainz gebe es mehrere Anlaufstellen zum Duschen und Waschen, sagte Trabert im Gespräch mit Mainz&, die Versorgung hier sei gut. Doch allein, dass es eine solche Initiative für einen Duschbus gebe, sei „ein Zeichen dafür, dass es große Lücken im Versorgungssystem gibt – und das ist der eigentliche Skandal.“ Einrichtungen gebe es, „aber die Menschen schämen sich, deshalb gehen sie da nicht hin“, weiß Bloh, „deshalb wird dieser Bus eine Brücke schlagen und zu Teilhabe führen.“

Es war im Februar 2005, als seine Mutter ihn eines Nachts auf die Straße setzte, mitten im Winter, mitten im Schnee. Bloh war ganze 16 Jahre alt, seine Mutter war psychisch schwer krank, manisch-depressiv mit Borderline-Syndrom, so beschreibt er es. Andere Familie gab es nicht, und auch sonst wollte niemand so recht die Verantwortung für den Jungen übernehmen: „Es ist ein Phänomen, das ich immer wieder erlebt habe“, sagt Bloh, „ich nenne das Verantwortung weiter schieben.“

Dominik Blog vor dem Duschbus für Obdachlose, Go Banyo. - Foto: Jan Brandes
Dominik Blog vor dem Duschbus für Obdachlose, Go Banyo. – Foto: Jan Brandes

Bei Freunden konnte er nur zeitweise wohnen, Lehrer schauten weg – Dominik landete auf der Straße. Zu Schule ging er trotzdem weiter, sie habe ihm Halt gegeben, einen festen Tagesrhythmus und vor allem eines: Zugehörigkeit. „Wir alle wollen dazugehören, wir alle wollen ein Teil sein“, sagt Bloh: „Ich war ein Straßenjunge, aber solange ich zur Schule gehe, solange bin ich ein Schüler – so lange bin ich etwas.“

Die Nachmittage verbrachte er im Schwimmbad, „die Nächte waren eine einzige Flucht vor Kälte und Hunger“, erzählt er: „Ich schreibe viel in der Bahn, ich finde hier viel Inspiration“, liest Bloh – sein Leben hat er in ein Buch gepackt: „Unter Palmen aus Stahl“ beschreibt eindringlich und mit intensiver Sprache Blohs Zeit auf der Straße. Es ist die Geschichte eines Jungen, der aus dem System fällt, einfach so, zwischen die Risse des Sozialstaates. Immer wieder sind da Anläufe für eine Rückkehr. Aber aus dem betreuten Jugendwohnen muss er mit 18 Jahren ausziehen, das Amt besorgt ihm eine Wohnung – Dominik landet auf einer Baustelle, einer Wohnung ohne Fußboden, ohne Strom. „Ich habe gedacht, das muss ich also Wert sein“, sagt er.

Der Ex-Obdachlose Dominik Bloh bei seiner Lesung im Mainzer KUZ Ende Dezember 2019. - Foto: gik
Der Ex-Obdachlose Dominik Bloh bei seiner Lesung im Mainzer KUZ Ende Dezember 2019. – Foto: gik

Ein Heiliger ist er nicht. Er klaut, er dealt mit Drogen, um an Geld zu kommen, er belügt sich und andere, er häuft Schulden an, sie drücken ihn bis heute. Seine Sprache ist schonungslos, sie erzählt vom Ganzuntensein und vom Wiederaufstehen, und es ist mucksmäuschenstill im Raum. „Der Mensch, der geschafft hat, dass ich wieder an mich glaube, ist mir fremd“, erzählt Bloh. Es war ein Fremder in der Bahn, der ihn anlachte, einfach so. „Ich bin es noch Wert, dass man mich anlacht“, dachte der Obdachlose, und sagt heute: „Kleine Gesten können Großes bewirken. Ein Lachen kann Hoffnung spenden. Wir können nie wissen, wen wir beeinflussen – für mich war es die Rettung.“

Im Sommer 2015 beginnt Bloh in einer Kleiderkammer zu arbeiten, er will den vielen Flüchtlingen helfen, gerade weil er selbst nichts hat. Über die Hilfe für andere lernt er Menschen kennen, die ihm helfen. Eine Zeitung bietet ihm eine Kolumne an, mit dem Geld mietete er sich eine kleine Wohnung. 2017 erscheint „Palmen aus Stahl“, es wird ein Bestseller. 2018 gründet Bloh die GoBanyo GmbH, findet Unterstützer, bringt den Duschbus auf die Straße. „Das zeigt: es kann sich alles ändern“, sagt Bloh: „Ich wollte dieses Buch schreiben, mein Abitur machen, diesen Bus haben – es ist alles wahr geworden. Also glaubt daran: Solange man nicht aufgibt, kann alles passieren.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Duschbus GoBanyo findet Ihr hier auf dieser Internetseite, mehr zu Dominik Bloh und seiner faszinierenden und sehr nachdenklich machenden Geschichte könnt Ihr hier im Internet erfahren, seine Facebookseite findet Ihr hier. Obdachlosigkeit ist natürlich auch in Mainz ein Problem, Anfang Dezember haben wir den Mainzer Straßen-Doc Gerhard Trabert begleitet, unsere Reportage davon lest Ihr hier bei Mainz&. Was uns an Dominiks Geschichte so angerührt hat, war übrigens dieser Satz: Du weißt nie, wen Du beeinflusst, nur ein Lächeln kann Hoffnung schenken, Leben retten, ihm eine neue Wendung geben. Das ist für uns die Weihnachtsbotschaft 2019. Frohe Weihnachten!